„Unfrei, Unfair und Unsicher – ein Brief aus Ankara“ (Verfassungsblog + Zusatzinfos + Kommentar) | Briefing 511 | Geopolitik, Demokratie in Gefahr, PPP Politik, Personen, Parteien

Briefing 511 PPP, DiG, Türkei, Recep Erdogan, Demokratie, Kommunalwahlen, AKP, MHP, CHP

Von einer Tradition zu sprechen, wäre etwas verfrüht, aber wir haben uns angewöhnt, Sie von Zeit zu Zeit hinter die Kulissen der Staatssysteme anderer Länder blicken zu lassen – anhand von Beiträgen des Verfassungsblogs:

Heute möchten wir ein weiteres, für uns sehr wichtiges Land in den Blick rücken: die Türkei und ihren Präsidenten Recep Erdogan. Dort fanden am 31. März Kommunalwahlen statt und die Opposition hat einen geradezu sensationellen Sieg verbucht. Eine verfassungsrechtliche Einordnung dieses Sieges finden Sie im nachfolgenden, aktuellen Editorial des Verfassungsblogs, das wir hier nachpublizieren konnten.

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Unfrei, Unfair und Unsicher – Verfassungsblog

Ein Brief aus Ankara / Ayşegül Kars Kaynar

In dem breiten Spektrum autoritärer Regime wird die Türkei überwiegend als ein Staat eingeordnet, der „competitive authoritarian” oder „delegative authoritarian” ist. Für diese Klassifizierung kommt es auf die Einhaltung bestimmter demokratischer Elemente an, vor allem auf die regelmäßige Durchführung von Wahlen mit mehreren Parteien. Es ist dabei wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Wahlen mehr umfassen als den bloßen Akt der Stimmenabgabe am Wahltag. Sie stellen einen umfassenden Prozess dar, der die Phase vor der Wahl, in der sich die Meinung der Wähler:innen bildet, und die Phase nach der Wahl, in der die Stimmen ausgezählt und die Mandate vergeben werden, umfasst. Dieser Prozess wird von internationalen Beobachtern, einschließlich der Europäischen Union, seit langem als “free, but not fair” charakterisiert. Eine Beschreibung, die die Wahldynamik in autoritären Kontexten eng und unzureichend bewertet. Die Kommunalwahlen in der Türkei am 31. März 2024 und die Parlamentswahlen am 14. Mai 2023 waren sowohl in Bezug auf die Freiheit als auch auf in Bezug auf die Fairness beeinträchtigt. Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass die politische Führung die Entscheidung der Wähler und die Wahlergebnisse respektieren wird.

Im Vorfeld der Wahlen am 31. März wurde die Meinung der Wähler:innen unter dem Einfluss stark tendenziöser Propaganda geformt.  Der staatliche türkische Rundfunk- und Fernsehverband sowie regierungsnahe Medien berichteten einseitig zugunsten des regierenden Bündnisses aus der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) und der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP). Darüber hinaus sahen sich die Wähler:innen direkten Drohungen ausgesetzt: Während seiner Kampagne warnte Präsident Erdoğan, dass der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen für Wähler:innen in Gebieten, in denen AKP-Kandidaten eine Niederlage erlitten, eingeschränkt werden würde. Darüber hinaus gab es am Wahltag in den östlichen Provinzen Şırnak und Ağrı eine beträchtliche Anzahl von Soldaten und Polizisten, die aus anderen Regionen herbeigeschafft worden waren, um ihre Stimme abzugeben und so die Präferenzen der lokalen Bevölkerung zu verwässern. Es ist daher schwierig, in diesem Zusammenhang die Existenz von Freiheit und Gerechtigkeit voneinander zu trennen und anzunehmen, dass Ersteres ohne Letzteres existieren kann.

