UPDATE: Nach der Gründung der Wagenknecht-Partei am Montag, den 08. Januar 2024 (Newsletter SW + Leitkommentar + Interview-Kommentar) | Briefing 405 Trend Update | PPP Politik, Personen, Parteien

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Heute ist das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht, also gegründet worden. Der Name des Vereins, der die Vorbereitung der Gründung gesteuert hat, wurde also übernommen …

Das ergibt Sinn. Auch, dass ihr Name darin enthalten ist.

Auch, dass sie eine der beiden Vorsitzenden ist, neben der Ex-Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali?

Ich fand es, sorry, schon ein wenig affig, dass sie so getan hat, als ob sie das jemand anderem überlassen wollte, eventuell jedenfalls. Nur so funktioniert eine Partei, die erstmals in der BRD und erstmals in der deutschen Geschichte überhaupt den Namen der Gründerin im Namen trägt. Selbst die sehr personenbezogenen „Bewegungsparteien“ anderer Länder sind nicht so offen eine Show für eine einzelne Politikern oder einen einzelnen Politiker, sondern haben wohlklingende oder pathetische Bewegungsnamen wie „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon.

Warum gerade die Nennung dieser linksnationalistischen Bewegung in Frankreich?

Weil sich SW (Sahra Wagenknecht) und Oskar Lafontaine bei der Konzeption des BSW bei ihrem Freund aus dem Westen viel abgeschaut haben. Ich glaube, dieses Projekt hat Vorbildfunktion, auch wenn in Frankreich dadurch der FN / das RN (Front National / Rassemblement National) und damit der Rechtsdrall nicht aufzuhalten waren, dass man es mit einer Links-Rechts-Kombination versucht hat. Sollte allen zu denken geben, die glauben, das BSW sei die vernünftigere Alternative zur Alternative, also der AfD. Ich weiß, ich habe mich auch schon in die Richtung geäußert, dass unter bestimmten schlechten Umständen die Wahl des BSW taktisch eine Option wäre, um die AfD aufzuhalten. Würde ich nicht vollkommen ausschließen, wenn ich jetzt im Osten zu wählen hätte, die Landtagswahlen 2024 meine ich. Aber wenn, dann nur mit eiskaltem taktischem Herzen, nicht als Fan von Sahra Wagenknecht. Von der darf man sich nicht aufheizen lassen.

Mit Fabio de Masi ist ein weiterer Prominenter der Linken vorne dabei und saß heute in der Bundespressekonferenz, in der die Parteigründung verkündet wurde. Er soll der Spitzenkandidat des BSW werden für die Europawahl im Juni 2024. Die erste Wahl, bei der das BSW antreten wird.

In einer Hinsicht ist de Masi dafür eine erstklassige Wahl: Er war schon einmal Abgeordneter des Europaparlaments für die Linke und kennt sich mit dem Brüsseler Betrieb aus,  hat ihn auch kritisch hinterfragt, wie der Film „Europa als Beute“ zeigt, für den er interviewt wurde. Europa als Beute der Lobbyisten, war mit dem Filmtitel gemeint. In diesem Sinne auch sein Engagement in Sachen Wirecard-Skandal im Bundestag. Das passt zusammen.

Er ist also ein Gewinn für das BSW – und nach einem zwischenzeitlichen Rückzug auch für die deutsche Politik?

Er ist ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht im Rahmen des linken Spektrums gewesen, bevor er sich zurückzog, er wird dem BSW noch helfen können, wenn Sahra Wagenknecht an das Ende ihrer im Grunde komplett widersprüchlichen Mix-Ideologie gelangt. Fabio De Masi: Einst Kloputzer, jetzt Spitzenkandidat (msn.com). Allerdings ist er kein Sozialist, sondern ein Linkskeynesianer, daher hat wohl auch der politische Gegner sich mit dem Respekt nicht so schwergetan. In der Bankenkrise und danach tendierte er für meine Begriffe nicht im europäischen Interesse, sondern im Interesse seines am Nachnamen erkennbaren Heimatlandes. Dabei gab es in Wirklichkeit nie eine echte Austeritätspolitik in Europa, das haben uns auch Fabio de Masi und Co. gerne verschwiegen. Nur in Deutschland gab es sie, und das heutige Ergebnis kann jeder für sich selbst bewerten. In Europa galt: Whatever it takes. Das ganze ist glattes und zudem vielschichtiges Parkett, passt irgendwie auch dazu, dass de Masi sich von der Linken verabschiedet hat und jetzt, trotz anderslautender Aussagen, wieder politisch aktiv werden wird. Wenn CDU-Chef Merz recht hat, nachdem sein Partei das BSW-Potenzial analysierte und dabei in etwa bei meiner Ansicht herauskommt, dann wird er wieder in den Bundestag einziehen.

