
Serie „Mieter, kämpft um diese Stadt!“
Derzeit wird viel über den neuen Sozialismus in Berlin geredet. Dabei geht es vor allem um das Instrument der Enteignung von Immobilien-Großbesitz.
Wir beschäftigen uns mit den Instrumenten, die den Mietenwahnsinn stoppen könnten. Wir schlagen einen Bogen, weil wir die Situation grundsätzlich beleuchten wollen und erinnern in Bezug auf Enteignung und andere Maßnahmen zunächst noch einmal an diesen Beitrag, der in der Berliner Zeitung schon im Frühjahr 2017 erschienen ist.
Wir halten fest, die auf Bundesebene eingeführte bzw. bundesgesetzlich geregelte und den Kommunen zur Einführung freigegebene Mietpreisbremse war bisher weitgehend unwirksam und ob sich das mit den zu Beginn 2019 eingeführten Verschärfungen ändern wird, bleibt abzuwarten. Die Mietervetreter_innen sind skeptisch.
Da liegt es nah, auf Landesebene zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Enteignung ist das radikalste Stichwort. Rückkauf oder Ankauf von derzeit privaten Wohnungsbeständen durch die städtischen Wohnungsgesellschaften das zweite. Und jetzt ist plötzlich ins Spiel gekommen, dass das Land Berlin eine eigene, zusätzliche Mietpreisregulierung einführen könnte.
Wir sind in gewisser Weise enttäuscht von mehreren Seiten im „Mietenwahnsinn“-Monopoly und werden in den nächsten Beiträgen noch ausführen, warum. Die Presse betreffend, vor allem deshalb, weil zwar engagierte Lokalredakteur_innen oft sehr mieterfreundlich schreiben, der „Überbau“ dann aber doch eine konservative Linie durchblicken lässt, welche die Mieter_innen wenig im Blick hat. Andererseits, warum sollte nicht auch innerhalb einer Redaktion eine gewisse Meinungsfreiheit oder Bandbreite herrschen.
Auch wir beurteilen außerdem jeden Fall einzeln. Was den Enteignungs-Sozialismus angeht, fangen wir mit dieser Betrachtung an:
- 58 Prozent der Wohnungsinserate verstießen im beobachteten Zeitraum gegen die Mietpreisbremse,
- Allein in Berlin zahlten Mieter_innen jährlich (vermutlich war das erste volle Jahr der Mietpreisbremse, 2016, gemeint) 170 Millionen Euro zu viel.
Das heißt nichts anderes, als dass die Mehrzahl der Vermieter die Mieter betrügt. Weiß der Mieter hingegen, dass die Miete überhöht ist, traut sich aber nicht, sich zu wehren, weil er froh ist, auf dem angespannten Wohnungsmarkt eine Bleibe ergattert zu haben, kann man Ausnutzung einer Zwangslage wie der des extrem angespannten Wohnungsmarktes, also Mietenwucher, prüfen.
Betrug ist ein Straftatbestand, seltsamerweise wird der Mietenbetrug durch Überschreitung der Mietpreisbremse aber nie im Zusammenhang mit § 263 StGB genannt – weil man auf Bundesebene die Mietpreisbremse als läppisch ansieht und Verstöße nicht mit Strafen bewehrt. Ob Gerichte nicht trotzdem auf den Betrugstatbestand zurückgreifen könnten, ist eine andere Frage, falls ein Mieter Strafantrag stellen würde:
- 263 StGB Abs. 1:
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Wir halten bei der unerlaubten Mietpreisgestaltung alle obigen Tatbestandsmerkmale für gegeben. Der Versuch ist strafbar und es wäre zu prüfen, ob nicht sogar gemäß § 263 Abs. 3 ein schwerer Fall, etwa im Sinn bandenmäßiger Begehung gegeben ist, wenn große Wohnungsunternehmen Betrug an Mietern als Bestandteil ihrer Geschäftspolitik verwenden. Bei Bejahung solcher Fälle wird immer auf Freiheitsstrafe erkannt, der Grundtatbestand nach Abs. 1 kann auch auf eine Geldstrafe hinauslaufen. Allerdings haben die Opfer nichts davon, wenn die Täter auf diese Weise bestraft werden. Sie müssen zivilrechtliche Ansprüche geltend machen, wenn sie entschädigt werden wollen.
Insbesondere aber seit der Verschärfung der Regeln für die Einziehung von Vermögen, das durch Vermögensdelikte wie den Betrug erlangt wurde im Jahr 2017 ist nicht nur denkbar, dass die zu viel erzielte Miete eingezogen wird, sondern nach unserer Ansicht eine Erweiterung auf das Objekt zu prüfen, mit dem dieser Betrug ausgeführt wurde, nämlich das Haus. Besonders in Fällen, in denen systematisch betrogen wird, kann man sagen, Hausbesitz wird als Werkzeug, als Tatmittel zum Betrug missbraucht.
- 74 StGB
Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern
(1) Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können eingezogen werden.
Bei systematisch betrügenden Vermietern könnte man vielleicht sogar von einer Bestimmung, jedenfalls aber von einem Gebrauch zur Ausführung sprechen. Gerade große Vermieter können in Bezug auf den Mietbetrug u. E. auch nicht fahrlässig handeln, was die Strafbarkeit bei Betrug, der Vorsatz erfordert, ausschließen würde.
