Wie die Trump-Regierung Wissensinstitutionen angreift (#Verfassungsblog)

Briefing Geopolitik USA, Trump, Verfassung, Constitution, Wissensinstitutionen, Universitäten, Regierungsbehörden, Autokratie, Totalitarismus | 2.400 Wörter, 13 Minuten Lesezeit

Samstag = Tag des Rechts. So ist das bei uns. Nicht, dass wir an den übrigen sechs Tagen dem Recht gegenüber gleichgültig wären, aber an diesem Tag nehmen wir uns häufiger die Zeit, ein wenig tiefer einzusteigen. Was wir auch heute nicht können: Alle verlinkten Artikel lesen, die den Beitrag des Verfassungsblogs ziemlich groß werden lassen, den wir im Nachfolgenden wiedergeben.

Vorgesehen war das nicht, wir wollten ihn eigentlich nur im #Politicker kurz zusammenfassen – wir meinen aber nach der Lektüre, er ist fundamental für das Verständnis dessen, was in den USA vor sich geht.  Unterhalb des heutigen Artikels finden Sie wieder unsere Liste, die alle Verfassungsblog-Beiträge mit Auslandsbezug enthält, die wir bisher besprochen haben.

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Wie die Trump-Regierung Wissensinstitutionen angreift, von Vicki C. Jackson 

 

Innerhalb von nur zwei Märztagen titelten die Washington Post und die New York Times, dass (1) Präsident Trump die Schließung des Bildungsministeriums angeordnet hat, (2) die Regierung gegen Anwält*innen vorgeht, die sie verklagen, und (3) ein Gericht vorläufig die Abschiebung eines Forschers der Georgetown University gestoppt hat. Was haben diese Ereignisse gemeinsam? Sie sind Teil eines breitgefächerten Angriffs auf Institutionen des Wissens und des Rechts – ein Angriff, bei dem Wissens- und Pressefreiheit und die Rule of Law insgesamt keine Rolle mehr spielen.

Warum Demokratien Wissenschaftsinstitutionen brauchen

Demokratische Verfassungsstaaten sind auf Wissensinstitutionen angewiesen. Hierzu gehören etwa Universitäten, eine der Wahrheit verpflichtete Presse oder wissenschaftliche Einrichtungen und Behörden, die Daten sammeln und auswerten. All diese Institutionen eint, dass sie Wahrheit ermitteln oder jedenfalls die Welt besser verständlich machen, indem sie wissenschaftliche Standards nach objektiven Kriterien anwenden. Ohne einen offenen wissensbasierten Austausch verliert die demokratisch legitimierende Rolle von öffentlicher Teilhabe durch Wahlen und politische Prozesse an Bedeutung. Wahlen spiegeln das öffentliche Meinungsbild zunehmen schlechter wider; schlechte Politik, korrupte und missbräuchliche Regierungsführung lassen sich zunehmend schwerer kontrollieren. Eine verfasste Demokratie lebt von Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz gleicher Freiheit – dazu aber muss die Öffentlichkeit wissen, welche Rechte sie hat, wie sie diese schützen kann und wie gut das Rechtssystem funktioniert. Wer seine Rechte wahrnimmt, egal ob individuell oder durch Organisationen, muss informiert entscheiden können.

Es sind Institutionen, unter deren Dächern ein Großteil unseres Wissens produziert wird. Wie ich anderswo gezeigt habe (z. B. hier und hier), helfen uns Institutionen dabei, die unzähligen Wahrheitsansprüche zu prüfen, mit denen wir jeden Tag konfrontiert sind. Zugleich schützen diese Institutionen auf vielfältige Weise die Rechte ihrer Mitglieder. Doch Wissensinstitutionen können Wissen weder produzieren noch verifizieren, wenn sie fürchten müssen, dafür von der Regierung bestraft zu werden. Dann meiden sie Themen oder Einschätzungen, die der Regierung missfallen könnten. Wie Steven Levitsky treffend formuliert:

