Wo ist nur mein Schatz geblieben? – Tatort 1091 / Crimetime 286 /#Tatort #Abschied #Lürsen #Stedefreund #Bremen #RB #MeinSchatz #Schatz #Tatort1091 #Tod #Wolken

Crimetime Vorschau - Titelfoto © RB, Christine Schroeder

Fliegen und Springen ist doch sicherer

Manchmal ist es schwierig mit den Titeln, aber für diesen Tatort sind uns Dutzende eingefallen, wir haben uns für eine Variante entschieden, die alles offen lässt. Der letzte Fall von Inga Lürsen und Nils Stedefreund ist wieder ein typischer geworden. In Bremen hat sich die Mafia zwecks Geldwäsche festgesetzt, in diesem Fall diejenigen aus Tschetschenien. Und woher ist sie eingewandert? Aus Berlin natürlich, man sieht es sogar an den Autokennzeichen. Daran sieht man, dass Fälle wie dieser unbedingt in Berlin gelöst werden müssen.  Ob das mit Rubin, Karow und dem realen, zentralen Anti-Clan-Team möglich ist, das jetzt eingerichtet wurde, werden wir sehen.

An Dramatik lässt „Wo ist nur mein Schatz geblieben“ nichts zu wünschen übrig, vor allem zum Ende hin. Was sonst zum Abschied der beiden Bremer zu sagen ist, steht in der -> Rezension.

Handlung

Durch Zufall entdecken Bauarbeiter die unter einer Straße verborgene Leiche einer Frau. Bei den Mordermittlungen stechen die Bremer Ermittler Inga Lürsen und Stedefreund in ein feingewebtes Netz aus Korruption und illegalen Geldgeschäften.

Sie finden heraus, dass die Tote für eine Immobilienentwicklungsfirma gearbeitet hat. Die Firma steht im Visier der BKA-Beamten Maller und Kempf, die mit allen Mitteln versuchen, die Ermittlungen der Mordkommission zu verhindern. Auch Stedefreund scheint wichtige Informationen für sich zu behalten.

Ist er in den aktuellen Fall verwoben? Und in welchem Verhältnis steht er zu Maller und Kempf? Inga Lürsen weiß schon bald nicht mehr, wem sie trauen kann und wem nicht. Der letzte Fall wird zu einer schweren Belastung für das Bremer Team. 

Rezension mit Angaben zur Auflösung

April, April, Stedefreund war 2013 gar nicht in Afghanistan, sondern in einem verdeckten Einsatz und daher kennt er die beiden zwielichtigen BKA-Typen Maller und Wendt. Die nicht zwielichtige BKA-Ermittlerin Linda Selb hat er etwas später kennengelernt, wenn unser Erinnerungsvermögen korrekt arbeitet. Das ist ein schwieriger Fall mit vielen Personen, was vor allem an jener Vergangenheit liegt, und die Verquickung des Gestern mit dem Hier und Jetzt wirkt recht konstruiert. Und sie haben es doch getan, einen der Tatort-Cops im Dienst sterben lassen. Es ist Nils Stedefreund, der Mann für die gefährlichen Einsätze, wie wir jetzt auch erfahren haben. Er hätte ohnehin kein Polizist mehr sein können, nach allem, was damals, 2013 und im Hier und Jetzt passiert ist. Wie das passieren konnte,  ist allerdings ebenso fragwürdig wie viele andere Details des Films. Immerhin hat er damals Tötungshandlungen begangen und hatte den Suizid einer dritten Person zu verantworten.

Der große letzte Wurf ist „Wo ist nur mein Schatz geblieben“ dadurch leider nicht geworden und es ist wieder typisch Lürsen: Hätte sie nicht so stur und gegen jede übergeordnete Logik ermittelt, wäre alles glatt gegangen und Stedefreund wäre nicht ins Visier des bösartigen BKA-Junkies geraten und hätte nicht sterben müssen. Diese Figur ist leider komplett unrealistisch, aber was ist an diesem Film nicht genau so? Wir haben unsere Ansprüche an Logik und Realitätsnähe in den letzten Jahren deutlich zurückgenommen, sonst könnten wir keinen Tatort der letzten Jahre gut bewerten können. Aber man muss es nicht so übertreiben wie dieses Mal, wo viele Fehler ganz problemlos sichtbar sind.

