Demokratie beginnt bei den Jüngsten –Warum Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe riskant sind (Verfassungsblog + Kommentar)

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Warum Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe riskant sind

Liebe Leser:innen, an fast jedem einzelnen Tag beleidigt und diffamieren Mitglieder der neuen Bundesregierung gesellschaftliche Gruppen, mit dem einzigen Ziel, die Menschen auseinanderzutreiben und dadurch leichter für das Kapital handhabbar zu machen.

Manchmal entgehen uns sogar Angriffe, weil das Einprasseln auf die Kognition und das Gemüt der Rezipienten solcher Botschaften kein Ende nehmen. Diese Art der Flutung-mit-Shit-Rhetorik ist bei den MAGA-Strategen in den USA abgeschaut, inklusive der Faktenverkürzung, -verschlampung und -verdrehung, um nicht ein anderes Wort zu verwenden.

Was tun wir dagegen? Zum Beispiel in dem Duktus wie oben schreiben und dabei gleichzeitig Fakten richtig darstellen. Es geht natürlich auch anders, zumal, wenn wir uns wieder einmal bei einem Wissenschaftsblog umgeschaut haben, wie man es auch anders machen kann – und glücklicherweise etwas davon republizieren darf.

Haben Sie Kinder? Leben Jugendliche in Ihrem Haushalt? Geht es Ihnen und ihnen gut?

Dann ist es gut. Immer mehr Kindern und Jugendlichen in diesem Land geht es aber nicht gut. Und sie können nichts dafür, dass das so ist. Besonders bitter, dass die Merz-Regierung nun auch diese Gruppe angreift, aber auf der schiefen Bahn der moralischen Kehrtwende in Richtung zivilisatorischer Eiszeit gibt es kein Halten.

So ist nun auch die Kinder- und Jugendhilfe, die gesellschaftliche Verschleißerscheinungen so gut wie möglich versucht aufzufangen, damit viele junge Menschen überhaupt noch eine Chance haben, sich in dieser zunehmend feindlichen Welt zurechtzufinden, in den Fokus der Radikalen geraten, die dieses Land gesellschaftlich in den Abgrund führen wollen. Diese Radikalen greifen mit dem Sozialstaatsprinzip auch eines der wenigen unabdingbaren Prinzipien der deutschen Verfassung an, das muss uns allen klar sein. Und zwar von vielen Seiten her. Diese Menschen sind demnach verfassungsfeindlich eingestellt. Sie werden künftig auch versuchen, das Bundesverfassungsgericht unter Druck zu setzen, damit es noch konservativer und einseitiger in der Auslegung dieser Verfassung wird, als es ohnehin ist. Denken Sie daran, wie eine Juristin, die möglicherweise in einzelnen Fragen progressiv war, gnadenlos von diesen Radikalen abgesägt bzw. wie ihre Wahl zur Verfassungsrichterin von ihnen sabotiert wurde.

Nun lesen Sie in einem radikal sachlichen und der Idee der Vernunft und dem Glauben an diese Demokratie treuen Duktus über diesen erneuten Angriff auf die Zukunftsfähigkeit dieses Landes in Form der angeblich zu teuren sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und damit über einen erneuten Angriff auf alle in diesem Land, die auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen sind. Wir kommentieren im Anschluss noch einmal

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Demokratie beginnt bei den Jüngsten

Warum Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe riskant sind

Von Bastian Basse auf Verfassungsblog

Der Bundeskanzler erklärte kürzlich, der Sozialstaat sei in seiner aktuellen Form „nicht mehr finanzierbar“ – doch der Sozialstaat ist keine Kür, sondern gemäß Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Grundlage der demokratischen Verfassungsordnung der Bundesrepublik. Insbesondere die angedeuteten Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe sind rechtsstaatlich riskant, demokratiepolitisch kurzsichtig und haushaltspolitisch nicht angezeigt.

Denn die Angebote tragen entscheidend zum demokratiebewussten und -kompetenten Heranwachsen junger Menschen bei (demokratische Dimension) und können schnell gegensteuern, wenn in frühen Jahren Entwicklungsrisiken sichtbar werden (rechtsstaatliche Dimension). Steigende Kosten erfordern, soweit sie überhaupt zu verzeichnen sind, keine Kürzungen – sie spiegeln primär steigende Bedarfe wider, die präventive Investitionen verlangen (haushaltspolitische Dimension).

