Filmfest 1350 Cinema
Sommerstürme (Originaltitel Summer Storm) ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahre 1944 von Douglas Sirk mit George Sanders und Linda Darnell in den Hauptrollen. Der Geschichte liegt der Roman Ein Drama auf der Jagd (1884) von Anton Tschechow zugrunde.
Dieser Film war zweifellos einer der Auslöser meiner Kinoleidenschaft. Wie es dazu kam, kann nachgelesen werden, wenn man der (1) am Ende der Rezension nachgeht, denn ich will hier niemanden langweilen, der nur über „Sommersturm“ lesen möchte.
Handlung (1)
Nach der russischen Revolution besucht Graf Wolski Nadena Kalenina, die Herausgeberin eines Buchverlags, mit einem Manuskript, das sein Freund und Nadenas ehemaliger Verlobter, Richter Fedor Petroff, geschrieben hat.
Nadena liest die Geschichte, die damit beginnt, ihre eigene Romanze mit Fedor zu erzählen. Dann trifft Fedor in einem Gartenhaus, in das er zusammen mit Wolski nach einem Spaziergang vor einem Sommersturm geflohen ist, auf die dort schlafende Olga. Sie will in das Gewitter hinaus fliehen, als sie aufwacht und die Männer bemerkt, doch diese halten sie zurück.
Trotz der Verlobung mit Nadena und dem Glauben, in sie verliebt zu sein, entwickelt Fedor eine Leidenschaft für Olga, die Tochter eines trunksüchtigen Bauern, der auf dem Wolski-Anwesen lebt und die sich in Petroff ebenfalls verliebt. Jedoch, verzweifelt nach finanzieller Sicherheit suchend, heiratet sie widerwillig Urbenin, Volksys Hausdiener und Buchhalter. Dieser ist viel älter als sie und wenig attraktiv.
An Olgas Hochzeitstag geben sie und Fedor ihrer gegenseitigen Anziehung mit einem Kuss nach, was von Nadena beobachtet wird. Nadena beendet ihre Verlobung mit Fedor und verzeiht ihm in Trauer. Olga ist begierig darauf, mit Fedor nach Amerika zu fliehen, aber dazu kann er sich nicht entschließen.
Olga beginnt kurz darauf eine Affäre mit Graf Wolski selbst und willigt ein, sich von Urbenin scheiden zu lassen und Wolski zu heiraten. Fedor entdeckt dies und wird vor Eifersucht wütend. Er konfrontiert Olga, aber sie besteht darauf, dass nichts zwischen ihnen sich ändern muss – sie kann Wolski heiraten, aber ihre Affäre mit Fedor fortsetzen.
Wütend über den Einfluss, den sie auf ihn hat, ermordet Fedor Olga. Fedor befragt Olga, während sie im Sterben liegt und da auch ein Staatsanwalt anwesend ist, muss er darauf insistieren, dass sie den Namen das Angreifers benennen. Dochr Olga beruhigt Fedor heimlich, dass sie ihm vergeben hat und ihn immer noch liebt. Als sie stirbt, sieht Olga die „himmlische Elektrizität“ oder den Blitz – ein Blitz tötete einst in einem Sommersturm ihre Mutter. Urbenin wird wegen des Mordes verhaftet und für schuldig befunden und in Sibirien zu Sklavenarbeit verurteilt, weil eine Augenzeugin, die nur die Hände des Mörders gesehen hat, falsch aussagt, weil auch sie in Fedor verliebt ist.
Zurück ins Jahr 1919. Nadena ist schockiert über das, was sie gelesen hat und plant, das Geständnis an die Polizei zu senden. Fedor entdeckt, dass Nadena das Manuskript gelesen hat und eilt in ihr Büro. Nadena gibt zu, dass sie sich nicht dazu bringen konnte, das Manuskript zu schicken, und gab zu, dass sie immer noch Gefühle für Fedor habe und wolle, dass er das Richtige tut und sich selbst bekennen würde. Fedor schiebt das Manuskript in einen Postkasten, bedauert aber sofort seine Entscheidung und greift einen Postboten an, um seine Geschichte zurückzubekommen. Die Polizei wird gerufen und sie erschießen Fedor. Als er stirbt, behauptet er, die „himmlische Elektrizität“ zu sehen. (Wikipedia USA, stellenweise ergänzt oder geändert.)
Rezension
Als ich dieses Werk zum ersten Mal gesehen hatte, hätte ich noch gar keine Rezension schreiben können und sicher hätte sie nicht so angefangen: Nachdem Detlef Sierck in die USA emigriert war, wie fast alle namhaften deutschen Filmkünstler zu dem Zeitpunkt, kurz vor dem Ende der NS-Herrschaft, machte er zunächst einen harten Film über Reinhard Heydrich, der gerade erschossen worden war und der Film hieß „Hitler’s Hangman“. Das war 1943.