Eigentlich hätte Stedefreund schon bei dem Autounfall sterben oder mindestens schwer verletzt sein müssen, bei dem sein alter 5er-BMW sein mehr oder weniger verdientes Ende gefunden hat. Das war schon ein böses Omen, das Ende dieses Autos. Es hat nie die Berühmtheit von Borowskis Passat oder Fabers Saab erreicht, weil es unauffälliger war und kein Eigenleben entwickelte, aber es war eine feste Größe in den Bremen-Tatorten. Entweder waren die Autos vor 20 Jahren viel stabiler gebaut als heute, oder es ist unmöglich, dass jemand sich bei einem solchen Sturz den Abhang hinunter mit vielen Überschlägen nicht wenigstens ein paar Gräten bricht bzw. überhaupt keine Verletzungen davonträgt. Lürsens blutverschmiertes Gesicht ist zwar sehr dramatisch, aber passt nicht zu der Rollbewegung, die das Auto vollführt hat. Jedenfalls können beide sofort weitermachen. Am selben Tag hatten wir einen Film gesehen, in dem jemand durch einen Sturz vom Fahrrad eine Beinfraktur erlitt und wochenlang in Gips lag und dann mit Gehhilfe unterwegs war. Der Film war allerdings schon älter und die Menschen werden immer robuster, die Evolution hat schon gemerkt, dass wir harten Zeiten entgegensehen. In den USA, die ja bei allen Trends voraus sind, gibt es diese unkaputtbaren Typen schon länger.

Auch unfreiwillig witzig: Wie langsam die beiden unterwegs waren, bevor sie mit Karacho über den Straßenrand hinaus in die Tiefe stürzten.

Und diese starke Physis nur, damit Stedefreund in der vorletzten Szene von dem Verrückten aus dem BKA auf eine Weise erschossen werden kann, als wäre überhaupt kein SEK anwesend, das ihn daran hindern könnte. Man lässt ihn einfach gewähren und auch Lürsen kriegt nicht die Dienstwaffe hoch, um Stedefreund zu schützen. Und was ist mit dem Motiv von Kempf? Nun ja, man kennt einander von früher, mag einander nicht und ein paar Millionen vom Drogengeld abzuzweigen und damit ab in den Süden hat auch nicht funktioniert. Bei dem durchgeknallten Junkie reicht das zusammen vermutlich, um einen Kollegen hinzurichten. Da hat er’s sich verdient, dass Inga in der allerletzten Szene seine Asche in den Wind streut. Hat nach dem Eingangssong „Über den Wolken“ nur gefehlt, dass sie „Blowin‘ in the Wind“ singt, dann wäre es richtig rund geworden.

„Das Netz ist geschockt vom Ende“ schrieb die Stuttgarter Zeitung. Sehen wir nicht so: Das Netz als solches hat überhaupt keine  Meinung dazu und die Menschen im Netz haben ganz unterschiedlich reagiert. Einige fanden es logisch, andere waren froh, die meisten haben es bedauert. Geschockt wären sie wohl dann gewesen, wenn der Schauspieler Oliver Mommsen bei den Dreharbeiten ums Leben gekommen wäre.

Über einige Details hat sich auch der offzielle Twitter-Account des Tatorts lustig gemacht:

„Telefonieren beim Fallschirmsprung. Wir wussten ja schon immer, dass das mit der schlechten Netz-Abdeckung in Deutschland nur ein Mythos ist.“

Hier gibt es einen Rückblick von derselben Stelle auf die Lürsen-Jahre. Allerdings auch auf die frühe Zeit, in der sie andere Co-Ermittler hatte. Die Jungs auf den ersten Bildern sind eindeutig nicht Oliver Mommsen. Man sieht daran übrigens auch, dass sie sich selbst nach ein paar Filmen ziemlich deutlich verändert hat und etwa seit Stedefreunds Hinzutreten eigentlich mehr oder weniger so aussieht wie heute. Da hatte er wohl eine stabilisierende Wirkung.

