Georgiens Rechtsstaatskrise (Verfassungsblog + Leitkommentar / Longread: Jenseits aller Sicherheiten) | Briefing 531 | Geopolitik, Demokratie in Gefahr

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Liebe Leser:innen, heute ist unser Tag des Rechts ein Montag, dank Pfingsten. Sie haben sicherlich von den Protesten gegen ein bestimmtes neues Gesetz in Georgien erfahren, das im Verdacht steht, zu erheblichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu führen. Das neueste Editorial  des Verfassungsblogs führt auf verständliche Weise in die aktuelle Situation eines Landes ein, das immerhin EU-Beitrittskandidat ist, aber bei uns selten im Fokus steht. Im Anschluss an den Text kommentieren wir. (1)

 

Georgiens Rechtsstaatskrise – Verfassungsblog

Ein Brief aus Tiflis / Nino Zereteli – Verfassungsblog

In den letzten Wochen habe ich die Ereignisse in Georgien von Berlin aus genau verfolgt und dabei verschiedenste Emotionen durchlebt: Angst, Wut, Frustration, aber auch einen Schimmer Hoffnung. Jetzt, nachdem ich in Tiflis angekommen bin, haben sich diese Gefühle nur verstärkt. Grund der Besorgnis ist das Gesetz über „Transparenz ausländischer Einflussnahme“, das NGOs und unabhängige Medien, die Mittel aus dem Ausland erhalten, ständiger Überwachung unterwirft. Werden die aufwendigen Anforderungen an Registrierung und Berichterstattung nicht erfüllt, können erhebliche Geldstrafen verhängt werden. Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann liegt das daran, dass russische Behörden ein ähnliches Gesetz genutzt haben, um sich kritischer Stimmen zu entledigen.

Die regierende Partei „Georgischer Traum“ musste letztes Jahr einen entsprechenden Gesetzesentwurf aufgrund von Protesten im In- und Ausland zurückziehen und versucht sich nun im zweiten Anlauf an dessen Durchsetzung. Das Gesetz ist nicht nur ein Hindernis auf Georgiens Weg zur Integration in die Europäische Union, sondern zeugt auch von dem wachsenden Widerstand der Regierung gegenüber entscheidenden Reformen zur Stärkung des Rechtsstaats.

Dass die Partei „Georgischer Traum“ ihre Machtinteressen über Georgiens menschenrechtliche Verpflichtungen und EU-Beitrittsbestrebungen stellt, sehen immer mehr Menschen und hat zuletzt zehntausende Georgier dazu gebracht, in Tiflis zu protestieren. Trotz Polizeigewalt gegen friedliche Demonstrant:innen und Journalist:innen sowie einer breiten Einschüchterungskampagne, um den Protest gegen das Gesetz zu ersticken, haben die Demonstrationen nicht nachgelassen. Ungeachtet dessen hat das georgische Parlament das umstrittene Gesetz über die „Transparenz ausländischer Einflussnahme“  in seiner dritten und letzten Lesung am 14. Mai 2024 verabschiedet.

Das Gesetz schreibt vor, dass nichtkommerzielle juristische Personen und Medien, die mehr als 20 % ihres Jahresumsatzes in Form von Geld oder Eigentum aus dem Ausland erhalten (etwa von ausländischen Staaten, Organisationen nach ausländischem oder internationalem Recht und ausländischen Bürger:innen) sich als „Organisationen, die die Interessen ausländischer Mächte verfolgen“, registrieren lassen und Rechenschaftserklärungen vorlegen müssen. Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, drohen erhebliche Geldstrafen (ca. 8.200 EUR für fehlende Erklärungen und unterschiedliche Beträge für andere Verstöße). Darüber hinaus ermächtigt das Gesetz das Justizministerium, Organisationen zu überwachen und zu identifizieren, die diese Anforderungen nicht erfüllen. Das umfasst auch das Sammeln von Informationen, einschließlich personenbezogener Daten; Dritte werden ermutigt, dem Ministerium solche Organisationen zu melden. Überwachungsmaßnahmen gegen dieselbe Organisation sind alle sechs Monate zulässig.

In Umfang und Natur ähnelt die Gesetzgebung dem „Ausländische Agenten Gesetz“, das russische Behörden nutzen, um Zivilgesellschaft und unabhängige Medien zu unterdrücken. Ähnlich wie die russischen Behörden behauptet auch die Führungsriege der Partei „Georgischer Traum“, dass das Gesetz lediglich darauf abzielt, Transparenz zu erhöhen und dass sich das Gesetz am US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA) orientiert. Allerdings fällt auf, dass in der Erläuterung zum georgischen Gesetzesentwurf bei der Auflistung vergleichbarer internationaler Praktiken ein Hinweis auf das russische Gesetz fehlt. Die Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen FARA und dem russischen oder ähnlichen Foreign Agents-Gesetzen (wie von der Venedig-Kommission und anderen hervorgehoben) unterstreichen jedoch die Bedenken hinsichtlich des georgischen Gesetzes.

