Platoon (USA 1986) #Filmfest 1081 #Top250 #DGR

Filmfest 1081 – Concept IMDb Top 250 of All Time (157) – Die große Rezension

Nur der Krieg ist der Krieg

Platoon ist ein Kriegsfilm des Regisseurs Oliver Stone aus dem Jahr 1986. Er zeigt die Auswüchse des Vietnamkrieges und seine Wirkung auf Infanteriesoldaten. Der Film wurde mit vier Oscars ausgezeichnet und war für vier weitere nominiert.

Selbst unsere Kurzzusammenfassung der Handlung ist relativ lang geworden, obwohl der Film nur ein einziges Szenario hat: Einen kleinen Trupp amerikanischer Soldaten, wie er im Dschungel einen ebenso unübersichtlichen wie zermürbenden Kampf gegen einen Gegner führt, der in dieser grünen Hölle zuhause ist. Mehr dazu in der Rezension.

Handlung (1)

Chris Taylor (Charlie Sheen) ist ein junger, naiver Amerikaner, der das College aufgibt, um sich als Freiwilliger zur Army zu melden und nach Vietnam zu gehen.

Kaum angekommen, wird er die Illusion los, wichtig in diesem Kampf zu sein, denn die Neulinge werden aufgrund ihrer Unerfahrenheit wenig geschätzt. Wer die Tage schon rückwärts zählt und nicht vorwärts, hat etwas zu sagen und verschiedene Privilegien, wie das, nicht in vorderster Frontlinie kämpfen zu müssen – im Gegensatz zu Chris und anderen, die als Kanonenfutter eingesetzt werden.

Der Dschungelkrieg, den die Amerikaner nicht gewöhnt sind, fordert Opfer um Opfer und in allem Chaos zeichnet sich zudem eine Frontenbildung innerhalb des Platoons ab: Der martialische Staff Sgt. Robert Barnes (Tom Berenger) und seine Leute, die besonders brutal vorgehen, gegen den Sgt. Elias Grodin (Willem Dafoe), der für eine vernünftige und seinen Leuten gegenüber freundliche Linie steht.

Sinnfällig wird der Konflikt, als die Armee in ein vietnamesisches Dorf vordringt, an dessen Eingang den massakrierten und plakativ aufgespießten Leichnam eines Mitsoldaten findet und sich schnell der Verdacht einstellt, das Dorf unterstütze den Vietkong auf verschiedene Weise. Während die eine Gruppe für illegale Tötungen verantwortlich ist, beendet die andere Gruppe die Torturen, das Dorf wird befehlsgemäß niedergebrannt, die Bewohner evakuiert.

Durch persönliches Fehlverhalten und Fehlentscheidungen wird die amerikanische Kampfgruppe weiter geschwächt und in Fraktionen zersplittert.

Eine großer Angriff der Vietkong lässt das Platoon weiter zusammenschmelzen, zusätzlich versucht Barnes, Grodin zu töten und verschiedene Soldaten versuchen nicht mehr, sich gegen den Feind zu stellen, sondern nur noch lebend aus der Hölle zu entkommen. Chris entwickelt sich zu einem der Tapfersten und tötet Barnes, bevor er verwundet und aus dem Kampfgebiet ausgeflogen wird. Für ihn ist der Krieg vorbei.

Rezension

Bis heute ist Platoon mit Einspielergebnissen von mehr als 138 Millionen US-Dollar[2] der dritterfolgreichste Film, der sich mit dem Thema Vietnamkrieg auseinandersetzt, nach dem gänzlich anders gearteten Rambo II – Der Auftrag, der allein in den USA mehr als 190 Millionen US-Dollar einspielte, und Geboren am 4. Juli (ebenfalls von Oliver Stone), über 161 Millionen US-Dollar.

