Sozialleistungen kürzen? Krisenabgabe für die Reichen? (Umfragen + Leitkommentar) | Briefing 366 | PPP (Politik, Personen, Parteien), Gesellschaft

Briefing 366 PPP, Gesellschaft, Wirtschaft, Sozialleistungen, Steuern, Abgaben, Bürgergeld

In den letzten Tagen haben wir uns gewundert, wie sowohl auf statistischer Seite wie auch bezüglich der neuen Umfragen Themen in den Vordergrund gerückt sind, die man geradezu als eklektisch bezeichnen könnte. Vielleicht ist das aber nur unsere Sichtweise und es wäre gerade wichtig, sich mal wieder ganz liebevoll mit weniger wichtigen Gegenständen zu befassen.

ACHTUNG: Die Umfrage vom Samstag passt dazu, den Text in diese Richtung erweitern:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie den Vorschlag der SPD, dass Personen mit jährlichem Brutto-Einkommen von über 277.826 Euro temporär eine Krisenabgabe zahlen sollten? – Civey

Die SPD hat einen wirtschaftspolitischen Leitantrag für den Bundesparteitag im Dezember erarbeitet. Darin schlägt sie Maßnahmen vor, mit denen jährlich Investitionen von 100 Milliarden Euro finanziert werden sollen, berichtete das RND am Montag. Damit möchte die SPD den Industriestandort stärken, Arbeitsplätze schaffen, Bildungschancen sichern und Vertrauen in den Staat zurückzugewinnen. Ermöglicht werden soll der Plan durch einen staatlichen Fonds. Zudem sollen die Schuldenbremse sowie die Erbschaft-, Schenkungs- und Einkommensteuer reformiert werden.

Durch die Einkommensteuerreform möchten die Sozialdemokraten 95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger entlasten. Um dies zu finanzieren, sollen „diejenigen, die reichensteuerpflichtig sind, zusätzlich eine temporäre Krisenabgabe beisteuern.“ Konkrete Angaben dazu, wie viel mehr die betroffenen Personen zahlen sollen, werden in dem Antrag nicht genannt. Dem „Institut Arbeit und Qualifikation“ zufolge beträgt der Spitzensteuersatz derzeit 42 Prozent und greift bei Einkommen über 62.810 Euro. Ab einem Einkommen von 277.826 Euro gilt dann der sogenannte Reichensteuersatz von 45 Prozent.

Die FDP lehnt Steuererhöhungen und ein Aufweichen der Schuldenbremse ab. 
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich erst im September in der ARD gegen einen höheren Spitzensteuersatz aus, den zuvor die CDU gefordert hatte. Dies wäre eine „Strangulierung unserer wirtschaftlichen Entwicklung”. Stattdessen plädiert er für mehr steuerliche Entlastungen für „private Haushalte, Arbeitnehmer und Unternehmen”, damit „sich Arbeit wieder lohnt”, heißt es in einer Mitteilung auf der FDP-Webseite.

Vielleicht ist es sogar eine gesunde Abwehrreaktion, um dem Sog von Kriegen und Krisen zu widerstehen. Heute aber wieder zu einem Problem, das auch  mit den Krisen und Kriegen zusammenhängt:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie den Vorschlag von Finanzminister Christian Lindner, Sozialleistungen zu kürzen, um den Bundeshaushalt zu entlasten? – Civey

Die Ampelkoalition will nach den Verschuldungen in den letzten Krisenjahren sparen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will dafür die Sozialausgaben im Bundeshaushalt 2024 reduzieren. Die Hälfte der Deutschen (51 %) befürwortet seine Pläne. 41 Prozent lehnen sie ab und acht Prozent sind unentschieden. 

Laut Lindner gebe es Hunderttausende arbeitsfähige Menschen, für die sich arbeiten aktuell kaum lohne. Daher müsse man das Angebot der Sozialleistungen „unter dem Gesichtspunkt Lohnabstandsgebot und Erwerbsanreiz” reformieren, sagte der FDP-Chef laut Merkur vorgestern in Berlin. Sozialverbände reagierten alarmiert. Eine Kürzung der Sozialleistungen gefährde die Struktur der sozialen Sicherung in Deutschland, sagte Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffa vorgestern im RBB. Dies würde gerade in Krisenzeiten der Bevölkerung die Zuversicht nehmen, dass jeder und jedem Einzelnen in Notsituationen geholfen werde.  

