Wagenknecht – der nächste Krach // #Wagenknecht #Aufstehen #DIELINKE #Unteilbar #OpenBorders #Kulturlinke #Klassenlinke #Rassismus #GesineLötzsch #FabiodeMasi #deMasi

Kommentar 103

Es gibt mal wieder Zoff bei DIE LINKE und kein Zoff dort ohne Sahra Wagenknecht – die Partei wäre ja ohne sie schon richtig langweilig. 

Ich würde mir wünschen, DIE LINKE wäre mal so positiv langweilig wie im Moment die Grünen und würden ihren Job machen, nämlich in erster Linie für mich als Bürger tätig zu sein, aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. Gut, das war nun polemisch, natürlich machen viele dort einen guten Job, aber eines ist wohl klar: Die Menschen da draußen sind den ewigen Zank in den meisten Parteien leid. Das hat auch nichts mit innerparteilicher Demokratie zu tun, denn Demokratie ist Kompromisse aushandeln und dann gemeinsam voran.

Was ist schon wieder passiert?

Übermorgen gibt es in Berlin eine Großdemo, die vom Bündnis „Unteilbar“ organisiert wird, einer sehr breiten Front von Organisationen, auch DIE LINKE gehört dazu, selbstverständlich. Hier ist schon einmal der Aufruf zum Einlesen, Teile werden wir aber nochmal zitieren. Wagenknecht hat nun gesagt, offiziell wird „Aufstehen“, die neue Linksbewegung, sich daran nicht beteiligen. Mittlerweile sehe ich aber Meldungen von führenden Köpfen in „Aufstehen“, die sehr wohl mitmachen und sich aus als „Aufstehen“ in einem Block zeigen wollen.

Gemäß SPIEGEL-Meldung hat heute Abend der außenpolitische Sprecher der LINKEn, Stefan Liebich, Wagenknecht eine Grenzüberschreitung vorgeworfen.

„Wagenknecht hatte ihre Haltung auf einer Veranstaltung damit begründet, dass auf der Kundgebung „in der Tendenz“ zu offenen Grenzen aufgerufen werde, was „weltfremd“ sei. Die von ihr initiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen“ unterstütze die Großdemonstration formal nicht, sagte Wagenknecht.

Im Aufruf des „Unteilbar“-Bündnisses zur Demo, zu der mehr als zehntausend Menschen erwartet werden, ist allerdings von offenen Grenzen nicht die Rede. „Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind“, heißt es dort.“ (Original-Wortlaut DER SPIEGEL).

Liebig sagte nun, es könne nicht sein, dass die Fraktionsvorsitzende von der Fraktionslinie abweicht, das werde man auf Dauer nicht tolerieren.

Ist denn alles richtig wiedergegeben?

Es geht um eine kleine Passage aus einer Saalveranstaltung mit Gesine Lötzsch als Comoderatorin am 8.10. unter dem Titel: „Linke Alternativen – Wege in eine gerechte Gesellschaft„. Sehr schade übrigens, dass nun fast zwei Stunden wieder so verkürzt werden, denn an dem Abend war Wagenknecht sehr bei sich und hat sehr konzentriert argumentiert. Nicht, dass sie sonst fahrig wäre, aber der Diskussionsrahmen spielt ja doch eine große Rolle dabei, ob man etwas Tiefe reinbekommt und Ruhe hat, um auch mal prozessual zu denken, und dazu habe ich Ansätze gesehen, die fast aus meinem Forderungskatalog an „Aufstehen“ stammen könnten. Das Publikum war übrigens im Schnitt ganz schön alt, da wäre ich gar nicht aufgefallen. Sie hat aber zu „Unteilbar“ nun dies gesagt, nachdem Lötzsch gefragt hatte, ob „Aufstehen“ am Samstag dabei sein wird:

„Wir sind nicht formal dabei. Es wird sicherlich Leute von uns geben, die da auch hingehen, wobei ich ehrlich sage, wenn ich mir den Aufruf ansehe: Ich  halte es für absolut richtig, wenn viele Leute gegen Rassismus und Rechtsentwicklung auf die Straße gehen, aber auch in diesem Aufruf sehe ich eine Tendez, wo sozusagen eine bestimmte Position, offene Grenzen für alle, schon wieder als die bestimmende Position dargestellt wird und ich finde, damit macht man es kleiner. Man hat dann immer noch eine große Demonstration, aber man grenzt damit auch (…) Menschen aus, die genauso bereit wären und genauso überzeugt sind, dass man Rassismus entgegentreten muss. Deswegen sehe ich, dass wir in Zukunft Bewegungen brauchen, die diese Menschen stärker einbeziehen. Es ist ein bestimmtes Milieu, das dort demonstriert und es ist ein anderes, was man dort nicht finden wird.“ (Applaus im Saal, Gesine Lötzsch kratzt sich oben mittig am Kopf.)