Unter diesen Umständen war der bahnbrechende Sieg der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), bei den Kommunalwahlen am 31. März eine völlig unerwartete Entwicklung, die vielen Menschen ein Gefühl der Freude verlieh, nach dem sie sich jahrelang gesehnt hatten. Die CHP erhielt 37,7 Prozent der Gesamtstimmen und erreichte damit den höchsten Prozentsatz im Land. Außerdem konnte sie die Zahl ihrer Bürgermeisterämter von 263 im Jahr 2019 auf 420 erhöhen. Auch Städte, die bis dato als Hochburgen der AKP galten, fielen an die Opposition.

Die AKP, die seit 23 Jahren ununterbrochen regiert, musste bei den Kommunalwahlen am 31. März eine Niederlage hinnehmen. Doch bedeutet das wirklich, dass die öffentliche Unterstützung für die Partei und insbesondere für die von Präsident Erdoğan errichtete Ein-Mann-Herrschaft nachlässt? Haben die Anhänger von Erdoğan tatsächlich aufgehört, ihn bedingungslos zu unterstützen? Meiner Meinung nach wäre es irreführend, solche Schlüsse nur mit Blick auf die Wahlergebnisse zu ziehen. Denn die islamistisch-nationalistische Ideologie, die dem Erdoğanismus zugrunde liegt, ist nach wie vor stark, selbst in den Provinzen, in denen die CHP bei den Kommunalwahlen siegte.

Als Vertreterin kemalistischer, säkularer, westlicher und modernistischer Ideale steht die CHP dem AKP/MHP-Bündnis diametral entgegen. In den Provinzen und Bezirken, die am 31. März zur CHP gewechselt haben, kann jedoch nicht eindeutig festgestellt werden, dass sich eine säkulare oder westliche Perspektive durchgesetzt hat, die im Gegensatz zu der Ideologie steht, die das regierende Bündnis antreibt. Dieser Umstand rührt daher, dass die CHP in zahlreichen Provinzen und Bezirken – insbesondere in den konservativen Kerngebieten Anatoliens – ehemalige Mitglieder der AKP und der MHP als Bürgermeisterkandidat:innen nominiert hat, die von ihren jeweiligen Parteien ausgegrenzt worden sind. Die Wahl von Kandidat:innen, die islamistisch-nationalistische Ideale verkörpern, war somit ein taktischer Schachzug, der zum Sieg der CHP beigetragen hat. Die Gewinne der Opposition gingen zwar auf Kosten der AKP, bestärkten aber gleichzeitig die islamistisch-nationalistische Ideologie.  

Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass durch die Kommunalwahlen nun für Klarheit gesorgt ist. Bedauerlicherweise haben die Ereignisse nach den Kommunalwahlen im März 2019 gezeigt, dass das Regierungsbündnis die Wahlergebnisse dort nicht respektiert, wo es verloren hat. Am 31. März 2019 gewann Ekrem İmamoğlu, eine wichtige Figur innerhalb der CHP, das Bürgermeisteramt der Metropolregion Istanbul und sicherte sich 48,77 Prozent der Stimmen. Die AKP und die MHP erhoben Einspruch gegen die Ergebnisse, woraufhin der Oberste Wahlrat (YSK) die Wahlen in Istanbul am 6. Mai annullierte. In der anschließenden Stichwahl am 23. Juni ging İmamoğlu mit 54 Prozent der Stimmen erneut als Sieger hervor und wurde damit offiziell Bürgermeister von Istanbul. Dennoch änderte sich nichts an der feindseligen Haltung der Regierung gegenüber İmamoğlu, sie verlagerte sich nur in den juristischen Bereich. Er wurde wegen angeblicher Beleidigung von YSK-Mitgliedern während einer Pressekonferenz am 4. November 2019 angeklagt. Die Staatsanwaltschaft beantragte nicht nur eine Haftstrafe, sondern auch ein politisches Verbot, das ihn im Falle einer Verurteilung von der Ausübung öffentlicher Ämter ausschließen und sein Bürgermeisteramt aufheben würde. Im Dezember 2022 entschied das Gericht in erster Instanz zugunsten der Verhängung eines solchen politischen Verbots gegen İmamoğlu. Der Rechtsstreit dauert an und der Fall wird derzeit vom Berufungsgericht geprüft.

