Crimetime 1193 – Titelfoto © SWR, Hollenbach
Kann der Mörder der Bäcker sein?
Bitteres Brot ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Er wurde am 18. Januar 2004 auf Das Erste zum ersten Mal ausgestrahlt. Es ist der fünfte Fall des Konstanzer Ermittlerteams und die erste Episode, in der Klara Blum von ihrem neuen Kollegen Kai Perlmann unterstützt wird, der ab dieser Folge zur festen Besetzung der Konstanzer Reihe gehört.
Der Tatort mit der reizenden Nummer 555 lässt diese Vermutung zu. Dieser sinistere Typ namens Eberhard Kemmerlang, der gerade nach sechs Jahren Haft wegen Missbrauchs an seinen beiden Töchtern wieder auf freien Fuß gekommen ist, dem ist das zuzutrauen. Doch vielleicht ist der Tod der einen Tochter ein geschickter Racheakt der anderen? Jedenfalls ist der verführerische Duft von frisch gebackenem Brot für uns jetzt nicht mehr so unschuldig.
Bemerkenswert ist dieser fünfte Tatort mit Eva Mattes als Hauptkommissarin Klara Blum in mehrerer Hinsicht. Zum einen, weil hier erstmalig ihr Assistent bis zum Ende der Konstanz-Schiene, Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) mitmacht, zum anderen wegen des geschlossenen, sehr konzentrierten Plots, der heutigen Konventionen geradezu widerspricht. Wir haben es schon öfter geschrieben, noch vor dem Anschauen von „Bitteres Brot“: Die Bodensee-Idylle eignet sich besonders, um Krimis ohne großstädtischen Heckmeck zu inszenieren. In Konschtanz stehen die Figuren mit ihren Verstrickungen im Vordergrund. Die Motive sind in der Regel stark und glaubwürdig, besonders, wenn Tötungsdelikte im engeren Umfeld geschehen, und bekanntermaßen ist das bei den meisten Tötungsdelikten der Fall. Ob dies auch in diesem Fall der Fall ist? In der –> Rezension steht auf jeden Fall mehr zum Film.
Handlung
Nach langen, schmerzlichen Jahren wurden Lisbeth Kemmerlang und ihre Schwester Johanna von dem gewalttätigen Vater befreit: Bäckermeister Eberhard Kemmerlang wanderte wegen sexuellen Missbrauchs seiner Töchter für sechs Jahre ins Gefängnis.
Jetzt ist Kemmerlang frei, und Lisbeth fürchtet die Rache des Vaters. Kurz darauf wird sie tot im automatischen Backofen der Bäckerei aufgefunden. Fußabdrücke im Mehlstaub, der abgeschraubte innere Türgriff: Lisbeth wurde ermordet.
Der Verdacht fällt auf den entlassenen Kemmerlang. Klara Blum prüft sein Alibi auf Herz und Nieren, zumal Tochter Johanna ihn vehement anklagt. Aber Kemmerlang, der inzwischen in einer Großbäckerei arbeitet, hält der Überprüfung stand. Johanna ist tief beunruhigt und sucht Unterstützung bei Klara. Doch dann wird ein Plastikbeutel mit dem abmontierten Türgriff unweit des Tatorts gefunden. Darin befindet sich ein Paar Männerschuhe, die zu den Fußspuren passen, und Kemmerlangs Kleider von früher. Klara und ihr neuer Assistent Kai Perlmann verhaften Kemmerlang.
Klara hat nun einen Hauptverdächtigen. Aber etwas irritiert sie an der schnellen Lösung. Die Indizien wirken, als ob sie gezielt vorbereitet wurden. Jemand scheint ein Interesse zu haben, Kemmerlang zu belasten. Auch wenn Klara es zunächst nicht wahrhaben will: Es gibt nur eine Person, die dafür in Frage kommt. Und die ist Johanna.
Hintergrund
Der Film ist der fünfte Teil der Reihe um das Konstanzer Ermittlerteam. Sebastian Bezzel gibt in dieser Folge seinen Einstand in der Rolle des Kai Perlmann. Bezzel löst Ercan Özçelik ab, der in drei Tatort-Folgen die Assistentenrolle an Klara Blums Seite übernommen hatte. Für Bezzel geht damit sein Wunsch in Erfüllung längerfristig im Tatort mitzuspielen. Von ihm soll der Satz stammen: „Das Wichtigste für mich an der neuen Rolle ist die Chance, mit einer Partnerin wie Eva Mattes zusammenzuarbeiten.“[1]
Rezension
Ab und zu kommt es auch zu mindestens teilweisen Wirtschaftskrimis, wie zuletzt in „Letzte Tage“, dann muss man sich aber schon mit der Einbeziehung der Schweiz behelfen, denn auf der deutschen Bodensee-Seite scheint eine Großbäckerei wie die in „Bitteres Brot“ gezeigt schon in etwa das unternehmerische Maximum darzustellen. Einen Schweizer namens Flückiger, der als Koch in einer Gaststätte arbeitet, die von den Kemmerlangs beliefert wird, mithin einen Nachnamensvetter der späteren, heimlich-platonischen Liebe von Klara Blum, gibt es in der Folge 555 auch schon – als einzigen Vertreter seiner Nationalität und ohne weiteren Belang für die Handlung. Und damit zur Handlung.
Auch nach dem Betrachten von „Bitteres Brot“ bleibt für uns „Herz aus Eis“ der beste Bodensee-Tatort. Darin sind wir uns (bisher) mit den Nutzern des Tatort-Fundus und der aus ihren Bewertungen hervorgehenden Rangliste aller Tatorte einig (Rangliste / Einzelwertungen). Nach dieser Plattform folgt – mit einigem Abstand – „Bitteres Brot“ auf Rang 2 aus 25 Konstanzer Fällen (Stand Oktober 2015).