Ja, diese Übersprungshandlung von Lötzsch und die Miene dabei waren nett. Sie ist ja auch eine Spitzenpolitikerin der LINKEn und wusste sofort, welcher Sprengstoff in dieser kurzen Passage wieder steckt und ist lieber zum nächsten Thema übergegangen, anstatt nachzuhaken.

Es steht doch wirklich im Aufruf nichts von offenen Grenzen. 

Nein. Aber es steht etwas Ähnliches im so Beschluss gewordenen Leitantrag der Parteispzitze der LINKEN auf dem Bundesparteitag von Leipzig, Juni 2018. Und im Hinblick darauf muss man verstehen, was Wagenknecht gesagt hat: Das war auch ein Wink in die eigene Partei hinein und es war vorhersehbar, dass darauf reagiert wird.

Es wäre bei dieser Diskussion gar nicht notwendig gewesen, so deutlich zu werden. Es gab zuvor keinen Schlagabtausch mit irgendjemandem im Saal, der das herausgefordert hätte. Das Saalpublikum mochte es, aber das Saalpublikum unterschied sich nach meiner Ansicht sehr deutlich von dem Publikum, das Wagenknecht am Samstag auf der Demo erwartet und so konnte sie gleichzeitig  noch das Saalpublikum pflegen. Es gibt aber einen weiteren Aspekt.

Dabei geht es wohl darum, wie der Aufruf verfasst ist, nicht um den Wortlaut?

Die Diktion des Aufrufs ist „kulturlinks“. Allein, dass auch ja keine Gruppe und keine Diskriminierungsform und kein Genderstern vergessen wird, das ist für jemanden, der so scharf und klassenorientiert denkt wie Wagenknecht ermüdend und ich bin ebenfalls der Ansicht, dass man sich damit zu Demos, aber nicht zu sozialer Progression vereinen kann, die der Mehrheit zugute kommt. Wenn ich viel beten würde, würde ich bei solchen Aufrufen immer beten, dass auch ja niemand vergessen wurde, der sich dann wieder ausgeschlossen und diskriminiert fühlen könnte. Das wirkt so rituell und auch blutleer, durch diese wuchernden Gruppenberücksichtigungsformulierungen.

Wagenknecht mag nach meiner Ansicht dieses Gepräge nicht und natürlich sind die Formulierungen nicht ganz so eindeutig. Es steht zwar nichts explizit von offenen Grenzen drin, aber was bedeutet zum Beispiel der allerletzte Satz: „Solidarität kennt keine Grenzen?“ Ist das quantitativ oder räumlich gemeint oder beides? Beides zusammen wäre nämlich genau das: offene Grenzen.

Wir haben uns auch hinter die Demo gestellt, obwohl stellenweise versucht wird, an die offenen Grenzen doch nah heranzukommen und ich diesbezüglich eher Wagenknechts Position teile. Schutz und Asyl, darüber wird es wohl im linken Spektrum Einigkeit geben, aber zum Beispiel wieder: „Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar (sind)„. Ich kann das ohne Weiteres so interpretieren, dass, wenn die Menschenrechte woanders nicht vollumfänglich zu verwirklichen sind, alle hierher kommen sollen, die in Ländern leben, in denen das nicht so ist, damit sie an unseren hohen Standards teilnehmen und damit endlich diese unteilbaren Rechte genießen können. Ich muss es nicht so interpretieren, aber ich kann und Wagenknecht sieht in solchen Formulierungen wohl die von ihr beschriebene Tendenz.

Wieso stellen wir uns auch dahinter, obwohl uns doch diese nicht ganz eindeutige, aber sehr weit auslegbare Tendenz auch aufgefallen ist – vor dieser Diskussion, die jetzt für Schlagzeilen sorgt?

