So bewegt sich Deutschland – Fahrräder & Autos (Statista + Kommentar: Verkehrswende in Berlin) | Briefing 368 | Gesellschaft, Wirtschaft, Verkehrswende, Klima + Energie

Briefing 368 Verkehrswende, Gesellschaft, Wirtschaft, Fahrradfahrer, Autofahrer, Klima-Energie-Umwelt

Man kann nicht behaupten, dass wir die Verkehrswende beim Wahlberliner vernachlässigen würden, schauen Sie zum Beispiel hier, was wir alleine seit März 2023 dazu veröffentlicht haben:

Jetzt haben wir aber ganz schön geprotzt. Aus Überzeugung, denn wir sind ein pedalierender Teil der Verkehrswende. Der letzte Artikel zum Thema ist aber schon einige Wochen alt, daher heute wieder ein paar Informationen.

So bewegt sich Deutschland: Statista Racing Bar Animation DE (youtube.com)

Im Jahr 1965 gab es in Deutschland lediglich 4,5 Millionen Personenkraftwagen und 18,6 Millionen Fahrräder – bei welchem der beiden Verkehrsmittel ist der Bestand seitdem stärker angestiegen? Die Statista-Animation veranschaulicht, dass die Zahl der Fahrräder bis 2021 auf 81 Millionen gestiegen ist. In absoluten Bestands-Zahlen ist das Fahrrad damit nach wie vor das am weitesten verbreitete Verkehrsmittel in Deutschland. Berechnet man jedoch die relative Veränderung der Bestände, so haben Personenkraftwagen stärker zugelegt (+959 Prozent) als Fahrräder (+335 Prozent). Das Wachstum von Bussen (+128 Prozent) und Motorrädern (+146 Prozent) erscheint dagegen ziemlich bescheiden.

In Deutschland kam es seit den 1950er und 1960er Jahren zu einem rasanten Anstieg des Bestands an Personenkraftwagen. Die Gründe für die sprunghafte Entwicklung sind vielfältig. Steuerliches Fördern des Pendelns, der Ausbau des Fernstraßennetzes und der einsetzende autofreundliche Städtebau waren Rahmenbedingungen, die die Verbreitung der Pkw unterstützten. Unter letzterem Punkt leiden Radfahrer noch heute. Das Auto wurde außerdem zum Statussymbol und zum Vehikel des sozialen Aufstiegs.

Von der Dieseltechnologie gingen in den 1970er und 1980er Jahren zusätzliche Wachstumsimpulse aus, da sie mit dem Argument einer deutlichen Kraftstoffeinsparung auch bei Kompaktwagen Verbreitung fand. Die deutsche Wiedervereinigung sorgte Anfang der 1990er Jahre zusätzlich für glänzende Auto-Geschäfte.

Die Zahl der Fahrräder in Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls beständig zugenommen. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes belief sich der Fahrradbestand in Deutschland 2020 auf 81 Millionen Stück. Im Jahr 2005 waren es noch rund 14 Millionen weniger. Ein Treiber der positiven Entwicklung in der Fahrradindustrie sind Räder mit E-Antrieb. Der Absatz von E-Bikes in Deutschland ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und wird für 2021 mit zwei Millionen Stück angegeben.

Das Verhältnis zwischen Fahrrädern und Autos war im Jahr 1960 noch mehr als 4:1,  heute ist es nicht einmal mehr 2:1. Schlecht, schlecht für das Klima, für den Ressourcen- und Platzverbrauch und überhaupt. Die Frage ist, ob man diesen Vergleich wirklich ziehen darf. Die Massenmotorisierung hatte um 1960 gerade erst begonnen und die Zahl der Fahrräder hat über die Jahrzehnte niemals abgenommen, sondern sich ebenfalls beinahe verdoppelt. Allerdings mit einem Sprung im Jahr 1990. Die Fahrräder in der Ex-DDR wurden in der Grafik addiert, die PKW hingegen hat man schon vorher statistisch zusammengeführt. Vermutlich war über die Zeit vor 1990 keine einigermaßen verlässliche Zahl über die Fahrräder im Beitrittsgebiet erhältlich, wohl aber über die Zahl der Personenkraftwagen. Da Fahrräder keiner Kennzeichenpflicht unterliegen und nicht amtlich registriert sind, ist aber auch die heutige Zahl nur eine Schätzung.

Immerhin gibt es etwa ein Fahrrad pro Einwohner, in Deutschland. Bei uns ist das Verhältnis 2:1, ein altes Rad für umme Ecke und bei schlechtem Wetter, ein neueres für den Spaß. Die Wahrheit ist leider, dass wir das neuere Rad mittlerweile fast immer fahren, auch für Kurzstrecken und bei jedem Sauwetter. Vermutlich, weil es sich besser fährt und wir manchmal sogar darauf angesprochen werden. Es ist somit auch ein Kommunikationsmittel. Immerhin fahren wir bei jedem Sauwetter, von ein paar seltenen Ausnahmen abgesehen. Wird also das Verhältnis bald 3:1 sein? Wir denken mittlerweile über ein Rennrad nach. Es muss (und kann) ja kein neues Teil für einen fünfstelligen Betrag sein.