Wie kein anderer Vietnamfilm, den wir bisher gesehen haben, beleuchtet „Platoon“ nicht die Gründe, nicht das Vorher und Nachher, sondern konzentriert sich ganz auf den Einsatz. Dass der Film authentischer oder zumindest dichter und realistischer wirkt als jeder andere zum Thema, den wir bisher kennen, liegt gewiss auch daran, dass Regisseur Oliver Stone selbst Vietnamveteran war und sein Trauma nicht nur in diesem Film, sondern auch in anderen, die sehr blutig sind, abzuarbeiten versucht hat (einen Streifen wie „Natural Born Killers“, an dessen Rezension wir gerade arbeiten, kann man nur machen, wenn man zum Thema Gewalt einen sehr persönlichen und tiefen Zugang hat).

Mit „Geboren am 4. Juli“ (Rezension beim Wahlberliner) hat Stone einen weiteren Vietnam-Film gemacht, der selbstredend Ähnlichkeiten mit „Platoon“ aufweist, aber sich intensiv mit der Zeit danach beschäftigt. Während Chris am Ende, während er ausgeflogen wird, als Narrator darüber reflektiert, wie man nun nach all dem seinem, was man erlebt hat, seinem Leben einen Sinn geben kann, wird in „Geboren am 4. Juli“ genau das gezeigt: Wie ein Versehrter sich zu einem Aktivisten in der Friedensbewegung entwickelt.

Die berühmtesten Filme über den Entscheidungskrieg um die amerikanische Seele sind alle unterschiedlich konzipiert, wobei wir Francis Ford Coppolas „Apocalypse now“ (1979) im Entwurf dieser Rezension ausgeklammert hatten, weil wir ihn damals noch nicht gesehen hatten. Wie der Link über dem Titel zeigt, haben wir das nachgeholt. Während sich eine der frühesten ernsthaften Auseinandersetzungen, „The Deer Hunter“ (1978) ausschließlich mit dem Trauma danach befasst, geht Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (noch nicht rezensiert) den umgekehrten Weg und zeigt, wie versucht wird, Soldaten in der Ausbildung vietnamtauglich zu machen und zeigt sie dann erst im Krieg.

Es hat selbstredend einige Jahre gedauert, bis sich US-Filmemacher mit dem schwierigen Gegenstand ehrlich und intensiv auseinandersetzen konnten, die meisten der Filme, die heute noch als beste des Subgenres „Vietnamkrieg“ gelten, wurden ausgerechnet während der konservativen Reaktion der Reagan-Zeit gedreht.

Besonders in Europa wurde Oliver Stones Film kontrovers aufgenommen, und wir können nachvollziehen, warum: Nach unserer Ansicht versucht er zwar nicht, die Amerikaner zu heroisieren, aber es wirkt, als sei der Krieg vor allem deshalb verloren gegangen, weil die Soldaten keine exakte innere Führung hatten. Sie werden allein gelassen, es gibt taktische Fehlentscheidungen, von strategischem Überblick schweigt der Film ganz, und vor allem sind einige von ihnen persönlich unfähig, sich in den Dienst der Sache zu stellen und versagen als Charaktere sowohl, was ihren Mut angeht wie auch bezüglich ihrer zwischemenschlichen Verhaltensweisen. Bezüglich der Fehler „von oben“ ist „Rambo“ gar nicht so anders gestrickt, wobei aber die Entscheidungen ganz oben adressiert werden, wie die Politik nämlich die Soldaten verraten hat, andernfalls sie natürlich gesiegt hätten.

Seltsam, dass es nach dem Drill, den wir in „Full Metal Jacket“ sehen durften und der in die Filmgeschichte eingegangen ist, so kommen konnte, wie es kam. Wenn man nun mit beiden Filmen argumentiert, ist die Erkenntnis, dass der härteste Drill nichts nützt, wenn die Leute eben nicht die inneren Qualitäten für diesen Krieg der haben, der mindestens so alptraumhafte Züge trägt wie der Erste Weltkrieg, in dem Soldaten jahrelang in Schützengräben festsaßen, während der Zweite Weltkrieg mit all seinen Schrecken doch eher ein klassischer Bewegungskrieg war, der allen Seiten immer wieder Atempausen erlaubte (Sondersituationen wie die Kesselschlacht von Stalingrad als Schicksalsagonie nach einer Kette von Fehlern ausgenommen).