Ein Jahr später entstand als zweites Werk von Sierck, der sich zuvor in Douglas Sirk umbenannt hatte, „Sommersturm“. Die Russen kommen da, abgesehen von ihrer allgegenwärtigen Trunksucht, die aber nur Männer umfasst, recht gut weg. Eine gewisse Sympathie dafür, dass es 1917 eine Revolution gab, die alte Nichtsnutze wie den Grafen Wolski von ihrem überflüssigen materiellen Reichtum befreite, die kann man mitnehmen, wenn Nadena sagt, Wolski stünde für alles, was an Russland falsch sei – im Jahr 1912. 1919 hingegen ist sie schon eine werktätige Frau und sogar in einer Führungsposition. In einer ererbten Position, so viel Kapitalismus ist nötig, die sie aber gewiss gut ausfüllt.
Mit „Sommersturm“ hat Sierck nach dem Henker Hitlers wieder zu seiner Spezialität zurückgefunden, dicht erzählten Melodramen. Ich war hin und weg, beim ersten Anschauen. Diese Olga, dieser schwarze Teufel, der, wenn man den Film aus der Perspektive eines Erwachsenen und Kino-Erfahrenen betrachtet, ja auch nur ein armer Mensch ist, der in einer Welt groß wurde, in der Glück und Geld miteinander verwechselt werden. Das lässt sich auch leicht sagen, wenn man nie Not gelitten hat und vielleicht auch nicht so schön ist, dass man durch seine Optik die Vertreter des anderen Geschlechts / der anderen Geschlechter reihenweise zum Dahinschmelzen bringt, und das kann man bei Linda Darnell noch heute nachvollziehen, dass sie eine femme fatale darstellen könnte, im Russland jener schwülen Jahre vor der Revolution. Und in jedem anderen Land zu jeder Zeit.
Erstmalig verfilmte Sirk in den USA ein Stück von Anton Tschechow und die Kritiker bescheinigten ihm, dass er einiges getan habe, um den Film nicht in eine typische sülzige Soap abgleiten zu lassen und zudem die russische Atmosphäre einigermaßen zu bewahren. Wie man es von Russen erwartet, sind sie alle von Dämonen getrieben – der Trick ist aber lediglich, dass man gewisse Konventionen und Umleitungen, die das Leben im angelsächsischen Raum nur auf den ersten naiven Blick kultivierter und die Leidenschaften vermittelter wirken lassen, einfach knickte. So treffen teilweise geschliffene Dialoge und ziemlich rudimentäre Verhaltensweisen aufeinander und geben dem Film einen Touch, der eine schöne Verknüpfung von seinen deutschen Werken hin zu dem bildet, was Sirk in den 1950ern noch alles an Kleinstadtmelodramen auf die Leinwand bringen würde. Leider noch nicht in einer der großartigen Sirk-und-Universal-Farben, die später eine herrliche Synthese eingingen, sondern in düsterem Schwarz-Weiß. Wenn wir beim Düsteren sind: Auch ohne sehr harte Kontraste im expressionistischen Stil entsteht hier ein reinrassiger Film noir, der nur eben nicht in den USA spielt und kein Gegenwartsfilm ist und daher von einigen wohl nicht als echter Noir gelten dürfte, obwohl er thematisch „kompletter“ ist als viele Werke, die dem Subgenre zugerechnet werden, aber die sogar ein Happy End haben oder von der Perspektive her schlicht Krimis bzw. Polizeifilme sind. Die amerikanischen Films noirs aber legen die Ähnlichkeiten zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft offen: Die Reihe der Antihelden in diesen Filmen lässt sich gut durch Fedor erweitern, auch wenn diese fast immer Amerikaner sind, manchmal mit einer dezidierten europäischen Herkunft.
Nachtrag anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Im Rahmen unserer aktuelleren Noir-Sichtung können wir beifügen, dass „Summer Storm“ viel eher ein Noir ist als manches, was heutzutage darunter subsumiert wird. In einer Tabelle, in der wir alle Krimis nach vier Kategorien ordnen sollten, würden wir diesen mit „eher ja“ bewerten, wenn es um die Eingliederung in den Noir-Kosmos geht. Nur die Anlage als „Period Picture“ steht dagegen.