Die Frage, die sich daher nun stellt, lautet: Können wir zuversichtlich sein, dass die AKP die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 31. März anerkennt? Der Bezirk Van erwies sich als erstes Testgebiet für diese Untersuchung. Abdullah Zeydan, der Kandidat der pro-kurdischen Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM), erhielt bei den Kommunalwahlen in Van 55 Prozent der Stimmen. Die regionale Wahlkommission disqualifizierte ihn jedoch aufgrund einer früheren Verurteilung und verlieh das Amt des Bürgermeisters anschließend dem Kandidaten der AKP, der lediglich 27 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Diese Entscheidung der Kommission löste gewalttätige Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Polizei aus. Auch die überwältigende Mehrheit der Oppositionsparteien stellte sich hinter Zeydan. Infolgedessen hob der Oberste Rat am 3. April das Urteil der regionalen Wahlkommission auf und bestätigte Zeydan als rechtmäßigen Bürgermeister von Van. Der Versuch der AKP, durch Täuschung die Kontrolle über den Van-Bezirk an sich zu reißen, scheiterte nur an dem massiven öffentlichen Widerstand und Unruhen. Dies zeigt, dass die Ergebnisse der Kommunalwahlen für Erdoğan nicht als Katalysator für eine Änderung seines strikten Ansatzes gedient haben. Im Gegenteil: Die politische Führung wird weiterhin alle verfügbaren Mittel nutzen, um die Opposition zu unterdrücken.

İmamoğlus Lage ist dabei prekärer als die von Zeydan. İmamoğlu gewann die Wahlen am 31. März deutlich: Er erhielt 51 Prozent der Stimmen, während sein nähester Konkurrent, Murat Kurum von der AKP, 39 Prozent erhielt. Infolgedessen wurde İmamoğlu zum neuen Bürgermeister von Istanbul ernannt und erhielt sein offizielles Bürgermeistermandat. Dennoch bleibt seine Amtszeit gefährdet. Während die Berufung im oben genannten Fall anhängig ist, wurde im Januar 2023 ein zweites Gerichtsverfahren gegen İmamoğlu eingeleitet, in dem ihm „Angebotsmanipulation“ vorgeworfen wird. Im letztgenannten Fall geht es ebenfalls darum, İmamoğlu ein politisches Verbot aufzuerlegen. Die bevorstehende Sitzung dieser entscheidenden Klage war für den 25. April geplant.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bloße Durchführung regelmäßiger Mehrparteienwahlen in autoritären Regimen wie der Türkei kaum Auswirkungen hat. Einerseits preist Erdoğan die Tugenden von Wahlen und beteuert, sich dem Volkswillen zu unterwerfen, andererseits setzt er bereitwillig alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein – sei es legal, gerichtlich, bürokratisch oder sogar militärisch –, um die Wahlergebnisse rückgängig zu machen, sobald sie sich als ungünstig für seine Partei erweisen.

Die einzige Strategie der Opposition, um die bedeutenden Errungenschaften des 31. März und insbesondere das Bürgermeisteramt von Istanbul zu sichern, besteht daher darin, sich auf einen breiten Widerstand gegen das herrschende Establishment vorzubereiten.

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Eine Idee kam uns beim Lesen dieses Artikels sofort: Wie wäre es, wenn dort, wo die AfD im Osten Mehrheiten generieren bzw. stärkste Partei werden wird, bei den Landtagswahlen im September also, wenn nicht noch viel passiert, wenn man also dort die Rechte der Bürger:innen zur Strafe einschränken würde dafür, dass sie diesen Rechtsstaat nicht mögen, sich antidemokratisch verhalten, einer Partei ihre Stimme geben, die in Teilen als rechtsextrem eingestuft wurde?

