Totales, eingeschränktes, gar kein Böllerverbot? (Umfrage + Kommentar: Wahlberliner-Anti-Böller-Artikel-Legacy) | Briefing 399 | Gesellschaft

Briefing 399 Böllerverbot, Feuerwerk, Silvesterfeuerwerk, Jahreswechsel 2023/2024

Alle Jahre wieder … kommt nicht nur Weihnachten, kommt nicht nur ein neues Jahr, sondern kommt auch die Diskussion über das private Feuerwerk an Silvester auf. Eigentlich ist es ja an Neujahr, zumindest sollte es so sein, weil erst ab 00:00 geschossen werden soll. In Wirklichkeit wird dann aber zurückgeschossen, denn der Krach startet weit vor der erlaubten Zeit. Tage, manchmal Wochen früher.

Über Jahre hinweg haben wir uns klar für ein Böllerverbot eingesetzt, es hat sich nichts geändert. Eine lärmige, andere gefährdende Minderheit darf weiter weitgehend tun, was sie will. Es ist ein bisschen so, als ob für eine Nacht im Wilden Westen, nachdem gerade ein Sheriff gewählt worden war, dieser die Stadt verlässt und der Zustand der Gesetzlosigkeit für eine Nacht wieder Einzug hält. Was dann passiert, zeigt alle Kennzeichen der zivilisatorischen Verwahrlosung, konzentriert dargeboten wie in einem grausamen, nicht unbedingt schlechten, sondern realistischen Western, innerhalb weniger Stunden.

Sie können sich denken, wie wir abgestimmt haben, und da wir das schon seit Jahren tun, machen wir auch kein Hehl daraus. Trotzdem zuerst der Link zur diesjährigen Umfrage. Auch diese Umfragen haben bereits eine Tradition vorzuweisen:

Civey-Umfrage: Wie sollte Ihrer Meinung nach mit Feuerwerk und Böllern an Silvester umgegangen werden? – Civey

Feuerwerk und Böller gehören für viele Deutsche genauso zu Silvester wie Bleigießen, (mindestens) ein Glas Sekt, gute Vorsätze oder „Dinner for one“.  Der historische Grund für das Feuerwerk liegt in dem Lärm, den die Böller und Raketen erzeugen. Mit ihm sollten früher böse Geister vertrieben werden. Zum vergangenen Jahreswechsel gaben die Menschen in Deutschland laut dem Verband der pyrotechnischen Industrie für Böller, Raketen und Batterien 180 Millionen Euro aus. 

Kurz vor dem Jahreswechsel werden erneut Rufe nach einem Verbot von Silvesterfeuerwerken laut. Beispielsweise seitens der Polizei, welche sich auf Angriffe durch Böller vorbereitet. Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, braucht es „keine ungeregelte Knallerei“, um an Silvester ausgelassen zu feiern. „Feuerwerkskörper schaden der Umwelt und dem Klima“. Ferner riefen sie bei manchen Menschen Angst hervor und Kriegserinnerungen wach, so Reinhardt gegenüber der Rheinischen Post. 

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist gegen ein generelles Böllerverbot zu Silvester. „Wir sollten nicht immer nur mit Verboten arbeiten, sondern mit Überzeugung“, zitiert boerse.de den Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) rechnet in diesem Jahr mit einer ähnlich hohen Nachfrage nach Silvesterfeuerwerk wie im vorigen Jahr.