Die kritische Kontrolle durch NGOs und unabhängige Medien hat die Politiker von „Georgischer Traum“ in den letzten Jahren sichtlich gestört. Das Gesetz dient bequemerweise zwei Zwecken: der Ablenkung und Schwächung von Kritikern vor den parlamentarischen Wahlen im Oktober dieses Jahres und der Besänftigung des Kremls. Die feindselige Rhetorik von „Georgischer Traum“ gegenüber NGOs gibt Anlass zu der Annahme, dass erhöhte Transparenz nur ein vorgeschobener Zweck ist. Selbst wenn der „Georgische Traum“ dieses Ziel ernsthaft verfolgte, schuldet die Partei den Nachweis dafür, dass der Eingriff in das Recht auf Vereinigungsfreiheit erforderlich und verhältnismäßig ist und im Einklang mit Georgiens menschenrechtlichen Verpflichtungen und Bestrebungen für eine EU-Mitgliedschaft steht.

Das für Juni erwartete Gutachten der Venedig-Kommission zum Gesetzentwurf wartete die Partei „Georgischer Traum“ nicht ab, sondern trieb die Verabschiedung des Gesetzes weiter voran. In Bezug auf das russische Gesetz äußerten die Venedig-Kommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (in Ecodefense und andere gegen Russland, Urteil vom 14. Juni 2022) bereits Bedenken in Bezug auf die Unklarheit des Gesetzes, das Fehlen von Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Ausübung des weiten Ermessens durch die Exekutive sowie das Fehlen einer überzeugenden Erklärung, warum die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen erforderlich und  verhältnismäßig waren, um das Transparenzziel zu erreichen. Auch für das georgische Gesetz sind diese Bedenken relevant.

Dass der Begriff des „Agenten ausländischer Einflussnahme“ aus der endgültigen Version des Gesetzes entfernt wurde, mildert nicht die Stigmatisierungswirkung oder die Belastung für Einrichtungen, die ausländische Mittel erhalten. Auch der alternative Begriff „Organisationen, die die Interessen der ausländischen Macht verfolgen“, ist negativ konnotiert. Das Gesetz setzt den Zufluss ausländischer Mittel weiterhin mit Handlungen im ausländischen Interesse gleich und sieht keine weiteren Untersuchungen vor, ob die betreffende Einrichtung Aufträge erfüllt oder unter direkter Kontrolle des ausländischen Geldgebers steht.

Wie bereits anderswo argumentiert, sind Informationen über ausländische Finanzierung in Übereinstimmung mit anderen bestehenden Gesetzen öffentlich zugänglich. Das macht Berichtspflichten nach dem neuen Gesetz überflüssig. Die weitreichenden Überwachungsbefugnisse des Ministeriums können leicht selektiv eingesetzt und missbraucht werden, um Organisationen ins Visier zu nehmen, die die Regierung kritisieren. Obwohl es in mancher Hinsicht weniger weitreichend ist als das russische Gesetz (zum Beispiel sieht es keine Auflösung oder strafrechtlichen Sanktionen vor und erstreckt sich nicht auf Einzelpersonen), stellt das georgische Gesetz dennoch eine erhebliche Belastung für NGOs und unabhängige Medien dar, da zusätzliche Ressourcen benötigt werden, um seine Anforderungen zu erfüllen, und erhebliche Geldstrafen bei Nichteinhaltung drohen.

Wie konnte es so weit kommen?

In den vergangenen zehn Jahren hat Georgien eine allmähliche Oligarchisierung der Regierung erlebt. Bidzina Ivanishvili, ein Milliardär mit Verbindungen nach Russland und Mitgründer der regierenden „Georgischer Traum“-Partei, regierte größtenteils informell und ohne jede Rechenschaftspflicht. Die „Georgischer Traum“-Partei hat systematisch Kontrollmechanismen abgebaut. Akteure, die den Missbrauch Regierung von Regierungsmacht sanktionieren sollten, wurden zahnlos gemacht. „Georgischer Traum“ erreichte dieses Ziel, indem sie (a) Loyalisten in Schlüsselpositionen setzte und (b) Kritiker angriff, zu schwächen versuchte oder einschüchterte. Es war ein schleichender Prozess, der den Abbau des Rechtsstaats nicht sofort erkennbar werden ließ.

Reformen verschleierten oft informelle und auf Kosten des Rechtsstaats gehende Machtstrukturen und erzeugten die Illusion, dass die Regierung bereit sei, diesbezügliche Bedenken anzugehen. Trotz formaler Schutzmechanismen hielt auch die De-facto-Politisierung der Justiz an. Gesetzesänderungen wurden verschleppt und/oder unvollständig umgesetzt. Die resultierenden Schlupflöcher in den Gesetzen ermöglichten es oligarchenfreundlichen Richtern, Positionen in der Justiz zu monopolisieren und Gerichte mit loyalen Kadern zu besetzen, einschließlich auf Ebene des Obersten Gerichtshofs – durch Verfahren, denen es laut ODIHR an Objektivität und Glaubwürdigkeit fehlte.

Das kollusive Zusammenwirken zwischen einflussreichen Richtern in Machtpositionen und Politikern der Partei „Georgischer Traum“ ermöglichte es der Regierungspartei, das richterliche Verhalten auf und jenseits der Richterbank indirekt und nach Bedarf zu beeinflussen, auch in politisch sensiblen Fällen. Nicht überraschend griffen Politiker der „Georgischer Traum“-Partei und einflussreiche Richter auf nahezu identische Argumente zurück, um Integritätsprüfungen von Richtern des Obersten Gerichtshofs, Mitgliedern des Justizrats und der Gerichtspräsidenten unter Beteiligung internationaler Experten (wie von der Europäischen Union gefordert) entgegenzutreten.