Merz hält das BSW aber auch für überflüssig.

Das versteht sich von selbst. Er sieht auch ein paar abgängige CDU-Wähler, vor allem aber Verluste bei der AfD. Ich verweise auch auf die Analyse dazu im unten angehängten Ausgangsartikel. Ich denke, das stimmt im Wesentlichen, auch die SPD muss aber aufpassen und natürlich versucht Merz, den möglichen Schaden für die eigene Partei durch das BSW kleinzureden. Riesig wird er aber nicht sein, außerdem steht dem der Gewinn durch die vermutliche AfD-Abbremsung gegenüber. Wir wollen aber hier nicht zu viel über die Wahlaussichten spekulieren und wem das BSW wie viele Stimmen wegnehmen kann.

Dann ins Aktuelle und Grundsätzliche: Linkspopulismus, Wertkonservatismus, Wirtschaftsdemokratie,
Antimilitarismus

Bei Links ohne Populismus in dem Sinne, wie er bei uns negativ belegt ist, bei Wirtschaftsemokratie und echtem Antimilitarismus würde ich mich wiederfinden. Wertkonservativismus insofern, als es bestimmte Werte gibt, die eine Gesellschaft zusammenhalten oder eine diverse Gesellschaft im entscheidenden Moment zusammenführen, nicht im Sinne von rückwärtsgewandter Leitkultur.

Das klingt doch recht vielversprechend.

Ich zweifle an der obigen Zuschreibung. Mir ist zum Beispiel Wirtschaftsdemokratie besonders wichtig, mir fiel aber bisher nicht auf, dass Wagenknecht gewerkschaftsnah in dem Sinne ist, wie die Gewerkschaften als Urheber der Wirtschaftsdemokratie in Deutschland nie außer Acht gelassen werden dürfen. Freilich sind sie heute diesbezüglich indiskutabel. Die Geschichte aber gesagt, dass die Wirtschaftsdemokratie ein Übergang zum Sozialismus sein sollte. Eine evolutionäre, keine revolutionäre Entwicklung. Von solchem Gedankengut ist Wagenknecht meilenweit entfernt. Selbst von mehr Mitbestimmung hält eine autoritär ausgerichtete Person wie sie nach meiner Ansicht recht wenig. Es geht ihr auch nicht um den Klassenkampf, sondern um eine in ihrem Fall maternalistische Konzeption des Handelns der Politik für alle, nicht mit dem Einzelnen.

Der Antimilitarismus?

Wladimir Putins Handeln faktisch zu unterstützen, ist kein Antimilitarismus. Da liegt ein grundsätzliches Missverständnis seitens einiger naiver Generalpazifisten vor. Die Leute im Osten, die russlandnah sind hingegen wissen genau, dass sie, wenn sie Wagenknecht wählen, vor allem eine Hasserin des Westens, keine Pazifistin wählen und das ist für diese Wähler auch okay, denn sie denken genauso. Schreiben wir es der narzisstischen Kränkung durch bestimmte Komponenten der Wendepolitik zu, aber es geht natürlich tiefer, dass SW bei diesen Menschen etwas zum Klingen und Schwingen bringt. Das näher zu beschreiben, führt hier zu weit.

Pazifismus, der Aggressionen belohnt, solange sie von vermeintlichen Freunden ausgehen, ist ethisch eine ganz miese Sache. Es gibt wunderschöne Filme darüber, wie Menschen vor dem Dilemma standen, als sehr, sehr friedliebende Personen, u. a. aus religiösen Gründen vollkommen der Gewalt abhold, plötzlich vor der Wahl zwischen Selbstverteidigung und sich überrennen und vertreiben lassen standen. Die meisten haben mit Tränen in den Augen erkannt, dass sie sich verteidigen müssen, wenn sie überleben und ihre Existenz behalten wollen. Etwas wie Tränen und Mitleid werden Sie bei SW nicht sehen, für niemanden. Sie ist nicht nur unnahbar, wie viele schreiben, ich halte sie für ziemlich kalt. Und Pazifismus ist etwas, das vom Herzen ausgeht, nicht von politischem Kalkül. Sorry, dass ich den Begriff mit Antimilitarismus gleichgesetzt habe, aber im Grunde ist er ja gleich.

