Macht und Ohnmacht – Tatort 868 / #Crimetime 6 // #Tatort #München #Muenchen #Macht #Ohnmacht #Batic #Leitmayr

Crimetime 6 - Titelfoto © BR/Hagen Keller

Inside Cop

Die bayerische Bereitschaftspolizei ist immer noch grün und gelb, die Grünen halt. Offenbar ist Berlin doch mal in einer Sache fortschrittlicher, die neuen, blauen Anziehsachen im amerikanisierten Stil, die es in der Hauptstadt gibt, machen weit mehr daher. Dafür sind die Bayern aber mal wieder konsequent und haben gleich den ganzen Film in den traditionelleren Uniformfarben gehalten. Und dieses Angegilbte passt gut zum Zustand der betreffenden Einheiten. Es ist alles verrottet, ganz von innen heraus. So gesehen, macht es Sinn, dass die Szenen im Büro der Mordkommission in heute üblichem, kühlem Blaugrau gefilmt sind.

Dass gerade aus Tatort-München immer wieder Meldungen dieser Art kommen, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass in dort die Welt gerade im Gegensatz zur Darstellung noch so in Ordnung ist, dass man ebenjene Darstellung wagen kann und sich dabei nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. Vielleicht ist „Macht und Ohnmacht“ aber auch ein Großstadt-Stellvertreterkrimi. Es könnte überall sein, wie man es hier sieht. In Hamburg, in Frankfurt, in Berlin, im Ruhrgebiet.

Vielleicht sogar auch mal an der Isar. Dort schlug mit höchst erfolgreichen Serien wie „Derrick“, „Der Alte“ und „Der Kommissar“ einst das Herz des deutschen Krimigeschehens – und die Tradition lebt, dank eines hervorragenden Tatort-Ermittlerteams, bestehend aus den beiden gestandenen Hauptkommissaren Ivo Batic und Franz Leitmayr. Unterstützt werden die beiden dieses Mal vom Ex-Assistenten Carlo Menzinger, der als Privatier eingeschränkt mitmachen darf.

Interne Ermittlungen gab es dort tatortweise schon häufiger, aber dieses Mal ging man wieder einen Schritt weiter, indem man eine ganze Einheit von Polizisten als brutalen Schlägertrupp darstellt. Natürlich nicht, ohne kumpelhaft die frustrierenden Hintergründe der Eskalation darzustellen. Da wirkt Franz Leitmayrs Plädoyer fürs Recht, das er gegenüber dem unter Mordverdacht stehenden Kollegen Lechner hält, tatsächlich ein wenig scheinheilig. Da ist ein falscher Zungenschlag drin, der wird in der Endbewertung einen Abschlag bringen.

Handlung

München. Vier Polizisten, Matteo Lechner und Frank Bressinger, Georg Zimmermann und Iris Bülow, hetzen drei jungen Männern hinterher, die den Kioskbesitzer Latif Kara so brutal zusammengeschlagen haben sollen, dass er im Koma liegt. Es ist unklar, ob der Vater dreier Kinder überlebt. Völlig überraschend taucht Carlo Menzinger im Münchner Polizeirevier von Matteo Lechner auf. Carlo will heiraten und bittet seinen ehemaligen Mentor und Freund, sein Trauzeuge zu werden. Lechner reagiert nicht ganz so begeistert, wie Carlo es sich erhoffte.

Hat es etwas damit zu tun, dass die Polizisten die Verdächtigen wegen einer fehlenden Aussage freilassen müssen? Carlo Menzinger findet seinen alten Freund überhaupt sehr verändert vor. Und dann gibt es plötzlich einen Toten, der zu Lechners Leuten gehörte.

Das unbefangene Wiedersehen mit seinen früheren Kollegen, den Münchner Hauptkommissaren Ivo Batic und Franz Leitmayr, ist herzlich, aber kurz. Denn unversehens findet Carlo sich inmitten von deren Ermittlungen wieder. Als Hotelier aus Thailand ist er zwar ohne Einfluss und polizeiliche Kompetenz, doch sein Einsatz wird – fast wie früher – unverzichtbar für die Aufklärung des komplizierten Falles. 

