Schäuble, der Marxist, die Schwarze Null und warum die deutsche Wirtschaft etwas Besonderes ist (Teil 3) / #SchwarzeNull #WolfgangSchäuble #Austerität #Wirtschaftsgeschichte

Schäuble, der Marxist, die Schwarze Null und warum die deutsche Wirtschaft etwas Besonderes ist. Nachdenken über ein Interview von OXI mit Werner Abelshauser.

Analyse 6 / Teil 3

Warum zwingt Deutschland sein Modell anderen auf, zumal, wenn Schäuble wusste, dass das nie hinreichen wird? Eine Teilantwort haben wir in Teil 2 der Analyse gegeben. Wir vertiefen dies nun mit einem weiteren Blick auf Europa, darüber  hinaus und gehen dann am Beispiel der Autoindustrie zu einigen grundsätzlichen Aspekten der Wirtschaftspsychologie  über.   

Ich schrieb bereits, Wolfgang Schäubles Wut war für mich teilweise dadurch bedingt, dass der Euro Deutschland in eine Zwangslage gebracht hat. Entweder es stützt ihn,  egal, ob das für alle problematisch ist, oder es lässt ihn fallen und dann hat es natürlich auch wieder alles falsch gemacht. Dadurch war eine Erpressbarkeit gegeben, die niemand gerne akzeptiert.

Schon Helmut Schmidt sagte, Deutschland hat von allen Ländern der Welt die wenigsten Handlungsmöglichkeiten – sinngemäß wiedergegeben. Das Dilemma zwischen der Bewahrung des Erbes einer friedlichen Nachkriegsordnung und einer am Erhalt deutscher Wirtschaftskraft ausgerichteten Politik ist eine enorm schwierige Aufgabe, der Merkel, die keine persönlichen Zugang dazu hat,  nicht gewachsen ist. Sie ist das Problem, nicht Schäuble. Und die Tatsache, dass Deutschland keine Profipolitiker hat, stellt einen allgemeine Mangel dar. Eine Schmiede der Diplomaten und Experten wie die französische ENA wäre dringend notwendig.

Und Marx hat  den Teil seiner Ideengebäude, dass alle sich an dem Wirtschaftsmodell ausrichten, das am höchsten entwickelt ist, nicht mit den Erfahrungen aus 150 Jahren weiterer Wirtschaftsgeschichte justieren können, sofern wir sagen, Ausrichtung gleich Umsetzung. Weniger die Orientierung als die Möglichkeiten zur Umsetzung dieser permanenten Aufwertung sind höchst anspruchsvoll. Es ist auch nicht die Realität, die wir sehen. Es ist nicht die Realität in Griechenland, es ist nicht die Realität in Süditalien, nicht in den Südbalkanländern. Wird es niemals sein. Versprochen. Und deswegen kann eine totale Egalisierung nie funktionieren. Das tut sie nicht einmal in Deutschland. Jahrzehnterlange Förderung schwacher Regionen und der Länderfinanzausgleich haben bisher nicht dazu geführt, dass Nord und Süd und Ost und West auch nur annähernd gleiche wirtschaftliche Verhältnisse aufweisen. Der Ausgleich innerhalb Deutschlands hat aber bei weitem nicht die „Fallhöhe“ wie ein solcher innerhalb Europas.

Das so punktfaktisch zu sehen, ist den Linken zu nationalistisch.