Wir müssen jetzt nicht alle obigen Begriffe detailliert durchgehen. Linkspopulismus ist für mich dann gegeben, wenn eine echte linke Politik populistisch vermarktet wird, aber für mich ist SW nicht echt links, weil dazu eine viel menschenfreundlichere Gesamthaltung zählt. Wertkonservativismus in dem Sinne, dass sie da nicht weit von der AfD entfernt ist, was die Beurteilung einer modernen, offenen Gesellschaft angeht: absolut ja. Dass das bei ihr so krass ausgeprägt ist, wie es sich in den letzten Jahren gezeigt hat, hätte ich auch nicht gedacht, als ich 2016 in die Linke eintrat (und 2021 wegen Wagenknecht, aber auch wegen ihrer verpeilten, im sozialistischen Sinne weichgespülten Gegner wieder austrat).

Diese Einschätzung betrifft die Person von SW. Aber wie sieht es mit dem Parteiprogramm aus?

Das Parteiprogramm ist so verfasst (bzw. das, was auf der Webseite als Kurzprogramm zu sehen ist, ein längeres Programm soll erst ausgearbeitet werden), dass ganz viele Menschen werden nicken können, aber, wie im Ausgangsartikel geschrieben, es ist nicht neu. Es beschreibt. Schon der Linken habe ich angekreidet, dass sie nur einen Forderungskatalog aufstellt, die Menschen aber nicht mit einer Roadmap mitnehmen will, die besagt, dass wir dies und das exakt tun müssen, um einen möglichen Effekt der Verbesserung zu erzielen. Ich glaube an den Prozess, nicht an das Statement. Jedenfalls nicht an das Statement als Ersatz für den Prozess.

In der Opposition geht es zwangsläufig um das Statement.

Nicht unbedingt. Karl Marx sah das ganz anders, aber nicht nur er. Es gab auch konservativere Utopien und Visionen. Deren Abwesenheit, die Tatsache, dass man keinen Entwurf mehr begutachten und für sich annehmen kann, ist ein Teil der generellen Fantasielosigkeitspolitik in Deutschland. Ich glaube, als Helmut Schmidt sagte, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, war dieses Land erledigt. Es bekam noch einmal eine Story verpasst durch die Wiedervereinigung, aber das war’s dann. Und SW ist wirklich nicht die Person, die ein neues Narrativ der Zukunft mit Ausstrahlung in die Gegenwart oder aus der Gegenwart heraus kreiert. Sie ist genauso einfallslos wie die anderen. Von wegen Wirtschaftsdemokratie und so. Daraus kann man zum Beispiel einen Drive entwickeln, aus mehr Wirtschaftsdemokratie. Sehe ich bei ihr nicht. Heißt nicht, dass es immer so bleiben muss. Aber Menschen werden im Alter allgemein nicht innovativer, sondern konservativer. Dafür ist sie selbst ja ein schlagendes Beispiel. Also müsste sie andere ranlassen, im BSW, um progressiv zu sein. Kann sie das? Auch daran zweifle ich, denn plötzlich stünden junge Mensch mit Ideen im Vordergrund. Die sehe ich, bei allem Desaster, das sich die Linke in den letzten Jahren selbst eingebrockt hat, eher noch dort als im BSW. In der Linken gibt es auch nicht viele Ideenmenschen, zumindest keine mit Einfluss, aber die Linke ist für Veränderungen offener und vielgestaltiger als eine Partei, die auf eine einzige Person zugeschnitten ist, die nicht mit aller Energie innoviert, sondern mit hoher Publikumswirksamkeit kritisiert.

Diese Publikumswirksamkeit braucht es aber vielleicht, um einst auch etwas wie Verbesserungen erreichen zu können.

Der Start ist insofern gut, als das BSW aus dem Stand mehr Stimmen einfangen dürfte, als es der ersten AfD-Generation gelungen ist. Die damaligen Gründer kannte kaum jemand, es war genau umgekehrt wie beim BSW: Diese Partei hat ihre Typen gemacht, sich immer wieder erneuert und gehäutet, leider in die falsche Richtung, Wagenknecht hingegen ist die Macherin des BSW. Das hat von Beginn an etwas Statisches. Wenn eine große Partei Positionen revidiert, eine Weltanschauungspartei, ist das ein demokratischer Kampf. Wenn SW Positionen räumen würde, ganz ohne demokratische Diskussion, dann wäre das für ihre Wähler:innen Verrat. Wenn ein Name Programm ist, dann hängt das Programm ganz von den Ansichten der Namensgeberin ab. Wenn da etwas nicht passt, sowohl im inneren der Partei als auch in der Außenwahrnehmung, verliert man viel schneller an Zuspruch als eine Partei, die eine doch immerhin breite Basis bietet, wie es die klassischen (einstigen) Volksparteien taten oder noch tun.