„Wenn zentrale gesellschaftliche Akteure – seien es Universitätspräsidenten, Medienhäuser, CEOs, Bürgermeister oder Gouverneure – ihr Verhalten ändern, um den Zorn der Regierung zu vermeiden, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir die Grenze zu einer Form des Autoritarismus überschritten haben.“

Um jene Art von Institution sein zu können, auf die gesunde Demokratien angewiesen sind, müssen Wissensinstitutionen unabhängig und transparent nach ihren eigenrationalen Kriterien arbeiten können. Werden sie unter Druck gesetzt, bringt das nicht nur ihre eigenen Mitglieder zum Schweigen, auch andere Teile der Gesellschaft schrecken davor zurück, öffentlich Kritik an der Regierung zu üben. Flankiert werden solche Angriffe auf Wissensinstitutionen häufig von Angriffen auf unliebsame Minderheiten (etwa demonstrierende Student*innen aus dem Ausland) sowie anderen Übergriffen auf den demokratischen Verfassungsstaat. Genau das passiert gerade in den Vereinigten Staaten, und es betrifft zahlreiche unterschiedliche Wissensinstitutionen.

Die Presse

Seit Trump 2017 die Presse (frei nach Stalin) als „Feind des amerikanischen Volkes“ bezeichnete, versucht er, sie mundtot zu machen und einzuschüchtern. Hier nur einige Beispiele:

Universitäten

Die Trump-Regierung geht gegen zentrale Säulen der Wissenschaftsfreiheit vor, insbesondere gegen das Recht, unterschiedliche Gleichheitsverständnisse zu lehren und zu erforschen sowie darüber zu entscheiden, wie sich trotz Meinungsverschiedenheiten eine sichere gemeinsame Lernumgebung für alle Studierenden wahren lässt. Die Regierung versucht, „Diversity“, „Equity“ und „Inclusion“ (DEI) aus dem akademischen Diskurs zu entfernen; Berichten zufolge laufen deshalb bereits Untersuchungen gegen mindestens 60 Universitäten. Zudem hat die Regierung bedeutenden Universitäten damit gedroht, ihnen die finanziellen Mittel zu entziehen (und dies in einigen Fällen bereits getan), um andere Institutionen einzuschüchtern, damit sie den offiziellen Positionen der Regierung zustimmen (z.B. in Bezug auf DEI-Fragen, studentische Proteste, Antisemitismus usw.) – ein wohl verfassungswidriger Versuch, mit staatlichen Programmen die Regierungslinie durchzusetzen. Laut Berichten  hat die Regierung sogar mit Sanktionen gedroht, sollten Mitglieder der betroffenen Institutionen mit der Presse sprechen.

Außerdem hat die Regierung:

Wenn altbewährte Policies der Bundesebene ohne öffentliche Beteiligung drastisch geändert werden, dann widerspricht das derjenigen institutionellen Zurückhaltung, die alle staatlichen Organe in einer Demokratie walten lassen sollten, wenn es um grundrechtsrelevante Maßnahmen geht. So hob die Regierung etwa die Executive Order von 1965 auf, die Bundesbehörden zur Förderung der Chancengleichheit verpflichtet, und forderte das Ende der DEI-Programme; sie wich vom jahrzehntelangen parteiübergreifenden Konsens ab, demzufolge die Regierung wissenschaftliche Forschung zwar finanzieren, nicht aber mit inhaltlichen Vorgaben gestalten sollte; und sie stellte Finanzmittel unangekündigt ein.

