Die Rechnung wird nachgereicht – Tatort 47 #Crimetime 1196 #Tatort #Frankfurt #Konrad #HR #Rechnung

Crimetime – Titelfoto © HR

Das Leben ist kein Pfadfinderlager

Die Rechnung wird nachgereicht ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD. Der Film wurde vom HR produziert und am 19. Januar 1975 zum ersten Mal gesendet. Es ist die 47. Folge der Tatort-Reihe und der fünfte Fall für Kommissar Konrad (Klaus Höhne), der von seinem Assistenten Rolf unterstützt wird. Konrad und Rolf ermitteln in einem acht Jahre zurückliegenden Geldraub, bei dem die Beute damals nicht gefunden worden war. Es ist eine der wenigen Tatort-Episoden ohne Leichen.

Wenn es eine Stadt in Deutschland gibt, in der man weiß, dass und warum Geld die Welt beherrscht, dann ist es sicher die Bankenmetropole Frankfurt – wobei uns das Wort „Metropole“ immer mehr Sorgen macht, denn was sich Bankmanager an rudimentärem und provinziellem Verhalten leisten, geht auf keine Kuhhaut, außerdem wird Frankfurt auch als Sitz der EZB nicht der Finanzplatz Nr. 1 in Europa, werden. Mehr zum Film lesen Sie allerdings in der Rezension.

Handlung

Seitdem Felix Wuntsch im Gefängnis sitzt, ist er ein anderer Mensch geworden. Er liest Traktätchen, malt Bildchen und füttert seinen Hamster in der Zelle. Gesundheitlich geht es mit ihm in letzter Zeit sehr bergab. Der Anstaltsarzt gibt ihm nur noch ein paar Wochen. Darum macht Kommissar Konrad einen neuen Versuch, von Felix endlich herauszubekommen, wo die Beute aus einem Geldraub vor acht Jahren versteckt wurde. Rund 1,2 Millionen Mark fielen Wuntsch und seinem Komplizen Fritzsche damals in die Hände. Fritzsche wurde kurz darauf erschossen, Wuntsch ein paar Tage später verhaftet.

Angeblich weiß er nicht, wo sein Komplize das Geld versteckt hat. Kommissar Konrad nimmt Felix diese Beteuerungen nicht ab. Er weiß, dieser friedfertige Häftling ist ein Schlitzohr, auch wenn er ihn sonst gar nicht unsympathisch findet. Konrad hat recht, ohne es beweisen zu können. Als Theo Klein, ein anderer Häftling, entlassen werden soll, zieht ihn Felix ins Vertrauen. Er beschreibt ihm das Versteck und gibt ihm genaue Anweisungen, was er mit dem Geld machen soll.

Wieder in Freiheit, sucht Theo das Versteck auf. Zu seiner Verblüffung entdeckt er, daß dort inzwischen einige Wochenendhäuser gebaut wurden. Eines der Häuser steht genau an der Stelle, wo Felix angeblich das Geld vergraben hat. Nicht nur Theo muß sich jetzt den Kopf zerbrechen, wie er an die Millionen herankommt. Durch ihn erfahren auch der Bauunternehmer Nicklisch und sein Sohn, was dort angeblich zu holen ist.

Rezension

Nach „Frankfurter Gold“ nun der zweite Konrad-Tatort aus Frankfurt am Main, den wir rezensieren. Wieder ohne Mord mit Tatort, wieder geht es um Geld.

Wenn es eine Stadt in Deutschland gibt, in der man weiß, dass und warum Geld die Welt beherrscht, dann ist es sicher die Bankenmetropole Frankfurt – wobei uns das Wort „Metropole“ immer mehr Sorgen macht, denn was sich Bankmanager an rudimentärem und provinziellem Verhalten leisten, geht auf keine Kuhhaut, außerdem wird Frankfurt auch als Sitz der EZB nicht der Finanzplatz Nr. 1, wenigstens in Europa, werden.

Dieses Mal geht es aber nicht, wie im oben erwähnten ersten Hessen-Tatort, um Bank- und Börsengeschäfte, sondern um die Beute aus einem Raubzug. Aber wieder sehen wir stark gezeichnete Typen, eine originelle Handlung und ein 1970er-Flair, das zum Niederknien ist. Damalige Lifestyle-Autos wie der Citroen SM in braun-metallic oder ein gelber Fiat X 1/9 tragen dazu erheblich mehr bei als die brandaktuelle S-Klasse in Weiß, die schon beinahe spießig wirkt. Aber das Auto gehört ja auch einem Bauunternehmer und hat die Dimensionen, die einem Günter Strack als Verkörperung dieses sozialen Aufsteigers angemessen ist.