Das Recht auf Persönlichkeitsentwicklung

Die Kinder- und Jugendhilfe hat den Auftrag, junge Menschen – und mittelbar deren Personensorgeberechtigte – bei der eigenen Entwicklung hin zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen (§ 1 SGB VIII). Die Angebote des SGB VIII umfassen offene, gemeinwesenorientierte Leistungen und Einzelfallhilfen; alle dienen dem in § 1 SGB VIII genannten Zweck. Damit verwirklicht das SGB VIII das kinderspezifische Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet hat (BVerfG, NJW 1968, S. 2233, S. 2235; zur Diskussion „Kinderrechte ins Grundgesetz“ siehe Donath 2020 und Wapler 2021). Bei der völkerrechtsfreundlichen Auslegung der Grundrechte ist die UN-Kinderrechtskonvention heranzuziehen (BVerfG, Beschluss vom 05. Juli 2013 – 2 BvR 708/12).

Die Verfassung ordnet die Primärzuständigkeit für Pflege und Erziehung der Kinder deren Eltern zu (Art. 6 Abs. 2 GG). Ein Eingriff (Trennung oder Entzug) ist nur zulässig, „wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“ (Art. 6 Abs. 3 GG). Konkretisiert werden diese Vorgaben u.a. in den §§ 27 ff. SGB VIII. Gemäß § 27 Abs. 1 hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Die Erziehungshilfen sind damit im Zusammenspiel mit dem Gesamtauftrag des SGB VIII ein zentraler Beitrag zur reaktiven Fürsorge für Kinder und Jugendliche im Land.

§ 1666, 1666a BGB stellen die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Eingriffe in die Erziehung sicher. Dabei ist der Vorrang milderer Mittel zentral: Die öffentliche Hand ist gehalten, mildere Mittel vorrangig auszuschöpfen und öffentliche Hilfen so zu gestalten, dass Gefährdungen ohne Trennung abgewendet werden können. Pauschale Kürzungen, die die Realisierung dieser milderen Mittel strukturell erschweren, sind somit verfassungsrechtlich riskant.

Das Narrativ der „Kostenexplosion“ in der Kinder- und Jugendhilfe

Was das Sozialstaatsprinzip konkret erfordert, ist schon immer umstritten: Der Staat ist den Bürgerinnen und Bürgern zwar zur Fürsorge verpflichtet – doch wie weit diese Pflicht reicht, bleibt offen. In der Praxis führt dieser unbestimmte Rechtsbegriff regelmäßig zu Verwerfungen (Thiele 20182019). Der Bundestag beschreibt das Sozialstaatsprinzip als Verpflichtung, sich um soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit „kümmern“ zu müssen (Dt. Bundestag); der Gesetzgeber hat es im Sozialgesetzbuch ausgestaltet (dazu sogleich).

Zuletzt kritisierte der Bundeskanzler Friedrich Merz bis zu zehn Prozent Kostenanstieg jährlich, unter anderem in der Kinder- und Jugendhilfe. Dies sei so „nicht länger akzeptabel“ (Bundesregierung 2025, S. 6). Damit stellte er neben der Sozialstaatlichkeit im Allgemeinen die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) im Speziellen infrage. Dieses Kostennarrativ setzt gerade an denjenigen präventiven und reaktiven sozialstaatlichen Maßnahmen an, mit denen der Staat die positive Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen sicherstellen möchte. An dieser Stelle werden entscheidende Weichen für Lebensverläufe gestellt. Zwar erklärte Merz, den Rechten Betroffener Rechnung tragen zu wollen (Bundesregierung 2025, S. 6). Doch dieser Hinweis relativiert nicht, dass die sozialstaatlichen Maßnahmen infrage gestellt werden – eine Kürzung der finanziellen Mittel bleibt implizit.

Merz‘ Äußerungen fallen in eine Zeit, in der Medien immer häufiger über die angespannte Situation insbesondere im Bereich der Hilfen zur Erziehung und in den Jugendämtern berichten (bspw. Tagesschau 2025WDR 2025). Wie den Rechten der Betroffenen entsprochen werden soll, wenn dem jetzt schon angespannten Bereich Mittel entzogen werden sollten, ist kaum nachvollziehbar – zumal Kürzungen in einem personalintensiven Dienstleistungssektor und dessen Verwaltung (TU Dortmund) faktisch Personalabbau bedeuten.