Rezension

Wirklich ein Abschlag? War man so naiv, nicht zu merken, dass Leitmayrs Worte dem nervlich unter extremer Belastung stehenden Kollegen gegenüber auch schon irgendwie hohl und ausgebrannt klingen? Von der Auffassung dessen, was wir sehen, hängt viel ab, denn der Fall selbst ist nicht überragend, aber auch nicht schlecht und sowohl dieser als auch seine Inszenierung sind eine Wohltat, nach den letzten Neuerscheinungen am Tatort-Markt.

Das Solide suggeriert Hochwertigkeit, aber sind wir nicht bloß erleichtert, dass uns die vertrauten Gesichter wieder einmal Vertrauen einflößen, wenn die Welt, die hier gezeigt wird, es schon nicht kann? Moderne Tatorte, und dazu gehört „Macht und Ohnmacht“, sind nicht mehr überwiegend dazu da, den  Zuschauer mit der Gewissheit zu füttern, dass die Welt jenseits einzelner oder organisierter krimineller Elemente okay ist. Dass die Staatsmacht und das Gute, das mit der Staatsmacht identisch ist, siegt. Das war einmal und dafür standen die klassischen Münchener Krimiserien, die wir eingangs erwähnt haben.

Doch seit einiger Zeit bleibt häufig das Gefühl, es wird niemals enden. Früher wussten Krimis dieses Gefühl gut zu unterdrücken, so wie im Western, wo das Böse am Ende tot im Staub lag und Friede in der Stadt herrschte. Wenn es bei immer unrealistischeren Ermittlern und Fallkonstellationen eine Gegentendenz zum Realismus gibt, dann ist es die, anzuerkennen, dass der Kampf immer weitergehen wird und daher nicht feststehen kann, wer am Ende siegen wird. Das ist der pessimistische Stil unserer Zeit. Das ist die Einsicht, dass Dinge aus dem Ruder laufen und der Ermittler als solcher zwar ausermittelt und dabei weitgehend die rechtliche Form wahrt, dass damit aber das letzte Wort nicht einmal im Einzelfall gesprochen ist.

Für diese Tendenz ist der neue Münchener Tatort ein Paradebeispiel. Trotzdem ist er nicht so packend wie der direkte Vorgänger „Der tiefe Schlaf“ aus der goldenen Zeit des Jahreswechsels 2012-2013, die mehrere gute Tatorte hintereinander brachte. Es fehlt die große Identifikation und den Einsatz oder die Reanimation von Carlo Menzinger sehen wir kritisch. Wir sind darauf geschult, in Plots Überflüssiges zu markieren und dies anhand der Frage: Was bringt eine Figur oder deren Handeln der Handlung? Ist sie notwendig oder schmückendes Beiwerk?

Und schmückt das Beiwerk oder stört sie die Dichte der Atomsphäre und die Konzentration aufs Wesentliche? Dieses kumpelhaftet „Pattpattpatt“ auf die Schulter von Menzinger von Batic und Leitmayr (chronologisch umgekehrt) zerreißt die Spannung und gehört zu uns zu den „falschen Zungenschlägen“ des Films. Ein harter Polizeifilm ist solchen gemütlichen Gesten feindlich gesonnen und ein harter Polizeifilm sollte der Tatort 868 doch werden, oder haben wir das falsch verstanden?

Hätte es werden können, ohne diese immer wieder fehlschlagenden Verfolgungen, in denen alte Männer junge Männer logischerweise nicht fassen können, und wenn doch, dann, weil junge Männer verpeilt sind und den alten Männern direkt in die Arme laufen. Das alles hätte man packender inszenieren können. Oder weglassen. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, nicht eine Summe von Delikten anzusprechen, welche den Polizisten im Alltag ihre Ohnmacht zeigen, sondern sich auf eines bzw. eine Deliktgruppe und auf ein Milieu zu konzentrieren,  dieses aber sehr präzise auszuleuchten und damit mehr Intensität zu schaffen. So denkt man sich, da ein Überfall, dort die häusliche Gewalt, klar, da kann man nicht immer was machen, aber bringt das geschulte Einsatzkräfte so aus dem Gleichgewicht?  Und geht es dabei um den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit?