Hätten also die Amerikaner in Vietnam optimal „funktioniert“, wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen. Wäre nicht ein unfähiger Newbie auf Wache eingeschlafen, hätte man die Soldaten nicht unnötig verheizt, hätten diese sich nicht durch Feigheit oder übermäßige Brutalität geschwächt, hätte man vielleicht gar nicht versucht, an die kambodschanische Grenze zu gehen,  wo der Dschungel besonders dicht und die Vietkong besonders zahlreich sind. Das viele „hätte“ drückt es aus: alles hypothetisch.

Wenn man sieht, wie die Amerikaner den Vietnamkrieg dann im Film bearbeitet haben, könnte man meinen, sie hätten Millionenverluste gehabt, wie einige Völker in den Weltkriegen. In Wirklichkeit gibt es viele Deutungen dieses Krieges, besonders in den USA, die in andere Richtungen zielen, bis hin zu einer amerikanischen Form der Dolchstoßlegende, nachdem der Krieg vor allem wegen innenpolitischer Faktoren nicht erfolgreich abgeschlossen worden sei. Die Zersetzung der US-Armee, die man aufgrund von „Platoon“ vermuten würde, ist in keiner wesentlichen Meinung von Historikern als ernsthafter Grund des Scheiterns vorherrschend. Wenn die USA zu schwach gewesen seien, dann eher auf Führungsebene, indem sie den Krieg nicht rechtzeitig genug so massiv geführt hätten, dass es nicht zu den Zermürbungskämpfen gekommen sei. Besonders nach dem raschen Erfolg im Ersten Golfkieg (1991) erhielt diese sogenannte revisionistische Deutung, die auch einschließt, dass der Krieg letztlich berechtigt gewesen sei, neuen Auftrieb. Diskussionen kamen aber wieder auf, nachdem der Irak-Krieg (2003) – in dem mehr US-Soldaten starben als in Vietnam – samt seiner auf Desinformation gegründeten Auslösung und seinen hohen Folgekosten gezeigt hatte, wie sich bestimmte Muster wiederholen. In Südostasien wurde ein Zwischenfall auf See, der sich vermutlich nie ereignet hat, als Grund für den Eintritt der USA in den Indochina-Konflikt hergenommen, im Irak waren es die angeblichen Waffenarsenale Saddam Husseins, die von den Geheimdiensten lanciert, aber nie gefunden wurden. So weit entfernt vom Fall Gleiwitz ist das alles nicht, könnte man hinzufügen.

Im Fokus

Wie stark die Rezeption in den USA in den 1980ern auf Filme wie „Platoon“ war, obwohl deren Sicht, wie auch die in „Full Metal Jacket“, „Geboren am 4. Juli“ und anderen kritischen Darstellungen, wohl nie die Mehrheitsmeinung der Amerikaner spiegelte, zeigt sich daran, dass Oliver Stone für „Platoon“ wie auch für „Geboren am 4. Juli“ je einen Regie-Oscar erhielt, womit auch die AMPAS (Academy of Motion Picture Arts and Sciences) ihre Sichtweise dokumentiert hat.

Stone hat weiterhin politisches Kino gemacht, wie „JFK“ (1991) und „Nixon“ (1996) mit dem jeweils kritisch hinterfragenden Einschlag und sich vor allem bei „JFK“ auf die Seite der Verschwörungstheoretiker gestellt. Wer selbst im Vietnamkrieg dabei war, hat zweifellos die Autorität, sich die jüngste amerikanische Geschichte und ihre Wendepunkte intensive Gedanken zu machen und das vielleicht politischste Werk aller US-Regisseure zu schaffen.

Was ist ein Antikriegsfilm?