Sowohl die Ernennung von Richtern mit engen Verbindungen zu diesen „juristischen Oligarchen“ als auch die politischen Ernennungen führten wohl dazu, dass das Gericht der Regierung im Laufe der Zeit mehr Freiheiten einräumte. Die Politisierung der Generalstaatsanwaltschaft ist ein weiteres Problem, weshalb gefordert wurde, das Ernennungsverfahren des Generalstaatsanwalts von einer einfachen auf eine qualifizierte Mehrheit umzustellen und die individuelle Unabhängigkeit der Staatsanwälte zu stärken.

Im Jahr 2022 schaffte die „Georgischer Traum“-Partei das Amt des „Staatsinspektors“ ab, eine unabhängige Behörde, die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch Vollzugsbeamte und andere Amtsträger untersucht. Auch die Ernennung des ehemaligen Politikers und Abgeordneten Levan Ioselianis zum Ombudsmann im Jahr 2023 trug zur weiteren Schwächung von Aufsichtsmechanismen bei.

In der Gesamtschau nehmen sich die jüngsten Entwicklungen damit als Teil einer systematischen Strategie zur Verminderung von Accountability aus. Der Unwillen der „Georgischer Traum“-Partei, systemische Probleme, einschließlich im Justizsystem, anzuerkennen, zeugt von der Entschlossenheit, die eigene Macht auf Kosten des Rechtsstaats zu erhalten.

Wie geht es weiter?

Nach der georgischen Verfassung ist das Parlament verpflichtet, das Gesetz innerhalb von 10 Tagen dem Präsidenten weiterzuleiten. Der Präsident hat dann zwei Wochen Zeit, das Gesetz entweder zu unterzeichnen oder mit Kommentaren an das Parlament zurückzusenden. Die Präsidentin hat bereits erklärt, dass sie die Absicht hat, ihr Veto gegen das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme einzulegen. Sie hat Verhandlungen mit der Regierungspartei über spezifische Aspekte zur Minderung schädlicher Auswirkungen des Gesetzes ausgeschlossen, da das Gesetz als solches als inakzeptabel betrachtet wird – eine Einschätzung, die georgische NGOs teilen. Auch wenn das Präsidentenveto die Verabschiedung des Gesetzes nicht verhindern kann – die „Georgische Traum“-Partei kann das Veto mit ihren Stimmen außer Kraft setzen –, könnte es den Prozess verzögern und Protestierenden und der internationalen Gemeinschaft mehr Zeit geben, Druck auszuüben und eine Rücknahme des Gesetzentwurfs zu erreichen.

Aktuelle Umfragen des National Democratic Institute zeigen, dass 81 Prozent der Georgier:innen die europäische Integration unterstützen. Die Entschlossenheit der „Georgischer Traum“-Partei, das Gesetz trotz seiner Auswirkungen auf die europäischen Bestrebungen Georgiens weiter vorantreibt, ist alarmierend.

Um eine weitere Erosion des Rechtsstaats zu verhindern, könnten gezielte finanzielle Sanktionen und Reisebeschränkungen, wie von Freedom House und anderen NGOs gefordert, notwendig werden. Frühere Erfahrungen haben gezeigt, dass selbst wenn die „Georgischer Traum“-Partei dem Druck nachgibt und das Gesetz fallen lässt, fortgesetzte Wachsamkeit erforderlich sein wird, um ähnliche Bestrebungen in Zukunft zu vereiteln und einige der systemischen Schäden am Rechtsstaat rückgängig zu machen, insbesondere wenn der „Georgische Traum“ nach den Parlamentswahlen im Oktober an der Macht bleibt. Doch auch wenn die Partei „Georgischer Traum“ die Wahlen nicht gewinnen sollte, wird die Wiederherstellung des Rechtsstaats Zeit brauchen und nicht leicht sein – dafür ist das Ausmaß der rechtsstaatlichen Erosion ist bereits jetzt zu groß.

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Zur Lage

Im März 2023 kam es zu den landesweit größten Protesten in Georgien seit 2019, nachdem der KO und „Volksmacht“ versucht hatten, ein Gesetz zu verabschieden, das Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Medien, die teilweise aus dem Ausland finanziert werden, verpflichtet hätte, sich als „ausländische Agenten“ zu deklarieren. Der Gesetzentwurf wurde von den Demonstranten als Hindernis für den möglichen EU-Kandidatenstatus betrachtet.[19] Beobachter zogen Parallelen zu einem in Russland 2012 verabschiedeten Gesetz.[20] Infolge der Proteste zog die Regierung das Gesetz am 10. März 2023 zurück

m April 2024 flammten die Proteste wieder auf, nachdem die Regierung erneut das sogenannte Agentengesetz ins Parlament einbrachte. Am 30. April 2024 sagte Staatspräsidentin Surabischwili anlässlich des Tags der Armee: „Jene, die die Saat von Konfrontation und Provokation säen, sind gegen die Armee und das Vaterland.“ Damit war die Regierungspartei Georgischer Traum gemeint. Ministerpräsident Kobachidse warf ihr „Hochverrat“ vor. Die Gegner des ‚Georgischen Traums‘ werfen Kobachidse vor, er verrate die Annäherung Georgiens an EU und NATO und liefere Georgien Russland aus.[28].[1]