In Bezug auf die Kinder- und Jugendhilfe ist es zunächst korrekt, dass die Ausgaben im Zeitraum 2022 auf 2023 um 9,2 % gestiegen sind (Statistisches Bundesamt), während der Bundeshaushalt um knapp 5 % gesunken ist (Bundesfinanzministerium 2025). Dies ist im Kontext der Nachwirkungen der Coronavirus-Pandemie eine logische Entwicklung. Im langfristigen Mittel liegt der jährliche Zuwachs der absoluten Kosten seit 2015 bei rund 7,2 %. Der letzte deutlich überdurchschnittliche Sprung – knapp 11 % von 2015 auf 2016 – lässt sich durch die sog. Flüchtlingskrise und die damit einhergehende Einreise von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten erklären (Statistisches Bundesamt).

Im internationalen Vergleich der OECD-Länder liegen die Steigerungen der Sozialausgaben Deutschlands insgesamt zwischen 2002 und 2022 auf dem drittletzten Platz. Die Sozialleistungsquote (Summe aller Sozialleistungen in % des BIP) Deutschlands liegt in derselben Vergleichsgruppe im Jahr 2019 im Mittelfeld (Dullien und Rietzler 2024) und ist in den letzten 15 Jahren nicht nennenswert gestiegen (BMAS 2024). Auch wenn der Sprung zwischen den Jahren 2022 und 2023 in den Zahlen von Dullien und Rietzler nicht berücksichtigt ist, wird deutlich, dass sich eine grundsätzliche Unverhältnismäßigkeit der deutschen Sozialausgaben im Verlauf der letzten 23 Jahre nicht validieren lässt. Vielmehr stellen schon seit Jahren die Vereinten Nationen Verbesserungsbedarf bei der finanziellen Absicherung, Bildung und Teilhabe junger Menschen in Deutschland fest (UN 2018, S. 8).

Zusätzlich ist zu bedenken, dass die steigenden Kosten in der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere den Erziehungshilfen, primär mit höheren Fallzahlen zusammenhängen: Der schon im letzten Jahrzehnt zu beobachtende Anstieg der Fallzahlen ist lediglich um die Coronavirus-Pandemie herum zwischenzeitlich stagniert bzw. leicht zusammengebrochen – erklärbar ist dies durch die kontaktvermeidenden Präventivmaßnahmen im Zuge der Pandemiebekämpfung. Zuletzt stieg die Fallzahl der betreuten Menschen 2024 gegenüber dem Vorjahr um 4 % (TU Dortmund). Das zeigt: Immer mehr junge Menschen drohen schon früh Entwicklungsrisiken, die sich potenziell negativ auf die komplette Lebenszeit auswirken können.

Neben den steigenden Fallzahlen treiben auch Kostensteigerungen und Inflation die Kosten in die Höhe. Grundsätzliche Kostensteigerungen sind also erklärbar und deuten mitnichten auf Einsparpotenzial hin. Viel eher müssen sie als Auswirkung und damit als Alarmsignal für steigenden Bedarf gewertet werden

Kürzungen verlagern die Kosten in die Zukunft: Wo frühe, verfahrenssensible Hilfen ausgedünnt werden, steigt erfahrungsgemäß die Komplexität späterer Reaktionen – etwa durch längere, intensivere Hilfeverläufe, Transferleistungen sowie justizielle und gesundheitliche Aufwendungen. Ein Mangel an Bildungs- und Teilhabechancen senkt zudem mittel- bis langfristig das Einkommen und damit die Einkommensteuer. Das erzeugt Opportunitätskosten (NZFH S. 15 f.prognos 2016, S. 102 ff.).