Ein Kriegsfilm, der den Krieg verurteilt, war zum Beispiel der legendäre „The Path of Glory“ (1957, Rezension im Filmfest des neuen Wahlberliners noch nicht veröffentlicht), oder „Im Westen nichts Neues“ (1930), bei diesen Filmen besteht daran kein Zweifel. Dass Kritiker „Platoon“ das Siegel „Antikriegsfilm“ teilweise verweigert haben, mag daran liegen, dass er keine Verbindung zu übergeordneten Stelle und Ideen aufbaut, nicht die Auswirkungen an der  Heimatfront beleuchtet und nicht die Nachwirkungen auf die Soldaten selbst, auf die Zivilbevölkerung, auf alle, die in irgendeiner Form in diesen Krieg verwickelt waren, sondern sich ganz auf ein paar Individuen konzentriert, von denen im Grunde keiner ein Held ist – die einzige Figur, die dem Begriff etwas näher kommt, ist die von Sgt. Eliah Grodin. Wenn alle Soldaten gewesen wäre wie er, dann hätte das Platoon sich nicht aufgelöst.

Wenn alle sich so vom naiven Mittelstandskind, das schon durch die Dschungelplagen an sich wie Moskitos, Ameisen und immerfeuchtes Wetter entkräftet wirken wie Chris, aus dessen Sicht der Film erzählt wird, entwickelt hätten, nämlich zu Kämpfern, die mutig sind und den Sinn für Gerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren, dann wäre auch dieser Film ein Heldenmärchen geworden. Wir rechnen es „Platoon“ hoch an, dass er nicht suggeriert, der Vietnamkrieg sei gescheitert, weil er in den USA nicht genug forciert worden sei. Dazu äußert er sich gar nicht, sondern schaut sehr genau darauf, was der Krieg mit Menschen macht.

Ein kleiner Klassendünkel ist allerdings nicht zu übersehen. Chris kommt aus der Mittelschicht, wie auch Oliver Stone selbst, der sogar der gehobenen Mittelschicht entstammt – der Vater war Aktienhändler an der Wall Street und wie Chris schmiss Stone die Uni, um nach Vietnam zu gehen. Aber nicht irgendeine Uni, sondern Yale, nach Harward die renommierteste Universität des gesamten Landes und damit der Welt. Stone hat Chris also schon etwas zurückgenommen, um ihn nicht zu autobiografisch wirken zu lassen.

Dennoch erfährt dieser eine gewisse Ablehnung, wird als „fehl am Platz“ bezeichnet, von den überwiegend einfachen Männern, die er im Platoon kennenlernt, was es ihm  neben seiner Stellung als Neuling zusätzlich erschwert, Anerkennung zu finden. Ob Stone sich so bravourös durchgesetzt hat in seiner Einheit wie der junge Chris mit dem in der Tat netten Mittelstandsäußeren, wissen wir nicht, aber falls es nicht so war, hätte er es sicher gerne so gehabt – belegt ist aber, dass er  zwei Tapferkeitsauszeichnungen erhielt.

Die Armee macht nicht alle Menschen gleich und verschmilzt sie nicht zum starken Arm, der den Willen der Nation oder ihrer Politiker auf höchstmöglichem Niveau durchzusetzen bereit und in der Lage ist, zumindest gilt das für die Mischung aus Wehrdienst- und Freiwilligenverbänden, die in Vietnam tätig waren. In einer Berufsarmee steht der lange gemeinsame Weg gewiss im Vordergrund und natürlich werden über die Jahre auch Ziele und Vorgehendweisen verinnerlicht und vereinheitlicht.

Oliver Stones Platoon wirkt aber eher wie ein Slum, der direkt aus der Bronx in den vietnamesischen Dschungel verlegt wurde, in dem gesoffen, gekifft und gehurt wird, was das Zeug hält und so, wie die Gelegenheiten sich bieten. Die sozialen Probleme und Mängel der Soldaten lassen sich nicht von ihrer Tätigkeit abspalten und verschwinden nicht mit dem Einsatz im  Krieg. Die meisten haben sich nicht ausgerechnet, in was sie da hinein geraten und entwickeln sich nicht nach klassischem Hollywoodmuster weiter, indem sie sich bewähren und an jeder Herausforderung wachsen. Im Gegenteil, fast alle versagen mehr oder weniger vor dem enormen Druck, unter dem sie stehen. Diejenigen, die sowohl mutig als auch integer sind, müssen zudem damit rechnen, von Kameraden denunziert, mit falschen Aussagen zu Gefechtssituationen konfrontiert, in extremen Fällen sogar umgebracht zu werden, damit Kriegsverbrechen vertuscht werden.