Unser Kommentar und assoziative Gedanken zur Demokratie und ihrem Wesen

Der Ukrainekrieg ist einer der Gründe, warum man so selten von den anderen Beitrittskandidaten zur EU liest. Jenen, die teilweise schon länger diesen Status haben als das Land, das vor mehr zwei Jahren von Russland überfallen wurde und sich immer verzweifelter gegen die Aggression wehrt. Der neue „Fall Georgien“ ist nicht so neu, sondern die bisherige Spitze des Eisbergs von Rechtsstaatsreduktion in diesem Land. Aufmerksamkeit erhält er durch die Proteste und dadurch, dass das NGO-Überwachungsgesetz auch als „russisches Gesetz“ bezeichnet wird. Zum einen, weil es einer ähnlichen Normierung in Russland ähnelt, zum anderen, weil mit der Bezeichnung markiert wird, dass das Gesetz unter Einflussnahme Russlands zustande gekommen sein könnte.

Das weist uns auf eine Tatsache hin, die wir nicht umgehen können. Alle Beitrittskandidaten der EU bis auf die Türkei liegen in der früheren sowjetischen Einflusssphäre bzw. waren Sowjetrepubliken. Rechtsstaatlich haben sie alle noch einen mehr oder weniger weiten Weg zu gehen, um an die Untergrenze von EU-Standards heranzukommen, die selbst wiederum sinken, weil Länder wie Polen und insbesondere Ungarn sie nach unten verschoben haben, ohne dafür aus der EU ausgeschlossen zu werden. Ebenfalls Länder des früheren Ostblocks. Wie steht Georgien in dieser Hinsicht da?

  • „Reporter ohne Grenzen“ (RsF) sieht „erhebliche Probleme“ bei der Pressefreiheit. Das Land weist außerdem eine erschreckende Abwärtstendenz auf, von ca. 72/100 auf 53/100 in nur vier Jahren, ohne dass das hierzulande ein Medienecho gefunden hätte. Damit liegt Georgien aktuell auf Rang 103 weltweit im Pressefreiheitsindex, die Ukraine immerhin auf Rang 61, und auch das halten wir für viel zu wenig, um ein EU-Land zu werden, zumal die Freiheit aufgrund der besonderen Lage stark schwankt. Andererseits liegt Ungarn auch nur auf Rang 67, und das belegt die Probleme, die wir bereits angedeutet haben und weiter ausführen werden. Mit dem Index im Ganzen haben wir uns hier beschäftigt: So (un)frei ist die Presse (Statista + Zusatzinfos.
  • Auf der Karte des „Freedom House“, das generell etwas großzügiger mit den Ländern umgeht, gilt Georgien als „teilweise frei“ und liegt auf Rang 111 (Ungarn als schlechtestes EU-Land, das ebenfalls nur als teilweise frei eingeordnet wird, auf Rang 98). Das ist in einer überwiegend nicht vollkommen freien Welt unterhalb der Mittelposition  aller Länder. Mit dem betreffenden Index haben wir uns nach seiner Veröffentlichung hier befasst: „Freiheit in der Welt 2024: Die wachsenden Schäden fehlerhafter Wahlen und bewaffneter Konflikte“ + Deutschland verliert einen Punkt: Der Freiheitsreport 2024 und den Index in der Folge noch mehrmals zu Vergleichen herangezogen.
  • Im Demokratieindex des „Economist“ wird Georgien als „Hybridregime“ bezeichnet und steht auf Rang 89 weltweit: Demokratieindex (The Economist) – Wikipedia. Diesen Index betrachten wir weniger ausführlich, weil er nicht von einer NGO stammt, sondern von einer Wirtschaftspublikation, die allerdings so weit geht, die USA als „unvollständige Demokratie zu bezeichnen“, vor einer solchen Einordnung scheuen sich die NGOen bisher. Allerdings sind die Maßstäbe hoch, denn die USA liegen hier immerhin auf Platz 29 weltweit. Es gibt aber danach nur 23 vollständige Demokratien, bisher hat Deutschland noch die Ehre, zu ihnen gerechnet zu werden (Rang 12). Ungarn als unser allgemeine Negativ-Referenzstaat innerhalb der EU in Sachen Demokratie & Recht kommt auf Platz 50, interessanterweise ist es aber in diesem Fall nicht das am schwächsten positionierte Mitglied  der Union, sondern Rumänien (60) und Bulgarien (62) stehen noch dahinter.

Wir sehen die EU-Erweiterung schon länger skeptisch und weisen immer wieder darauf hin, dass auch die alten Kernländer nicht vor Demokratieabbau sicher sind, auch Deutschland nicht. Gemeinsam abwärts, ist dies das neue Motto, damit die EU weiter expandieren kann? Hoffentlich nicht. Bisher steht Europa summarisch immer noch weltweit einzigartig da, die Umsetzung von Menschenrechten betreffend. Die weltbesten Länder sind EU-Länder und natürlich sind es die „Scandics“, ex Norwegen. Die Auflösung der Efta und der Beitritt dieser Länder zur einstigen EG war ein Glücksfall. Die Osterweiterung erweist sich hingegen immer wieder als problematisch und diskreditiert die Glaubwürdigkeit der EU in Sachen Rechtsstaatlichkeit.