Wir haben unseren Klick selbstverständlich beim totalen Verbot gesetzt. Das private Feuerwerk betreffend, nicht das öffentliche. Wir haben aber einen kleinen Vorschlag, den wir in der Form in den vergangenen Jahren nicht gemacht haben. Warum es nicht diese Sache in Berlin umgekehrt regeln wie bisher? Anstatt ein paar Placebo-Verbotszonen ein paar Erlaubniszonen? Ein Sportstadion oder gar das Tempelhofer Feld als zentrale Anlaufstelle für alle, die einen Knall haben? Wer sich dort gegenseitig verletzt oder umbringt, ist selbst schuld. Alle anderen hätten Ruhe. Oh ja, natürlich muss die Stadtreinigung dann viel, viel aufräumen, möglicherweise sogar abgetrennte Körperteile. Aber selbst das wäre doch an einem zentralen Ort besser zu erledigen als über die ganze Stadt verteilt. Wir finden, das ist ein Vorschlag, über den man wirklich einmal nachdenken sollte, wenn  man sich schon nicht zur Optimallösung des kompletten Verbots durchringen kann.

Ein wenig Lesestoff haben wir natürlich auch noch:

Silvestervorbereitungen: Der Basar des illegalen Feuerwerks an der deutsch-polnischen Grenze | WEB.DE

Silvester: Soll privates Feuerwerk verboten werden? | WEB.DE

Der Artikel ist aufgeteil in pro Verbot und contra Verbot. Da wir die Pro-Meinung überwiegend teilen, konzentrieren wir uns kurz auf die Contra-Meinung. Böller-Lyrik vom Feinsten. Wie arm muss man sein, um die Silvesterknallerei als Booster des Sozialen zu verherrlichen? Da muss das übrige Leben ja wirklich ganz böse schlimm aussehen. Unsere Nachbarschaft  macht zum Beispiel im Sommer ein Hoffest und heute Abend werden wir uns mit einigen Anwohner:innen zum Anstoßen treffen. Natürlich ohne Knallerei.  Auch krass: Städte als Gesamtkunstwerk. Wenn Feuerwerk etwas Kunstvolles hat, dann wenn es ein großes, gut choreografiertes ist, wie man es bei der Pyronale in Berlin (im Sommer) auf allerhöchstem Niveau bewundern kann. Aber das Beschießen anderer Menschen mit Böllernals Kunstwerk zu definieren, ist wirklich jenseits der Zivilisation. Siehe oben. Der Western. „Deutschland würde eine der wenigen Traditionen verlieren, mit der sich Menschen quer durch die Gesellschaft identifizieren können. Das wäre es nicht wert.“ So schließt die Contra-Meinung ab. Wie tief dieser Satz blicken lässt, darüber müssten wir eine Abhandlung schreiben, aber dazu reicht die Zeit dieses Jahr nicht. 

Deshalb in Kürze: in einem komplett entspiritualisierten, zivilisatorisch niedergehenden, gesellschaftlich total auseinanderfallenden Land das gemeinsame Gefährden von sich und anderen als Identifikationselement darzustellen, dazu fehlen uns beinahe die Worte. Und es ist auch rein sachlich grundfalsch, wie man daran sieht, wie viele Menschen sich ein Verbot wünschen.  Wenn es eine Identifikation gibt, dann eher vonseiten jener, die für ein Verbot kämpfen, mit ihren Mitstreiter:innen. 

Wir haben gerade bemerkt, dass es unter dem Artikel selbst eine Umfrage gibt: 57 Prozent stimmen den Argumenten des pro Verbot argumentierenden Journalisten zu. So viel zur Einigung einer zwar auch diversen, aber vor allem divergenten Gesellschaft durch gemeinsames Feuerwerken.

Daraus ergibt sich aber ein weiterer kleiner Vorschlag: Wir erkämpfen uns ein Böllerverbot und nehmen diesen Sieg zum Anlass für eine Diskussion über zivilisatorische Mindeststandards. Da es hier eine breite Basis der Zustimmung gibt, kann man den Austausch, von diesem Punkt ausgehend, vertiefen und erweitern.

Wo dürfen Sie allgemein auch jetzt schon nicht böllern?

Wo Böllern zu Silvester diesmal verboten ist | tagesschau.de

Wo ist Böllern in Berlin an Silvester 2023 verboten?