„Die Rechnung wird nachgereicht“ dürfte einer der ersten Inside-Prison-Tatorte der Geschichte gewesen sein, und was sich dort abspielt, wird mit viel Liebe zum Detail und – natürlich – zu den Figuren gefilmt. Der schwindsüchtige inhaftierte Räuber, der listigerweise Felix Wuntsch genannt wird (Herbert Sass) ist eine so differenzierte Figur, wie es sie heute nur noch in Howcatchems gibt. Aber das ist „Die Rechnung“ im Grunde ja auch. Alle Beteiligten sind bekannt, nur, wer die Beute erlangt, das bleibt abzuwarten. Im Grunde ist es klar, dass die Polizei des Geldes doch noch habhaft wird. Während im Kinofilm die Muster schon aufgebrochen waren, blieb im Fernsehen die Welt so bestellt, dass eine zwischenzeitliche Störung der Grundordnung am Ende des Films behoben war. Verbrechen lohnt sich nicht, das wusste also jedes Kind, sofern es Tatort gucken durfte. Hat es die Menschen davon abgehalten, weiter Verbrechen zu begehen? Das wäre uns neu.

Natürlich wissen auch die Fernsehmacher, dass die menschliche Natur dazu neigt, schnelles Geld ohne Arbeit zu machen, die meisten trauen sich nur nicht, richtig durchzuziehen, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben. Wir sehen also in der Realität einige echt ehrliche und moralisch hochstehende Menschen, die sich aber aus gewissen Gründen nicht zu viel darauf einbilden sollen, und eine große Mehrheit von Gelegenheitsdelinquenten im Straßenverkehr, bei den Steuern etc., deren kriminelle Energie nicht so groß ist wie die Angst davor, dass irgendwas schiefgeht und man so richtig angeschissen ist. Vor allem bei Beamten dürften die Konsequenzen einer Straftat für legales Verhalten sorgen, außerdem können sie keine Steuern hinterziehen.

Schon Mitte der 1970er  Jahre hatten Plots allerdings Schwächen, die überhaupt erst dafür sorgten, dass ein Film so ablaufen konnte, wie wir es hier sehen. Vor allem im Gefängnis, so realistisch das Szenario wirken mag, sind einige sehr spekulative Szenen angelegt. Zum Beispiel, wie Felix‘ ursprünglicher Zellenmitbewohner in der Werkstatt der JVA verdroschen wird. Natürlich sitzen die Leute dort unbeaufsichtigt und natürlich prügelt der Brutalo, der aus dem Zellengenossen von Felix den Lagerort der 1,2 Millionen herausquetschen will, vor allen anderen und erwähnt auch noch den Grund – so, als ob nur er in der Lage wäre, sich nach draußen hin so zu organisieren, dass der Schatz gehoben werden kann. Und was dann? Das ist eine weitere Frage, die man sich unwillkürlich stellt. Auch dass Felix sich mit der tatsächlichen Preisgabe des Versteckes an einen Typ wendet, der kurz vor der Entlassung steht und nur deshalb, weil dieser ihn nie gelöchert hat, zeugt von einer überragenden Menschenkenntnis. Ob dieser allerdings wirklich die Geldverteilung so vorgenommen hätte wie von Felix gewünscht, wäre er an die Beute gekommen? Man weiß es nicht.

Wie der todkranke Felix das Geld aber verteilen will, unter anderem an die Witwe des Opfers beim Raub, das von seinem damaligen Komplizen erschossen wurde, an seine Tochter und noch einige Menschen, die ihm wichtig sind, ist rührend. Er ist doch sehr intelligent, lässt die Polizei abblitzen, führt sie auf falsche Spuren, aber dass diese Verteilung durch einen ehemaligen Mithäftling funktionieren kann, zeugt doch davon, dass es richtig ist, Felix‘ Nachnamen mit „t“ zu schreiben, so, er hat eben einen Wunsch nach Erlösung oder Wiedergutmachung mit einem Webfehler. Er meint, im Gefängnis fromm geworden, die Gerechtigkeit besser herstellen zu können als die Polizei, die das Geld den Eigentümern zurückgegeben wird – und die Versicherung muss am Ende nicht einmal eine Belohnung zahlen, wenn wir die Handlung richtig verfolgt haben. Verbrecher, selbst solche, die als Polizeispitzel arbeiten, sind echt arme Schweine.