Aber so kommt die hohe Zahl von Fahrrädern zustande: Wir kennen Menschen, die bis zu fünf (!) Fahrräder ihr Eigen nennen und in Berlin dürfte das Verhältnis mehr als 1:1 sein. Das gleicht die Zahl der Fahrradverweigerer aus, die die Welt nur von der Position hinter der Windschutzscheibe aus wahrnehmen. Davon gibt es in Deutschland viele, deswegen wird gegenüber Radfahrern auch so rücksichtslos ver… fahren. Nun ja, man ist hier generell rücksichtslos, und es wird schlimmer, weil immer mehr Menschen am Rad drehen, angesichts der Krisen der letzten Jahre. Das gilt übrigens auch für die Mit-Radfahrenden, da erleben wir auch immer wieder Situationen, die uns dazu veranlassen, den Kopf unterm Helm zu schütteln. Deren Verhalten ist aber weniger gefährlich als das von Autofahrern, das ist eben doch ein Unterschied.

Über die irre Berliner Verkehrspolitik kurz nach der Machtübernahme der #Rückschrittskoalition haben wir uns mehrfach geäußert: Mittlerweile gibt es eine teilweise Entspannung, es werden tatsächlich weiter Radwege gebaut, wenn auch nicht in dem Tempo, das wir und die Mehrheit der Innenstadtbevölkerung uns wünschen würden. Immerhin auch auf Straßen, auf denen wir persönlich auch fahren, und den Unterschied merkt man einfach. Ein Beispiel ist die Manteuffelstraße in Tempelhof, ein Radweg ist fertig, der auf der anderen Seite im Bau. Keine Autos mehr, die sich auf zwei engen Spuren an uns vorbeiquetschen, weil es nur noch eine Spur gibt. Gut so! Wer nicht freiwillig Rücksicht nimmt, muss eben in Kauf nehmen, dass er die Spur gar nicht mehr wechseln kann (um am Ende doch an derselben Ampel zu stehen wie diejenigen, die er waghalsig rechts überholt hat und kaum früher als die gefährdeten Radfahrer:innen). Auch gut gelöst: Die Parkplätze sind links des Radwegs, damit sind die Autos, die dort stehen, ein perfekter Schutz für die Radfahrenden und die Motorisierten müssen den Radweg nicht kreuzen, wenn sie parken wollen. Lediglich das Dooring durch Beifahrer muss jetzt beachtet werden. Bei der angenehmen Breite der Radwege sollte das aber vermeidbar sein und an die Kolleg:innen gerichtet: Dann fahrt’s halt mal nicht zu dritt nebeneinander, sondern so, dass schnellere Radfahrer problemlos überholen können.

Ein weiterer Radweg in unserer Umgebung ist ein typisches Beispiel für Berliner Klein-Klein: Weniger Schutzbaken, schmalere Wege: Stadträtin kritisiert Änderungen für neue Radspuren (tagesspiegel.de). Klar, der Unterschied zwischen 2,25 Metern und 2 Metern kann etwas ausmachen, wenn Lastenfahrräder rücksichtslos mittig gefahren werden, ansonsten halten wir 2 Meter auch für okay, diese Streck ist auch kein Runway für Hunderte von Radfahrer:innen gleichzeitig, von denen jede:r sein eigenes Tempo fahren will. Aber warum die Schutzpoller oder -baken weggelassen werden, erschließt sich uns nicht. Nur damit kann man verhindern, dass Radwege zugeparkt werden. Vor allem im einspurigen Teil dieser Straße will man aber wohl die Parkplätze so erhalten, wie sie sind, während man weiter westlich problemlos von zwei Autospuren auf eine verringern könnte, weil das Verkehrsaufkommen auch während der Stoßzeiten nicht gigantisch ist. Einspurige Straßen sind sowieso das, was die Vollidioten unter den Autofahrer:innen in Berlin am besten bremst (nicht unter „den Berliner Autofahrenden“, denn auffällig ist, dass in Relation zu ihrem Anteil am Verkehr viele übergriffige Motorisierte auswärtige Kennzeichen an ihren Blechschüsseln haben).

Es geht also in mäßigem Tempo voran mit der Verkehrswende, es werden bei weiterem Fortschreiten des Radwegbaus weitere Verkehrsteilnehmende umsteigen, denen das Radfahren in dieser Stadt bisher zu unsicher war. Sofern der Sicherheitsaspekt keine Ausrede ist, aber wir kennen ein paar Menschen, die tatsächlich etwas ängstlich oder auch sehr sicherheitsorientiert sind, denen wir also abnehmen, dass sie befürchten, irgendwann zu den ca. 10 bis 12 durch den motorisierten Verkehr getöteten Fahrradfahrer:innen zu gehören, die in dieser Stadt immer noch jährlich zu beklagen sind oder zu den etwa 7.000 Verletzten, die jedes Jahr registriert werden. Verunglückte und getötete Fahrradfahrer in Berlin von  2010 bis  2022 | Statista.  Was die Statistik auch ausweist: Es ab über die Jahre leider keinen signifikanten Rückgang bei den getöteten oder verletzten Radfahrer:innen, trotz mehr Radwegen. Nützen sie also nichts? Doch, natürlich. Der motorisierte Verkehr hat in dieser Zeit erheblich zugenommen, das spielt eine Rolle – und, siehe oben, die Art, wie gefahren wird, hat sich nicht verbessert. 

TH


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