Der versteinerte Wald (The Petrified Forest, USA 1936) #Filmfest 23 DGR

Filmfest 23 DGR - Die große Rezension

2019-01-25 filmfest - neue version mit mittiger schrift

 Nach einem ersten Abstecher ins Westerngenre mit „3:10 to Yuma“ (dem Original von 1957) reisen wir 21 Jahre rückwärts. Wir bleiben in der Gegend, aber der Film spielt in der damaligen Gegenwart und trägt den Titel „The Petrified Forest“ („Der versteinerte Walt“). Die Verbindung, die den Reigen repräsentiert? Nachdem wir uns zuletzt an den Darteller*innen orientiert haben, wechseln wir wieder zu den Filmschaffenden hinter der Kamera. Nachdem Delmer Daves in „3:10 to Yuma“ Regie geführt hatte, treffen wir ihn nun im Alter von 32 Jahren als Drehbuchautor wieder. 1943 führte er in „Destination Tokyo“ erstmals Regie. Gibt es eine Art Handschrift? Wir meinen, ja. Auch wenn der Film auf einem Theaterstück beruht:

„Die spannende und drückende Atmosphäre des Films wird vor allem durch den zeitlich engen Rahmen (ein Tag) und die wenigen Handlungsorte (fast ausschließlich die Tankstelle und deren Gastraum) sowie die überschaubare Anzahl der handelnden Personen erzeugt. Die Charaktere der Hauptakteure werden dabei intensiv herausgearbeitet.“ (Wikipedia)

Wie in „3:10 to Yuma“ trägt sich das Geschehen innerhalb weniger Stunden zu, findet an ganz wenigen Schauplätzen statt und einen solchen Film interessant zu machen, erfordert scharf gezeichnete Charaktere. Diese düren wir hier in der Verkörperung durch Leslie Howard, Bette Davis und Humphrey Bogart bewundern, der mit diesem Film immerhin so bekannt wurde, dass er böse Gangster spielen durfte – bis zum endgültigen Durchbruch mit „The Maltese Falcon“ („Der Malteser Falke“) im Jahr 1940.

Von „The Petrified Forest“ aus öffnen sich viele glanzvolle Wege, um den Reigen fortzuführen. Welchen werden wir gehen? Den nicht so schmalen Karriepfad von Humphrey Bogart beschreiten, den der zweifachen Oscarpreisträgerin Bette Davis oder mit Leslie Howard drei Jahre weiterwandern und über „GWTW“ schreiben, wie „Gone With The Wind“ in den USA abgekürzt wird?

Handlung (Wikipedia)

Während der Great Depression in einer abgelegenen Tankstelle in der Wüste Arizonas, nahe dem berühmten „Versteinerten Wald“: Eines Tages erscheint dort der mittellose und romantische Herumtreiber Alan – ein einst ambitionierter, nun aber erfolgloser Schriftsteller aus England, der nach einer Liaison mit einer reichen Gönnerin in Frankreich in die USA gereist ist und das Land als Tramp durchqueren will. Die Tankstelle wird betrieben von Jason Maple, dessen Tochter Gabrielle und dem betagten Großvater, der gerne Geschichten aus dem Wilden Westen und von seinen Begegnungen mit Billy the Kid erzählt. Gabrielle ist die Tochter einer inzwischen in ihr Heimatland zurückgekehrten Französin, die ihr Vater im Ersten Weltkrieg in Frankreich kennengelernt hatte.

Gabrielle verliebt sich fast sofort in Alan, der mit seinem kultivierten Auftreten für sie ein Mann von Welt ist. Sie zeigt Alan die Gemälde, die sie von der zerklüfteten Wüstenlandschaft gemalt hat, und liest ihm ein Gedicht aus ihrem Band von François Villon vor, den ihr ihre Mutter aus Frankreich zum Geburtstag geschickt hat. Alan erfährt auch, dass die frustrierte Gabrielle gerne nach Bourges reisen würde, wo ihre Eltern sich einst begegnet waren, und Künstlerin werden will. Sie kommt aber nicht von ihren Verpflichtungen an der Tankstelle los. Unterdessen wird der Tankwart Boze Hertzlinger, ein ehemaliger Football-Spieler mit kräftigen Muskeln, eifersüchtig auf Alan, da er Gabrielle schon über längere Zeit vergebens umworben hatte. Alan entscheidet sich schließlich, die Tankstelle zu verlassen, und lässt sich von dem reichen Ehepaar Chisholm mitnehmen. Doch nur ein paar Meilen später wird das Auto der Chisholms von dem entflohenen Gangster Duke Mantee und dessen Komplizen angehalten. Duke und seine Bande nehmen das Auto der Chisholms und fahren zur Tankstelle, wo Duke auf seine Geliebte wartet, die mit anderen Bandenmitgliedern bald auch vorbeikommen soll. Wegen eines Sandsturmes müssen auch Alan und die Chisholms bald in der Tankstelle Unterschlupf suchen.