Wir wissen, dass die strafrechtliche Argumentation z. B. bei der Deutsche Wohnen schwierig würde, weil ihre Rechtsabteilung gut aufpasst, dass keine eindeutigen Tatbestände dieser Art gegeben sind, aber bei vielen Vermietern und bei der Mehrheit aller Vermietungsanzeigen scheint das gemäß der Aufstellung im verlinkten Beitrag anders zu sein.
Allerdings ist das Ausgeführte auch generell zu verstehen. Hier wird von den Vermietern eine bei angespannter Wohnungsmarktlage besonders ausgeprägte Machtstellung missbraucht, um die Mieter_innen systematisch abzuzocken. Das bedeutet, wenn man die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ernst nimmt, dass dieses Argument zur Enteignung verwendet werden kann, zumal, wenn man die Wohnungen als Tatmittel, im übertragenen Sinn also als Tatwaffe, ansieht.
Bemerkenswert an der aktuellen Lage ist, dass der Bundesgesetzgeber suggeriert, eine absichtliche Umgehung der Mietpreisbremse sei kein Mietbetrug, indem er sie nicht sanktionieren will, sondern nach dem Motto vorgeht, versucht’s gerne mal mit dem Betrug – und wenn ihr Pech habt, müsst ihr die zu viel gezahlte Miete halt zurückgeben. Jedoch nur das, was ab dem Zeitpunkt der Rüge des Mieters erzielt wurde, nicht einmal rückwirkend von Vertragsbeginn an, was doch wohl das Mindeste wäre, was ein Mensch mit gutem Rechtsempfinden ansetzen würde.
Vermieter gegen die Gerechtigkeit zu privilegieren, ist ein Freibrief für unredliches Verhalten und es sagt eine Menge über die Novellierung der Mietpreisbremse , gültig ab Januar 2019, aus, dass diese Ungerechtigkeit nicht beseitigt wurde.
Hingegen können Mieter_innen, die einen Mietvertrag mit der Absicht eingehen, keine oder geringere Mietzahlungen als vereinbart zu leisten, strafrechtlich verfolgt werden. Den Vermietern helfen Anwälte auch gerne dabei bzw. stacheln sie dazu auf, im Netz lassen sich viele einschlägige Angebote finden – aber wie ist es in der umgekehrten Richtung?
Der Ordnung halber sei erwähnt, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, Vermieter strafrechtlich zu belangen, etwa den oben angesprochenen § 291 StGB (Mietwucher), der seine tatbestandsmäßige Entsprechung in § 138 BGB (Wucher) für zivilrechtliche Ansprüche hat – sowie § 5 WiStG (Wirtschaftsstrafgesetz), der die Grenzen für überhöhte Mieten zwar enger zieht als § 291 StGB, aber a.) nicht so eng wie die Vorgaben der Mietpreisbremse und Verstöße b.) nur als Ordnungswidrigkeit behandelt.
Es ist festzuhalten, dass die Rechtslage in diesem Bereich, besonders die Mietpreisbremse betreffend, einseitig zugunsten der Vermieter ausgestaltet ist und belegt einmal mehr, wie die Machtverhältnisse am angeblich freien Markt aussehen.

Muss also nicht, um mehr Waffengleichheit herzustellen und das Sozialstaatsprinzip wieder in den Fokus zu rücken, die Enteignung von systematischen Vermieter-Mietbetrügern möglich sein, wenn man einen zahlungsunwilligen Menschen, der in der Regel lediglich einen einzigen Betrugsfall verursachen kann, strafrechtlich verfolgen und ihm damit im Fall der Verurteilung eine Vorstrafe ins Führungszeugnis praktizieren und sie räumen darf?
Muss das nicht für Millionen-Mietbetrüger auf Vermieterseite erst recht gelten, dass man ihnen die Gegenstände wegnehmen darf, mit denen sie gewohnheitsmäßigen / gewerblichen, fortgesetzten Betrug begehen? Wir meinen, das sollte möglich sein.
Diese Möglichkeit sollte zudem Tatbestände wie das „Herausmodernisieren“ umfassen, bei denen Häuser gezielt als Verdrängungswaffe gegen die Menschen eingesetzt werden, die darin wohnen.
Wir fassen zusammen: Wenn schon so grundsätzlich über alle möglichen Instrumente gegen die Verdrängung nachgedacht wird, sollte man einbeziehen, dass in Berlin (2016) 58 Prozent aller Vermietungsanzeigen so abgefasst waren, dass sie auf einen Betrugstatbestand hinauslaufen. Das wirft ein Licht sowohl auf den Geist in der Immobilienwirtschaft wie auf die zahnlose bisherige Mietpreisbremse – und darauf, dass die Idee, über Enteignungen nachzudenken, sinnvoll ist. Wir verstehen diesen Beitrag als Zusatzargument, uns ist klar, dass die strafrechtliche Schiene zur Enteignung seitens des Bundes-Gesetzgebers ein erhebliches Umdenken hin zur stärkeren Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips erfordern würde.
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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