Die größte Zustimmung für den Vorschlag, Sozialleistungen im nächsten Haushalt zu kürzen, gibt es seitens den Wählerschaften von FDP (76 %), Union und AfD (je 72 %). Die Wählerinnen und Wähler von SPD (63 %), Grünen (74 %) und Linken (85 %) lehnen eine Kürzung von Sozialausgaben dagegen mehrheitlich ab.

Die Gewichte haben sich bei der gestern gestarteten Umfrage seit dem Erscheinen des obigen Textes etwas verschoben, die Bejahung der Sozialleistungsreduktion hat sich marginal vermindert und liegt aktuell bei etwa 49 Prozent der Abstimmenden.

Erster Haltepunkt Bürgergeld

Noch vor wenigen Jahren hätten wir geschrieben: Wohin sollen die Sozialleistungen denn noch gekürzt werden? Ist das Hartz IV-System mit all seinen Aspekten, Auswirkungen und Diskriminierunge nicht Schande genug? Dass wir mittlerweile etwas differenzierter auf die Sachlage blicken, hat nicht mit der Umbenennung in „Bürgergeld“ zu tun und auch nicht damit, dass es tatsächlich nun zum zweiten Mal hintereinander zu einer vergleichsweise deutlichen Anhebung kommt, die im Jahr 2024 tatsächlich höher ausfallen dürfte als die Teuerung. Dabei handelt es sich nur um einen Nachholeffekt und armutsvermeidend ist das Bürgergeld lange nicht, dazu wären nach Berechnungen von Sozialverbänden mehr als 700 Euro im Monat notwendig. Das Bürgergeld wird im Jahr 2024 auf 563 Euro steigen. Das ist interessanterweise genau der Betrag, den Die Linke in ihrem Programm für die Bundestagswahl gefordert hat.

Gemeint ist allerdings die Bundestagswahl 2017. Wir sind sechs Jahre weiter und allein 2022 und 2023 betrug die Inflation zusammen mehr als 13 Prozent. Die Teuerung für ärmere Menschen, die sich vor allem auf Lebensmittelkäufe konzentrieren müssen, liegt noch einmal erheblich höher.

Das muss man wissen, wenn man von Kürzungen redet. Es gab nämlich in realen Preisen über viele Jahre hinweg keine Ausweitungen, sondern – genau, Kürzungen, unter anderem durch Kleinrechnung der Inflation, die ein typischen Leistungsempfänger-Haushalt zu tragen hat. Diese Kleinrechnung erfolgte, sehr vereinfacht ausgedrückt, dadurch, dass man einen Warenkorb des Statistischen Bundesamts zugrunde legte, der für solche Haushalte ganz und gar unrealistisch ist, weil in ihm auch teure technische Produkte enthalten sind, die sich relativ gesehen dennoch verbilligt hatten, dank immer neuer Werkbänke überall auf der Welt, bei denen solche Produkte hergestellt werden. Das ist nur ein Faktor, selbstverständlich, aber ein philosophisch wirksamer, auch wegen der Arbeitsbedingungen in solchen Ländern, die weitaus schlechter sind als die formalen Lebensbedingungen von Leistungsempfängern in Deutschland. Aber es ist eben auch alles relativ, nämlich zur übrigen Gesellschaft eines Landes.

Die wirkliche Ungerechtigkeit ist die zunehmende Ungleichheit

Und diese notwendige relative Betrachtungsweise zeigt uns, dass Einkommen und Vermögen immer weiter auseinander gehen, dass die Ungleichheit immer weiter anwächst und dass am oberen Ende Vermögen in aberwitziger Höhe kumuliert wird, weil die Politik sich nicht traut, diese mächtigen Personen angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Dazu gehören auch notwendige Zukunftsinvestionen, nicht nur Sozialleistungen. Je mehr in die Zukunft investiert wird, in Bildung und allgemeine Infrastruktur, desto geringer werden auf lange Sicht die Sozialleistungen ausfallen.

Oder glauben Sie wirklich, dass jemand, der gut ausgebildet ist und Chancne auf einem modernen, zukunftssicheren Arbeitsmarkt hat, lieber Bürgergeld empfängt? Und werden Fachkräfte leistungsgerecht bezahlt, wenn sie lieber die „soziale Hängematte“ wählen? Das ist alles populistischer Unsinn. Falsche Weichenstellungen gibt es aber sehr wohl.

Darauf werden wir noch im Rahmen von „Arbeitsdienst“ und „psychologische Fehler beim Zusatzverdienst“ in einem Udpate eingehen.