Wenn wir schon gerade bei den Twitter-Reaktionen sind: Für viele Lacher sorgte auch der cloud-basierte Mailaccount und was uns nicht klar geworden ist: Wie dieses Modell mit der Geldwäsche mit Grundstücken funktionieren soll. Es würde doch sofort auffallen, wenn alle Strohmann-Investoren überhaupt nichts für ihre Parzellen zahlen müssten, weil sie ganz normale Alltagstypen sind, bei denen man normalerweise jede größere Kontobewegung nachvollziehen kann. Wenn es keine gab, trotz eines Notarvertrags, in dem ein Grundstückskauf über 250.000 Euro ausgewiesen ist + zugehöriger Grundbucheintragung, wirkt das doch sehr verdächtig. Vielleicht wirklich mal in Berlin recherchieren, mit welchen Methoden Drogengeld zu Betongold gemacht wird. Es wird wohl eine ähnliche Tour sein wie beim Entsorgen von Leichen: hier ein Stück, da ein Teil. Wenn wir schon bei Harit, dem Bullenflüsterer, sind: Wie man in Gegenwart von zerstückelten Verrätern überzeugende Liebeserklärungen bzw. Heiratsanträge macht. Das lernt man im Tatort oder vielleicht doch bei uns, wo das Schräge zuhause ist.

Finale

Der Titel dürfte aus einem Hit der 1930er entlehnt sein: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, wo ist meine Frau geblieben? Keiner weiß, wie es geschah, plötzlich isse nicht mehr da.“ Alptraum oder Wunschtraum vieler Männer, komponiert von Peter Kreuder, die Originaleinspielung mit Rudi Godden zählt zum Schellack-Familienerbe. Am Ende kehrt sie zurück, die Frau, es wird nichts darüber ausgesagt, ob sie willkommen ist.

Die Mädchen, mit denen 2013 ein grausames und in dieser verschwenderischen Brutalität wohl doch nicht realistisches Spiel getrieben wird, können das nicht mehr. Auch dieser Text ist wohl von einem Kinderreim aus dem Jahr 1913 inspiriert, wie jetzt nach aufwendiger Recherche festgestellt haben:

Eins zwei drei vier fünf sechs sieben
wo ist denn mein Schatz geblieben
ist nicht hier, ist nicht da
ist wohl in Amerika.

Der Text spiegelt also die damalige Zeit mit den großen Auswandererströmen, es lässt sich aber beim besten Willen kein Zusammenhang mit dem Geschehen im Tatort erkennen bzw. wir sind heute nicht so drauf, dass wir unbeding einen konstruieren wollen.

Wir haben uns nicht gelangweilt, mit Ingas und Nils‘ letztem Film, aber da war doch vieles dermaßen übertrieben und schwach ausgeführt, dass das Finale ein großes geworden wäre. Es sei denn, man findet den Tod von Stedefreund so toll, dass man dafür viele Punkte vergibt. So schlimm war es mit den Bremern gar nicht immer und ob es so richtig was ausmacht, dass man sich das getraut hat? Heute geht doch eigentlich alles. Wir hatten lange die 6/10 vor dem geistigen Auge, aber dann doch ein halber Goodbye-Punkt.

6,5/10 

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Vorschau: Wird es Trauer geben und Schmerz?

Fans der Reihe Tatort wissen, worauf unser Titel anspielt: Auf eine andere Nordschiene.

„Im Februar 2017 öffentlich angekündigt, nun ist der Moment gekommen: Nach über 18 erfolgreichen gemeinsamen Jahren verabschieden sich die Darsteller Sabine Postel und Oliver Mommsen von ihren Alter Egos Inga Lürsen und Nils Stedefreund. In der Rolle der beiden Bremer Tatort-Ermittler lösten die zwei Schauspieler insgesamt 33 Fälle Seite an Seite; Fall Nummer 34 „Wo ist nur mein Schatz geblieben?“ wird der letzte sein.“

So leitet die Seite Tatort-Fans ihren Bericht zum aktuellen Lürsen-Stedefreund-Fall ein. Es ist kein Geheimnis für jene, die uns häufiger lesen, dass wir einige Mühe hatten, uns an dieses Team zu gewöhnen, was vor allem an dem Rollenprofil lag, das man Inga Lürsen verpasst hat. Nie zuvor war eine Person, die in dieser Reihe ermittelt, so moralisierend, so pädagogisch angelegt, mit ihr ist der Tatort von einem Format, das zeigt, das Interpretationen zulässt, endgültig zum Tatort-Ethikrat und zurVolkslehrwerkstatt geworden, in welcher der Holzhammer gerne als Werkzeug zur Meinungsbildung eingesetzt wird. Hat funktioniert, kann man aus heutiger Sicht feststellen. Deswegen war es in den letzten Jahren wohl auch möglich, Lürsen etwas mehr zurückzunehmen. Richtig warm wurden wir mit den beiden nie, aber es ist erkennbar nicht ihre Aufgabe, die  Zuschauer zum Kuscheln zu verführen. Dafür gibt es nach wie vor die Kölner Ballauf und Schenk, die machen diesen Job großartig, und das so häufig wie kein anderes Team.