Was immer auch in der Ukraine und anderen Kandidaten-Ländern passiert: schaut man sich die Position dieser Länder in den maßgeblichen Indizes verschiedener NGOen an, ist keines davon EU-beitrittsreif. In der Ukraine werden aufgrund des Krieges sogar weiter Rechte der Bevölkerung abgebaut, jüngst sorgte ein Mobilisierungsgesetz für Männer im Ausland für erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Landes, die politische Betätigung von Regierungsgegnern wurde ebenfalls weiter eingeschränkt. Auf diese Weise schaffen sich verhärtende Autokratien wie Russland die ihnen ähnlichen Länder selbst, indem Demokratisierungsprozesse gestört und rückgängig gemacht werden.

Nach unserer Ansicht kann man nicht aus Solidarität Länder in die EU aufnehmen, die nach allen rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Standards weiter absenken würden, weil sie unmöglich alle Normen erfüllen können, die relevant sind, um die EU wetterfest gegen Autokratisierung zu machen. Wir müssen uns nichts vormachen, auch für die ursprüngliche Osterweiterung nach dem Ende des Kalten Krieges wurden schon Kompromisse gemacht und es wurde darauf gesetzt, dass sich alles zum Besseren entwickelt, nicht verlangt, dass alles schon zum Besten steht.

Aber fällt man mit solchen Einlassungen nicht den Protestierenden in Georgien, den Kämpfenden in der Ukraine, den vielen Völkern, die sich Hoffnungen auf Ankunft in Europa machen, in den Rücken? Zumal aus deutscher Sicht?

Selbstverständlich soll die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft die Demokratisierung der Länder stärken und beschleunigen. So ist es gedacht. Aber was, wenn Russland immer aggressiver Geopolitik macht und der Westen ersichtlich nicht in der Lage ist, dem etwas entgegenzusetzen, wie man am Fall der Ukraine sieht? Wenn plötzlich die Demokratisierung quasi mit Gewalt erzwungen werden müssen, damit Länder nicht wieder zurückfallen in den Einflussbereich einer Autokratie? Dann ist guter Rat teuer und ethische Standards tun genau das, was die Autokraten beabsichtigen: sie verschwinden hinter realer Machtpolitik. Weil sie niemand traut, ernsthaft gegen diese Ruchlosigkeit vorzugehen. Der Westen könnte die Ukraine nur mit einem direkten Einsatz gegen Russland retten oder deren Niederlage verhindern, aber davon sind wir weit entfernt. Und ist das falsch? Wie hoch darf der Preis sein für etwas, dessen Ausgang so ungewiss ist, egal, wie man sich verhält? Wir können das nicht entscheiden und ziehen uns lieber auf die Position zurück, dass wir aufpassen müssen, dass Kerneuropa nicht bei all dem immer mehr Schaden erleidet, demokratietechnisch gesehen. Wir glauben, das ist realistischer und auch ethischer als eine immer weitere Expansion zu betreiben, die hochriskant ist und es tut uns sehr leid, Menschen, die noch um ihre Freiheit kämpfen müssen, so etwas zu schreiben.

Zumal aus der angesprochenen deutschen Sicht. Denn wir mussten nicht kämpfen. Nach 1945 war uns die Demokratie ganz schnell und vollständig geschenkt worden, zumindest im Westen. Noch heute sieht man deutlich, dass das im Osten nicht so war, denn es gibt viele dort, die Völkerfreundschaf mit der Akzeptanz oder gar Bevorzugung von autokratischen Systemen im Osten, besonders in Russland, verwechseln. Wenn man so will, hat die Erosion der Standards in der EU schon mit der deutschen Vereinigung angefangen und damit, dass das größere und schwieriger gewordene Deutschland ein wichtiges EU-Land ist. Jetzt müssten wir für die Demokratie kämpfen, die uns einst geschenkt wurde. Dann wären wir Seite an Seite mit denen, die das in anderen Ländern tun, ohne das Reset-Privileg zu haben, das die Westdeutschen ab 1945 erhielten. Sie müssen alles alleine machen, wobei man uns, natürlich mit geopolitischen Absichten, aber eben mit einem zwischenzeitlich herausragenden Ergebnis, so geholfen hat. Einem Volk, das nicht besonders demokratieerfahren war. Viele der Völker im Osten hatten nie eine liberale Demokratie, werden schon auf dem Weg dorthin gestört und zurückgeworfen. Trotzdem können wir nicht von hier aus dafür sorgen, dass sich das ändert. Dafür sind zum Beispiel die NGOen vor Ort zuständig, die nun in Georgien in ihren Rechten beschränkt werden sollen.