Ist das alles wirklich so monolithisch? Damit kann man sich doch nie einer veränderten Lage anpassen.

Vielleicht kann Wagenknecht das sogar, sie hat ja auch im Laufe ihrer politischen Karriere erkannt, dass man mit einer populistischen Rechts-Links-Kombination weiterkommt, als das damit möglich ist, die Grünen gesellschaftspolitisch überholen zu wollen, was die Linke sehr wohl tut, aber kaum jemand dankt es ihr mit seiner Stimme als Wähler:in. Wenn man also eine solche Politik macht, kann jede Änderung vom heutigen Stand aus viel Sympathie kosten, denn die Erwartungshaltung eines Fans ist eine andere als die einer Person, die eine Partei als Sammlung versteht, in der auch diskutiert und gestritten wird. Wagenknecht weckt hohe Erwartungen. Siehe wiederum den Ausgangsartikel: In Regierungsverantwortung wird sie diese Erwartungen nicht einmal ansatzweise erfüllen können. Was wiederum einen Schaden für die Demokratie bedeutet. Im Grunde ist es auch ein Schaden, dass es überhaupt zum BSW kommen konnte, dass die AfD so groß wurde usw. Aber das lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Nachgehakt. Auf der Webseite heißt es: Zuwanderung und das Miteinander unterschiedlicher Kulturen können eine Bereicherung sein. Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt. Wir wissen: Den Preis für verschärfte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum, um Jobs mit niedrigen Löhnen und für eine misslungene Integration zahlen in erster Linie diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wird, hat Anspruch auf Asyl. Aber Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt. Stattdessen brauchen wir faire Weltwirtschaftsbeziehungen und eine Politik, die sich um mehr Perspektiven in den Heimatländern bemüht. Verteidigung der persönlichen Freiheit (bsw-vg.de). Was ist daran falsch?

Mich stört durchaus der Begriff „misslungene Integration“. Für mich klingt das wie: Nicht vollständige Assimilation. Es ist aber weit vom Denken der AfD entfernt, das stimmt ebenfalls. Jedenfalls liest es sich so. Zumal im hier nicht zitierten ersten Teil politischer Autoritarismus abgelehnt wird, die Freiheit bejaht wird, die Demokratie des Mitmachens gestärkt werden soll. Ist das, was da steht, aber mit der Person Wagenknecht vereinbar, die immer wieder rhetorisch zum Schlag gegen die diverse Gesellschaft ausholt? Die meisten Medien sind zu oberflächlich, sie schreiben einfach, das Programm sei ja nix Neues. Das finde wir auch. Selten wird aber bisher die Diskrepanz zwischen diesem doch recht vernünftig wirkenden Bild und Wagenknechts Rhetorik herausgestellt. Vielleicht, weildie übelsten Auswüchse, wie das „Juste Milieu“ aus ihrem Buch über die Selbstgerechten für alle fortschrittlichen Stadtbewohner:innen schon ein bisschen her sind. Man vergisst so schnell, gerade als Journalist:in, in dieser schnelllebigen Zeit.

ch kann viel Mehrheitsfähig-Mittiges mit sozialem Touch in ein Programm schreiben, aber die Menschen hören, was ich sage. Wagenknecht haut immer wieder Dinge raus, und zwar mit Absicht, mit denen getestet werden soll, wie weit nach rechts man gehen kann, ohne als rechts zu gelten. Daran, was sie sagt, werden sich die meisten der Wähler:innen orientieren. Selbst diese kurzen Beschreibungen auf der Webseite des BSW wird nur eine Minderheit lesen.

Das alles ist noch nicht befriedigend durchdacht. Wir sollten weiterdiskutieren, und warum nicht die konkrete Wirklichkeitstauglichkeit der einzelnen Programmpunkte unter die Lupe nehmen? Gibt es Widersprüche und wo weicht Wagenknecht in ihrem Gepräge und ihrem öffentlich geäußerten Mindset von dem ab, was im Kurzprogramm steht?

Wir werden das fortsetzen. Ohne Nachdenken und Diskutieren kein Erkenntnisgewinn.  

TH

Am 08.01.2024 ist es soweit. Deutschland wird eine neue politische Partei bekommen. Sahra Wagenknecht wird aus dem bestehenden Vorbereitungsverein „BSW“ („Bündnis Sahra Wagenknecht“) eine Partei machen, die möglicherweise schon bei den Landtagswahlen 2024 im Osten antreten wird.

