Die Lady von Shanghai (The Lady from Shanghai, USA 1947) #Filmfest 20

Filmfest 20

2019-01-25 filmfest - neue version mit mittiger schrift

 Wir verlassen Orson Welles noch nicht. „Citizen Kane“ werden wir vorerst aber auch nicht besprechen können. 

Es ist mit ihm und uns wie mit Welles‘ Filmen, die danach entstanden: Wir haben eine angefangene Rezension mit einem Vermerk, dass wir den Film noch einmal anschauen müssen, um sie beenden zu können. Also springen wir von „Othello“ erst einmal wieder ein paar Jahre rückwärts (nachdem wir zum Mohren von Venedig von „Der Glanz des Hauses Amberson“ gelangten) – zum dem Film, welcher der Grund ist, aus dem Orson Welles lieber nach Europa ging: „Die Lady von Schanghai“. Es ist jener exzentrische Film noir, in dem Welles seine Noch-Ehefrau Rita Hayworth als Hauptdarstellerin einsetzt und der lange Zeit sehr kontrovers diskutiert wurde – bis er dann mehr und mehr den Status eines Meisterwerkes erhielt.

Interessant, dass Filme von jenen, die als große Künstler gelten, selten den umgekehrten Weg gehen müssen, von einst gefeiert zu heute vergessen oder als wenig gelungen eingestuft, oder? Diese Entwicklung gibt es durchaus, aber eher dann, wenn kommerziell erfolgreiche Unterhaltungsfilme, die eher von Routiniers als von Autorenfilmern stammen, nach heutigem Maßstab zu viele Ehrungen erhielten.  

Handlung (Wikipedia)

In New Yorks Central Park trifft der irische Matrose Michael O’Hara auf eine ebenso schöne wie geheimnisvolle Frau in einer Kutsche. Als Diebe versuchen sie auszurauben, rettet Michael ihr das Leben; sie lässt sich ein Stück von ihm kutschieren. Sie heißt Elsa und ist mit dem bekannten Anwalt Arthur Bannister verheiratet, der wegen einer Behinderung an Krücken geht. Am folgenden Tag bietet Bannister Michael einen Job auf seiner Yacht an. Er will das Angebot zunächst nicht annehmen, doch als Elsa ihn darum bittet, willigt er ein.

Von New York aus sticht die Yacht mit Namen Circe in Richtung San Francisco in See. Unterwegs kommt auch Bannisters Geschäftspartner George Grisby mit an Bord. Während der Fahrt verfällt Michael zunehmend Elsas Reizen, die, wie er später erfährt, den verkrüppelten und deutlich älteren Bannister einst nur geheiratet hat, weil dieser damit drohte, ihre zweifelhafte Vergangenheit in Schanghai zu enthüllen. Elsa lässt sich zwar auf eine Liaison mit Michael ein, schließt aber eine Scheidung von ihrem wohlhabenden Mann aus finanziellen Gründen aus. Kurz nachdem die Yacht vor der mexikanischen Küste vor Anker gegangen ist, bemerken Michael und Elsa, dass sie von Sidney Broome, dem Steward der Yacht, beobachtet werden. Dieser wurde von Bannister engagiert, um Elsa im Auge zu behalten.

In Acapulco zieht Grisby Michael ins Vertrauen und erzählt ihm, dass er auf der Reise seinen eigenen Mord vortäuschen will, damit er das Geld seiner Lebensversicherung kassieren und anschließend verschwinden kann. Er erklärt Michael die Einzelheiten und bietet ihm 5.000 Dollar an, wenn er sich der Polizei gegenüber als Mörder ausgibt. Grisby versichert Michael, dass er nicht für Mord verurteilt werden könne, wenn keine Leiche gefunden wird. Michael unterschreibt schließlich das Geständnis, um mit dem Geld ein neues Leben mit Elsa zu beginnen. Doch Broome kommt Grisby auf die Schliche und ist überzeugt, dass dessen Vorhaben Teil eines mörderischen Komplotts gegen Bannister, seinen Auftraggeber, ist. Grisby erschießt Broome, der tödlich getroffen Elsa noch mitteilen kann, dass Grisby ihren Gatten töten will.

