Liebeswahn – Polizeiruf 110 Fall 341 / Crimetime 292 / #Polizeiruf110 #Buckow #König #Rostock #NDR #Liebeswahn

Crimetime 292 - Titelfoto © NDR, Christine Schröder

Wie schön – die Briefe, wie schade der Wahn

Buckow und König sind ein starkes Team. Wir befassen uns noch nicht lange mit dem Polizeiruf 110, aber sie sind wohl die besten unter den aktuellen Ermittlerpersonen der Reihe und liegen im Quervergleich mit 21 Tatort-Crews ebenfalls nicht schlecht. Das ist allerdings auch notwendig, damit die Polizeirufe funktionieren. Das haben sie ebenfalls mit neueren Filmen der Tatort-Reihe gemeinsam. Ob Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner und einige attraktive Episoden-Darstellerinnen das zusammen in „Liebeswahn“ hinbekommen haben, klären wir in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia)

Die Kriminalhauptkommissare Bukow und König werden in der Nacht zu einem mysteriösen Todesfall gerufen. Ein Mann ist verblutet, nachdem ihm jemand die Zunge abgeschnitten hat. Für die Ermittler sieht das nach Mafia-Methoden aus. Sie nehmen Kontakt zur Hamburger Polizei auf, wo es vor Jahren in einem Swingerclub einen ähnlichen Fall gab. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass dem Hamburger Opfer die Zunge nicht vorher abgeklemmt wurde, wie es in Rostock der Fall war.

Um die Identität des Toten zu klären, wird ein Foto in der Zeitung veröffentlicht. Daraufhin meldet sich die medizinisch-technische Assistentin Martina Reuter und identifiziert das Opfer als Jürgen Heinze. Nach ihren Angaben hatte ihr Exfreund vor kurzem eine neue Frau kennengelernt. Obwohl Reuter nichts von BDSM-Praktiken erzählt hatte, finden Bukow und König eindeutige Hinweise dafür in Heinzes Wohnung. Sie können auch den Rostocker Club ausfindig machen, in dem er mit seiner damaligen Freundin regelmäßig verkehrte. Da Martina Reuter dazu neigte, brutaler vorzugehen als üblich, erhielten beide Hausverbot. Das hat zur Folge, dass Martina Reuter im Zentrum der Aufmerksamkeit der Ermittler steht, wobei diese nicht bemerken, dass sie selbst zum Ziel des Täters werden.

Seit einiger Zeit geschehen seltsame Dinge: Vor Bukows Haus hat jemand Rosenblätter verstreut, er bekommt einen Brief mit einer Liebeserklärung, während seine Frau Vivian dabei beobachtet wurde, wie sie sich mit Bukows Kollegen Thiesler trifft. Ihr Auto wird obszön beschmiert und am Telefon beschimpft sie jemand mit verstellter Stimme mit „Drecksnutte“. Aber auch Katrin König wird heimlich observiert. Per Chat wird sie zunächst beleidigt und am nächsten Tag beim Joggen tätlich angegriffen. Als Bukow seiner Kollegin in die Klinik folgt, nutzt der Stalker die Chance und dringt in sein Haus ein und schlitzt Vivians Kleider auf. Dabei handelt es sich um die Ärztin Clara Fischer, die Bukow zufällig im Krankenhaus kennengelernt hatte, als er seinen Sohn dort behandeln lassen musste. Bukow vermutet allerdings, dass Martina Reuter dahintersteckt und ahnt nicht, dass er selbst in die Falle gerät. Nachdem Fischer bemerkt, dass ihre geradezu wahnhafte Liebe von Bukow nicht erwidert wird, setzt sie ihn mit einem Narkosemittel außer Gefecht, verschleppt ihn in den Keller des Klinikums und fesselt ihn an einen Stuhl. Um seine Situation zu verbessern, versucht er ihr klarzumachen, dass er sie doch mögen würde. Aber Fischer will das nicht hören und ihm für diese Verlogenheit die Zunge abschneiden. Sie könne nicht zulassen, dass er noch mehr Frauen anlügen und noch mehr Herzen brechen würde. 

Bukows Kollegen bemerken gerade noch rechtzeitig, dass er urplötzlich verschwunden ist und finden heraus, dass es eine Verbindung zu Samuels Behandlung und der ihn behandelnden Ärztin gibt. Sie folgen der Spur bis in den Keller der Klinik. Um Bukow zu retten, muss König auf die psychisch kranke Frau schießen, die dabei tödlich getroffen wird.

Rezension

Es ist Zufall, klar. Aber gerade erst hatten wir beim aktuellen Tatort 1092 („Das Nest„) einen Serienkiller, der seit vielen Jahren unbehelligt seinen Job als Arzt in einer Klinik verrichtet und so geht es nun weiter. Und wenn das weiter so weitergeht, werden wir lieber doch vorzeitig sterben, als jemals wieder eine Klinik zu betreten. Drehbuchautoren und „Premiumberufe“ wie Arzt, Anwalt, gerne auch mal Psychologen und Psychiater, das geht gar nicht, das lernen wir in fast jedem Film der beiden Reihen, die ja selbst Premium innerhalb der deutschen Krimilandschaft sein wollen, fast jede Woche aufs Neue – oder auch häufiger, wenn wir zusätzlich zu den Premieren über ältere Filme schreiben.