Warum das wichtig ist, liegt auf der Hand: Keine der anderen Parteien wird die AfD auch nur annähernd einbremsen können, so, wie es im Moment aussieht. Ist deswegen das BSW aber eine Lösung oder zementiert es sogar die verkrusteten Verhältnisse des Parteienbetriebs?

So hat sich die Gründerin und Namensgeberin heute selbst geäußert:  Ins neue Jahr mit neuem Schwung und einer neuen Partei 🙂 (sp1-brevo.net)

„Das Jahr 2023 ist vorbei und ich finde: Es war kein gutes Jahr. Statt Frieden in Europa zu schaffen ging das sinnlose Sterben in der Ukraine weiter, und im Nahen Osten wurde ein weiterer Krieg entfesselt, der nun gefährlich zu eskalieren droht. Statt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, haben steigende Preise zu mehr Armut und Überlastung an den Tafeln geführt, während an der Börse neue Rekorde gefeiert wurden. Statt den Menschen ihren Alltag zu erleichtern, hat die Ampel neue Probleme und Belastungen geschaffen und will den Bürgern auch in diesem Jahr tief in die Taschen greifen, um selbstverschuldete Haushaltslöcher zu stopfen. Nicht nur ich bin überzeugt: So kann es nicht weitergehen! Ich mache mir Sorgen um unsere Zukunft angesichts einer Politik, die die wirtschaftlichen Stärken unseres Landes verspielt und den sozialen Zusammenhalt untergräbt. Aber ich blicke auch mit Hoffnung ins neue Jahr. Denn es gibt nicht nur wachsende Proteste gegen die herrschende Politik, in Kürze wird es auch eine neue Partei geben, die für eine Rückkehr der Vernunft in die Politik kämpfen und unser Land hoffentlich zum Besseren verändern wird. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit vielen von Euch die großen Aufgaben anzupacken! 

Am 8. Januar wird die neue Partei gegründet, die Bundespressekonferenz dazu könnt ihr am nächsten Montag ab 13 Uhr hier im Livestream verfolgen.“

Wir haben uns +

vielfach zum BSW geäußert und auch schon zu Wagenknecht und der Linken, als es das BSW noch lange nicht gab, weil sich die Demission von Wagenknecht aus ihrer früheren Partei aus der Nähe eher als jahrelanges Drama denn als packender, plötzlicher Entschluss dargestellt hat, als eine Entwicklung, die lange absehbar war. Die Frage war für uns allerdings nach dem gescheiterten Versuch, mit „Aufstehen“ eine Art Nicht-Partei-Bewegung von oben zu gründen, die man notabene nicht wählen kann, ob sie sich traut, den Schritt zur Parteigründung zu gehen.

Wir halten das neue politische Subjekt, das derzeit noch BSW heißt, auf dem heutigem Stand nicht für eine Alternative im Sinne einer Lösung der massiven Probleme des Landes.

Wir haben erst kürzlich geschrieben, eine neue Kraft, die schon jetzt mit der CDU liebäugelt, wird sicher nicht auf Bundesebene mit ihr koalieren können, ohne dass Wagenknecht ihre Anhänger:innen vor allem außenpolitisch schlicht und einfach verrät. Der Verrat ist sozusagen implizit, wenn man sich nicht mehr von den so hart angegangenen „Altparteien“ fernhält.

Auf diesem Gebiet liegt auch vor allem unsere Kritik: Der Ton in dem obigen Text ist zwar nicht triumphierend, aber eines ist klar:

Der Frieden, der Sahra Wagenknecht vorschwebt, ist eine Bestätigung des Erfolgs des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, verkauft als „Verhandlungsfrieden“ in einer Phase, in der Russland gar nicht verhandeln will, und jeden Tag wird es wahrscheinlicher, dass es keinen gerechten Frieden geben wird. Was Wagenknecht zeigt, ist, im Geiste des Kreml-Herrschers, eine ganz und gar machiavellistische und rücksichtslose Haltung, die darauf schließen lässt, wie es auf anderen Politikfeldern im Ernstfall aussehen wird. Es ist ermüdend, immer wieder zu schreiben: Klar kommt nichts von nichts, hätte man mit Russland anders umgehen müssen, aber in Wirklichkeit ist der Ukrainekrieg ein riesiges Dilemma, und der Verdacht liegt nah, dass Wagenknecht jemand ist, der in Wirklichkeit die Demokratie nicht besonders wertschätzt. Das gilt umso mehr, weil sie gezwungen ist, in Deutschland den demokratischen Weg zu gehen – an dem sie in der Linken und mit der Linken aber gerade gescheitert ist.