(Weiter: Inhaltangabe in der Wikipedia)

Rezension

Wir sind dazu übergegangen, nur noch einen dieser Superklassiker pro Woche zu schauen, um die Filme besser würdigen zu können, die Geschichte gemacht haben. Aber „Die Lady von Schanghai“ hätte uns auch beeindruckt, wenn wir uns jeden Tag ein Meistewerk des Film noir reinziehen würden. Man kann die Augen buchstäblich nicht vom Bildschirm wenden, wenn Gesichter zu Fratzen oder geheimnisvollen Oberflächen oder Schattenrissen werden, wenn die Kamera aus allen möglichen und unmöglichen Lagen heraus die besondere Perspektive zum Normalfall erklärt, wenn Orson Welles als klassischer Film-noir-Held anfängt, seine Geschichte als Rückblende zu erzählen.

Es gibt in diesem Film keine einigermaßen neutral gefilmte Szene, die nur der Fortführung der Handlung gewidmet ist. Hingegen sehen wir Symbole über Symbole, die sich so häufen, dass sie einander nicht selten überlagern und verstärken. Ungünstigenfalls eliminieren sie auch gegenseitig ihre Kraft und schaffen eine Atmosphäre, die es notwendig macht, den stickigen, dampfenden Ort des Geschehens innerlich immer wieder einmal zu verlassen, um Luft zu holen. Und beim Luft holen fragen wir uns dann, ob nicht ein wenig übertrieben wurde, in der Absicht, alles zu bündeln, was je für den Film an visuellen Mitteln erfunden wurde – auch das, was Orson Welles in seinen früheren Werken „Citizen Kane“ (1941) und „The Magnificent Ambersons“ (1942) selbst erfunden oder schon in diesen Werken gebündelt hatte.

„Ich hätte meinen Verstand gebrauchen sollen. Aber nachdem ich sie einmal gesehen hatte, ein einziges Mal, war ich für lange Zeit nicht mehr in der Lage, vernünftig zu denken.“

So beginnt der Film und man weiß nicht, ob es ausgeht wie in ähnlichen Werken, in denen die männliche Hauptfigur auch den Narrator gibt („Out of the Past“, 1947 oder „Criss Cross“, 1949) und die schon deshalb zum Kernbestand des Film noir gehören, weil es diesen Kunstgriff gibt und weil die Schicksale der Erzähler tragisch enden. Der bekannteste der Filme, in denen das so gehandhabt wird, ist wohl „Double Indemnity“ (1944), und der ist unzweifelhaft ein prototypischer Film noir.

Aber ein solches Ende gibt es in „Die Lady von Schanghai“ nicht. Orson Welles kommt noch einmal davon, weil sich die Biester, mit denen er sich eingelassen hat – ja, es sind mehrere – gegenseitig umgebracht haben. So wie die Haie in der Geschichte, welche er während einer Strandparty ebenjenen Biestern in seltsamer Mischung aus Hellsichtigkeit und Fatalismus erzählt.

Die Wirklichkeit aber ist immer anders. Die Wirklichkeit hat Welles die Grenzen aufgezeigt, denn „Die Lady von Schanghai“ war ein Misserfolg und sein vorerst letzter Film im Studiosystem Hollywoods. Erst zehn Jahre später konnte er mit „The Touch of Evil“ wieder in den USA arbeiten, schuf wieder ein sehr dezidiertes Werk, das heute ebenfalls als Film noir eingestuft wird, obwohl auch dieser Film nicht das Ende des Protagonisten, sondern den Sieg des Guten zeigt. Und wieder ging Welles baden, wurde sein Film verstümmelt, wie schon „Die Lady von Schanghai“, wie schon „The Magnificent Ambersons“ und wie eigentlich alles, was er nach dem epochalen „Citizen Kane“ anfasste.

Ob Welles sich dessen bewusst war, dass er mit der Figur des Iren O’Hara, der sich hingezogen fühlt zu einer eisigen Schönheit, an der man sich aber glänzend verbrennen kann, sich selbst porträtiert? Kritiker neigen zu dieser Interpretation. Rita Hayworth, seine Antiheldin Elsa, war zu Beginn der Dreharbeiten noch seine Frau. Und sie war kurz zuvor durch „Gilda“, der ebenfalls als Film noir eingestuft wird, zur Göttin der Zeit geworden. Also auch zu einem Götzenbild, das demontiert werden musste, um die Schauspielerin und die echte Femme fatale auf den Trümmern des Weibes aufzubauen, das Männer um den Verstand bringt, aber nicht mit Absicht, nicht mit dem Bösen im Sinn.