Die soziale Stellungnahme Stones wird für uns dadurch sichtbar, dass der aus intakten Verhältnissen kommende Chris auch im Krieg immer Mensch bleibt und zudem alle Anforderungen erfüllt, die an einen Soldaten in soldatischer Hinsicht gestellt werden. Ob Stone es beabsichtigt hat oder nicht, er vermittelt uns, dass Trash immer Trash bleibt und eine vernünftige soziale Herkunft mit den Werten, die in guten Verhältnissen vermittelt werden, sich in jeder Lebenslage bewährt. Mag Chris auch den Krieg vollkommen unterschätzt haben, er nimmt ihn an und er überlebt ihn. Wir wissen nicht, ob es Untersuchungen dazu gibt, aber es wäre schon interessant zu sehen, ob tatsächlich die wenigen US-Soldaten in Vietnam, die aus der Mitte der Gesellschaft kamen, bei den Überlebensquoten, bei den Auszeichnungen usw. anders abschnitten als die vielen Gis, die aus der Unterschicht stammten.

Es könnte ja auch umgekehrt sein: Im Überlebenskampf des Asphaltdschungels gestählte Typen werden zu Einzelkämpfern, die sich auf alle Arten über Wasser halten und die schon deswegen so gut sind, weil sie nicht viel zu verlieren haben, aber im Überlebensfall Ruhm und Anerkennung ernten könnten, hingegen denken die Menschen, die aus schönen Häusern kommen, nette Freunde und eine Karriere haben könnten möglicherweise hin und wieder daran, was sie wegwerfen, wenn sie im Einsatz gegen die zahllosen Vietcong vor die Hunde gehen und dass dieser Krieg womöglich nicht ihr persönlicher Krieg ist.

Der Hollywoodfilm hat immer sehr dem Underdog gehuldigt und damit zu einer gewissen Verzerrung unserer Realitätswahrnehmung beigetragen und so war es ja auch gedacht. Aber letztlich neigen wir dazu, der Sichtweise zuzustimmen, dass diejenigen, die im allgemeinen Leben gut aufgestellt sind, auch in Extremsituationen vergleichsweise gut zurechtkommen sollten – einfach, weil sie physisch intakt sind, genug Angst haben, um vorsichtig zu sein und nicht blindlings ins Verderben zu rennen und rational genug agieren können, um Risiken abzuwägen. Ein persönliches Benefit ist eine gute Herkunft nicht, aber ein Startvorteil ist sie überall, wo man hinkommt. Diese Sicht hat ihre Ecken und Kanten, das wissen wir, aber wir gehen nicht von Spartanern aus, die sozusagen für den Krieg geboren wurden, sondern von Menschen, die eines Tages mit der Entscheidung konfrontiert sind, an einem solchen teilzunehmen, obwohl die Lebensplanung es ursprünglich nicht vorgesehen hat.

Sie werden in etwas hineingestoßen, von dem zum damaligen Zeitpunkt (ca. 1967) noch kaum Rückkehr berichten konnten – in ein Chaos, das mit den bisherigen Kriegseinsätzen von Amerikanern nicht vergleichbar ist, obwohl es auch im Bürgerkrieg (1861-1865) Schlachten und Gemengelagen gab, in denen man die Orientierung verlieren konnte. Mehr als alle anderen Vietnamfilme, die wir bisher gesehen haben, macht Oliver Stone dieses Chaos zum Filmstil, indem er uns die Sicht von oben aufs Geschehen verweigert, sondern uns sozusagen von einem Kampfplatz, von einer Stellung, einem Gebüsch zum nächsten mitschleppt, immer auf den Spuren seines Progatonisten und, sagen wir’s ruhig: alter egos – Chris.