Das Ukraine-Dilemma werden wir noch einmal in etwas umfassenderer und aktualisierter Form, unter Einbeziehung bisheriger Artikel, darstellen.

In der Sozialpolitik sieht es naturgemäß anders aus. Wer würde dem widersprechen wollen, dass die Menschen derzeit draufzahlen – mehrheitlich. Und dass einige wenige davon profitieren. Dass der Zustand des Landes sich verschlechtert, ist in mehrerer Hinsicht offensichtlich.

Aber stellt Wagenknecht die Systemfrage? Das tut sie eindeutig nicht.

Und es hat keine taktischen Gründe, in dem Sinne, dass sie erst einmal die Menschen nicht erschrecken will, die sich langsam an grundsätzliche Fragen gewöhnen sollen.

Auch wenn sie einmal Mitglied der kommunistischen Plattform in der Linken war, sie ist eine in den Positionen längst Lafontaine-ähnliche populistische Sozialdemokratin, allerdings mit nationalistischem Einschlag. Es ist tragikomisch, dass die KPF (die Kommunistische Plattform der Linken) Wagenknecht immer die Stange gehalten hat, in parteiinternen Auseinandersetzungen, obwohl sie keine Kommunistin ist und ihre migrations- und gesellschaftspolitischen Ansichten weit von denen der KPF entfernt sind.

Der Klebstoff war ausschließlich die unbedingte Putin-Treue der KPF und Sahra Wagenknechts. Dieser Klebstoff war letztlich zu dünn und außerdem wirft er die oben schon angedeuteten Fragen auf: Wie kann jemand, der internationalistisch und antiimerpialistisch denken sollte, ein rechtes Regime wie das derzeitige russische, in dem eine enorme chauvinstisch-nationalistische Hetze an der Tagesordnung ist, gegen jede universalistische Logik, aus reinem Antiamerikanismus heraus, promoten? Ähnliches gilt für das hochgefährliche Xi-Jinping-China.

Wenn Wagenknecht ihr Angebot ernst meint, müsste sie darauf aus sein, Deutschland tatsächlich aus der NATO zu führen und in Europa eine Sonderposition einzunehmen, die ganz an Russland und China orientiert ist. Mit allen Folgen für die Demokratie, die das haben wird, woraus sich unsere Ansicht begründet, dass eine frühere Stalin-Verehrerin keine gute Demokratin ist. Dieses Anhimmeln eines Massenmörders hat sich bei ihr vermutlich eher erhalten als die kommunistischen Ansätze. so diese jemals tiefgehend in ihr verankert waren.

Wagenknecht weiß aber ganz genau, dass sie niemals an der bestehenden Westeinbindung der BRD wird rütteln können.

So stark wird sie nicht und so stark ist die BRD nicht im Gefüge des Westens. Und es wäre auch nicht wünschenswert, wenn die Alternative eine Andockung an den Putinismus und eine der rigidesten und potentesten Diktaturen der Welt wäre. Sicher wäre eine eigenständigere Position  Europas sehr wohl wünschenswert, aber wie sie gestalten? Nur die sehr weit rechten Parteien sind gegen die aktuelle EU eingestellt. Diese EU hat viele neoliberale Mängel, aber aus ihr heraus wird die Zukunft gestaltet werden, darüber sind die meisten hierzulande sich immer noch einig.

Manchmal trifft man sich dann auch, aber die Ansätze sind unterschiedlich. Deswegen sind wir beispielsweise, wie Wagenknecht, gegen eine schon wieder übereilte und das Gefüge belastende Erweiterung, aber nicht, weil wir Putins Sieg feiern, sondern, um die EU vor noch mehr inneren Spannungen und Disparitäten zu bewahren, also, um sie zu stärken und damit die Chancen auf Reformen zu steigern, die nicht schädlich, sondern nützlich für uns alle sind.