Weil da auch etwas über soziale Gerechtigkeit steht und einen Aufruf, der das nicht vergisst und außerdem darauf gerichtet ist, dass wir ein Zeichen gegen Rassismus setzen wollen, unterstütze ich und nehme auch mal in Kauf, dass mir das eine oder andere zu verschwurbelt formuliert ist oder in der Tat eine Tendenz hin zu Ideen zeigt, die ich gegenwärtig nicht für realistisch halte.

Ich wäre sehr froh, wenn wir damit mal für alle in Deutschland, alle, jedweder Herkunft, Ethnie, Religion, Position, ein Stück vorankämen. Mal ein großes Thema in Angriff nehmen, das Einwirkung hier und jetzt auf die Politik erlaubt – wenn man sich darauf konzentrieren könnte, das wäre schick. Dies in einem ersten Schritt, dem weitere folgen dürfen. Es geht um Kampagnen mit Wirksamkeit, und es gib für jedes Thema richtige und falsche Zeitpunkte. Allerdings: Ein solcher Aufruf ist nicht einfach zu formulieren, weil wir eben diese schreckliche Fragmentierung nach Gruppen und Grüppchen haben und wirklich jeder dieser Cluster will irgendwas von sich in solchen Formulierungen wiedersehen, sonst – Diskriminierung. Keine Selbstbestimmung.

Also Verständnis für Sahra Wagenknecht?

Verständnis für ihre Interpretation des Aufrufs. Nicht wörtlich, aber Tendenz – und wo es herkommt, die Sprache. Alles klar. Etwas anderes ist es, dezidiert „Aufstehen“ nicht in diesem Kontext auftreten lassen zu wollen und das geht viel tiefer, als man auf den ersten Blick denken mag.

Es geht um die Spaltung der LINKEn, es geht jetzt sogar schon darum, dass sich „Aufstehen“-Anhänger_innen unterschiedlich verhalten, nämlich offiziell oder inoffiziell und letztlich – wer bestimmt eigentlich, wie „Aufstehen“ sich offiziell zu stellen hat? Also doch Sahra Wagenknecht, wenn sie es eine solche Aussage trifft – und das sollte man zugeben und die Bewegung offiziell so ausrichten, dass es sichtbar wird.

Wenn Sahra Wagenknecht die Binnendemokratie ernst nehmen würde, hätte sie in etwa dies zu Protokoll geben müssen: Meine Position ist die folgende, aber jede Gruppe von „Aufstehen“ hat selbstverständlich das Recht, sich offiziell zu beteiligen und Banner mit unserem Logo mitzunehmen, wenn sie es für richtig hält. Und nicht, einzelne Leute werden da, also privat sozusagen, wie der Hutmann von Dresden, mal aufschlagen, aber nicht unter dem offiziellen Label. Sich nicht zu vereinnahmen lassen und trotzige Absenz liegen hier schon auffällig dicht beieinander.

Und dann noch Beifall von der falschen Seite.

Der Gauland hat sofort gemerkt, wie man mit Beifall für Wagenknecht den Spaltpilz gießen kann, der in der LINKEn eh schon gut gedeiht. Und das darf einfach im Zusammenhang mit einer grundsätzlich richtigen Demo gegen Rassismus nicht passieren, wenn man „Aufstehen“ auch für junge Linke offenhalten will, die eben nun mal kosmopolitisch denken.

Sollte sich die Bewegung tatsächlich näher mit Wirtschaftspolitik auseinandersetzen, könnte sie nämlich eine einmalige Chance haben: Diesen engagierten und wohlmeinenden Menschen zu erklären, warum wir erst am System arbeiten müssen, welche Hindernisse wird dabei überwinden, wofür wir kämpfen müssen, und zwar hier, vor Ort, bevor wir in jeder Hinsicht grenzenlos solidarisch sein können. Nicht nur mit Worten, mit Lippenbekenntnissen, darin sind wir ja groß, sondern auch mit Taten.

Es wäre spannend, sich damit auseinanderzusetzen, Überzeugungsarbeit zu leisten und sich auch mal die eine oder andere eigene Positionskorrektur zu gönnen, wenn wirklich etwas Neues auf den Tisch kommt. Zum Beispiel eine Idee, wie man das alles flugs umsetzen kann, was da verlang wird. Aber wenn jetzt schon so ein Querfrontgepräge zu deutlich sichtbar wird, dann verschreckt man die frischesten und kreativsten Menschen, die noch Mut und Optimismus mitbringen – wieder einmal. Leider.