Ich verstehe den Ansatz, dass alle Menschen gleich sind und daher auch alle gleich leben können sollten, ich bin auch für Solidarität und gleiche Zugangsvoraussetzungen zu Bildung und zu den elementaren Gütern der Daseinsvorsorge  und ich bin besonders solidarisch mit denen, die wirklich ausgebeutet werden. Wenn wir sagen, das trifft auf uns alle oder alle unterhalb der Millionärsebene zu, dann ist es natürlich schwierig, Unterschiede zu machen. Müssen wir aber tun und die problematischen Bereiche unserer eigenen Arbeitswelt unterscheiden von den Zuständen etwa in vielen afrikanischen Staaten. Die elementar Ausgebeuteten, das sind nach meiner Ansicht nicht die Europäer, auch nicht die im Süden, sondern die Menschen in Afrika und an den asiatischen Werkbänken, die ihre Rohstoffe abgepresst oder abgeluchst bekommen oder sich für Niedriglöhne und in gefährlichen, fast rechtsfrei organisierten Klitschen kaputtschuften müssen. Das sind die Menschen, die unserer besonderen Solidarität bedürfen. Indem wir endlich aufpassen, was wir kaufen, beispielsweise. In Europa geht es eher darum, ein Wirtschaftsregime der verschiedenen Möglichkeiten und Geschwindigkeiten bei außenpolitischem Gleichklang und friedlicher Grundausrichtung zu finden. Und natürlich darf und soll es einheitliche Industrienormen geben, Verbraucherschutzrechte, Menschenrechtsstandards usw. Und wenn man wirklich anfangen will, das Wirtschaftsrecht zu vereinfachen, muss man beim Unternehmensteuerrecht anfangen, damit nicht bestimmte Länder sich auf die in jeder  Hinsicht billige Weise Standortvorteile verschaffen können – auf Kosten aller anderen, nicht nur in Europa.

Immer weitere Abhängigkeiten und Verstrickungen aufzubauen, die der überwiegenden Zahl der Menschen aber keine Vorteile bringen, das ist es jedoch, was zu Nationalismus führt, nicht die Anerkennung der Leistungen, die ein Land wie Deutschland erbringen kann, wenn man es klug führt und freundlich wirken lässt, wie zu Zeiten der Scheckbuchpolitik, die ich in gewisser Weise gar nicht so falsch finde. Die heutige scheinbar größere Souveränität auf formaler Ebene nach den 2+4-Verträgen bei gleichzeitiger zu schneller Erweiterung und Vertiefung der EU hat viele Probleme gebracht. Womit auch gesagt ist: Ich würde nicht darauf bestehen, dass Deutschland souveräner ist, aber darauf, dass es dort souverän ist, wo es darum geht, den Menschen Ansprüche im sozialen Bereich zu sichern. Auf dem Gebiet kann es sich nicht an Staaten orientieren, die noch in anderen Wirtschaftsphasen befindlich sind, wie die neuen EU-Mitglieder in Südosteuropa.

Nochmal nachgehakt, warum kann Europa nicht stärker angeglichen werden?

Deutschland ist keineswegs in allen Bereichen vorbildlich. Alles ist relativ. Ich könnte auch genau umgekehrt argumentieren: Wieso bekommen wir es nicht hin das schwedische Sozialstaatsniveau zu erreichen? Das Geld wäre da, das BIP pro Kopf ist ähnlich hoch. Das sind die Dinge, mit denen ich mich vorrangig befasse. Und nicht damit, warum in Süditalien die Mafiastrukturen so verfestigt sind, dass keine Macht der Welt offenbar in der Lage ist, sie aufzulösen und dieser Region endlich einen adäquaten Fortschritt zu ermöglichen. Ich glaube, die italienischstämmigen Menschen bei uns werden mir für diese Sichtweise nicht böse sein. Viele, die es dort im Süden nicht mehr aushielten, hierher gekommen und ich muss Adelshauser in einem weiteren Punkt – nicht widersprechen, aber etwas klarstellen: Natürlich war es eine Fehlannahme, dass Deutschland für immer eine Menge Niedriglöhner brauchen würde. Menschen, die eben nicht im damals noch  sehr gut funktionierenden dualen Ausbildungssystem groß geworden sind, sondern einfachere Arbeiten am Bau oder als Produktionshelfer oder in der Rohstoffe-Förderung verrichten konnten.

Deren Nachkommen haben jedoch die Veränderungen am deutschen Arbeitsmarkt mitgemacht, mitgetragen und sind heute in der Regel höher qualifiziert als die Vorfahren, die hierherkamen. Damit stelle ich auch klar, dass die hiesige Wirtschaftsordnung sehr wohl von Menschen anderer Herkunft zu aller Vorteil adaptiert werden kann. Aber viele dieser Nationalitäten hatten auch kein Problem, darin einen persönlichen Vorteil zu erkennen. Ich möchte jetzt nicht einsteigen in die Rassismus-Diskussion, diese Menschen können wirklich stolz sein, denn sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt und es doch geschafft.