Wagenknecht muss hingegen auf die Zerstörung der EU setzen, sonst wird es nie eine Anbindung Deutschlands an Russland geben. Das wäre mit dem Fortbestehen der EU nur dann möglich, wenn in den USA die Zügel so gelockert würden, dass die EU quasi Entscheidungsfreiheit hat und sich eigenständig positioniert. Das ist, ob mit oder ohne Wagenknecht, nicht abzusehen. Dazu müsste sie zudem eine anti-amerikanische EU-Präsidentin werden oder eine solche Person unterstützten, eine Position vorausgesetzt, die es noch gar nicht gibt, frei und demokratisch von allen Völkern in der EU gewählt. Schon möglich, dass eines Tages die Mehrheit der EU-Bürger dem leider ebenfalls zunehmend antidemokratischen Treiben in den USA nichts mehr abgewinnen können, aber die institutionelle Verschiebung der geopolitischen Akzentsetzung ist etwas ganz anderes als das Aufgreifen einer Stimmung.

Selbst wenn, aus welchem Grund auch immer, einmal alle Voraussetzungen für ein echtes, glaubwürdiges, eigenständiges Europa gegeben wären: Es nach Wagenknechts Wünschen zu gestalten, wäre noch immer unmöglich. Weil sie selbst nicht der Typ ist, der sich dieser Ochsentour unterzieht, der es bedarf, so viele Länder zu koordinieren, die unterschiedliche Interessen und Positionen in geopolitischer Hinsicht haben. Sie müssten alle Diktaturen oder Halbdiktaturen werden, und dann käme wieder der Nationalismus noch stärker als gegenwärtig zum Tragen, der eine freundschaftliche Vereinbarung der Unterschiedlichen verhindert.

Deswegen ist die Infragestellung der Westbindung ohne die revolutionäre Situation, die nicht einmal in Ansätzen zu erkennen ist, Augenwischerei.

Wir raten aus unseren Beobachtungen in der Linken und von SW heraus Menschen, die das BSW bzw. die daraus hervorgehende Partei wählen wollen, dringend, zu überprüfen, ob ihnen die sozial- und gesellschafspolitischen Ansichten von Wagenknecht minus Nicht-Durchsetzbarkeit von zwei Dritteln der Positionen im erstgenannten Themenfeld beim Zusammengehen mit der Union genügen und ob sie bereit sind, die hochtrabenden und an Diktaturen orientierten außenpolitischen Ansprüche zu vergessen, bevor sie ihr Kreuz machen. Ansonsten wird wird es zu großen Enttäuschungen dann kommen, wenn SW oder ihre Partei tatsächlich in bundespolitische Regierungsverantwortung  eintreten sollten.

Eine weitere zulässige Motivation könnte es sein, die AfD irgendwie noch aufzuhalten. Hätten wir bei einer der „Ostwahlen“ des Jahres 2024 unsere Stimme abzugeben, würden wir darüber nachdenken. In Berlin brauchen wir das nicht, der letzte Rechtsruck hat sich gerade in der Rückschrittskoalition manifestiert, aber immerhin noch ohne die AfD. Letzteres Motiv für die Wahl des BSW hätte immerhin den Vorteil, dass man dafür die innere Distanz nicht aufgeben muss und nicht als Wagenknecht-Fan blind für die blinden Flecken in ihrem politischen Konzept sein muss. Man wählt hingegen ein Mittel  zum Zweck und wägt ab, man entscheidet sich in einem wenig erfreulichen Parteienumfeld und angesichts des Rechtsdralls dafür, die Rechten ein wenig zu spalten. Allerdings hat auch dieses Wahlmotiv einen Haken.

Wem aber hilft man am meisten, wenn man sich wahltechnisch so verhält? Die Antwort ist nicht so verblüffend: Friedrich Merz.

Denn eine Art Volksfrontregierung, die der CDU zum Beispiel in Sachsen die Macht sichert und an der das BSW beteiligt ist, hilft der Bundes-CDU. Dabei spielt es letztlich kaum eine Rolle, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in Sachen Russland-Ukraine-Politik andere Ansichten vertritt als Merz und die übrigen Bundespolitiker und diesbezüglich Wagenknecht nahesteht. Letztlich verhilft Wagenknecht dem rechtskonservativen Lager zu einer Basis, die auch bei der nächsten Bundestagswahl tragfähig sein wird. Vorausgesetzt natürlich, die hohen Zustimmungswerte, die das BSW schon in Vorab-Umfragen erhalten hat, die suggerierten, es wäre schon eine wählbare Partei, lassen sich bis 2025 tatsächlich in Wähler:innenstimmen umsetzen. Auf Bundesebene ist es dann aber so, dass Wagenknecht und die CDU unmöglich für eine gemeinsame Außenpolitik stehen können, wenn Wagenknecht nicht ihr Alleinstellungsmerkmal verlieren will, nämlich eine Politikerin zu sein, die außenpolitisch zwar wie die AfD tickt, aber innenpolitisch nicht so brutal rechts ist. Und wieviel Sozialpolitik das BSW als Juniorpartner der Union würde durchsetzen können, das hängt von den Wahlergebnissen ab, die sozialpolitische Wirksamkeit des BSW als  wesentlich kleinerer  oder in einer Mehrparteienkoalition mittlerer Partner ist allemal fraglich.