Zwischen den Gangstern und den in der Tankstelle festgehaltenen Menschen entwickeln sich im Laufe der Nacht dramatische Gespräche. So erzählt Mrs. Chisholm ihre Lebensgeschichte und es wird deutlich, wie unerfüllt eigentlich ihre Ehe ist. Alan bezeichnet sich und Duke als Seelenverwandte, da beide zu den letzten Exemplaren des wirklichen Individualismus gehören würden, bestimmt dazu, bald unterzugehen. Ähnlich wie der Versteinerte Wald nahe der Tankstelle sei er, Alan, ein Relikt aus der Vergangenheit, dessen Ideale und Gedanken mittlerweile ebenso tot seien wie der Wald draußen. Boze versucht unterdessen, Duke zu überlisten, als dieser einen Moment abgelenkt ist. Er ist aber zu zögerlich und Duke kann Boze in die Hand schießen. Während Gabrielle, die von einer gemeinsamen Zukunft mit Alan träumt, den Tankwart verarztet, stellt Alan dem Gangster eine ungewöhnliche Bitte: Alan holt seine hoch dotierte Lebensversicherung hervor und vereinbart mit Mantee, sich von ihm erschießen zu lassen, damit Gabrielle in den Genuss seiner Lebensversicherung kommt und sie sich damit ihre Wünsche wie die Reise nach Frankreich und die Künstlerkarriere erfüllen kann. Da er vollkommen mittellos und vom Leben gebrochen sei, sei dies die einzige Möglichkeit für ihn, Gabrielle seine Liebe zu beweisen. Alan bittet darum, seine Leiche in dem nahegelegenen Versteinerten Wald zu begraben. (…) 

Existenzialismus in der Wüste

„Der versteinerte Wald“ ist ein guter Einstiegsfilm, wenn  man die Karriere Humphrey Bogarts chronologisch aufrollen will. Er ist ein gutes Beispiel für die Warner Brothers-Gangsterfilme der 30er Jahre und man kann Bette Davis sehen, wie sie mit großer Intensität eine Rolle als gutes Mädchen spielt, bevor sie zwei Jahre später mit „Jezebel“ schöner, verführerischer, aber auch für ihre Karriere richtungweisend eine schwierige und ambivalente Persönlichkeit darstellte – eine richtige Miststück-Partie gab sie bereits 1934 in „Of Human Bondage“, ihr Partner war auch damals Leslie Howard und die Idee, beide erneut zusammenzubringen, war sicher auch diesem herausragend dramatischen Film geschuldet.

Das Wüstendrama „Der versteinerte Wald“ ist einer der bemerkenswertesten und am höchsten eingeschätzten Filme des Jahrgangs 1936, aus dem wir bereits den eindrucksvollen „Fury“ von Fritz Langrezensiert haben (die Kritik wurde im neuen Wahlberliner noch nicht wiederveröffentlicht). Der Plot basiert auf einem erfolgreichen Broadway-Stück von Robert E. Sherwood, kann und will seine Bühnenherkunft nicht verleugnen, die Dialoge sind literarisch, die Atmosphäre ist dicht und bedrückend, die Rollen hervorragend gespielt und wirken trotz der einigermaßen künstlichen Konstellation von Charakteren, die in einer kleinen Wüstentankstelle zusammenfinden, lebendig und sogar in Maßen glaubhaft.