Aber es ist doch eine klare Positionierung und Wagenknecht will vielleicht diese Abgrenzung, die sie selbst darstellt.

Ich habe sehr wohl registriert, dass Fabio de Masi, der eine wichtige Rolle bei „Aufstehen“ spielt und MdB der LINKEn ist, gesagt hat, dass er hingeht. Aber sehr geschickt eine Solidaritätsbrücke dabei geschlagen hat – hin zu Wagenknecht, indem er quasi wortgleich deren wirtschaftspolitische Positionen als Antriebsfeder für sein Mitgehen herausstellt. Sogar die arme reiche Frau Klatten muss wieder herhalten für alles Böse an diesem Wirtschaftssystem.

Es ist jetzt auch für mich eine Frage der Taktik, ob ich hier einfach meine Eindrücke aufschreibe oder mir selbst eine aktivere Rolle offenhalte. Tue ich Ersteres, wird’s mit Letzterem schwierig, weil dieses ständige kritische Gründeln und diese enervierende Suche nach dem richtigen Kern, also das mag kein Politiker.

Ich streiche trotzdem mal ein paar Sätze. Gut: Dass es sehr wohl Politiker_innen bei „Aufstehen“ gibt, die sich das ganze linke Spektrum als mögliches Teilnehmerfeld wünschen. Von diesem Stand gehe ich aus und vielleicht wird alles so aufgeteilt, dass eine bereits gut eingespielte Spitze unterschiedlich tendieren und unterschiedliches Klientel ansprechen wird. Ob das gutgehen kann, weiß ich nicht. Es gibt aber noch einen Eindruck, der sich durch dieses Verhalten Wagenknechts verstärkt. Nämlich, dass man sehr wohl damit rechnet, dass es zum Bruch innerhalb der LINKEn kommen könnte und dass dies ein nicht so unwahrscheinliches Szenario ist, denke ich bekanntlich nicht erst seit heute.

Das hat sie nun davon, Sahra Wagenknecht, dass ihr Verhalten zu neuerlichen Spekulationen Anlass gibt, die Zukunft von „Aufstehen“ betreffend.

Auch Liebich und andere wissen es. Sonst würde nicht schon wieder rhetorisch die Keule geschwungen („geht künftig gar nicht mehr“) und man hielte sich etwas mehr zurück. Und 150.000 Angemeldete (oder schon mehr) bei „Aufstehen“ werden, kaum dass die Bewegung gestartet ist, hineingezogen in diesen Kampf, die meisten, ohne es zu merken, ohne von ihm zu wissen.

Den rhetorisch bei weitem besten Absatz dieses Beitrags habe ich jetzt auch gecancelt und ich schäume innerlich, weil ich mich hier selbst zensiere – und warum eigentlich? Es ging im gestrichenen Teil um ein paar strategische Überlegungen. Dilemma: Für hier und heute sind sie vielleicht zu scharf und etwas gewagt formuliert gewesen, aber wenn jeder Halbblinde merkt, was Sache ist, ist es auch nicht  mehr so brillant, darüber zu schreiben. Trotzdem, noch nicht. Erstens hat man als Linker nicht exzeptionalistisch zu denken und zweitens: Wer weiß schon so genau, was die Zukunft bringt? Und morgen ist auch noch ein Tag und es müssen noch einige Artikel fürs Dossier „Aufstehen“ verfasst werden.

Ganz aktuell posten wir hier noch etwas, um einen weiteren Aspekt einzubringen:

So würde es Sahra Wagenknecht nicht sagen, weil es auch eine Verunglimpfung vieler Teilnehmer darstellt, die nicht geostrategisch denken, aber vielleicht wäre es sogar wichtig: Die meisten von denen, die mitrennen, sind keine Pazifisten und sich gegen Rassismus zu wenden, für eine offene Politik zu sein und sich gleichzeitig nicht über die Ursachen von Vertreibungen und die kapitalistischen Hintergründe des Krieges und des Rassismus klar zu sein, das ist natürlich zu kurz gesprungen.

Und eines ist natürlich super ironisch: Wie sich um Aktionen unter einem Motto namens „Unteilbar“ gestritten wird. Man muss wirklich aufpassen, dass man die ganz großen Begriffe nicht zu sehr verschleißt.

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


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