Das Erfahren der rechtsstaatlichen Praxis

Darüber hinaus gibt es auch enorme ideelle Kosten, die den sozialen Rechtsstaat betreffen. Das SGB VIII zur Kinder- und Jugendhilfe operationalisiert den Sozialstaatsauftrag, indem es Leistungen durch faire Verfahren sichert und die persönlichen Rechte (und Pflichten) konkretisiert. Dabei ist die Beteiligung der betroffenen jungen Menschen obligatorisch (§ 8 SGB VIII). Das Hilfeplanverfahren bündelt der organisierte Ablauf von Zielformulierung, Interventionsentscheidung und Zielüberprüfung (§ 36 SGB VIII). Ombudsstellen bieten im Konfliktfall einen unabhängigen Beschwerde- und Korrekturweg (§ 9a SGB VIII). So wird der Sozialstaat justiziabel und erfahrbar – gelingt das Verfahren, erleben die beteiligten Kinder und Jugendlichen Selbstwirksamkeit und Institutionenvertrauen.

Dabei ist die konkrete Erfahrung zentral. Hilfeplanverfahren und daran anschließende Maßnahmen sind nicht nur Verwaltungsakt und Dienstleistung – sondern eine Berührung zwischen Bürgerinnen bzw. Bürgern und Staat in einer ausgesprochen vulnerablen Abhängigkeitssituation: Für junge Menschen geht es um die eigene höchstpersönliche Entwicklung, für Personensorgeberechtigte steht schnell das Gefühl im Raum, versagt zu haben. Außerdem wirkt sich das Verfahren auf weitere Familienangehörige und Freundeskreise aus.

So intim ist der Kontakt zwischen Bürgerinnen bzw. Bürgern und Staat nur selten – positive Erfahrungen in dieser verletzlichen Situation können Vertrauen in den Sozialstaat aufbauen, negative es entsprechend nachhaltig verletzen. Und dieses Vertrauen zu erhalten und aufzubauen ist wichtig: Schon heute liegen Vertrauen in und Zufriedenheit mit Staat und Verwaltung in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt (OECD 2025Körber-Stiftung 2025).

Dabei kommt es auf Details an: Wie fühlt sich das Verfahren an? Wer spricht wie? Nimmt man sich Zeit? Besteht glaubwürdiges Interesse – und stehen geeignete Hilfsmaßnahmen überhaupt zur Verfügung?

Pauschale Kürzungen wirken genau hier: Sie verringern die Zeit für Menschlichkeit und erhöhen die Fallzahl pro Fachkraft; Gespräche werden kürzer, Vor- und Nachbereitung bleibt rudimentär, Hausbesuche werden seltener. Die Erreichbarkeit verschlechtert sich – und die Beteiligung von jungen Menschen und deren Familien gerät zur Formsache.

Demokratiekompetenz

Die Kürzungen haben schließlich auch demokratische Kosten: Bekanntlich lebt nach Böckenförde der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann (Ingenfeld S. 12 ff.). Allerdings kann er durchaus der Erfüllung dieser Voraussetzungen mit sozialstaatlichen Mitteln einen fruchtbaren Boden bereiten – und ist dafür auch verantwortlich, um seine eigene Stabilität zu sichern (Wieland 2019).

Sozialleistungen dienen dabei keineswegs nur den Einzelnen, sondern sichern demokratische Kompetenzen der heranwachsenden Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer funktionierenden und stabilen Demokratie.

Der Europarat empfiehlt die Förderung entsprechender „Schlüsselkompetenzen“ bereits ab jungem Alter (2018, S. 4). Die OECD wird konkreter: Soziale und emotionale Kompetenzen sollen früh gefördert werden – insbesondere bei sozioökonomisch benachteiligten jungen Menschen. Dies sei genauso wichtig wie die Förderung kognitiver Kompetenzen (OECD 2015, S. 90).

Eine tragende Säule ebendieser Förderung ist in Deutschland die Kinder- und Jugendhilfe. Was § 1 SGB VIII als Ziel formuliert – die Förderung von Entwicklung und Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit – stiftet Demokratiekompetenz: So erzeugt das Hilfeplanverfahren durch Anhörung, Begründung und Beschwerdemöglichkeiten schon früh Beteiligungsmöglichkeiten, die demokratische Verfahren einüben, und zwar in den durch das Hilfeplanverfahren vereinbarten Maßnahmen ganz individuell zugeschnitten auf die persönliche Situation der Betroffenen. So bietet die Kinder- und Jugendhilfe Lern- und Übungsräume für das, was der Europarat als Kompetenzen für eine demokratische Kultur zusammenfasst: „Werte“, „Haltungen“, „Fähigkeiten und Fertigkeiten“ und „Wissen und kritisches Verstehen“ – als „Vorbereitung auf das Leben als aktive Bürger:innen in demokratischen Gesellschaften“ (Europarat 2024, S. 9, 15).