Ein sehr dichter Stil ist ja eines von Stones Markenzeichen, auch in „JFK“ hatten wir nicht selten den Eindruck, dass uns der Kompass abhanden gekommen ist, der uns sicher durch die  Handlung führt, wir haben den collagenhaften Eindruck des Films als Absicht ausgelegt und uns dahingehend geäußert, dass Stone uns zeigen wollte, wie verwirrend alle Fakten, Gerüchte, Hintergründe zum Kennedy-Mord sind, wie aus Wahrnehmung, Meinung und Realitätsschnipseln etwas entsteht, das sich immer mehr verdichtet, aber nie wie ein vollständiges Puzzle zusammenfügen lässt. So, wie der Staatsanwalt in JFK sich durch diese Angelegenheit durchwühlt, wühlt sich Chris – auf wesentlich physischere Art – durch den Dreck in Vietnam, und das kann man wörtlich nehmen, selten sind Soldaten so verschmutzt und besudelt gezeigt worden wie in diesem Film, selten war es weniger erstrebenswert, einer von ihnen zu sein.

Zur klaustrophobischen Stimmung, die alle Reaktionen und Gegenreaktionen verständlich macht, auch die Gewalt der US-Soldaten gegeneinander, auch deren Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung, trägt bei, dass der Gegner genau so ist, wie ihn wohl viele Soldaten wahrgenommen haben: schemenhaft. Er hinterlässt spuren, sogar Skizzen von Angriffsplänen, aber er selbst zeigt sich immer nur ganz kurz und mehr durch Feuerstöße und Granaten als mit identifizierbaren Gesichtern. Er ist wirklich eine Art gelbe Gefahr, die in keiner Hinsicht politisch oder moralisch in einen Kontext gestellt wird, denn darum geht es im Dschungel nicht, wer für welches Prinzip steht. Mag Chris auch aus politischen Erwägungen Soldat geworden sein – selbst das erfahren wir nicht genau – es marginalisiert sich alles im Feuer aus Maschinengewehren und aus dem Hinterhalt.

Finale

Wer sich eine Vorstellung von den Gefühlen im Krieg machen will, der ist mit „Platoon“ sicher deshalb gut bedient, weil immer mehr heutige Kriege dem Krieg in Vietnam ähneln. Keine großen Materialeinheiten mehr, die auf ein fest definiertes Ziel vorrücken, auch wenn der Zweite Golfkrieg im flachen Wüstenterrain noch einmal etwas anderes suggeriert hat – bis er in die Städte kam. Der Dschungel kann überall sein, wo irgendwer auf der Lauer liegt und wartet, bis der Feind sich zeigt. Häuserkampf, Partisanenkampf, kleinteiliges, unübersichtliches Gemetzel, Bombenanschläge, die niemand vorhersehen kann und denen man ebenso machtlos ausgeliefert sein kann wie der Dschungelguerilla des Vietkong, das ist oder wäre das, was man heute als Kriegsteilnehmer zu erwarten hätte.

Deswegen ist die Idee, dass Krieg sei und niemand hinginge, denn wozu bloß, da es nichts zu gewinnen gibt, was man anders nicht leichter haben könnte, nämlich mit Glück das eigene Leben, ist diese Idee großartig. Damit sie sich durchsetzt, müsste sie allerdings von allen Seiten beherzigt werden, dann würde die Lobby, die mit dem Krieg ihr Geschäft betreibt, auf dem Trockenen sitzen. Solange diese Lobby aber immer wieder willige Opfer findet und Fanatiker, die alles für bare Münze nehmen, was ihnen erzählt wird, besteht keine Aussicht auf Frieden, da können Kriegsfilme Bilder zeigen wie „Platoon“ – wer von abstrusen Märtyrergedanken oder sonstigen abstrakten Ideen geleitet und damit zum willigen Werkzeug des Todes wird, den wird nichts abschrecken.

Aber die etwas Nachdenklicheren können aus einem solchen Film viel Gewinn ziehen.