Es war sicher nicht von Nachteil, dass Leslie Howard, der den Wannabe-Schriftsteller Alan Squier gibt und Humphrey Bogart, der als Gangster Duke Mantee brilliert, ihre Rollen bereits in New York spielten, bevor die Warner Bros. die Filmrechte an dem Stück kauften. „Der versteinerte Wald“ ist kein reiner Gangsterfilm mehr, wie Warner sie mit Edward G. Robinson oder James Cagney in den frühen 30ern stilbildend inszenierte, sondern eine Charakterstudie und inhaltlich, weniger formal, ein film noir aus einer Zeit, in der es den Begriff noch nicht gab. Da wird nicht nur gezeigt, wie Gangster und Opfer in einem Showdown ohne Sieger enden, es gibt bereits die schicksalhafte Situation und die tragödische Vorherbestimmung, die aus der Anlage der Personen resultiert.

Warnertypisch ist der raue und spartanisch wirkende Stil des Films, welcher erkennbar bis auf wenige Szenen im Studio entstanden ist und nicht in der großen Wüste von Arizona. Erstaunlich die Kürze und Präzision, mit welcher alles auf den Punkt gebracht wird und auf die Klimax zusteuert (die deutsche Versioin scheint wieder einmal etwas kürzer  zu sein als das US-Orginal, das etwa 83 Minuten dauert) (3). Allerdings muss man kritisch anmerken, dass die  Dramaturgie durch diese Kürze auch etwas Ruckartiges aufweist, da man nicht auf für wesentlich gehaltene, philosophische oder pseudophilosophische Ausführungen des Alan Squier und auch nicht auf wichtige Charaktere aus dem Stück verzichten wollte, die sich zu Anfang in der Raststätte aufhalten und für den späteren Verlauf des Films keine Relevanz haben. Sie dienen eher dazu, die Atmosphäre inmitten der amerikanischen Despression herzustellen und den Stand der Dinge ca. 17 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges zu erläutern.  

Einen Film mit einer Botschaft (oder mehreren Botschaften) beinahe 80 Jahre nach seiner Entstehung zu besprechen und zu entschlüsseln, ist nicht möglich, ohne den film- und zeithistorischen Kontext zu betrachten. Das klingt zunächst trocken, ist es aber keineswegs. Es ist faszinierend und es hat gerade für die heutige Zeit wieder Relevanz.

Als das Broadway-Stück entstand, befanden sich die USA noch in der Great Depression, der bis heute schwersten Wirtschaftskrise des kapitalistischen Zeitalters. Die Wüste steht für die Kargheit jener Zeit, zumal diese mit einer großen Dürre einherging, welche die Krise verschärfte und die größte Wanderungsbewegung des 20. Jahrhunderts quer durch die USA verursachte – zerstörtes Land musste aufgegeben werden, Menschen wurden auf der Suche nach einer neuen Existenz durch die Weiten getrieben wie jener Rollbusch, der in einer frühen Szene vom ewigen Wind über die Straße gefegt wird. Jene Straße, auf der gerade auch der Tramp und Schriftsteller Alan Squier wandert, der Busch rollt an ihm vorbei, für einen Moment hebt der Mann seinen Wanderstock, um dieses Gestrüpp abzuwehren. Den Tramp kennen wir gut, im selben Jahr 1936 wandern zwei Menschen in einer optimistischeren Version eines Existenzdramas der Sonnen entgegen – Charles Chaplin und Paulette Goddard in „Modern Times“. Damit endet diese archetypische Chaplin-Figur und damit endet auch in etwa die Rezessionszeit in den USA.

Obwohl 1940 mit „Früchte des Zorns“ der größte aller Depressionsfilme nach dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck entstand, der aber einige Jahre früher spielt und somit auch eine Art von gültiger Nachbetrachtung einer Epoche darstellt, die man mit Gottes Hilfe und mit unendlich viel eigenem Willen und Glauben überwunden hatte, war 1936 ein gutes Jahr, um noch einmal mit voller Wucht die Jetztzeit als wenig zukunftsweisend und die durch sie entwurzelten  Menschen als dem Untergang geweiht zu porträtieren. In gewisser Weise hat uns „Der versteinerte Wald“ auch an den viel glamouröseren „The Postman Always Rings Twice“ (1946) erinnert, den Plot betreffend wird gerne eine Parallele zu „Gangster in Key Largo“ gezogen (1), nicht nur, weil Humphrey Bogart in diesem Film mitspielt, sondern wegen der Zeitstruktur – linear aufgebaut, spielt sich die gesamte Handlung an einem einzigen Tag ab.