Zu beachten ist: Das Hilfeplanverfahren leitet individuelle Einzelfallhilfen ein und setzt dort an, wo bei den betroffenen jungen Menschen bereits Entwicklungsrisiken in Hinblick auf Kindeswohl oder Erziehung anklingen – konkret: beim Aufbau der in § 1 i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB VIII genannten Persönlichkeitsmerkmale. Ebendiese Merkmale bilden jene Kompetenzen, die später demokratische Teilhabe tragen. Ist ihre Ausbildung bedroht, ist der demokratische Sozialstaat daher gefordert, frühzeitig einzugreifen.

Fazit

Sozialstaatliches Handeln ist verfassungsmäßiger Grundsatz: Der Staat soll ein sozial gerechtes und sozial sicheres Leben ermöglichen, auch zu seinem Selbsterhalt. Dem SGB VIII kommt hier eine besondere Bedeutung zu: Im Fokus stehen junge Menschen, die sich noch am Anfang ihrer Lebenszeit befinden – die Konsequenzen werden lange wirken.

Anstelle von Kürzungen braucht es daher gezielte Mehrausstattung: Den steigenden Fallzahlen und der wachsenden Belastung von freien und öffentlichen Trägern ist mit leistungsfähigen Verfahren und ausreichend Personal zu begegnen. Wer hier kürzt, setzt gesellschaftliche Teilhabe, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aufs Spiel. Am Ende steigen die Kosten – nicht nur monetär. 

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Kommentar

Es ist bedrückend, dass der Autor teilweise mit „Opportunitätskosten“ argumentieren muss, um auch diejenigen abzuholen, die Solidarität nicht können. Menschlichkeit zählt dabei nicht. Es geht darum, dass der Schaden, der durch den Rückbau der Jugendarbeit entsteht, alle treffen wird, also wird der Egoismus der Mehrheit adressiert, und damit steht nicht das Kindeswohl im Vordergrund, sondern dasjenige derer, die sich Sorgen darüber machen, dass die heutigen Jugendlichen möglicherweise nicht mehr in der Lage sein werden, die eigene (des Egoisten) Rente zu finanzieren, weil sie nicht mehr die Kompetenzen ökonomischer Natur haben, die sie für das Kapital bestens verwertbar machen. An diesem Punkt merkt man auch besonders, wie verschoben die Merz-Regierung selbst im Sinne der eigenen Ideologie ist: Sie greift nicht nur diejenigen an, die nicht mehr verwertbar sind oder gerade nicht verwertbar sind, wie die Rentner, die Arbeitslosen, sondern auch diejenigen, deren Verwertung für viele Jahre erst noch bevorsteht und durch Kürzungen im Jugendhilfebereich gefährdet wird.

Ideelle Argumente wie die Hervorhebung der Demokratiekompetenz wirken dabei schon beinahe wie ein verlorenes Echo aus einer Zeit, in der Deutschlands Regierungen tatsächlich noch vorhatten, diese Demokratie zu schützen oder sogar auszubauen. Die jetzige Regierung ist an mehr Demokratiekompetenz der Bevölkerung nicht interessiert. Weder bei Jugendlichen noch bei Erwachsenen. Jeder, der die Falschinformationen, die ständig von dieser Regierung in die Welt gesetzt werden, entschlüsseln, öffentlich als solche benennen und über ihre Hintergründe aufklären kann, ist eine Gefahr, weil er die demokratische Kernkompetenz der Analysefähigkeit besitzt und nicht nur meinungsstark, sondern auch faktenkompetent auftreten kann.

In anderen Zusammenhängen haben wir vielfach auf falsche / falsch dargestellte Zahlen hingewiesen. Wir kommen aber gar nicht mehr nach, und auch das ist natürlich kein Zufall. Es ist eine Strategie, und sie wird funktionieren, wenn Jugendliche, erreichen sie das Alter, in dem sie das aktive Wahlrecht erhalten, rechts wählen, weil sie nicht hinreichend informiert und im Deuten von Informationen geschult sind.