Andererseits hatten die beiden Nordlichter oft grandiose Fälle. Radio Bremen hat bei der Auswahl der Drehbücher kaum Kompromisse gemacht und immer in die ganz große Kiste gegriffen, die meisten Lürsen-Stedefreund-Fälle zeigen Themen von großer gesellschaftlicher Relevanz und manchmal führte dies dazu, dass Fälle nicht befriedigend abgeschlossen werden konnten, weil das Verbrechen eben nicht so einfach zu besiegen ist. Auch im letzten Film wird wieder das große Besteck rausgeholt, es geht um Korruption und Geldwäsche und die Handlungsangabe liest sich, als ob das Bundeskriminalamt dabei eine zwielichtige Rolle spielt – eine Bremen-Spezialität.

Das Visuelle der Bremen-Tatorte war immer gut, nicht hingegen der Ton – ein mehr als fragwürdiger Manierismus, auf akustische Unverständlichkeit zu setzen. Wir sind damit erst klargekommen, als wir dazu übergingen, Kopfhörer zu verwenden und Tatorte immer aufzuzeichnen, damit wir zurücksetzen konnten, wenn wir eine Stelle nicht verstanden hatten.

All das Beschriebene traf natürlich nicht auf jeden Bremen-Fall zu, aber es gibt Auffälligkeiten, positive und negative, das Team und die Filme waren prägnant und gingen nie fehl: Es wurde viel über das diskutiert, was in den Bremen-Tatorten zu sehen ist, aber nie über diese selbst, über ihre Machart oder politische Auffassungen, die man aus dem Gezeigten herauslesen kann.

Da der Abschied des Bremen-Teams seit zwei Jahren feststeht, hätte man locker einen Film machen können, in dem die beiden sogar im Dienst getötet werden. Das kam allerdings bisher niemals vor. Nie hat sich ein Team auf so krasse Weise vertschüsst und wir fänden die Idee auch nicht gut.

Die Tatorte von RB haben uns oft herausgefordert, aber das Team zählt zu den wichtigen, welche die Reihe in den 2000ern und 2010ern geprägt haben. Pro Jahr hatten sie im Durchschnitt zwei Fälle zu lösen, obwohl Radio Bremen der kleinste ARD-Sender ist, beim etwas größeren SR (Saarländischer Rundfunk) kommt es nur zu einem Tatort im Jahr. Wir sind gespannt auf die Nachfolger – wer das wird, steht noch nicht fest. Lürsen kommt übrigens auf fast 22 Dienstjahre, ihre ersten fünf Fälle hatte sie ohne Stedefreund lösen müssen, war also 39mal im Einsatz.

TH

Besetzung und Stab

Hauptkommissarin Inga Lürsen – Sabine Postel
Hauptkommissar Nils Stedefreund – Oliver Mommsen
Kommissarin vom Dienst Helen Reinders – Camilla Renschke
Rechtsmediziner Dr. Katzmann – Matthias Brenner
BKA-Ermittlerin Linda Selb – Luise Wolfram
BKA-Ermittler Maller – Robert Hunger-Bühler
BKA-Ermittler Kempf – Philipp Hochmair
Roger Stahl – Kostja Ullmann
seine Lebensgefährtin Vera Berlov – Violetta Schurawlow
Veras Bruder Adam Berlov – Daniel Wagner
Martina Koch, Sekretärin – Lotta Doll
Elena – Dana Herfurth
Kind – Junis Koussan
u.a.

Drehbuch – Florian Baxmeyer, Michael Comtesse
Regie – Florian Baxmeyer
Kamera – Peter Joachim Krause
Schnitt – Friederike Weymar
Szenenbild – Andreas C. Schmid
Ton – Frank Buermann
Musik – Stefan Hansen

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