Und natürlich war sie ein Hollywood-Produkt, die Hayworth, die eigentlich einen anderen Namen hatte, die brünett war und einen so niedrigen Haaransatz hatte, dass man in Hollywood ein wenig daran herumgezupft hat, um sie „gängiger“ aussehen zu  lassen. Mit rohter Mähne wurde sie ein Symbol dessen, was die Filmstadt ermöglichte, wie sie Träume schaffen und Sehnsüchte wecken konnte und die Zuschauer und auch ihre Mitarbeiter vor und hinter der Kamera manipulierte. Das alles hatte Orson Welles, den Radio- und Theatermann aus New York, magisch angezogen, und obwohl er immer wieder in Konflikt mit dem vollkommenen Medium, dem magisch vollkommeen  Zauberzersspiegel des Lebens geriet, immer wieder frustrierende Erlebnisse hatte, nicht in dieses Studiosystem passte, das von mächtigen Moguln dominiert wurde, nicht von Filmautoren, zumal nicht von solchen mit einem ebenso mächtigen Ego, obwohl Welles nie glücklich wurde, versuchte er’s immer wieder, oft unter Einsatz von allem, was er besaß und was Freunde und andere Geldgeber besaßen.

Hollywood war eine Sirene, der sich Welles nicht entziehen konnte, deren Spiel er aber auch nicht mitmachen konnte. Nicht auf Dauer. Das System hat aber nicht, wie im Film „Die Lady von Schanghai“, sich selbst zerstört, auch wenn es immer wieder Schwächephasen gab, sondern sich stets erneuert. Es hat aber Welles als Künstler zerstört und der Torso von 87 Minuten, den „Die Lady von Schanghai“ in der erhältlichen Fassung darstellt, nachdem man über 50 Minuten vom ursprünglichen Werk herausgeschnitten hatte, ist das Metasymbol über aller Symbolik, die der Film selbst enthält. Seine Zerrissenheit, die wohl dieser Schnittorgie geschuldet ist, brennt sich in die Seele von Filmfans wie uns ein und doch bleibt die Faszination für dieses visuelle Kunstwerk, steigert sich möglicherweise sogar, weil es kein glattes Produkt ist, mit dem alle zufrieden waren, sondern eines, mit dem man nicht zufrieden sein kann, weil man spürt, da ist so viel mehr. Mehr, als die meisten Filmkünstler können. Mehr vielleicht auch, als Welles sich und anderen hätte zumuten sollen. Der Film hat selbst dieser kurzen Form etwas Maßloses, und wenn es stimmt, dass Studioboss Cohen von Columbia Pictures, bei denen der Film entstand, auch nach 150 Minuten nicht wusste, wie die Handlung funktionierte, dann wird auch Welles niemals wiederherzustellender „Director’s Cut“ wohl einige Mysterien für sich behalten haben.

Wie schon bei den „Ambersons“ ist das herausgeschnittene Filmmaterial wohl nicht erhalten, sondern wurde vom Studio vernichtet.

Allerdings betätigt sich Welles im Film nicht nur als schicksalsergebener Film-Noir-Charakter, sondern auch als talking Head, er verbindet einige Puzzleteile zu einem doch halbwegs verständlichen Ganzen, das er mit Voice-Over ans Publikum weitergibt. Anders wär’s auch nicht gegangen, denn die gezeigten Szenen allein sind nicht in der Lage, die Zusammenhänge eindeutig zu definieren. Dieser Stil ist vielfach kopiert worden und heute bis in den Fernsehkrimi vorgedrungen. Mit der gefährlichen Tendenz, etwas zu versuchen, was schon bei Meistern wie Welles nur dann als gelungen bezeichnet werden kann, wenn man sagt, der Mann hatte eine Vision und war seiner Zeit – wieder einmal – voraus. Denn die damalige Rezeptionsfähigkeit des Kinopublikums ist nicht mit unserer heutigen zu vergleichen. Wir können schnelle Bildwechsel, exzentrische Kameraeinstellungen, Abstraktionen und Brüche nach vielen weiteren Jahren Filmgeschichte heute besser aufnehmen und als Stilmittel akzeptieren.