Hier ist das Böllern in der Silvesternacht in Berlin verboten | rbb24

Eine der Verbotszonen liegt, wie schon im letzten Jahr, sogar bei uns in der Nähe, aber umschließt leider nicht den eigenen Kiez. Offenbar hält man uns hier für vernünftiger, aber der Effekt war bisher immer, dass sich das Böllern, wenn in den Verbotszonen tatsächlich kontrolliert wurde, in die Nachbarschaft verlagert hat. Also auch in unsere Richtung. Fast 3.000 Polizist:innen sollen für Ordnung in der Stadt sorgen, von Ruhe kann man ja nicht sprechen. Wir sehen voraus, dass das wieder einmal nicht gelingen wird.

Nun zu unserer eigenen „Böllerverbots-Legacy“. Wir wir uns letztes Jahr auch nach Neujahr noch für ein Böllerverbot eingesetzt haben, lesen Sie hier. Fünf Artikel allein  zu Silvester 2022/23.

Böllerverbot IV: Die Politik versucht, das Problem zu zerreden +++ 1 weitere Petition zum Unterzeichnen

UPDATE III: 2 Petitionen für 1 Böllerverbot – die Politik muss ihre verlogene Haltung und Ignoranz endlich aufgeben

UPDATE 2: Endlich Böllerverbot: An #Silvester 2023 +++ Berichte aus der #Kampfzone #Berlin +++ Die #Versager in der Politik

UPDATE: Es böllert schon, aber weniger? (Statistik Feuerwerk-Import) +++ Die Wildgänse fliehen

Alle Jahr wieder: Der Kampf um ein Böllerverbot

Auch im Jahr zuvor  waren wir nicht untätig:

Dauerhaftes Böllerverbot? | Frontpage | Umfragen | Civey | Verbot 2021 wegen Corona – und weiter?

Im Jahr 2020 war es aus bekannten Gründen etwas ruhiger, daher bezieht sich der nächstältere Artikel auf das Jahr 2019:

Gegen den krachenden Schwachsinn – verbietet endlich die Böllerei! #Böllerverbot #Umweltsau @RegBerlin #Silvester #Tempolimit #CDU #FDP

Und hier wiederum ein Jahr zuvor.

Böllerverbot in Berlin ab Silvester 2019 – nicht // @RegBerlin @HeimatNeue #SenInnds #Geisel #AndreasGeisel Silvester #Feuerwerk #Feuerwerksverbot #Silvester2018 #Silvester2019 #Böller #Polenböller #Neujahr #Olympiastadion

Die Anti-Böllerei-Artikel haben also bei uns Tradition. Deswegen gibt es auch in diesem Jahr einen. Was wir nicht tun werden: Die Argumente aus den vergangenen Jahren wiederholen und aktualisieren. Im Grunde ist es immer das Gleiche. Wwir haben mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen, dass wir nach einem halben Jahr „neuer“ Wahlberliner den Regierenden Bürgermeister mit einem „@“ direkt adressiert hatten. Fünf Jahre später sind wir kaum weiter als zuvor, nur dass die Krawalle immer schlimmer werden, die sich mit Silvester verbinden. An eine Wirksamkeit berechtigter Bürger:inneninteressen gegenüber der Politik glauben wir ohnehin nur noch sehr begrenzt. Trotz des Rechtsdralls in Deutschland, der natürlich auch die Haltung in Richtung pro Böllerei verschiebt, gibt es aktuell immer noch eine relative Mehrheit von 42 Prozent für ein komplettes Böllerverbot, 34 Prozent sprechen sich für Verbotszonen aus, nur 23 Prozent bestehen auf einer generellen Erlaubnis.  

Da auch dieser Artikel der letzte von uns sein könnte, den SIE persönlich in diesem Jahr lesen: Einen guten Start in neue Jahr! Bleiben Sie gesund. Überleben Sie und Ihre Lieben und Ihre Tiere irgendwie die Silvesternacht!

TH

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