Flucht und Kapazität

Aber deshalb die Differenzierung. Wir fanden es von Beginn an problematisch, dass sämtliche Menschen, die aus der Ukraine hierherkommen, bessergestellt werden als Geflüchtete aus anderen Regionen, die durch das Asylbewerberverfahren müssen und bessergestellt wurden als viele Menschen aus EU-Ländern, die episch lange warten mussten, bis die Freizügigkeit in der EU auch für sie galt. Wir wollen nicht zu fragmentarisch werden, aber wir kennen Personen, die zum Beispiel aus Gebieten gekommen sind, in denen es noch keine einzige Kampfhandlung gab. Es geht nicht um Sozialbetrug, es geht nicht um weitere Beobachtungen, sondern nur darum: Nie zuvor war es so einfach, sich von außerhalb der EU in der EU niederzulassen. Und wo tut man das am liebsten? In einem Land, das als besonders aufnahmefreundlich und leistungsfreundlich bekannt ist, selbstverständlich. Das kann man nicht dadurch wegreden, dass man sagt, Pullfaktoren seien statistisch nicht belegt, wohl wissend, dass diese sich nicht methodisch sauber und exakt quantifizieren, sondern nur anhand der in der EU sehr ungleichen Verteilung von Geflüchteten als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhanden identifizieren lassen.

Wer auf dem Standpunkt steht, dass weltweit ohnehin Niederlassungsfreiheit herrschen sollte, wird das als kleinlich empfinden und wir sind auch ganz der Meinung, dass noch vieles möglich wäre, finanziell gesehen, wenn die Abgabenlast in Deutschland gerechter verteilt wäre, sprich, man nicht umso weniger Steuern zahlen würde, je mehr Geld man hat und je mehr Absetzungsmöglichkeiten, inklusive Verschiebungen von Vermögen ins Ausland, was nun wirklich eine Absetzbewegung darstellt, die endlich begrenzt werden müsste. Aber wir wollen nicht vom Thema abkommen.

Neoliberale Fails sind Auslagerung der Folgen an die Allgemeinheit zugunsten der Reichen

Es geht bei den Sozialleistungen nicht nur um die Sozialleistungen an Einzelpersonen. Es geht um die Infrastruktur. Wer einen Zuzug, wie er derzeit stattfindet, ohne größere Systemschäden bewältigen will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen. Das wurde bisher sträflich vernachlässigt. Der Wohnungsbau lahmt, in Kitas und Schulen geht es chaotisch zu, viele öffentlichen Einrichtungen sind überlastet, auf die eine oder andere Weise. Es ist aber nicht humanistisch, ein tatsächliches, integrationsorientiertes, mentales Ankommen hier zu verunmöglichen, indem man sich nicht darum kümmert, ausreichend Möglichkeiten dafür zu schaffen. Deswegen sind wir auch gegen die Kürzungen im sozialen Bereich, die die Bundesregierung jetzt, natürlich unter neoliberaler Federführung vornehmen will. Das ist genau das falsche Signal und die künftigen Schäden für die Gesellschaft sind schon absehbar.

Die Haushaltssperre, die nun von Finanzminister Lindner wegen eines aktuellen Bundesverfassungsgerichtsurteils verhängt wurde, behandeln wir in diesem Ausgangsbeitrag noch nicht, sondern erst in einem Update.

Dass den Neoliberalen die Schäden egal sind, war zu erwarten, auch die Parteien, die Irreführung betreiben, indem sie ein „C“ im Namen stehen haben, sind, wie sie sind, und wir dürfen uns gemäß aktuellen Umfragen darauf einstellen, dass sie ab 2025 wieder die Bundesregierung anführen werden. Vermutlich mit den Grünen und der SPD oder der FDP zusammen, anders wäre es rechnerisch derzeit nicht möglich, wenn man die AfD heraushalten will. Wir haben also eine klare Meinung gegenüber den Sozialkürzungen, die die Arbeit sozialer Träger und Einrichtungen betreffen. „Wir schaffen das“ galt schon bisher nur mit Einschränkungen, aber dass ausgerechnet eine Ampelkoalition das nun ganz verunmöglichen will, ist komplett würdelos.