Manches wirkt hier ungenau. Diese nackten Männer, die im ersten Filmdrittel häufig zu sehen sind, Herren von eher mittelmäßiger Figur, ihrer Uniform beraubt, wirken archaisch und reagieren auch so, als sie die Jungs gefasst haben, die den Überfall auf den Tabakladen begingen. Überdreht, naiv, einfach. Auch der ergraute Matteo Lechner als Gruppenchef macht da keine Ausnahme. Dann aber der tiefe, tiefe Frust, als einer der Täter freigelassen wird, der so pur wirkt, als ob das Spiel nicht seit langem bekannt sei, dann die Besäufnisszene nach dem Selbstmord eines Kollegen. Ist das die kalkulierte Darstellung von Extremzuständen, von Menschen, die aus der Balance sind? Sind es Momentaufnahmen, die einem Konzept folgen? Wir hätten uns mehr Kenntlichkeit gewünscht, ganz im Stil des guten, alten Autorenfilms, dessen Manipulationen, Intentionen und Botschaften für uns Nachgeborene so schön deutlich zu entschlüsseln sind. Es geht ja um Mechanismen, die durchaus der exemplarischen und verdichteten Darstellung zugänglich sind.

Fazit

Was den Film wieder einmal stärkt, sind die souveränen Darsteller, das gilt auch für die vielen uns weniger geläufigen Namen, die in diesem Film ihre Rollen recht gut bis sehr gut gespielt haben – und vor allem wieder für Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, die beinahe ohne Schnörkel wie auch ohne Humor ans Werk gehen und sich durch den zähen Brei eines konventionellen Whodunits hindurcharbeiten, bis der letzte Verdächtige dann doch eher wieder selbst dafür sorgt, dass er gestellt wird.

Wir bewerten „Macht und Ohnmacht“ (den Titel finden wir ein wenig zu episch und damit zu großspurig) mit 7,5/10. Weil München sich wieder einmal als verlässlich erwiesen hat und wir geben gerne zu, in einem Umfeld von Top-Erstausstrahlungen hätte es vielleicht nur zu 7,0/10 gereicht.

Damit wäre der Abstand zu „Der tiefe Schlaf“ auch etwas größer gewesen, den wir mit seiner innovativeren Konzeption für das bessere Werk halten und der uns mehr gefesselt hat. Aber die Parameter verändern sich. Wir hätten uns vor ein paar Monaten nicht träumen lassen, dass das erste Quartal 2013 eine doch erhebliche Anzahl an wenig begeisternden Tatorte bringen würde.

© 2019, 2018, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kriminalhauptkommissar Ivo Batic Miroslav Nemec
Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr Udo Wachtveitl
Carlo Menzinger Michael Fitz
Matteo Lechner Emilio de Marchi
Georg Zimmermann Sascha Alexander Gersak
Iris Bülow Sonsee Neu
Frank Bressinger Lasse Myhr
Dienstgruppenleiter Berger Uwe Preuss
Allmuth Lechner Maria Hartmann
Martina Bentele Alma Leiberg
Joachim Bentele Torben Liebrecht
Ralf Grabowski Konstantin Frolov
Birol Yenal Hassan Akkouch
David Kleinert Fabian Halbig
Lehrer Berufsschule Dirk Greis
Herr Yenal Mohammed-Ali Behboudi
Regie Thomas Stiller
Kamera Philipp Sichler
Drehbuch Dinah Marte Golch und Edward Berger
Musik Fabian Römer

(Handlung, Besetzung, Stab: DAS ERSTE)

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