Aber das sind Polizisten ja auch, im Vergleich zu Bauunternehmern, die über Nacht reich werden und damit den Verdacht auf sich lenken, schon beim Bau der Ferienhäusl auf das vergrabene Geld gestoßen zu sein. Einer der besten Twists von „Die Rechnung wird nachgereicht“ ist, dass der schlaue Baufuchs erst durch das Auftreten von Felix‘ Ex-Mithäftling darauf gebracht wird, dass unter dem Fundament seines Bauwerks etwas Wertvolles versteckt sein könnte. Wie der Mann wirklich reich geworden ist, wissen wir nicht. Bei Leuten vom Bau muss so etwas aber nicht groß hinterfragt werden und darf bei den offenen Posten einer Tatort-Gesamtlösung verbleiben. Immerhin erfahren wird, dass 1975 offenbar Flaute am Bau herrschte, nach dem Boom zuvor. Das könnte sogar stimmen, denn die erste Ölkrise 1974 hatte durchaus konjunkturelle Einbrüche zur Folge.

Mögen Polizisten auch in anderen Dimensionen denken müssen, die sich im Rahmen von 50 Mark mehr Haushaltsgeld für die Frau bewegen, sie sind eben durch alle wirtschaftlichen Aufs und Abs mit ihren speziellen Ausprägungen im Bereich der Kriminalität hindurch abgesichert. Scheinbar erfahren wir aus Kommissar Konrads Privatleben nur diese Sache mit den 50 Mark. Das stimmt aber nicht, und einer der besten Momente des Films ist einer mit einer Info, die für heutige Zuschauer besser versteckt ist als die Beute unter dem Wochenendhaus: Konrad unterhält sich ja hin und wieder mit seinem Assistenten, damit der Zuschauer Hintergrundinformationen bekommt. Und er kennt auch die Gegend im Taunus, in der das Wochenendhaus steht, weil er da als Jugendlicher im Zeltlager war. Sein geschichtsfreier, spätgeborener, adretter Assi fragt: Bei den Pfadfindern? Konrad verneint, ohne sich näher darauf einzulassen. Es ist klar, dass es sich bei dem Lager um eine Aktivität der HJ handelte, in der Konrad also, wie die meisten Jugendlichen seiner Zeit, verortet war.  Er wollte also General werden, das liegt ja bei der vormilitärischen Organisation der HJ-Aktionen nah, oder Kapitän, weil Seemannsromantik im Zeitalter von Hans Albers‘ „Große Freiheit Nr. 7“ ein großes Ding war, oder reich. Wie eben jeder mal mit dem Gedanken spielt, reich zu sein. In diese kurze Info hat man prototypisch das Standing einer ganzen Generation, aber auch die Träume von uns allen, wie sie immer schon bestanden, verpackt und mit dem Abenteuer-Hintergrund auch ein besonderes Licht auf die Romantik geworfen, die sich für junge, meist aus armen Verhältnissen kommende Jugendliche mit dem NS-Staat verband – zumindest, bis der Krieg den Einzelnen erreichte.

Nachdem wir uns in diesen Sonderaspekt vertieft haben und fasziniert davon waren, wie die frühen Tatorte zu uns mit solchen Besonderheiten sprechen, haben wir auch mal nachgeschaut und fanden uns anhand von Informationen aus dem Tatort-Fundus zielgenau bestätigt. Dort ist über Konrad zu lesen:

Kriminalhauptkommissar Konrad ist 1929 geboren und arbeitet mindestens seit 1967 bei der Frankfurter Kriminalpolizei. Der freundliche Milchtrinker gehört zu der Generation, deren Jugendträume sich nicht erfüllen konnten. Er ist in der Gegend um die Mainmetropole aufgewachsen, war schon als Jugendlicher oft im Zeltlager im Westerwald und auch wenn er das nicht explizit anspricht, ist doch klar, dass es sich damals um Fahrten der Hitlerjugend handelte. 