Die Verunglimpfung Einzelner erreicht schon wieder die Dimensionen, mit denen die Schröder-Regierung seinerzeit den Boden für die größten Sozialkürzungen in der Geschichte der BRD bereitet hatte, aber es gibt einen Unterschied: Die heutigen Sozialleistungen stellen nur das Existenzminimum dar, das war vor der Agenda 2010 anders. Wohin will man also kürzen? Indem man darauf hofft, dass das Bundesverfassungsgericht, seiner aktuell sehr konservativen Linie folgend, sagt, wir haben das Existenzminimum bisher viel zu hoch angesetzt und Menschen, die von dort aus auch noch sanktioniert werden, überleben ja auch irgendwie? Stimmt das immer, zum Beispiel, wenn Menschen wohnungslos werden? Schändliche Rechtsprechung generiert schändliche Rechtsprechung und umgekehrt.

Die unerfreuliche Verfassung der Gesellschaft

Das Problem der letzten Jahre ist, dass man die Systeme, wie sie nun einmal sind, leider überspannt hat. Der Wille, sie menschengerechter zu machen, war nicht da, und jetzt ist eine sackige Mehrheit dafür, das diejenigen büßen zu lassen, die sich nicht wehren können. Neid, Missgunst, Rassismus, alles wirkt zusammen und schafft eine Stimmung, in der die Deutschen wieder einmal als ein, offen geschrieben, hundsgemeines Volk kenntlich werden, für das die Demokratie eine Schönwetterveranstaltung ist. Werden die Zeiten stürmischer, wird nicht solidarisch zusammengerückt, sondern freigedreht auf eine Weise, die klarmacht: Es könnte wieder passieren. Die AfD kommt in manchen Bundesländern gegenwärtig auf Umfragewerte, wie seinerzeit die Nazis Wahlergebnisse hatte. Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, bevor nicht mehr frei gewählt wurde.

Deswegen haben wir trotz der Erkenntnis, dass wir selbstverständlich Fälle von Fehlbezug von Sozialleistungen sehen, dass wir die Handhabe bezüglich der ukrainischen Staatsbürger:innen für zu optimistisch halten, der Einsicht in notwendige Korrekturen dort, wo klare Ungerechtigkeiten entstanden sind, grundsätzlich die Kürzung von Sozialleistungen strikt abgelehnt. Differenzierung halten wir für notwendig und Missbrauch muss stärker bekämpft werden, und zwar unabhängig davon, ob auch andere Missstände parallel mehr ins Visier genommen werden, was wir selbstverständlich auch befürworten, siehe oben. Die Abzocke von oben.

Wer nicht investiert, verliert

Wie jede Verweigerung von Investitionen in die Infrastruktur wird auch das Schleifen der sozialen Infrastruktur noch sehr teuer werden. Die Menschen, die nicht mehr integriert werden können, sind ja nicht weg. Und wer glaubt, das könnte man auch noch bewirken, unterliegt einem Irrtum. Wenn wir sehen, wie zum Beispiel Nachrichten über wirklich üble Hasskriminalität aufgenommen werden, nämlich in der Form, dass diese Kriminalität befürwortet wird, verstehen wir, was einige noch nicht offen aussprechen wollen und die Bilder der Vernichtungslager tauchen wieder vor unserem Auge auf. Es fängt mit Diskriminierung und populistischen Fehlzuschreibungen an. Erst wird Menschen die Würde abgesprochen, dann werden sie ihrer Würde beraubt und am Ende ist ihr Leben nichts mehr wert. Eine typisch deutsche Entwicklung. Weil wir diese Gefahr sehen, eine Entwicklung, die nichts mit Leistungsgerechtigkeit oder dergleichen zu tun hat, sondern mit dem Schleifen zivilisatorischer Grundelemente, sind wir insgesamt gegen Sozialkürzungen. Dass die Kosten für Sozialleistungen hingegen so  hoch sind, obwohl mit Hartz IV doch auf individueller Ebene nur noch das Minimum ausgegeben wird, ist auch in mangelhaftem Umgang mit Immigration in der Vergangenheit zu suchen.

Viel zu lange hat man sich der Erkenntnis verweigert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und auch sein muss, um wirtschaftlich zu überleben, angesichts der niedrigen Geburtenrate. Das ist umso seltsamer, als es für den gegenwärtigen Fachkräftemangel ein Vorbild gibt: Die Anwerbung von „Gastarbeitern“ ab den 1950ern. Zwar mehr für die einfachen Arbeiten, aber in der Industrie und nicht schlecht bezahlt im Vergleich zum heutigen Bullshit-Business.