Wie fatal das, was der „Georgische Traum“ mit dem Gesetz suggeriert, uns an einen hierzulande unter gewissen Linken verbreiteten Spin erinnert: NGOen mit Finanzierung durch die USA können nur den Interessen der US-Machtelite dienen, heißt es bei diesen Linken. Damit wird bewusst ignoriert, dass die Demokratie generell finanzielle Unterstützung braucht, damit darin Aufklärungsarbeit betrieben werden kann. In Deutschland wird das beispielsweise dadurch gefördert, dass NGOen als gemeinnützig anerkannt werden. Um diese Gemeinnützigkeit gibt es immer wieder Streit und die Justiz tendiert dazu, in die Demokratieausübung einzugreifen, indem sie NGOen die Gemeinnützigkeit entzieht, obwohl sie sich um die Demokratie verdient machen. Oder gerade deswegen? Dieser Denkschritt ist wirklich kein großer. Was es noch nicht gibt, sind die Durchgriffsrechte, wie sie das neue NGO-„Transparenzgesetz“ = Überwachungsgesetz in Georgien vorsieht. Wie es in Russland längst Wirklichkeit ist, in schärferer Form.

Brennpunkt Demokratie

Aber was ist mit der Demokratie als solcher? Die Partei „Georgischer Traum“ regiert aktuell mit mehr als 48 Prozent der Stimmen bei der letzten Parlamentswahl und hat eine absolute Mehrheit im Parlament. Man wird im Oktober dieses Jahres sehen, wie sie unter gegenwärtigen Umständen abschneidet. Man ist leicht versucht, zu sagen: Demokratie beinhaltet auch, die Demokratie einschränken zu dürfen, wenn eine Mehrheit per Wahlentscheid dafür gesorgt hat, dass eine politische Kraft regiert, die genau das will. Das wäre ein ähnliches Argument wie in Deutschland bezüglich der AfD, wenn ihre Wählerschaft so groß wird, dass sie in der Lage ist, die Demokratie abzubauen. Der Verfassungsblog ist die Publikation in Deutschland, die sich u. a. mit dem „Thüringen-Projekt“ und in vielen Darstellungen darum verdient macht, zu erklären, wie leicht es ist, den Rechtsstaat anzugreifen, wenn man eine Machtposition hat und wie die Demokratie sich dagegen wehren kann und muss.

Was tun, wenn eine Mehrheit tatsächlich sagt: Wir wollen lieber eine Diktatur? In Deutschland ist das noch nicht der Fall, aber es wäre immerhin denkbar. Müsste dann eine demokratische Minderheit sich nicht beugen oder muss sie für sich und für alle anderen Minderheiten kämpfen, die einer brutalisierten, antidemokratischen Mehrheit ausgeliefert wäre, wie während der Nazi-Zeit, als Hitler Ende der 1930er ganz sicher auch in freien Wahlen eine Mehrheit bekommen hätte. Da war die Opposition natürlich auch schon ausgeschaltet, vertrieben, aber wir meinen es hypothetisch, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, also. Man kann das nicht ohne Weiteres von dem trennen, was wirklich geschah, aber wir meinen, Hitlers Politik hätte damals eine Mehrheit gefunden, wenn man die rassistischen und die Demokratie ausschaltenden Elemente weggelassen hätte und auch dann, wenn man genau so verfahren wäre, wie man es tat, dies aber durch ein Referendum hätte „absichern“ wollen.

Länder wie Georgien oder auch das vielfach zitierte Ungarn haben eine Wählerschaft, die mehrheitlich die nicht zu maximaler Freiheit führende Politik gutheißen. Kernländer der EU tendieren ebenfalls nach rechts, wie wir gerade in den Niederlanden sehen. Man kann fast jede Woch ein anderes Beispiel dafür anführen, wo es gerade in die falsche Richtung geht und muss immer wieder sich selbst zur Demut aufrufen, angesichts der Zustände im guten alten Europa, das im Kalten Krieg viel geschlossener wirkte als heute. Fliehkräfte anstatt Gefahrengemeinschaft, könnte man das jetzige Gepräge überschreiben. Alles bricht wieder hervor, was zu Unfrieden in der Welt geführt hat. Und es ist Bestandteil der Freiheit, solange es nicht so weit geht, dass diese Tendenz die Freiheit beschädigt.

Umfragen besagen in Georgien, dass sich etwa 80 Prozent der Menschen EU-freundlich stellen. Trotzdem wählen sie mit fast 50 Prozent eine Partei, die versucht, den Kurs des Landes von der EU weg zu bestimmen und sich Russland andient. Sind also die Proteste, die wir sehen, ein Ausdruck des Mehrheitswillens?