Oliver Stone hat alles weggelassen, was uns ablenken könnte von dem täglichen Überlebenskampf im Dschungel, daher ist dieser Film, wenn man so will, gut geeignet, eine induktive Vorgehensweise zu ermöglichen: Man schaue sich zuerst ihn an, bevor man sich mit Kino beschäftigt, das mehr in Zusammenhänge stellt oder Zusammenhänge suggeriert und überlege sich, wie all diese Prämissen zu bewerten sind, wenn das Ergebnis für den einfachen Soldaten, wenn der Alltag des Tötens und getötet Werdens so aussieht wie in „Platoon“.

Nachwort anlässlich der Veröffentlichung 2024

Den Entwurf  zu dieser Rezension haben wir im September 2014 verfasst, das ist fast 10 Jahre her und wir haben sie weitgehend unverändert publiziert. Dass gerade in Europa oder an dessen Rand wieder ein Krieg geführt wird, der sogar an den Ersten Welktkrieg erinnert, dass im Nahen Osten ein asymmetrischer Krieg geführt wird, dass man mehr Angst haben muss als seit Jahrzehnten, dass ein Pulverfass wirklich explodieren könnte, das ist angesichts der in ehrlicheren Vietnamkriegsfilmen gezeigten Grausamkeiten und tausendfachen Tode in allen Filmen, die den Krieg realistisch darstellen, im Grunde unverständlich. Die Rezensionsvorlage entstand während der Ära Barack Obama.

Damals lief gerade der Syrienkrieg, den wir relativ wenig kommentiert hatten, auch sie war also nicht unproblematisch. Aber für uns hier nicht so bedrohllich. Wir haben diesen Krieg vor allem gespürt, als die Geflüchteten kamen. Jetzt wird jeden Tag wieder von Kriegen berichtet und wir glauben nicht mehr daran, dass die Menschheit lernfähig ist. Wir können nur hoffen, dass wir noch unser Leben in Ruhe zu Ende leben können. Das ist nicht so sicher, und es muss kein Krieg sein. Auch die Gesellschaften des Westens brutalisieren sich und die USA sind ganz vorne dabei, wieder mal. Deutschland zieht nach, wie immer. Es wird unsozialer und gefährlicher.

Wir rezensieren weiterhin Filme, aber der Ton hat sich möglicherweise ein wenig gewandelt, ist noch einmal erheblich pessimistischer geworden, denn wir sehen mittlerweile fast in jedem Kinostück, in dem Gewalt vorkommt, eine Schau menschlicher Unzulänglichkeit. Eigentlich dürften wir nur noch Schönwetterfilme anschauen. Aber es gibt kaum noch schönes Wetter und wir wollen ja nicht den Blick für die Realität ganz verlieren.

Und wir würdigen Filmemacher wie Oliver Stone, die etwas auszusagen haben, das von faschistoiden Superheldenfilmen längst marginalisiert wurde, von denen Rambo einer der ersten war. Es ist nicht unlogisch, dass die Tendenz zur Infantilisierung des Kinos gerade mit einem populären Machwerk über Vietnam weiter vorangebracht wurde (angefangen hatte sie  im Sinne eines Großangriffs auf das kritische Kino von „New Hollywood“ im Grunde 1977 mit „Star Wars“, auch wenn dieser wesentlich sympathischer gemacht ist). 

Der vierfacher Oscargewinner ist sowohl ein Publikums- wie ein Kritikerfilm, der Metascore liegt bei 92/100, bei Rotten Tomatoes kommt der Film auf 81/100, ebenso lautet die Nutzerbewertung auf IMDb (8,1/10), was ihn weiterhin in den Top 250 hält (Platz 219, Stand Mai 2024). Derzeit lässt sich die Platzierungs-Entwicklungslinie von Filmen nicht aufrufen, aber es wirkt, als könnte er bald  herausfallen. Damit wäre wieder ein wichtiger und dem Realismus doch auf eine Weise verpflichteter Film nicht mehr auf der Liste, während sich pseudophilosophische und letztlich dumme Märchen und Übermenschenmovies weiter ausbreiten. 

86/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Oliver Stone
Drehbuch Oliver Stone
Produktion Arnold Kopelson,
John Daly
Musik Georges Delerue,
Samuel Barber u. a.
Kamera Robert Richardson
Schnitt Claire Simpson
Besetzung

 


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