Heute hat aber nach  meinem Wissen kaum noch ein Arbeitgeber ein Problem damit, wenn jemand einen polnischen, italienischen oder spanischen Nachnamen trägt und wir, Nachbarn in den großen Städten, Tür an Tür lebend, sowieso nicht. Insofern war es nicht falsch,  damals Arbeitskräfte anzuwerben, die zuhause keine vernünftigen Jobs fanden. Das hat doch die Sozialsysteme der Herkunftsländer entlastet. Vor allem aber: Es war ein großes Integrationsabenteuer und ich habe nicht den Eindruck, dass diese Personen bzw. deren Nachkommen sich ihrer Kultur, ihrer Herkunft nicht bewusst sind und zur Totassimilierung gezwungen wurden. Sie haben mehrere Identitäten, wie wir alle. Sie haben lediglich die großen Vorteile der hochgradig funktionalen hiesigen Wirtschaftsweise erkannt und für sich genutzt und damit in der Regel auch das Rechtssystem akzeptiert, welches dieses Funktionieren ermöglicht.

Aber das seit 150 Jahren erfolgreiche deutsche Wirtschaftsmodell ist doch auf den Export hochwertiger Produkte ausgerichtet, warum wird es dann von den Linken so bekämpft?  

Ein Teil der linken Erzählung ist die von den zu mächtigen Großkonzernen. Aber die warenherstellenden Großkonzerne deutscher Machart sind nicht so extrem mächtig und zahlen ihre Arbeit nehmenden Personen in der Regel auch recht gut. Auf Sonderformen des Niedergangs der Arbeitskultur wie dem Nebenher von Leiharbeitern und Stammbelegschaft in diesen Firmen gehe ich hier nicht ein, weil dies ein eigenes, kritisch zu betrachtendes Thema ist, aber wir sind mit dem übernationalen Vergleich befasst und in diesem sind die Verhältnisse in der Industrie noch gut.

Die deutschen Konzerne machen nicht alles richtig, schließen beispielsweise Werke in Berlin, obwohl der Konzern Gewinn macht, dem die Werke gehören und diese Werke selbst, nach allem, was ich weiß, ebenfalls profitabel gearbeitet haben – und dafür werden die Chefs der Unternehmen von der Wirtschaftspresse gefeiert.

Aber man kann auch Neues aufbauen. Man könnte gute Ideen zur Erhaltung umsetzen, wenn es eine – genau, eine strategische Wirtschaftspolitik gäbe. Das Problem sind vor allem die Finanzkonzerne, die aus Nichts, aus reiner Spekulation und Verschiebunbg Geld machen wollen und wenn es nicht funktioniert, müssen die Steuerzahler einspringen. Das ist es vor allem, was uns schadet und da bin ich ganz auf der Seite der Linken, die fordern, dass hier endlich eine Änderung erfolgen muss.  Ich weise aber immer wieder gerne darauf hin, dass in Deutschland gerade diese Finanzindustrie vergleichsweise wenig ausgeprägt ist, anders als in den USA, in Großbritannien, in der Schweiz oder in Frankreich. Ich finde daher, auf dem deutschen Modell kannn man viel mehr aufbauen, um die Wirtschaft solidarischer und zukunftsfähiger zu machen.

Aber es gibt leider auch weniger gute Gründe für diese Gleichsetzung aller Formen von Konzernen. Mangelnde Kenntnis vor allem über die psychologische Seite des Wirtschaftens ist ein ganz wichtiger.  Neben diesem geschichtsneutralen Linkskeynsianismus behaupten auch Menschen, die Bücher über die Umverteilung des Wohlstands schreiben, die Autoindustrie etwa wäre ein quasi innovationsunfähiges Oligopol. Auch da fehlt es offensichtlich an Zugang. Die Autoindustrie, die heute noch existiert, muss innovativ gewesen sein, sonst hätte sie nicht bisherigen Anpassungszwänge überstanden. Sie hat offensichtlich überwiegend die richtigen Produkte zur richtigen Zeit angeboten, sonst wäre sie nicht mehr existent. Manchmal hilft ihr der Staat, wie in Frankreich üblich oder 2009 in den USA, das ist eben strategisch planende oder wenigstens erhaltende Wirtschaftspolitik. Bei uns nicht vorhanden und nicht durch Lobbyarbeit des VDA zu ersetzen.