Die Frage führt uns unweigerlich ins Jahr 2014, als in Kiew das geschah, was russlandfreundliche Kräfte gerne als „Maidan-Putsch“ bezeichnen: Die gewählte, russlandfreundliche damalige Regierung wurde abgesetzt, in der Folge ließ Wladimir Putin die Krim besetzen. Die EU-Bürger nennen diese Bewegung hingegen liebevoll „Euromaidan“, weil sie den nicht demokratisch erfolgten Wechsel als demokratiefreundlich interpretieren, im Sinne einer wehrhaften Demokratie, in der auch eine Minderheit das Recht hat, gegen eine Mehrheit aufzustehen, welche die Autokratisierung eines Landes zulassen möchte. Das ist aber auch eine speziell deutsche Denkweise, weil hierzulande schon einmal die Demokratie abgeschafft wurde, ohne dass eine Minderheit oder gar keine Mehrheit dagegen aufstand. Der Schutz der Demokratie vor der Bevölkerung, das ist ein zentrales Element, das auch gegenwärtig in der Diskussion steht. Mehr Demokratieschutz in diesem Sinne durch eine mutige und dem Rechtsstaat verpflichtete Minderheit oder Abbau der Demokratie nach einem Willen der Mehrheit? Oben geschrieben: Die Mehrheit bevorzug in Deutschland zwar die Demokratie, aber das ist in zweierlei Hinsicht sehr allgemein: a.) Wie viele in dieser Mehrheit wären bereit, einen persönlichen Einsatz zugunsten der Demokratie zu bringen? Im Grunde müssten es angesichts der vielen Gefahren für die Demokratie schon viel mehr sein, als wir aktuell sehen. B.) Was verstehen die Demokratiebefürworter unter Demokratie? Nicht doch einfach den Willen der Mehrheit, ungeachtet seiner Tendenz? Wir befürchten, dass viele es exakt so sehen und den Minderheitenschutz dabei nicht im Blick haben. Das sagen uns Umfragen zu anderen Themen, bei denen die Mobilisierung gegen Schwächere, Schutzbedürftige allzu leicht gelingt. Da spielen ganz rudimentäre, utilitaristische, vielfach (zusätzlich) scheingerechte und selbstgerechte Haltungen eine Rolle, die von einer nicht sehr tiefen Verinnerlichung der Demokratie zeugen.

Und das nach fast 80 Jahren in Freiheit. Trotzdem können wir in Georgien, in der Ukraine, in EU-Staaten mit antidemokratischer Tendenz nicht helfen, dass es besser wird. Auch nicht durch Beitrittsaussichten. Man sieht ja, dass dies nicht funktioniert. Man würde auch sehen, dass Sanktionen nicht funktionieren, wie sie immer wieder gefordert werden ohne jede Rücksicht auf die klar negativen Ergebnisse bisheriger Sanktionen, gegen wen auch immer. Sanktionen stabilisieren Regimes, die eigentlich den Menschen nicht viel bieten, schon gar nicht die Freiheit, aber wahlweise auf die nationalistische, fundamentalistische, linkspopulistische Karte setzen. Das kann man nun nach dem Beispiel Russland wirklich ganz eindeutig festhalten. Man hat wieder einmal unterschätzt, dass die Russen sich im Notfall sehr anstrengen können, und gegenwärtig halten sie einen Notfall offensichtlich für gegeben. Wir gegen den bösen Westen. Das funktioniert ganz leicht, in Ländern, die eine ganz andere Geschichte als  Deutschland aufweisen, und kann auch eine EU-freundliche Stimmung in einem Land zum Kippen bringen. Georgien hat schon einmal eine russische Intervention ertragen müssen, seit es unabhängig ist, aber trotzdem wird eine russlandfreundliche Partei wie der „KO“ klar auf Platz eins gewählt.

Was immer wir daraus folgern, auch das Recht, dass eine Minderheit die Demokratie schützen muss, wir können das nicht von außen tun. Solidaritätsbekundungen sind bereit schwierig, wie die EU sie derzeit für die Protestierenden in Georgien abgibt, denn natürlich kann man sie als Beeinflussung interpretieren. Und damit tut man genau das, was den Spin des NGO-Gesetzes unterstützt: Die EU schert sich nicht um das, was die Mehrheit der Menschen im Land will. Propaganda ist aber kein einseitiges Geschäft, alle betreiben sie auf ihre Weise. Man muss nur zugeben, dass alle es tun, dann wird es ganz einfach und zu einem Ausdruck von Meinungsfreiheit. Inklusive der Unwahrheiten, die häufig mit Meinungen verknüpft werden und die Basis für sie bilden. Wir haben das gerade wieder gelesen, als es um eine ganz andere Sache ging, zumindest auf den ersten Blick um eine ganz andere Sache: Eine Aufklärungsbroschüre für einen Berliner Bezirk, der es offenbar nach Ansicht der Ersteller dieser Broschüre nötig hat, es geht dabei um die Gründungskonditionen des Staates Israel. Eine Partei, die für den Einsatz dieser Broschüre an Schulen gestimmt hat, hat auf Anfrage eines Berliner Mediums sich so geäußert: Wissenschaft ist nie neutral, sie folgt einem bestimmten Narrativ. Das ist wunderschön ehrlich und entwaffnend. Und es stimmt, wenn es nicht um unwiderlegbare Fakten wie die Existenz des Holocausts geht. Das ist ein großer Ausnahmetatbestand, dass es auch über dessen Genese und Gründe („es konnte nur passieren, weil …“) keine Diskussion hierzulande gibt, zumindest nicht offiziell.

Bemerkenswert trotzdem, dass Wissenschaft als mehr oder weniger selektiv mit Fakten angereicherte Meinung angesehen wird. Da würden sich denen, die in den „exakten“ Wissenschaften arbeiten, die Haare sträuben, aber exakte Wissenschaften gibt es ja seit Corona auch nicht mehr. Oder weniger davon.

In diesem Spannungsfeld werden Demokratien immer stehen, dass man Vorgänge je nach Akzentuierung ihrer Fakten und warum diese Fakten zustande kamen,  ganz unterschiedlich interpretieren kann. Wenn daraus Hass entsteht, ist der Sinn für die Demokratie sowieso vernebelt oder ausgeschaltet.