Die Verwirrung, die unterschiedliche Äußerungen der Regierung stiften, kann ihrerseits zu einem chilling effect in der Wissenschaft führen. Ein Beispiel: Erst verbietet eine Anordnung die Förderung von DEI-Maßnahmen, lässt es den Lehrkräften jedoch unbenommen, DEI-Positionen im allgemeinen Wissenschaftsdiskurs zu vertreten oder zu befürworten. Drei Wochen später gab das Bildungsministerium jedoch eine Richtlinie zu den Antidiskriminierungspflichten von mit Bundesmitteln finanzierten Hochschulen heraus und behauptete, diese hätten „Studierende mit der falschen Behauptung toxisch indoktriniert, dass die Vereinigten Staaten auf ‚systemischem und strukturellem Rassismus‘ gegründet sind“, und sie würden auf gefährliche Weise vermitteln, dass bestimmte ethnische Gruppen besondere moralische Verpflichtungen hätten (siehe oben). Kurz darauf legte ein Dokument zu häufig gestellten Fragen nahe, dass Lehrinhalte ein „rassistisch feindseliges Umfeld“ schaffen könnten (unter Verletzung von Titel VI), abhängig von den „Fakten und Umständen“ des Einzelfalls. Ist es erlaubt zu lehren, dass Mehrheitsgruppen verpflichtet sind, vergangenes Unrecht gegenüber Minderheiten wiedergutzumachen? Lehrkräfte, aufgepasst.

Wissensbehörden

Eine moderne Regierung braucht ein unabhängiges, qualifiziertes Beamtentum – nicht zuletzt, um verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung zu gewährleisten. Um eine kohärente, evidenzbasierte Regierungsführung zu sichern, sollten zentrale wissenschaftliche und presseethische Prinzipien auch in den Verwaltungsbehörden gelten, die für wissenschaftliche Bewertung, Datenerhebung oder Berichterstattung zuständig sind. Zu diesen Prinzipien gehört insbesondere das unabhängige Streben nach Wahrheit durch die Anwendung fachlicher Standards, die korrigierbar sind. Doch die Trump-Regierung scheint die Voraussetzungen einer konsistenten wissensbasierten Gesetzesverwaltung zerstören zu wollen. Indem sie Loyalität über Kompetenz stellt, untergräbt sie die Voraussetzungen für eine verlässliche Erfüllung derjenigen Aufgaben, die ihr Kongress und Verfassung zuweisen:

Die Rolle des Rechts

Wissensinstitutionen sind voneinander abhängig: Wissenschaft und Medien brauchen Regierungsdaten; Regierungsbehörden sind wiederum darauf angewiesen, dass Medien über Missstände aufklären und Universitäten langfristige Effekte untersuchen, damit sie auf dieser Grundlage Regulierungsmaßnahmen treffen können. Doch die gesamte Wissensinfrastruktur der USA ist akut bedroht.

Die Wucht dieser Angriffe verstärkt sich durch die parallelen Angriffe auf das Recht.

Die Trump-Administration hat große Anwaltskanzleien sanktioniert oder bedroht – im Wesentlichen, weil sie Personen vertreten oder angestellt haben, die Trump als Gegner wahrnimmt. Soweit ersichtlich, wurde der Entzug von Sicherheitsfreigaben für diese Anwält*innen auch nicht mit tatsächlichen Bedrohungen der nationalen Sicherheit oder anderen rechtlich vertretbaren Gründen gerechtfertigt.

Ein weiteres Beispiel: Die US-Staatsanwaltschaft in Washington, D.C., hat angekündigt, Absolvent*innen der Georgetown Law School nicht mehr als Bundesbeamte in Betracht zu ziehen – als Reaktion darauf, dass sich Georgetown weiterhin zu DEI bekennt. All das geschah ohne Anhörung oder Gerichtsbeschluss – und ohne neue gesetzliche oder sonst ordnungsgemäß erlassene regulatorische Grundlage. Das kann Anwält*innen abschrecken, Personen zu vertreten, die die Trump-Administration als Gegnerinnen ansieht.

Regierungsmitglieder und ihre Unterstützer*innen haben auch Richter*innen bedroht – etwa damit, gerichtliche Anordnungen zu missachten und sie ihres Amtes zu entheben. Das provozierte eine bemerkenswerte öffentliche Reaktion des Vorsitzenden Richters des US Supreme Court. Solche Angriffe erfordern entschlossenen Widerstand, wie ihn unter anderem die American Bar Association bereits geleistet hat.