Eine Brücke ins Heute zu schlagen, fällt angesichts der Tatsache, dass unser amerikanisch geprägtes Wirtschaftssystem wackelt und alle mit seiner Blüte in Mode gekommenen Werte oder Attitüden infrage zu stellen sind, nicht besonders schwer. Von der gegenwärtigen Krise bis zu einer handfesten Depression ist es nicht weit. Im Moment würde sich alles auf einem höheren Niveau abspielen als in den 30er Jahren, die letztlich zu Präsident F. D. Roosevelts New Deal und bis in die 70er zu einer sozialeren Gangart des Kapitalismus geführt haben, aber das Ende ist vollkommen offen. In den 30ern mussten das viele Menschen ebenso empfunden haben, wie die kaum parteiisch gezeigten Plänkeleien zwischen einem Linkspessimisten und einem typisch amerikanischen Patrioten (Vater Maple) zu Beginn des Films belegen.

Die Errungenschaften des ersten Weltkrieges werden ebenso hinterfragt wie der Kapitalismus, der in Form eines Bankers gezeigt wird, der mit Richtung Null tendierender menschlicher Sensibilität ins Szenario gerät, als sein Wagen von Duke Mantee und seiner Bande requiriert wird, weil deren bisheriges Fluchtauto den Dienst versagt hat. Wir müssen nicht groß erklären, welche Relevanz der Auftritt dieses indolent und wenig kompetent wirkenden Wirtschaftslenkers in unseren Zeit hat. Dass dieser Typ am Ende überlebt und die bestehende Ordnung mehr repräsentiert als der Gangster, der festgenommen wird und der Philosoph, der stirbt, mehr als die liebenswürdigen Patrioten-Trottel von der Bürgerwehr und mehr als die im Staub nur silhouettenhaft erkennbaren Wüstenpolizisten, das passt wunderbar und wir sehen, wie die Welt damals schon ähnlich funktionierte wie heute.

Der Banker Chisholm (Paul Harvey) ist nur eine Nebenfigur, der Name ist interessant und die Anspielung auf den Chisholm-Trail unverkennbar, aber sie steht für ein Prinzip. Selbstverständlich gilt das auch für die tragenden Charaktere des Films. Beginnen wir mit Duke Mantee, dem Gangster, der offenbar dem berühmten Bankräuber John Dillinger nachempfunden wurde, der 1935 den Tod fand (2). Ob er wegen dieser Anlehnung einen seltsam primitiven, affenartigen Gang haben muss, können wir nicht verifizieren, es hat uns solange gestört, bis Bogart in eine stehende Position kommt, die er für lange Zeit nicht mehr verlässt. Nach der Einführung des Hays Code 1934 war klar, dass Gewalttäter und Gesetzlose im Film nicht mehr positiv dargestellt werden konnten in der unverblümten Art, wie das zu Beginn der 30er noch möglich war und wovon vor allem James Cagney profitierte. Den Tod fanden sie allerdings immer, die Bösewichte. Interessanterweise wird Duke Mantee in „Der versteinerte Wald“ nicht im Kugelhagel der Polizei, im letzten Gefecht erlegt, sondern entkommt zunächst, wird dann aber gefasst, was wir nicht sehen, sondern was durch andere Charaktere erzählt wird, er wird hinter Gitter wandern, abgeurteilt und gehängt werden. Das Recht greift und Waffengewalt dient nicht mehr der Selbstjustiz, sondern alles endet in einem nach damaligen Maßstäben fairen Prozess.

Wundervoll ist es, wie Bogart in diesem frühen Film, mehr als in einigen späteren und vor dem alles ändernden „Malteser Falken“ von 1940, der ihn zum Star machte, differenziert spielt. Sein Gangster hat durchaus Haltung und Würde und ist kein Schlächter, sondern jemand, der nachdenkt, bevor er handelt – anders als seine Spießgesellen. Nicht umsonst bezeichnet ihn Alan Squier quasi als Bruder im Geiste, als Mitglied der Existenzialistengilde, welcher er selbst angehört. Bogeys kurze Sprüche, und da sehen wir, warum er bis heute als einer der größten Filmschauspieler angesehen wird, wirken so herrlich kompromisslos echt und trocken humorvoll, spiegeln in komplett als Kontrast gezeichneter Diktion die mit sanfter Stimme und in Windungen vorgetragenen Sätze von Alan Squier, dass man sich trotz des menschlichen Dramas eines Schmunzelns nicht enthalten kann. Keine Frage, dass diese Art zu spielen, in den 30er Jahren elektrisierend, neu und den Menschen in ihren existenziellen Nöten so nah war. Viele, die den Film sahen, werden sich eher mit Duke Mantee als mit dem intellektuellen Alan Squier identifiziert haben, dessen Darsteller heute einem breiten Publikum hierzulande nur noch durch seine Rolle als Ashley Wilkes in „Gone With The Wind“ (1939) bekannt ist. 1936 war er der bekanntere Schauspieler und wollte Bogart, seinen Bühnenpartner, auch für den Film. Den Gangster Mantee sollte ursprünglich Edward G. Robinson spielen. Dass Bogart mit ungeheurer Präsenz die Szenen dominiert, in denen er auftritt, wird der Britte Leslie Howard, der wohl im Realleben der Gentleman war, den er auch im Film gab, inkauf genommen haben, und er sah wohl das Potenzial, das in Bogart steckte.