Wir fänden das nicht unfair, sondern gerecht, aber wäre es auch verfassungstreu und rechtsstaatlich? Selbstverständlich nicht. Man geht als Demokratie nicht low, nur, weil viele Wähler:innen es tun. Ebenso selbstverständlich werden die Wahlergebnisse respektiert, auch wenn sie schmerzlich ausfallen. In einer Demokratie muss man sich damit politisch auseinandesetzen, dass es Demokratiefeinde gibt. Das bedeutet nicht, dass nicht auch juristische Schritte gegen sie unternommen werden können. Deswegen haben wir mehrere Petitionen für ein AfD-Verbot, für ein AfD-Teilverbot und für eine Grundrechtsverwirkungsentscheidung gegen Björn Höcke diskutiert. Letztere Variante war übrigens eine Idee, die im Verfassungsblog erstmals ausgiebig besprochen wurde – mit Für und Wider, wie es sich in einer freiheitlichen Gesellschaft gehört.

Eine für uns neue Information war, dass die CHP auch  deshalb so gut abgeschnitten hat, weil sie mit Ex-AKP-Politikern als Kandidaten angetreten ist, die weiterhin für die rechts-nationalistisch-religiöse Orientierung stehen, die der Grundstoff des AKP-Programms ist. Daraus leitet der Autor eine relativ geringe gesellschaftliche Veränderung durch die Wahlen ab, jedenfalls keinen Meinungsumschwung bei den Wähler:innen.

Wir finden es sehr bedauerlich, dass viele Türk:innen / Türkischstämmige in Deutschland die hiesige Freiheit nicht zu schätzen scheinen, indem sie Recep Erdogan ihre Stimmen geben, wie bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Um es offen zu schreiben: Wir halten die doppelte Staatsbürgerschaft nicht für unproblematisch. Andererseits sind die Berichte über die Gefühle von Türk:innen in Deutschland und ihre Probleme, hier wie dort als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt zu werden, episch, und deswegen muss man etwas vorsichtig damit sein, das Ganze nur aus der Sicht von jemandem zu beurteilen, der in Deutschland nie wegen seiner Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert wurde.

Es ist eine schwierige Dreiecksbeziehung, zwischen uns in Deutschland und Erdogan und den türkischstämmigen Menschen hierzulande. Oftmals nicht aus persönlicher Ebene, sondern soziologisch und politisch betrachtet.

Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig, dass Menschen, die sich mit dem System in der Türkei auskennen, Berichte und Einschätzungen wie den obigen verfassen. Schade wiederum, dass er vor allem Menschen erreichen wird, die ohnehin keine Anhänger von Erdogan oder Autokraten im Allgemeinen ist.

Wir kennen diese Einschätzung „frei, aber nicht fair“ und haben uns darüber auch schon gewundert, weil für uns, wie für den Autor, das eine ohne das andere nicht in vollumfänglicher Verwirklichung denkbar ist. Wir schauen uns also einige Indizes an und beginnen mit einem etwas weniger bekannten, der etwas wie Meta-Qualität hat und nur alle zehn Jahre erstellt wird. Die letzte Publikation datiert aus dem Jahr 2019.

Liste der Länder nach persönlicher Freiheit – Wikipedia

Darin liegt die Türkei auf Platz 91 von 167 betrachteten Ländern (Deutschland: Rang 8) und gilt eindeutig als unfrei. Geht es nur nach der persönlichen Freiheit, kommt sie sogar nur auf Rang 146 (Deutschland: 13). Gegenüber 2009 hat die Türkei 26 Plätze verloren, Deutschland 2 Plätze. Leider dürfte auch Deutschland sich seitdem nicht verbessert haben, ganz sicher trifft das aber auch auf die Türkei zu. Bei aller Kritik am hiesigen System, die auch dringend notwendig ist, damit wir dieses System weiterhin kritisieren dürfen, das sind verschiedene Stufen von Freiheit. Wenn viele Menschen hierzulande Erdogan wählen, geht es ihnen also nicht um Freiheit, sondern um Anerkennung oder, wie in dem Kreis oft verwendet, um den Begriff „Respekt“. Erdogan hat der Türkei Respekt verschafft, das ist eine bei den Türk:innen in Deutschland häufige Ansicht. Die Meinungsfreiheit, die unter den Teilkriterien (Säulen) der obigen Auswertung als besonders schwach ausgeprägt eingeschätzt wird, ist dann nicht so wichtig, wenn Menschen den Eindruck haben, ihre Meinung dürfen sie zwar äußern, sie wird aber nicht gehört. Diese Einstellung haben in Deutschland immer mehr Bürger:innen, nicht nur solche mit Migrationshintergrund.

