Aufgrund dieses Tweets von „Deutsche Wohnen enteignen“ wurden wir darauf aufmerksam, dass Mieter der Deutsche Wohnen SE einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, geschrieben haben:
Das Vorwort dazu lautet:
„Liebe Mieter*innen, liebe Mitstreiter*innen und liebe alle,
die Mieter*innen Südwest sind Teil unseres gemeinsamen Protestbündnisses „Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen“ und haben sich in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin sowie etliche Berliner Abgeordnete gewandt. Dieser Brief ist ein erneuter Ruf nach politischer Räson und soll hier allgemein zugänglich gemacht werden.
Wir freuen uns über rege Verbreitung des Offenen Briefes und hoffen auf ein Ende des kurzlebigen polit-strategischen Taktierens und einen echten Anfang und langlebige Lösungen zur Sicherung bezahlbarer Mieten in unserer Hauptstadt.
Euer Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen“
Also verbreiten wir diesen Brief und setzen eine kurze eigene Stellungnahme hinzu:
OFFENER BRIEF
An den Regierenden Bürgermeister von Berlin
Herrn Michael Müller
Berlin, 27.3.19
Sehr geehrter Herr Müller,
seit etlicher Zeit beobachten wir ihre ständige Kritik in der Presse an den
wohnungspolitischen Maßnahmen Ihrer Bausenatorin. Wir wollen hier keine
ausführliche Wertung Ihrer Argumente vornehmen, stellen aber fest, dass Sie mit
Ihren Interventionen nicht nur die Autorität Ihrer Senatorin beschädigen, sondern auch
schon seit längerem zu einer Spaltung der Koalition beitragen. Darüber sind wir
zutiefst beunruhigt. Denn die Folge wäre eine weitere Stärkung des
wirtschaftsliberalen Lagers.
Als schon seit Jahren wohnungspolitisch engagierte Mieter*innen sind wir überrascht,
dass erst jetzt und nicht schon während Ihrer Amtszeit als Bausenator Maßnahmen
gegen die sich damals bereits absehbare Entwicklung der Finanzakteure auf dem
Immobilienmarkt diskutiert und entwickelt werden.
Des Weiteren irritiert uns, dass Sie den Verhandlungen mit der Deutsche Wohnen
offenbar so einen großen Stellenwert beimessen. Glauben Sie wirklich, dass mit
einem Finanzdienstleister und dessen Geschäftsmodell nennenswerte Erfolge in
Sachen sozialer Wohnungsbewirtschaftung zu erreichen wären? Wir befürchten
vielmehr, dass – wie so oft – kleinste Erfolge großgerechnet werden als schneller
Erfolg zum parteipolitischen Nutzen und mit wenig realen positiven Veränderungen für
die Gemeinschaft der unter den großen Privatinvestoren leidenden Mieter*innen. Da
die Deutsche Wohnen seit längerem Probleme mit etlichen GSW-Immobilien beklagt,
wird Sie Ihnen sicher gern solche Problemimmobilien als Verhandlungsmasse
anbieten. Gegenleistung wäre dann ein aufpoliertes Image und eine Kontinuität in der
Gewinnsteigerungspolitik.
Die Initiative MieterInnen Südwest ist Teil des berlinweit vernetzten Mieter*innenprotest
Deutsche Wohnen. http://www.deutsche-wohnen-protest.de
Wir Mieter*innen aus einem Bezirk ohne jeglichen Milieuschutz, mit viel Neubau für
wohlhabende Neuzuzügler und Zweitwohnungsnutzer und fast komplett in der Hand
von Finanzinvestoren und privaten Projektentwicklern haben wenig Verständnis, warum
Sie als Sozialdemokrat so deutlich öffentlich Stellung beziehen gegen den mutigen
und durchaus auf einen Artikel unserer demokratischen Verfassung gestützten
Versuch eines Bürgerbegehrens „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Und wir
teilen auch nicht die Auffassung, dass wir bei Erfolg den Landeshaushalt ruinieren
werden und niemand mehr in die Berliner Wirtschaft investiert. Wir erinnern uns
noch gut, dass wir Mieter*innen den Landeshaushalt durch Privatisierung der
Siedlungsbestände gerettet haben und jetzt die Folgen ausbaden.
Mit der Empfehlung, sich im beigefügten Anhang einmal unsere ausführliche
Stellungnahme zum Bürgerbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“
anzuhören,
verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Ihre MieterInnen Südwest (Steglitz-Zehlendorf)
i.A. Barbara von Boroviczeny“
Wir finden es schön, auch mal etwas aus Steglitz-Zehlendorf zu lesen. Wenn uns nicht alles täuscht, ist dies sogar unser erster Mietenwahnsinn-Beitrag, der mit dem Südwest-Bezirk zusammenhängt. Wir dürfen auch etwas mehr kommentieren als die Mieter_innen.