Howard nennt seine Figur Duke Mantee beinahe liebevoll, jedenfalls mit großer Smpathie „den letzten Apostel eines rauen Individualismus“ und ist außerdem sicher, dass der Mensch die Natur letztlich niemals bezwingen wird. Wenn darin keine fundamentalen Erkenntnisse stecken, die über 1936 weit  hinausweisen, dann gibt es keine Propheten im Film.

Was die Figuren Squier und Mantee im Film über ihre existenzialistische Grundhaltung hinaus verbindet ist das romantische Prinzip. Squier kann seine Todessehnsucht nicht besiegen, ist dem Untergang geweiht, das sagt er mehrmals und sieht sich als Vertreter einer untergehenden Gattung von in der Krise nicht lebenstüchtigen Intellektuellen. Er findet in der jungen, romantischen Gabrielle Maple (Bette Davis) seine Liebe, aber er will sich von Mantee erschießen lassen, damit sie seine Lebensversicherungspolice erben kann, anstatt mit ihr ein neues Leben zu beginnen – möglicherweise in Frankreich, wo sie herstammt. Mantee hingegen wartet auf seine Gangsterbraut, die nicht kommt, und gibt so der Polizei erst die Möglichkeit, ihn zu stellen und zu fassen. Auch er sehnt sich im Grunde nach Erlösung im Tod, eines langen, gewaltreichen Weges als Gangster überdrüssig. Opfer der Umstände als Entwurzelte in diesem unruhigen Land sind sie beide und im Grunde gilt das auch für Gabrielle, die dritte Hauptfigur.

Sie liest Verse von François Villon, zitiert wichtige Worte über die Liebe, die von ihm stammen. Sie ist eine geistige Exilantin in der Wüste, und es ist eine grandiose Idee, sie die Werke dieses Mannes aus dem ebenfalls unruhigen späten Mittelalter lieben zu lassen, der genau das war, was sie ist, was Alan ist und was sie mit Alan verbindet: Poet, Vagabund. Selbst zu der Figur Mantee gibt es eine Konnotation, denn dieser Dichter mit dem abenteuerlichen Leben war auch Krimineller und soll zeitweise einer berüchtigten Bande in Nordfrankreich angehört haben. Es ist eindeutig, dass auch der Hintergrund dieser realen Dichterfigur ins Konzept der Bühnenvorlage inhaltlich eingebunden war und eine weitere Ebene des Prinzips von heimatlosem, rastlosem, sinnsuchendem Leben verkörpert, das letztlich seinen Sinn im Tod findet. Dass „Der versteinerte Wald“ für einen Film Mitte der 30er ungewöhnlich vielschichtig, wenn auch in einfachem Gewand daherkommt, macht ihn besonders und überragend. Dass die formale Inszenierung eher konventionell und etwas theaterhaft wirkt, kann man dem Werk kaum vorwerfen, auch wenn der oben erwähnte Fritz Lang als Regisseur gewiss mehr Wucht in die Bildsprache gebracht hätte als Archie Mayo, der zwar selten schlechte Filme inszeniert hat, aber außer „Der versteinerte Wald“ auch keine Großtaten der Kinematographie hervorbrachte. Sein letzter Film entstand in 1946 mit den Marx Brothers („A Night In Casablanca“), das ist ein noch akzeptables Spätwerk dieser legendären Filmkomiker-Truppe.