Als 2007 unter der Bush-Regierung Anwaltskanzleien bedroht wurden, die Guantanamo-Häftlinge vertraten, gab es einen öffentlichen Aufschrei und die Bush-Administration distanzierte sich von diesen Drohungen. So sieht ein richtiges verfassungsrechtliches Verständnis der anwaltlichen Rolle aus. Heute jedoch wird die Stille immer lauter und Widerstand bleibt weitgehend aus – mit wenigen Ausnahmen, darunter Erklärungen der American Bar Association, des Präsidenten der Princeton University und des Dekans der Georgetown Law School als die Regierung ankündigte, Georgetown Alumni nicht mehr anstellen zu wollen.

Ein zentrales ethisches Prinzip der Anwaltschaft ist es, auch unpopuläre Mandant*innen zu vertreten – davon hängt das gesamte kontradiktorische Rechtssystem ab. Es ist ein Kernelement der Demokratie, dass Wahlsieger die Verlierer nicht allein deshalb verfolgen, weil diese opponiert haben; andernfalls werden Wahlniederlagen risikoreicher – was wiederum zur Erosion demokratischer Prozesse beitragen kann (weil Amtsinhaber*innen eine faire Wahl und den möglichen Machtverlust dann lieber vermeiden wollen). Gleichzeitig schwächt es wichtige rechtsstaatliche Sicherungen, wenn Amtsträger*innen weitgehende Immunität von strafrechtlicher Verfolgung eingeräumt wird; Wissens- und Rechtsinstitutionen spielen hier eine entscheidende Rolle, ein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, das politische Strafverfolgung verhindert, ohne zugleich die Sicherungen außer Kraft zu setzen.

Die Rule of Law verlangt jedoch nicht nur rechtliche Klarheit und Transparenz, sondern auch Stabilität. Die Trump-Regierung hat jedoch gezeigt, dass ihr diese Stabilität egal ist: von der Auflösung ganzer, vom Kongress finanzierter Bundesbehörden bis hin zur Bestrafung von Universitäten und Arbeitgebern für DEI-Programme oder Forschung, die von früheren Regierungen gefördert wurde. Große politische Umbrüche mit weitreichenden Folgen sollten in angemessenen rechtlichen Verfahren beschlossen werden – nicht per Exekutivbefehl.

Zeit für Mut – und Widerstand

Bislang kam die einzig nennenswerte Gegenwehr von Bundesgerichten, die ihre Unabhängigkeit in mutigen Entscheidungen verteidigen. Salman Rushdie soll 2008 gesagt haben:

Zwei Dinge bilden das Fundament jeder offenen Gesellschaft: Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Gibt es diese Dinge nicht, gibt es kein freies Land.

Jetzt ist die Zeit für Mut gekommen – Jurist*innen, Wissens- und Rechtsinstitutionen müssen sich entschieden und wiederholt widersetzen. Denn der Schutz der für unser Wissen relevanten Freiheiten und der Rule of Law betrifft uns alle. Langfristig müssen sich diese Institutionen schließlich fragen, wie sie das öffentliche Vertrauen in ihre Verfahren stärken können, um gegen zukünftige Angriffe besser gewappnet zu sein.

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Wir hatten uns einmal vorgenommen, auch die Vorgänge in anderen Ländern außerhalb des eigenen mehr anhand von Artikeln des Verfassungsblogs zu beleuchten und zu kommentieren, aber was in den USA vor sich geht, bindet im Moment auch unsere Kräfte weit überwiegend. Dabei gäbe es so vieles  zu besprechen, denn im Windschatten von Trumps Treiben segeln einige andere wunderbar in Richtung „wir machen uns unser eigenes Recht“, ohne dass es größere Reaktionen hervorruft, weil sich eben alle mit Trump & Co. befassen. Hier unsere Liste mit allen Artikeln des Verfassungsblogs, die wir bisher besprochen haben und die einen Auslandsbezug aufweisen:


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