Dass SW die Grünen hingegen so stark angreift, ist im sozialpolitischen Sinne ontraproduktiv, weil diese durch ihre Angriffe ganz sicher kaum an Zuspruch verlieren werden, eher im Gegenteil.

Was sie aber tut, ist, damit der SPD zu schaden, die mit Blick auf die Bundesregierung für alles verantwortlich gemacht wird, zumal in Person von Kanzler Scholz, was nicht gut läuft, also auch für die von SW markierte Politik der grünen Minister:innen. Die SPD wäre aber die einzige Bündnispartnerin, die mit dem BSW eine überwiegend kohärente Innen- und Sozialpolitik vereinbaren könnte – unter Abzug der außenpolitischen Komponente. Wenn man diese weglässt, sind einige Überschneidungen zwischen SPD-Wähler:innen und potenziellen BSW-Wählenden erkennbar.

Die vorstehende politische Skizze macht noch etwas deutlich. Dass Wagenknecht nichts Neues mitbringt.

Alles, was sie anbietet, gibt es längst, nur die Kombination ist etwas anders als in jeder der anderen Parteien. Auf diese Weise kann man noch weitere fünf Parteien gründen, ohne dass das Angebot sich tatsächlich erweitert. Im Political Compass wird sich auch das BSW im selben rechten oberen Quadrat von vier möglichen wiederfinden wie alle anderen relevanten deutschen Parteien (mit Ausnahme der Linken, aber auch diese rückte über die Jahre immer mehr in diese Richtung).

Wenn man diesen Kompass für Deutschland mit demjenigen anderer demokratischer Länder vergleicht, wird klar, dass der Eindruck vieler Menschen, in der BRD sei das politische Spektrum nicht gerade breit, richtig ist.

Das wird auch künftig so sein. Eine politische Innovation oder wenigstens eine modernisierte Reorganisation der Linken sieht anders aus als das BSW. Auch das BSW belegt in der Aufstellung, mit der es starten wird, dass wir weit davon entfernt sind, politisch zu neuen Ufern zu gelangen, wen immer wir auch wählen werden. Es ist schlimmer. Man hat derzeit den Eindruck, man kann lediglich noch ein wenig über das Tempo des Rückschritts mitbestimmen.

Ob für die Absicht, diesen zu bremsen, so gut es eben geht, die Wahl des BSW richtig ist, das bei genauem Hinsehen so wenig Zukunft und Aufbruch zu bieten hat, muss jeder selbst entscheiden. Natürlich kann es in Zeiten des Rückschritts ein ausreichender Grund für eine Wahlentscheidung sein. Perspektivisch: Erst das Schlimmste verhindern, in ein paar Jahren endlich etwas auf den Weg bringen, das mehr ist als der x-te Aufguss eines Protests. Dazu muss man sich aber die Selbstermächtigung zutrauen, die vom Politikstil einer Sahrwa Wagenknecht so weit entfernt ist wie die kahle, kalte Rückseite des Mondes vom irdischen Blumengarten der tausend partizipativen Möglichkeiten, also dem Ansatz, Politik selbst mitzugestalten. Vielleicht geht aus der Ratlosigkeit, die auch das BSW hervorbrachte, verbunden mit einer manchmal lächerlichen Service-Mentalität und Unselbstständigkeit in Sachen Politik eine zivilgesellschaftliche Erneuerung hervor, wenn alle diesen rechten Quatsch satt haben, den sie in weniger scharfer Form als der AfD auch mit dem BSW unterstützten.

Das könnte sogar die tiefere Funktion oder der tiefere Sinn des BSW sein: Dass die Menschen nach dem nächsten Fail einer neuen Partei, der nächsten politischen Enttäuschung nicht der Demokratie für diese Enttäuschung die Schuld geben, sondern erkennen, dass sie selbst diese Demokratie so kläglich gestaltet haben. Durch ihre Wahlentscheidungen. Dass sie endlich erkennen, dass es keine Heilsbringer:innen gibt, dass man keine unmündige Fanposition einnehmen darf, sondern man selbst etwas tun muss, wenn sich etwas verbessern soll. Dazu ist freilich etwas mehr Engagement nötig, als alle vier Jahre zur Bundestagswahl zu gehen.

TH

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