Weitere wichtige Figuren sind Boze Hertzlinger (Dick Foran), ein Ex-Footballer, der hinter Gabrielle her ist und ihr die intellektuellen Flausen austreiben möchte. Auch er ist in der Wüste gestrandet und arbeitet bei den Maples als Tankwart, aber seine einfache und robuste Art wird ihm das Überleben sichern. Dann gibt es den Großvater Maple, einen zynischen Geizhals, der in früheren Jahren, so sagt es Alan Squier, auch ein vorwärts stürmender Mensch gewesen sein mag, aber jetzt keine Gefühle für Dritte mehr hat „keine Frau ist 5000 Dollar wert“ und auf seinem eigenen Ersparten sitzt, obwohl er nichts damit anfangen kann.

Besonders erwähnen möchten wir die beiden Afroamerikaner in „Der versteinerte Wald“. Solch ein Gegensatzpaar unter „Brüdern“ kann es nur auf Basis einer literarischen Vorlage geben, zumal in den 30ern, als Farbige im Film oft auf  diskriminierende Weise und einseitig dargestellt wurden. Da gibt es den großen der (Rassen-) Brüder, den Gangster in Mantees Band, der dem anderen, dem kleinen, dem Chauffeur der Chisholms erklärt, was dieser für ein armseliger Wicht sei. Ein freier Schwarzer und ein Sklave, wenn auch für Lohn. Letzterer Afroamerikaner, der Kleine in Uniform, ist das Produkt der Vergangenheit, in der die Afroamerikaner nur dienende Funktionen hatten. Jovial lässt Chisholm ihn entscheiden, dass Squier als Anhalter Richtung Pazifik mitgenommen werden darf, in Wirklichkeit hält der Banker die Fäden in der Hand und brüstet sich auch noch mit sozialer Attitüde, obwohl es Gabrielle war, welche die Idee dazu hatte, ihrem armen Poeten eine Mitfahrgelegenheit zu verschaffen. Wer wirklich das Sagen hat, offenbart sich, als der Chauffeur seinen Dienstherrn fragen muss, ob er ein Glas Wasser von seinem „Bruder“ annehmen darf. Ersterer, der hochgewachsene Bandit mit dem großen Gewehr, nimmt bereits die Figuren der Black-Power-Bewegung vorweg, den Konflikt zwischen Weißen und Farbigen, aber auch der konformistischen, von ihren aktivistischen Brüdern und Schwestern ungeliebten Afroamerikaner untereinander, der erst in den 1950ern und 1960ern offen ausgetragen wurde. Vielleicht wäre das früher geschehen, wäre nicht der Zweite Weltkrieg als die nationale Identität stärkendes Ereignis dazwischengekommen wäre, der die in der „Der versteinerte Wald“ sichtbare Zersetzung und Fragmentierung der US-amerikanischen Gesellschaft erst einmal in den Hintergrund treten ließ, die hier quasi in Quadranten eingeteilt ist.

Finale

Wir sind also der Meinung, dass „Der versteinerte Wald“ ein hervorragender Film seines Jahrgangs ist. Ist er auch ein bleibendes Meisterwerk der Filmgeschichte? Ja und nein. Er war für seine Zeit vielschichtig und progressiv, die Inhalte, die Figuren betreffend. Die Charakterzeichnungen sind angesichts der geringen Spielzeit des Films mehr als gut, sie sind kräftig und eindeutig, aber nicht oberflächlich. Es gibt eine Menge Subtext und jede Figur hat etwas auszusagen, wie es sich für ein gutes Bühnenstück, das als Vorlage dient, gehört. Gesellschaftskritik und Endzeitstimmung sind präsent und wir werden Zeuge der Unmöglichkeit von Erfüllung im Diesseits. Einzig für die junge Gabrielle besteht noch Hoffnung, doch man wird gemäß einer Aussage von Squier den Verdacht nicht los, dass auch ihr eine Enttäuschung bevorsteht, wenn sie wirklich nach Frankreich geht, mit den 5000 Dollar aus der Lebensversicherung von Alan. Denn das Ende der Ideale, die Realität, welche die romantische Liebe scheitern lässt, das ist ein universelles und, das schwingt ein wenig mit, ausgelöst durch die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg.