Trotzdem ist die theoretische Fragestellung hoch interessant, was geschähe, wenn der Film heute erschiene. Nachdem aber Kryptiker wie David Lynch oder Bilderstürmer wie Lars von Trier als anerkannte Künstler gelten, hätte auch ein Welles vermutlich eine andere Bewertung erfahren als die ziemlich zurückhaltende, die ihm in den USA im Jahr 1948 zuteil wurde, als er Film nach einigem Zögern erschien. Auch in diesem Zusammenhang ein Kuriosum: Uraufführung war in Frankreich, nicht im Produktionsland, weil man sich erst einmal gar nicht getraut hatte, den Film vors heimische Publikum und die heimischen Kritiker zu bringen. Ein weiterer ungewöhnlicher Vorgang.

Auch heute kann man sich über einige Aspekte noch trefflich streiten. Was ist  zum Beispiel höher anzusiedeln und wichtiger: Der Expressionismus einzelner Szenen, diese schon beinahe absolute Impact, der dadurch entsteht, wenn Menschen mit manisch verzerrtem, verschwitztem Gesicht das Bild ausfüllen und böse Dinge sagen oder Spiegel um Spiegel in sich zusammenklirrt und hinter Masken und Masken sich das Wesen des Bösen enthüllt, oder eine künstlerische Geschlossenheit, die dieser Film erkennbar nicht aufweist? Allein wie die unterschiedlichen Figuren unterschiedlich inszeniert werden, ist ein Kaleidoskop an Möglichkeiten, wie man Charaktere bebildern kann, um sie kenntlich zu machen, aber auch, wie man es schafft, das Gefühl zu vermitteln, man ist nach jedem Schnitt in einem anderen Film, der einen anderen Kameramann und einen anderen Regisseur hatte als die vorherige Einstellung.

Der Gegensatz  zum Beispiel zwischen den Bildern, die Bannister und Grisby in Großaufnahmen zeigen und denen, in welchen man Rita  Hayworth bewundern darf, könnte größer kaum sein. Hier die Typen, die das Böse ausschwitzen, das in ihnen steckt, die so  hässlich wie möglich abgelichtet werden, man sieht jede Pore von ihnen, jede Graustufe, jedes Detail ihrer vom harten Leben als Giermenschen gezeichneten Gesichter – und dort die weichgezeichnete Ikone Rita Hayworth in Weiß und mit schwarzem Hintergrund, deren Styling mit hellblonder Kurzhaarfrisur und deren anfangs ebenfalls weiße Kleidung diesen Kontrast noch unterstreichen. Hier diese Männer mit ihren ständig in Aktion befindlichen Gesichtszügen, diesen schnappenden, unnatürlich starken Bewegungen beim Sprechen und ihrer schnellen, harten Art des Sprechens, dort die ganz ruhig im Liegestuhl und von vorne gefilmte Hayworth mit einem Blick so innig und engelhaft und Worten so – manchmal – poetisch. In diesem Film tanzt sie nicht, flirrt und biegt sich nicht, sondern verharrt, obwohl sie eine ausgebildete Tänzerin war.

Dazwischen der realitische, der wahre Mann, Welles selbst, der sich als O’Hara deutlich weniger stilisiert ablichten lässt, als er es bei den übrigen Figuren anwendet. Ausnahme: Die Szene, in welcher er den Teufelspakt mit Grisby schließt, da fährt die Kamera hoch und schwebt, einen Topshot erzeugend, über beiden, und direkt neben den beiden wird der Abgrund hinter den Klippen sichtbar, auf denen sie stehen. Der tiefe Fall ist damit in ein statuarisches Bild eingebrannt. Darüber hinaus versteht es sich von selbst, dass solche Verabredungen nicht gutgehen können, auch wenn sie wirken, als seien sie nicht auf einen veritablen Mord gezielt.

Nie zuvor hat man in Hollywood solche Karikaturen von Menschen gesehen, die  keine Freaks sind, sondern zum amerikanischen Establishment gehören. Anwälte, Anwälte, Richter. Jeder von ihnen mit sehr speziellem  Zugang zu den Möglichkeiten, die man als Jurist hat, um seine Rechtskenntnisse zu nutzen. Nicht nur die Typen, die bisher schon die Film noir-Leinwand bevölkerten und oftmals überzeichnet waren, sondern mehr als üblich wird das System selbst angegriffen. Das taten andere Filmemacher durchaus ebenfalls, aber nicht so deutlich, nicht so grimmig wie der Mann, der schon durch manches Fegefeuer des Kommerzsystems gegangen war, bevor er überhaupt „Die Lady von Schanghai“ realisieren durfte.