Auf dem Freedom-of-the-World-Index ist die Türkei im unteren Drittel zu finden und wird mittlerweile zu den unfreien Staaten gerechnet. Hier die Liste für das Jahr 2021: Freedom-in-the-World-Länderliste 2021 – Wikipedia. Der Score sank von 2021 auf 2024 um zwei Punkte von 33 auf 31.

Eine Demokratie kann ganz schön respektlos sein, und das trifft auf die deutsche leider zu. Empathie und Menschlichkeit waren hier nie besonders stark ausgeprägt, dafür wurde uns mit dem Grundgesetz eine Anleitung zum besser machen geschenkt. Haben wir diese Chance genutzt? Nicht vollständig, und es wird schlechter. Selbst die Meinungsfreiheit steht im Verdacht, dass an ihr gesägt wird. Bei allem Getöse von Menschen, die laut herausschreien, ohne Konsequenzen für sie, wie sie in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt werden: es gibt konkrete Beispiele dafür, dass das nicht komplett aus der Luft gegriffen ist. Bezeichnenderweise steht Deutschland im Ranking der sozialen Akzeptanz auch schlechter da als im Ganzen. Sie gehört aber zu einer funktionierenden Demokratie.

Bis hin zu Zuständen wie in der Türkei ist es noch ein weiter Weg, AfD-Erfolge hin oder her. Aber daran sieht man, wie es ist, wenn mangelnde politische Bildung, die Dominanz des Religiösen und, im Ausland, das Gefühl, nicht angenommen zu werden, zusammenwirken. Auch gestandene Demokratien, in denen das Religiöse sehr stark präsent ist, wie die USA oder Israel, sind weitaus mehr gefährdet, an demokratischer Substanz zu verlieren als sehr laizistische Staaten wie die skandinavischen. Dass das Wackeln der Demokratie auch gottlos sein kann, kann man wiederum bei uns studieren. Wenn zu dem oben beschriebenen Gemisch noch geopolitische Spannungen oder / und wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, kann es schnell dahingehen mit der Freiheit. Autokraten schüren solche Spannungen häufig, um unter dem Deckmantel der Bedrohung den Staat mehr in Richtung Diktatur treiben zu können. Auch Erdogan ist dafür ein Beispiel, auch wenn er zuletzt häufig den Vermittler gegeben hat, wie etwa beim Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine. Das kann nicht über seine grausame Politik den Kurden in Syrien gegenüber hinwegtäuschen. Es ist höchst bedenklich, dass ein NATO-Staat sich ungestraft so verhalten darf. Da die Türkei, aber auch die NATO, das westliche Verteidigungs- und Wertebündnis, von Glück reden, dass die Türkei  weniger als alle anderen NATO-Staaten als westlich eingeschätzt und daher in der „neutralen“ Welt für das Tun ihrer Regierung weniger streng beurteilt wird. Dafür müssen wir uns damit abfinden, dass sie das einzige NATO-Land ist, das als autokratisch und unfrei gilt. 

Die Türkei ist ein schwieriger Partner und gehört in ihrem jetzigen Zustand keinesfalls zu den Ländern, mit denen die EU Beitrittsverhandlungen führen sollte. Notabene sind wir diesbezüglich generell restriktiver als die EU-Kommission und würden auch der Ukraine keine Hoffnung auf einen absehbaren EU-Beitritt machen.  

Wir werden sehen, ob die Kommunalwahlen des Jahres 2024 Auswirkungen auf die Bewertung der Türkei im Freiheitsindex haben werden. Wenn man dem Autor des obigen Artikels folgt, sollte man mit Veränderungen nach oben, die aus dieser Wahl resultieren könnten, vorsichtig sein.

TH

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