Man darf aber davon ausgehen, dass der Film kürzer ist als das zugrundeliegende Stück und dadurch werden die Charaktere nicht entwickelt, sondern platziert. Das ist erlaubt und einem Film formale Mängel anzukreiden (es gibt einige Fehler in der Continuity, der auffälligste ist der, als Squier sich eine Pfeife anzündet und sie nach dem nächsten Umschnitt wieder ohne Feuer in den Händen hält, dieser Goof ist auch nicht auf Kürzungen in der deutschen Variante zurückzuführen), die Bildqualität ist schwankend und auch für 1936  nicht überragend, dazu wirkt der gemalte Hintergrund deutlich als das, was er ist: künstlich, not filmed on location. Irgendwie passt dies natürlich alles zu dem vielen Staub, dem Schmutz, der sehr einfachen Raststätte, dem existenziellen Szenario – und die subjektive Kamera war Mitte der 30er noch kein Stilmittel, die starken Schwarzweiß-Kontraste kamen nach deren Ende zu Beginn der Tonfilmäre erst in den 40ern wieder richtig in Mode – aber ein wenig mehr Ausarbeitung bzw. Ausspielung hätte mancher Szene gutgetan, ohne dass der Film dadurch langatmig geworden wäre. Der dramaturgische Rhythmus ist verkürzt und die Handlung etwas zu sichtbar aus zwei Teilen oder Akten: Dem philosophischen und an Zwiegesprächen orientiert-ruhigen Part, in dem von Duke Mantee als inhärenter Bedrohung der Ordnung und noch als Möglichkeit dargestellter Realgefahr nur die Rede ist und dem Moment, in dem er  auftritt und ein wachsendes Ensemble im Gastraum in Schach hält.

Der Film hat einen echten philosophischen Unterbau, schön verwoben mit eher pseudophilosophischen Aussagen seiner Figuren, er ist Drama und Tragödie und zeigt die Psychologie der Verlierer einer verlustreichen  Zeit, nimmt einiges vom psychologisierenden Kino vorweg, ohne dass es quälend und überhitzt wirken würde, wie in manch späterem Melodram. Er srpicht vom Unterschied zwischen bloßem Dasein und einem Leben mit Inhalt und geistiger Schönheit und von Sehnsüchten, die an der Wirklichkeit zerbrechen. Die Figuren müssen ein wenig überzeichnet sein, ihr Zusammentreffen eher unwahrscheinlich, damit sie ohne längere Erklärungen exemplarisch wirken können. Ein angesichts der Komprimierung so vieler Aussagen und Ebenen beinahe unvermeidliches Arrangement.

Der versteinerte Wald, der den Titel hergibt, ist gemäß Aussagen von Gabrielle eine Gegend in der Nähe der Raststätte, wo tote Bäume zu Stein wurden – solche Formationen gibt es tatsächlich und im Film stehen sie, wie man durch Alan Squier erfährt, der dort einen passenden Platz für seine letzte Ruhe sieht (und wohl auch findet, nachdem er Mantee provoziert hat, ihn zu erschießen). Das ist ein Ort, an dem alles Wünschen und Sehnen aufhört und erstarrt ist für eine viel längere Zeit, als es gewährt und die Menschen umgetrieben hat, die es mit sich trugen. (4)

80/100

© 2019, 2012 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(3) Offenbar fehlen bestimmte Szenen, wie sich anhand von Szenenfotos bzw. Filmstills erläutert, die u. a. Bette Davis mit Humphrey Bogart an einem Automobil zeigen – diesen Moment enthält die gesehene Version zum Beispiel nicht.

(1) WIKIPEDIA, a. a. O., Abschnitt „Hintergrund“

(2) George Chabot’s Review vom 25./26.07.2009

(3) Offenbar fehlen bestimmte Szenen, wie sich anhand von Szenenfotos bzw. Filmstills erläutert, die u. a. Bette Davis mit Humphrey Bogart an einem Automobil zeigen – diesen Moment enthält die gesehene Version zum Beispiel nicht.

(4) Die Inbezugnahme auf aktuelle wirtschaftliche Umstände bezieht sich auf den Zeitpuntk der Erstfassung der Rezension im Jahr 2012 und spiegelt die Bankenkrise von 2008-2009 wieder. 

Regie Archie Mayo
Drehbuch Chales Kenyon,
Delmer Daves
Produktion Henry Blanke für
Warner Brothers
Musik Bernhard Kaun
Kamera Sol Polito
Schnitt Owen Marks
Besetzung

 

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