Vieles von diesen Verzerrungen findet sich allerdings schon in „Citizen Kane“ und „The Magnificent Ambersons“, die ebenfalls weitaus gesellschaftskritischer sind als übliche Filme jener Zeit, in der es vor allem um den Zusammenschluss ging. Hätte Welles weiterhin in den USA gefilmt, wäre er vermutlich in die Fänge des HUAC geraten, denn wo andere ein wenig das Florett einsetzten, um das System zu kitzeln, schlug er mit der Faust des faustischen Filmkünstlers mitten in dessen Gesicht. Und er tat es nicht auf anarchokomische Art, wie die Marx Brothers, nicht süffisant ironisch, wie Billy Wilder, sondern mit einer Schärfe, die damals wohl von niemand anderem gezeigt wurde. Der Film noir ist nicht so affirmativ wie die Kriegsfilme, die Western, die Melodramen vor allem, welche die Filmstadt hervorbrachte, aber eine so totale Ablehnung wie in „Die Lady von Schanghai“ sieht man normalerweise auch in den  dunklen Gangsterepen jener Jahre nicht.

Finale

Zu diesem Film kann man eine Menge mehr schreiben, wir haben lediglich einige Aspekte herausgegriffen und versucht, die eine oder andere Verknüpfung zwischen dem Film und den Umständen seines Entstehens und der Person seines Autors zu beleuchten, denn es ist ein Autorenfilm, ein wieder einmal sehr persönliches Werk von Orson Welles – und wohl das persönlichste bis zu diesem  Zeitpunkt. Welles war kein Wunderkind mehr, wie zu der Zeit, als er nach Hollywood kam, sondern einer, dem schon der Geruch des Gescheiterten anhaftete – wenngleich der direkte Vorgänger „The Stranger“ recht gut ankam. Aber was auch immer man von dem System hält, das Welles kritisiert und mit dem er nicht klarkam, es bietet manchmal eine zweite Chance. Vor allem für diejenigen, die sich nun reuig anpassen wollen. Das tat Welles aber auch mit diesem Film wieder nicht, überzog außerdem die Drehzeit und das Budget und hinterließ der Columbia, die ohnehin etwas weniger gepolstert war als die ganz großen Studios und daher weniger Flops verkraften konnte, einen ebensolchen.

Seine Filmfigur gelobt am Ende Besserung und sich nie wieder so zu vestricken, sich nie wieder so zu vergucken wie in „Die Lady von Schanghai“, doch Zweifel bleiben, ob der Charakter das hinkriegt, so, wie er gestrickt, romantisch und irgendwie auch borniert an seinen Mustern klebend.

Sein Schöpfer hat es nicht hingekriegt, und das wusste er vermutlich schon, als die Szene gedreht wurde. Welles hat weiterhin versucht, an seinen künstlerischen Konzepten festzuhalten und so wenig Kompromisse wie möglich einzugehen. Und wie sein Matrose O`Hara, der keine Heimat zu haben scheint und auf den Meeren gondelt oder auf einer Jacht, die den bezeichnenden Namen Circe, welcher auf die Lady anspielt, trägt, wurde Welles als Künstler nie heimisch und musste, wie ebenjener Matrose für fiese Typen arbeitete, oft – als Schauspieler – in kommerziellen Produkten anheuern, um finanziell zu überleben. Der messbare Erfolg in Geld oder in künstlerischer Anerkennung war damit nicht in dem Maß möglich wie für jemanden, der das System beherrschte und damit spielen konnte. Elegant und publikumsfreundlich verpackte Kritik war nicht der Beritt von Orson Welles, es musste die ganze krasse eigene Wahrheit sein – visuell und inhaltlich.

85/100

© 2020 (Entwurf 2015) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Orson Welles
Drehbuch Orson Welles
Produktion Orson Welles,
William Castle,
Richard Wilson
Musik Heinz Roemheld
Kamera Charles Lawton Jr.,
Rudolph Maté
Schnitt Viola Lawrence
Besetzung

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