Wer eine plakative und pointierte Sprache bevorzugt, könnte z. B. schreiben „Die Berliner SPD ist ein intriganter Haufen, nach innen und nach außen. Moralisch degeneriert durch zu lange Teilhabe an der Macht.“ Wir formulieren es ein wenig anderes. Nach außen: Die SPD versucht immer wieder, DIE LINKE, besonders Frau Lompscher, über den Tisch zu ziehen, u. a., weil sie das Stadtbauressort gerne selbst behalten hätte und profitiert davon, dass sie als ewige Regierungspartei viel besser vernetzt ist – gerade in den Verwaltungen, die dem Senat unterstehen. Nach innen: Die SPD ist nicht nur geprägt vom Duell Müller-Saleh (dem Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus) und den Differenzen zwischen dem, was Müller öffentlich kundtut und den Korrekturen, die Finanzsenator Kollatz anzubringen für geboten erachtet, sondern hat am Wochenende auf ihrem Landesparteitag wieder nicht zu einer Linie bezüglich „DWenteignen“ gefunden. Wir finden das sehr bezeichnend.
Jetzt läuft es so: Erst mal abwarten, wie es sich entwickelt, mit dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Inzwischen weiter Sand ins Getriebe streuen, wie der Herr Müller das so gerne tut – und im Herbst opportunistisch entscheiden. Oder man versucht, die führenden Befürworter der Enteignung in der Partei zu drehen, indem man ihnen irgendwas dafür verspricht, wenn sie ihre Meinung ändern und dadurch dafür sorgt, dass im Herbst, wenn wieder ein Parteitag stattfindet, endlich die Müller-Linie mehrheitsfähig wird.
Von der Art, wie die SPD immer noch im alten Stil versucht, die neue Konstellation 2RG zu dominieren, profitieren vor allem die Grünen, die derzeit in Berlin die stärksten Umfragewerte haben. Sie wirken in dieser Konfrontation fast wie neutrale Dritte, auch ihre Haltung bezüglich DWenteignen ist ganz schön gewitzt, was man daran merkt, dass Journalisten Mühe haben, die Einstellung der Grünen zur Sache griffig zu beschreiben.
Das Bild dieser Partei wird außerdem längst nicht mehr durch ihre eher unauffälligen und nicht immer glücklich agierenden Senator_innen geprägt, sondern durch wenige Bezirkspolitiker_innen, denen man wirklich abnehmen kann, dass sie sich für die Mieter_innen einsetzen.
Wir dürfen auch diese Annahme kundtun: Nein, Bürgermeister Müller glaubt nicht wirklich, dass er mit der DW und anderen Privatkonzernen die Mieter_innen zufriedenstellen kann. Wir wiederum gehen nicht davon aus, dass die Deutsche Wohnen die GSW-Bestände einfach so verkaufen wird, nur, weil es da ein paar Probleme gibt, die sie in der langen Zeit, in der sie nun schon deren Eigentümerin ist, außerdem längst hätte beheben müssen.
Wenn, dann gibt sie nur ein paar – sic! – besonders problematische Häuser ab und kauft dafür „bessere“ in höherer Anzahl hinzu. Leider haben wir gerade nicht im Kopf, wo in Berlin sie gerade ein paar Gebäude abgegeben hat, es war keine sehr große Nachricht, aber dafür greift sie nach dem Florakiez und nach der Karl-Marx-Allee und liefert sich in letzterem Fall heftige Kämpfe mit dem Bezirk, der das nicht wollte. Wenn der Senat zum Zuge kommen sollte, wenn die DW mal etwas abgibt, dann wird er wohl zu Markt- oder Mondpreisen kaufen, um Erfolge bei der Rekommunalisierung vorweisen zu können. Wie zuletzt beim Kosmosviertel in Alt-Glienicke werden uns Bürger_innen die Kaufpreise selbstredend verschwiegen werden.
Die wesentlich günstigere Variante der Enteignung ist Herrn Müller jedoch schlicht wesensfremd. Vielleicht irren wir uns ja auch und alles wird gut, mit und trotz Herrn Müller. Wir wünschen den Mieter_innen in Steglitz-Zehlendorf ganz herzlich, dass sie Gehör finden und
daher heute unsere Solidarität mit den Menschen von „Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen“ im Südwesten.
TH
SMH 321
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