Ganz klar, soziale Arbeit ist nicht „rechts“, sondern gibt Leitbilder an Jugendliche weiter, die an einer besseren Gesellschaft orientiert sind. Das ist jenen, die auf Disruption setzen, natürlich ein Dorn im Auge. Der Autor wirft der Bundesregierung eher implizit, nur sehr dezent offen ausgedrückt, Kurzsichtigkeit vor. Wir verstehen diese Sprachverwendung auch so: Wer selbst aktiv in der Jugendhilfe arbeitet, darf sich nicht so exponieren, wie wir das zum Beispiel tun können, er muss vorsichtiger sein.

Wir dürfen hingegen schreiben, dass es sich hier möglicherweise gar nicht um Kurzsichtigkeit handelt, sondern um eine klar gesetzte Agenda, die zum Ziel hat, soziale Strukturen zu zerstören. Dass darunter, siehe oben, auch die Verwertbarkeit von jungen Menschen für das Kapital leiden wird, nimmt man in Kauf, weil man sich vermutlich die Rechnung aufmacht, dass sowieso in Zukunft viele Arbeitsplätze wegfallen. Man hilft also dem Kapital dabei, sich im Zeitalter der Voll-Elektronisierung und -digitalisierung von Menschen zu befreien. Das wiederum entspricht den Vorstellungen einiger Tech-Mogule aus den USA, manche davon dürfte Friedrich Merz als ehemaliger BlackRock-Manager persönlich kennen und ganz sicher sind sie Vorbilder für die rechtslibertären Klüngel, in denen einige CDU-Politiker sich gerne aufhalten.

Das ist natürlich ein sehr großer Überbau für einen Artikel, in dem ein junger Mensch an eine unseriöse und bösartige Regierung appelliert, es bei noch jüngeren Menschen nicht so schlimm kommen zu lassen, wie sie es ständig propagiert und ankündigt. Für uns ist dieser Hinweis auf ein weiteres Feld von sozialem Kahlschlag ausgerechnet bei jenen, die sich dagegen nicht einmal rudimentär-demokratisch wehren können, weil sie noch gar nicht wählen dürfen, ein weiteres Teil in einem Puzzle, das sich noch nicht als vollständiges Bild zeigen kann, aber schon jetzt Erschreckendes erkennen lässt. Als wir 2020 das Tag „Demokratie in Gefahr“ eingeführt haben, konnten wir nicht absehen, wie schnell sich die Dimensionen dieser Gefahr von innen und von außen erweitern würden. Aber vorausschauend war es doch.

Gefahren kann man nur erkennen, künftige Entwicklungen nur antizipieren, wenn man ein ganzheitliches Verständnis von dieser Demokratie anstrebt. Dieses Verständnis setzt voraus, dass man in jungen Jahren die Chance hatte, Demokratie richtig zu lernen. Diese Chance hatten wir, dafür werden wir für immer dankbar sein. Und wir müssen alles tun, damit die heutige Politik nicht die Chance erhält, alles, was damals an starken demokratischen Wurzeln gelegt wurde, innerhalb weniger Jahre zu zerstören. Man muss nur die die Maschinen richtig auswählen, um auch diese Wurzeln zu zerstören. Wir schauen uns in der Welt um, wo diese Maschinen am Werk sind. Wir werden in Deutschland immer bösartigere Angriffe dieser Politiker auf unzählige, denn sie wollen testen, wie weit sie ungestraft gehen können.

Natürlich hat diese Angriffswelle einige deutsche Besonderheiten, die nach Ansicht derer, die sie führen, offenbar niedere Instinkte besonders gut bedienen, die man für in Deutschland besonders weit verbreitet hält. Auch darüber werden wir noch schreiben, was die speziell deutsche Form des Angriffs auf die Demokratie ausmacht. Aber nicht heute. Heute denken wir an alle jungen Menschen, die nicht die Chancen haben, die wir hatten, und daran, dass diese Regierung die geringeren Chancen dieser Menschen weiter einschränken will.

Diese finsteren Absichten tangieren überdies nicht nur das Sozialstaatsprinzip, sondern auch die Artikel 1, 2 und 3 des Grundgesetzes. Also die Menschenrechte, die man mit Bedacht ganz nach vorne gestellt hat, und die jeder kennt oder kennen sollte – die unabdingbar für jede zivilisierte Gesellschaft sind.

TH


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