Konrad stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, ist verheiratet, seine Frau führt den Haushalt und bekommt – wie das damals genannt wurde – Wirtschaftsgeld. In den Urlaub fahren die beiden nach Bayern und haben offensichtlich keine Kinder. Um seine Gesundheit steht es nicht gut. Schon mit Anfang 40 leidet der Kommissar unter Rheuma, hat Rücken- und Schulterschmerzen. Eine bewilligte Kur verschiebt er, weil er einen Fall zu lösen hat. Während ihm als Dienstwagen meistens ein Opel Rekord zur Verfügung steht, fährt er privat eine Alfa Romeo Alfetta 1.8 (F-X 948) (Infos: Tatort-Fundus, Seite Kommissar Konrad).

Den kleinbürgerlichen Bonvivant mit Alfa sehen wir nicht, wohl aber den Opel Rekord in damals angesagtem Orangerot.

Bis heute ist es ja so geblieben, dass Tatort-Figuren auch für Prinzipien stehen, Stellvertreter für bestimmte Milieus sind, aber wie die Menschen sich verhalten, hat natürlich auch mit der Zeit zu tun, in der sie aufgewachsen sind. Sowohl für Konrad als auch für seine Gegenspieler war dies das Dritte Reich, der Krieg, die existenziellen Erfahrungen, die man wirklich erspüren kann. Wie sonst können Dialoge zustandekommen wie der  zwischen Felix und Konrad, in dem Felix dem Polizisten sagt, wären sie nicht auf verschiedenen Seiten, wären sie sicher zusammen Pferde stehlen gegangen (Konrad ergänzt den Satzanfang, den Felix spricht). Das wirkt heute sonderbar, in einer so indifferenten Welt, in der die Zugehörigkeiten nicht mehr so scharf abgegrenzt sind und niemand mehr bei jeder Lebensentscheidung fürchten muss, dass er auf die falsche Seite gerät. Auch diese Vertraulichkeit, die Konrad mit den Verbrechern pflegt, indem er sie zum Beispiel duzt, die hat etwas damit zu tun, dass er aufgrund seiner eigenen Biografie weiß, wie leicht sich Jugendträume in Alpträume wandeln und wie es möglich ist, ohne wirkliche Verbrechernatur ins Verbrechen zu geraten – und sei es durch einen verbrecherischen Staat, der den Werdegang von klein auf mitbestimmt.

Diese Vitalität der Figuren im Guten wie im Schlechten, deren man erst bewusst wird, wenn man Angehörigen unserer Generation und der darunter gegenübersteht, liegt darin begründet, dass das Leben an sich damals noch sehr bewusst wahrgenommen wurde. Selbsterfahrung war noch nicht so wichtig, weil die Leute noch echte Erfahrungen hatten. Wenn wir genau drüber nachdenken, wie unsere Vorfahren sich verhalten haben, dann wissen wir, diese Tatorte sind keine Hirngespinste, was ihre Charaktere angeht. Sie wirken nur heute so faszinierend, weil wir uns so verändert haben.

Finale

Auffällig ist beim Anschauen in HD, dass manche Szenen, besonders im Gefängnis und auf Kommissar Konrads Dienststelle, gestochen scharf rüberkommen, andere hingegen, im Freien und auch im Haus des Bauunternehmers, kontrastarm und etwas verwischt wirken. Solche technische Unausgeglichenheiten bei insgesamt einfacher bildlicher Umsetzung gehören eben auch zu den 1970ern, gerade dies aber steigert die Authentizitätswirkung, auf die man seinerzeit sichtlich bedacht war. Da ist es auch nicht schlimm, dass Reminiszenzen an Gangsterfilme ein wenig in Slapstick ausarten, wie die Aushebungssequenz in dem Wochenendhäuschen, das auf dem Geldschatz gebaut wurde bzw. in der Umgebung dieses Blockhauses mit Wellblechdach. Der Stil des Films ist nicht mehr so dokumentarisch und ungewöhnlich wie in „Frankfurter Gold“, bei dem wir die Vermutung äußerten, er sei möglicherweise erst nachträglich in die Tatort-Reihe eingegliedert worden. Eine gewisse Routine ist bei „Die Rechnung wird nachgereicht“ bereits spürbar, der Fall ist nicht mehr so exorbitant wie der erste Hessen-Tatort, aber er hat uns auch gestern Abend zu später Stunde immerzu wachgehalten.

7/10

© 2023 Der Wahlberliner, Alexander Platz (Entwurf 2015)

Regie Fritz Umgelter
Drehbuch Herbert Lichtenfeld
Produktion Dieter von Volkmann
Kamera Horst Thürling
Schnitt Birgit Bosboom
Premiere 19. Jan. 1975 auf ARD
Besetzung

 

 

 

 


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