Wir haben nach der Wende schon so viele Hoffnungen verloren, dass es auf eine mehr oder weniger kaum noch ankommt. Ist das die jetzige Stimmung? Dann hat der georgische Widerstand, wenn man es etwas hochgegriffen schon so formulieren will, nicht viele Freund:innen. Das Land liegt noch weiter von uns weg als die Ukraine. Kommt es zu einem Bürgerkrieg oder greift Russland ein, wird es wieder zu Flucht und Vertreibung kommen. Deutschland wird wieder ein Fluchtpunkt werden. Wir können die Entwicklung in Georgien kaum beeinflussen, und müssen wir uns nicht auch darum kümmern, dass, egal was in anderen Ländern geschieht, unsere Systeme und damit auch die hiesige Demokratie wieder stabiler werden? Es ist eben keine exakte Wissenschaft, gerade darum muss eine offene Diskussion geführt werden. Auch mit der AfD?

Demokratie ist anstrengend, das sieht man daran. Wenn man sich zum Beispiel selbst für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit aufgrund der Befürwortung eines Parteienverbots einsetzt, um die Demokratie zu schützen. Das ist überhaupt nicht paradox, aber eben anstrengend. Je länger man darüber nachdenkt und je mehr Vorgänge im Ausland man beobachtet und in Überlegungen einfließen lässt, wie Menschen grundsätzlich in einer Gesellschaft miteinander agieren sollten, um sich den Ehrbegriff „Demokrat:in“ zu verdienen, und man sich die Wirklichkeit in Relation dazu anschaut, ist es nicht nur anstrengend, sondern auch frustrierend. Und der Frust wächst seit Jahren. Und nagt an den Prinzipien, die doch so wertvoll sind. Man sieht, ohne innere Verlustposten geht es nicht, gleich, wie man sich aufstellt, welche Ansicht man vertritt. Ist es anstrengender, eine Demokratie zu erkämpfen oder sie bewahren zu wollen? Eindeutiger kann man sich verhalten, wenn man in ersterer Position ist, aber gefährlicher ist diese auch. Im Moment jedenfalls noch.

Die Überlegungen dazu sind episch, man kann sie immer weiterführen, auch im Kreis und in Schleifen. Deswegen stoppen wir an dieser Stelle und bitten um Verzeihung bei Menschen, die um ihre Freiheit kämpfen dafür, dass wir auf diese Art über einen solchen Kampf reflektieren. Wir werden es auch wieder aktivistischer und eindeutiger angehen. Aber diese Wochenendgedanken niederzulegen, hat auch etwas Befreiendes. Es stellt nicht dar, was wir uns wünschen und wofür wir stehen möchten, sondern die tiefen Zweifel an der Menschheit, die in solchen Gedanken zum Ausdruck kommen. Welchen Index wir uns auch anschauen, es geht in der Mehrheit der Länder seit Jahren rückwärts mit Demokratie und Freiheit. Und hat das nicht doch etwas mit uns zu tun, vor allem in jenen Ländern, in denen wir noch die Freiheit haben, eine fairere, freundlichere Gesellschaft anzustreben?

Wir wünschen den Menschen in Georgien, über das wir hier erstmals nachgedacht haben, dass sie das Richtige tun. Das, was sie glücklich macht. Denn darum geht es, um nichts anderes. Und wir danken dem Verfassungsblog dafür, dass er uns um die Welt führt, um mit profunden Artikeln ein besseres Weltverständnis im Sinne von Demokratie und Recht zu erlangen. Nein, objektiv sind auch diese Artikel nicht, das muss so sein, wen es selbst für Gründungserklärungsborschüren von Staaten gilt, es kann gar nicht anders sein. Die beschriebenen Vorgänge sind oft negativ, aber wir fühlen uns auf eine Weise auch aufgehoben in der Art, wie darüber berichtet wird. Sie ist der Demokratie gewidmet. Und damit unserer Auffassung von persönlichem Glück in Freiheit, ausgestattet mit dem Recht, den ganzen Tag lang über Ungerechtigkeiten im eigenen Land wenigstens ungestraft schimpfen zu dürfen. Das ist eine der kostbarsten Gaben, die wir nach 1945 unverdienterweise erhalten haben und unser Recht geworden.

Dafür sind wir bei allem Ärger über die Politik des Tages sehr dankbar. Publikationen wie der Verfassungsblog und auch unser kleines Medium wären in vielen Ländern gar nicht denkbar. Die Mehrheit der Menschen auf der Welt darf so nicht schreiben. Ob sie es wollte, wenn sie es könnte? Siehe oben. Heute werden wir nicht auf den Spuren der eigenen Argumente noch einmal im Kreis gehen.

TH

(1) Weitere Artikel, die sich mit verfassungs- und menschenrechtlichen Fragen über Deutschland hinaus befassen:

Die Artikel, die sich (überwiegend) mit Deutschland befassen, klammern wir aus der folgenden Darstellung aus. Die Artikel vom Verfassungsblog, mit denen wir uns in letzter Zeit beschäftigt haben: 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Parlamentswahl in Georgien 2024 – Wikipedia

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