Einfluss hat die Autowirtschaft, das stimmt natürlich. Aber warum es nicht schneller vorangeht mit der E-Innovation etc., das wird von linken Politikern falsch herum gesehen. Die Menschen kaufen a.) was ihnen gut gefällt und b.) was sie sich leisten können. Manchmal geben sie aus ethischen Gründen sogar etwas mehr aus, als unbedingt notwendig wäre, wenn sie es sich leisten können. Ich freue mich schon auf meinen neuen halbwegs nachhaltigen Staubsauger, der müsste heute oder am Montag kommen. Hat ein paar Euro mehr gekostet als ein chinesisches Billigprodukt, dazu stehe ich aber. Aber bei Autos geht es aber um andere Größenordnungen. Ein E-Auto ist nun mal um 20 Prozent teurer als ein vergleichbarer „Benziner“ und da muss der Staat Anreize schaffen, dann klappt es auch mit dem Absatz. Dann muss er diese Autos entsprechend privilegieren, wie bisher die Dieselautos mit niedrigeren Kraftstoffsteuersätzen, dann muss er mitmachen bei der Schaffung der Lade-Infrastrukturen, dann hat er auch Kontrolle und langfristig sogar ein Zusatzgeschäft. Endlich wieder neues Tafelsilber für den Staat. Und die Autoindustrie wird mitziehen. Die deutsche Autoindustrie ist nicht blöd, das darf man ihr nicht unterstellen. Sie ist nur ein wenig konservativ und macht Dinge dann, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben und lässt beispielsweise lieber Toyota diesen hässlichen Prius als das Hybrid-Pioniermodell bauen. Ja, das ist auch ein Imageträger, trotz seiner Form, aber da spielen die Besten der Welt eben unterschiedliche Strategien aus. Das ist alles. Wenn der Prius in Europa in den 2000ern ein Mega-Renner geworden wäre, hätte es ein vergleichbares Modell von VW sicher auch viel früher gegeben. Und wenn das E-Auto den größeren Nutzen bringt, weil sein Betrieb finanziell vergleichbar mit dem eines Verbrennungsmotor-Wagens ist, dann wird es sich verkaufen. Und falls nicht, hat das psychologische Gründe auf Kundenseite, dafür kann die Autoindustrie aber nichts.

Ihre Werbung geht aber auch nicht gerade in die ökologische Richtung.

Die Werbung folgt dem, was kluge Werbestrategen bei den Kunden als Kaufmotive ermittelt haben, nicht umgekehrt. Das unterscheidet unsere Ordnung ja von einer „Bedarfsplanung“ der zentralistischen Art. Man ist hier nicht so vermessen, die Menschen erst neu erschaffen zu wollen, damit sie sich mit einem bestimmten Produkte-Angebot klaglos zufrieden geben.

Es gibt mittlerweile auch viele deutsche Fahrzeuge als Hybridvarianten und schon ein paar reine E-Autos, da ist BMW jetzt mal vorne, aber der Absatz ist nicht so riesig, dass BMW sich nun veranlasst sähe, innerhalb von fünf Jahren die komplette Produktion umzustellen.

Jedoch, die Linken geben immer den Konzernen die Schuld an diesen Zuständen, nicht den Verbrauchern, weil ja die Konzerne böse ist, das Individuum auf der Kundenseite aber nicht fehlgehen kann, denn das Fehlgehen des Individuums kommt im linken Denken nicht vor. Schon gar nicht mehr, seit die Selbstkritik durch deren realsozialistische Form der Anwendung diskreditiert wurde.  Alles, was schlecht ist, wird also vergemeinschaftet und schuld ist das Kapital, wenn es irgendwie nicht ethisch optimal läuft. Deswegen hat der Realsozialismus auch so konsequent an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigewirtschaftet, weil dort diese Denke vorgeherrscht hat. Der Staat bietet was an und die Menschen haben es gefälligst zu nehmen, wie es ist, ansonsten sind sie keine guten Sozialisten. Das ist überspitzt, schon klar, aber dieses Denken findet sich leider immer wieder auch bei heutigen Politiker_innen im linken Spektrum. Mit Solidarität hat das aber wenig zu tun und mit guter Arbeit auch nicht.

Was hilft gegen diesen Mangel an Realismus bei linken Politker_innen? Kann man ihn beheben? 

Damit und mit weiteren Aspekten der Wirtschaftsgeschichte befassen wir uns in Teil 4 der Analyse am 13.08.2018.

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