Ansonsten ist alles da. Jeder geht fehl, Protagonist und Femme fatale sterben. Und das liegt in ihren Charakteren begründet. Fedor ist eben auch noch ein Mann, welcher das Pech hatte, in der Zeit gezeugt worden und aufgewachsen zu sein, in welcher noch nicht sehr hart am neuen sozialistischen, also viel charakterstärkeren Menschen gearbeitet wurde. Die Vollendung ist mittlerweile im postsozialistischen Zeitalter in der Person von Wladimir Putin eingetreten. Aber die Russen von 1912, die waren keine Asketen und irgendwie ziemlich liederlich, wenn man von Nadena absieht, welche die Aufgabe hat, dem Zuschauer eine moralische Stütze anzubieten, in diesem Morast von Begehren und Eifersucht. Es gibt also nicht, wie ich das schon gelesen habe, gar keine Identifikationsfigur, aber sie ist leider nicht die mit der meisten Spielzeit und auch nicht die faszinierendste. Ich fand Olga und Fedor gleichermaßen interessant – sie nicht ganz unnachvollziehbar böse und er nicht ganz unnachvollziehbar schwach.
Da wir ja leider überwiegend noch die üblichen Menschen sind und keine ganz neuen, erkennen wir, abzüglich der dramatischen Überhöhung, vielleicht das eine oder andere, was uns selbst begegnet oder widerfahren ist. Dem Muster des Film noir entsprechen weitere Elemente: Der zeitweilige Narrator und die Zeitkonstruktion, die von einem Brief oder einem Schriftstück aus in die Vergangenheit weist und reist. In „Double Indemnity“ aus demselben Jahr von Billy Wilder war es schon ein Diktiergerät, aber ebenfalls die Beichte eines Mannes, der wegen einer Femme fatale eines Verbrechens schuldig geworden war. Dass gleich das düstere Objekt der Begierde selbst um die Ecke gebracht wird, erinnert wiederum an den besonders schwarzen Proto-Noir „Bestie Mensch“ von Jean Renoir. Ahnung des Schicksals gibt es ebenfalls, denn der Sturm bricht los oder ist im Gang, als Fedor und Olga aufeinander treffen. Mich wundert geradezu, dass es nicht während der Mordszene auch gewittert hat. George Sanders, dessen tiefe, sonore Stimme für einen Russen passend wirkt, war nie darauf angewiesen, den Sympathen zu spielen, um präsent zu sein, das hat er viele Male in zynischen Nebenrollen bewiesen und es macht seinen Fedor hier, wo der die Hauptfigur darstellt, besonders ambivalent und damit glaubwürdig.
Die liebenswürdige Nadena hingegen ist noch ein Widerhall der leidenden und Opfer bringenden Frau, des Typs, der ein paar Jahre zuvor Siercks Zusammenarbeit mit Zarah Leander geprägt hatte. Durch „Schlussakkord“, „La Habanera“ und „Zu neuen Ufern“ unter seiner Regie wurde sie der Ufa-Star Nummer Eins. Aber Nadena ist nicht die Hauptfigur und sie emanzipiert sich, indem sie die Verlobung löst.
Finale
So sehr bin ich wohl gar nicht von dem beeinflusst, was unter (1) nachzulesen sein wird, weil der Film sich doch jetzt, nach so vielen Jahren, anders angefühlt hat, ich hatte sogar einzelne Szenen ganz anders im Kopf, woran man sieht, wie die Erinnerung Dinge auf ihre eigene Art interpretiert. Möglich auch, dass die deutsche Version ein wenig gekürzt war, dieses Mal habe ich mir das Original angeschaut. „Sommersturm“ ist immer noch ein wuchtiges Melodram, aber Sirk vermeidet es in der Tat, es sentimental wirken zu lassen. Das Verhalten der Figuren ist sogar eher literarisch, gemäß der Vorlage von Tschechow, es gibt also eine Differenziertheit zu bestaunen, die vielleicht damals im Film noir gerade en Vogue war, aber nicht im Melodram, das in jenen Jahren häufig im Dienst der (Heimat-) Front stand. Also ist „Sommersturm“ ein Film noir, um damals etwa 25 Jahre zurück und nach Russland verlegt, nicht in erster Linie ein Melodram. Hier haben, wie bei russischen Vorlagen üblich, wenn die Wurzeln der Handlung vor dem Oktober 1917 liegen, die Charaktere ihre eigenen Schwächen auszubaden, und deswegen wird der Film im Verlauf auch zum Krimi.
74/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2018)
| Regie | Douglas Sirk |
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| Drehbuch | Rowland Leigh Douglas Sirk |
| Produktion | Seymour Nebenzahl |
| Musik | Karl Hajos |
| Kamera | Archie Stout Eugen Schüfftan (ungenannt) |
| Schnitt | Jim Connock |
| Besetzung | |
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