Gerade wegen einer politisch vergurkten Migrationsgeschichte kann man Menschen nicht als Kürzungsobjekte behandeln, sondern muss versuchen, es besser zu machen. Nicht nur durch Geldleistungen, sondern auch durch betreffenden Umgang. Es versteht sich von selbst, dass die Kürzungsfanatiker auch diejenigen sind, die durch ihren rassistischen Umgang mit Immigrant:innen die sozialen Schäden verstärken.

Steuerung als Humanitätssicherung

Man muss zwar eine gewisse Steuerung betreiben, das ist unerlässlich und wir halten eine Open-Borders-Politik für unrealistisch, aber wer hier ist, muss anständig behandelt und unterstützt werden, wo es nötig ist. Das Asylrecht muss gewahrt bleiben und die Zuwanderung von Menschen, die helfen, die Leistungsfähigkeit des Landes zu sichern, die wiederum die Bewältigung sozialer Aufgaben sichert, muss viel besser gefördert werden. Selbst hier muss man noch einen Aspekt berücksichtigen. Diese Anwerbung mal nicht von der utilitaristischen Seite her denken, sondern so: Um eine gute Gesellschaft zu haben, müssen Menschen hier gute Arbeit finden, nicht umgekehrt. Dann hört auch das populistische Gerede über die soziale Hängematte auf. Auch dieses Ende des Populismus ist aber nicht der Zweck, sondern nur ein angenehmer Nebeneffekt. Der Zweck muss immer sein, so vielen Menschen, wie die Systeme es hergeben, ein gutes Leben zu ermöglichen. Darauf müssen die Systeme ausgerichtet sein, nicht darauf, die meisten Menschen zu Systemsklaven zu machen, damit einige wenige sich unermesslich bereichern können, die sich außerdem darauf verlassen können, dass die anderen sich gegenseitig fertigmachen.

Sozialleistungen für Menschen zu kürzen, um weitere abzuschrecken, ist deshalb komplett verantwortungslos und einer Demokratie und eines sogenannten Rechtsstaats – ja, unwürdig. Wer anderen die Würde nehmen will, ist selbst unwürdig. Und die Politiker, die dem Rechtsdrall nachgeben, sollen sich nichts vormachen: Die Verachtung des Mobs, der die Vertreibung schon im Blick hat und die Vernichtung im schwarzen Herzen, wird ihnen trotzdem sicher sein. Es gibt auf der schiefen Bahn abwärts, die sozialen und humanitären Standards betreffend, kein Halten. Hingegen wäre es eine Haltung der Politik, gerade jetzt dem um sich greifenden Nazidenken zu widerstehen.

Fazit: Nicht Ursache und Wirkung bei Missständen vertauschen und an die Menschen- und Bürgerrechte denken

Einzelne Aspekte, die einen Bezug zu den Sozialleistungen haben, sind zuletzt etwas aus dem Ruder gelaufen, das stimmt. Da hat man entweder nicht nachgedacht oder sich arrogant über absehbare Folgen gestellt. Aber wie bei der Meinungsfreiheit, wie bei allen Menschen- und Bürgerrechten gilt: Einzelne Missstände dürfen nicht dazu herhalten, ein immer rigideres und menschenfeindlicheres Regime zu etablieren. Wehret den Anfängen? Dazu ist es schon zu spät, aber man kann wenigstens versuchen, es nicht immer schlimmer werden zu lassen. Die nächsten Jahre, selbst unter einer wirklich  zupackenden Regierung, wären sowieso ein Reparaturbetrieb. Mit progressiver Neugestaltung kann man dann in der übernächsten Legislaturperiode beginnen. Dummerweise haben wir keine Regierung, die sofort Peilung und Richtung aufnimmt, und es könnte nach der Bundestagswahl 2025 noch schlimmer werden. Angesichts dieser Aussichten ist es eine große zivilgesellschaftliche Aufgabe, nicht denen, die am liebsten Millionen Arme verhungern lassen würden, anstatt mal nach oben etwas mehr Beitrag einzufordern, nachzugeben. Gegenwärtig stellen sich zum Beispiel Teile der SPD gegen diesen Trend, obwohl man in der Partei genau weiß, dass man damit in dieser miserabel verfassten Gesellschaft keine Umfragezuwächse erzielen kann. Das ist durchaus bemerkenswert und könnte unser Wahlverhalten im Jahr 2025 beeinflussen, falls die SPD ihre vergleichsweise soziale Linie durchhält. 

TH

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