Keine Frage, ein guter Tatort, plotseitig und trotz einiger Wischer, die vor allem Details betreffen, weniger die Gesamtglaubwürdigkeit. Da geht es um Kleinigkeiten wie den „vorsätzliche Mord“ (1), so sollte sich eine mit dem Strafrecht vertraute Kommissarin nicht ausdrücken. Da gibt es einige Fragwürdigkeiten hinsichtlich der Backofen-Tat, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen und solche in Bezug auf das dramatische Ende.
Mehr Abzüge gibt es unsererseits für die Einführung von Kai Perlmann. Das liegt weniger an seiner Charakterisierung als Binnengewässer-Yuppie als an den wirklich hölzernen Dialogen mit Klara Blum, seiner nunmehr Vorgesetzten. Auch Annika Beck, genannt Beckchen, ist in dieses dröge Spiel um die Einführung des Neuen mit den vielen darin enthaltenen Klischees einbezogen. Die Freaks in Lederjacken oder alten Parkas, die zunehmend die Tatortreviere besetzen, haben bei uns Spuren hinterlassen, trotzdem hätte das Sprachliche hier etwas inspirierter sein dürfen.
Im Grunde zieht sich diese Schwäche durch den gesamten Film, doch die Inszenierung gleicht es weitgehend aus. Die Schauspieler sorgen im Wesentlichen dafür. Das gilt für die, wie immer, recht zurückgenommen agierende Eva Mattes, aber auch für Julia Jentsch als überlebende Tochter Johanna Kemmerlang – besonders gelngen ist die Szene, in der Blum den Backofen ausprobiert, nicht mehr alleine heraus kann und Johanna vor der Tür steht und zu überlegen scheint, ob sie nicht vielleicht noch eine Tötungshandlung begehen soll. Das Verhalten des Bäckers Eberhard sorgt dafür, dass wir uns lange hinters Licht führen lassen. Die Kriminalseite des Plots ist ein weiterer Pluspunkt – das Spiel mit im Grunde nur zweieinhalb Verdächtigen ist gelungen und hier gilt Klara Blums Satz aus ihrem neuesten Fall „Letzte Tage“, der dort wie ein billiger Trick wirkt, tatsächlich: 90 Prozent der Morde sind dem näheren Umfeld des Opfers zuzurechnen.
Die Art, wie am Bodensee gefilmt wird, ist auch hier wieder schnörkellos und ganz auf die Figuren konzentriert und unterstützt die Handlung, macht uns nicht mehr vor, als hinter dem Fall steckt und erfüllt damit die Anforderungen an einen vernünftig gebauten und entsprechend umgesetzten Krimi.
Finale
Ein Bäcker kann also Mörder sein. Jeder Handwerker, jeder Arzt oder Anwalt kann Mörder sein, auch im familiären Umfeld. Die sogenannten Familiendramen, die es ja auch in der Realität immer wieder gibt, finden allerdings selten im „gehobenen“ Milieu statt, in dem z. B. die Eltern beide Akademiker sind und die Kinder auch in diese Richtung steuern. Zumindest sind diese Morde dann nicht so ausgeführt, dass sie als solche erkennbar werden. Doch das Drama wendet sich meist nach innen und führt zu Depressionen. Das ist bei den misshandelten (nicht missbrauchten) Töchtern des Kemmerlang aber nicht geschehen. Vielleicht auch, weil es den Missbrauch nicht gab. Und weil Misshandlung immer noch als Kavaliersdelikt gilt, auf das Nachbarn nicht aufmerksam werden, die sehr wohl nach einem Mord vor der Bäckerei herumstehen und blöd gaffen.
Dass derlei Misshandlungen nach wie vor realistisch sind, braucht nicht diskutiert zu werden. Auch heute noch gibt es Väter wie Kemmerlang. Besonders gut finden wir an „Bitteres Brot“, dass man ihn sofort im Verdacht hat, dann aber erst einmal von ihm Abstand nehmen muss, wegen seines anscheinend perfekten Alibi. Zu Beginn der Befragungen wird die Situation allerdings etwas tricky und für den Zuschauer nicht anders wahrnehmbar so dargestellt, als ob die Kollegen hatten ihn quasi lückenlos im Blick gehabt hätten, an jenem Abend, an dem Lisbeth im Backofen starb – in Wirklichkeit klaut er einem dieser Kollegen das Auto und setzt sich ab.
Ein wenig hat „Bitteres Brot“ den in der Tat bitteren Beigeschmack eines Märchens der Gebrüder Grimm, dort geht es auch oft recht grausig zu und sehr handwerklich, mangels moderner Technik und der Möglichkeit, damit auf moderne Art durchgeführte Delikte zu begehen.
8,0/10.
- 211 StGB (Mord) erfordert Vorsatz und zusätzlich subjektive oder objektive Tatbestandsmerkmale. Klara Blum spricht aber wie ihre amerikanischen Kollegen, bei denen es „degrees of murder“ gibt, der Begriff „Mord“ also eine abweichende, mithin umfassendere Bedeutung als im deutschen juristischen Sprachgebrauch hat.
© 2023, 2015, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| unternehmen | Maran Film |
|---|---|
| Regie | Jürgen Bretzinger |
| Drehbuch | Dorothee Schön |
| Produktion | Mark Horyna |
| Musik | Markus Lonardoni |
| Kamera | Hans-Jörg Allgeier |
| Schnitt | Roswitha Gnädig |
| Premiere | 18. Jan. 2004 auf Das Erste |
| Besetzung | |
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