Doch, wir haben uns darüber geärgert, dass die hübsche Ärztin natürlich selbst komplett krank ist, was sonst. Kann aber vorkommen, manchmal ist das Leben gerecht. Was uns aber künftig dazu veranlassen wird, härter mit den Filmen, vor allem mit den Drehbüchern umzugehen, ist, dass wir immer häufiger den Eindruck haben, die Autor_innen haben gar keine Scheu mehr, das Publikum zu nasführen. Dabei machen die Amerikaner, von denen diese Thriller à la „Liebeswahn“ abgeschaut sind, es vor, dass man trotzdem eine immanente Logik einhalten kann. Halbwegs jedenfalls.

Wie schon vor ein paar Tagen in „Das Nest“ gibt es in „Liebeswahn“ überhaupt keine Hinterlegung. Okay, der Film ist auch ein bisschen anders angelegt, das Liebeswahnswesen wird nicht durch etwas wie die Sofa-Familiensitzung eingeführt, das nach Erklärung geradezu schreit. Die wird dann richtiggehend geflickschustert. Weil er behauptete, sein Familienleben sei soweit okay? Er wusste ja nicht, dass seine Frau mit dem pupsigen Kollegen fremdgeht. Immerhin kommt dadurch eine krasse Sequenz von Gegen- und Überschnitten zustande. Während Frau Buckow den Lockigen vögelt und dabei heftig atmet, bekommt Sohn Samuel erstmals in seinem Leben einen Asthma-Anfall. Wenn das jetzt wenigstens küchenpsycho.-logisch okay sein soll, muss dieser Fick also der erste zwischen den fremden Bettgesell_innen gewesen sein. So wirkte es aber nicht, die beiden treffen sich erkennbar schon länger und es handelt sich um ein außereheliches Verhältnis, nicht um einen spontanen Seitensprung.

Nein, die Lüge soll darin gelegen haben, dass Buckow erst sagte, er liebe Clara nicht, und sie dann, gemäß Inhaltsangabe, damit beschwichtigen will, dass er sie ja doch ganz gerne mag. Da hat sie ihn aber schon eingekellert und wofür? Welche Verstümmelung hätte sie ihm denn zugedacht, wenn er nicht zu einer Notlüge gegriffen hätte?

Und die einzige, wirklich einzige Verbindung zwischen dem braven Buckow, der vermutlich eher auf Blümisex steht und dem BDSM-Halunken, der sich anfangs zum Taxi ins Jenseits begibt, ist, dass a.) dieser selbst und b.) später Samuel Buckow von derselben Ärztin behandelt werden. Und worüber hat dieser Mensch nun gelogen? Über seine sexuellen Vorlieben?

Ja, Stalking gibt es, in einer leichteren Form haben wir das selbst schon zweimal erlebt, es ist unangenehm bis bedrohlich und einer dieser beiden Fälle war gefährlich, weil er uns ein ungerechtfertigtes Imageproblem eingebracht hatte – und, ja, Menschen, die bedenkenlos auf diese Weise auf andere „abfahren“, sind nicht gesund. Auch in diesem Fall handelte es sich um jemanden, der sich vorgenommen hatte, viel Einfluss auf andere nehmen zu wollen, und zwar als Justizperson. Wir wissen nicht, ob das Karriereziel erreicht wurde; falls ja, wäre das ziemlich makaber. Es belegt aber nicht, dass fundierte Psychologie Quatsch ist, sondern das Gegenteil. Es kommen viel zu häufig Menschen in Positionen, die nicht gesund sind, aber Macht über andere haben, weil auf diesen Aspekt zu wenig geachtet wird. Im politischen Bereich, wo der Begriff „Macht“ besonders nah liegt, nach unserer Ansicht übrigens selten in einer so wahnhaften Art, denn das würde auf dem sehr viel Interaktion erfordernden Weg des Machtgewinns auffallen. Aber Psychopatholigisches gibt es in vielen Erscheinungsformen.

Die Ärztin ist also nicht an den schönen langen Haaren herbeigezogen, zumal  Menschen aus diesem Bereich nicht selten ethisch sehr anspruchsvoll sind, sehr ernst, um diesen Anspruch kreisend, die Grenze zu ernsthaften psychischen Problemen ist dann schneller erreicht, als wenn jemand viel grober gestrickt ist.

Es hilft aber nichts, das Ende des Films ist schwach und wirkt, auch das ist ja leider alles andere als selten, als habe der Plot ein schlechtes Timing. Weil keine Zeit mehr für eine nachvollziehbare Auflösung war, hat man die Logik hinter dem, was die Ärztin mit Buckow und zuvor mit dem Taxikunden veranstaltet hat, einfach weggelassen, weil nicht erklärt wird, warum sie ihn der Lüge bezichtigt, und das wäre in diesem Fall wichtig gewesen.

Darüber hinaus ist auch dieser Film eigentlich kein Psychothriller, sondern ein Transporter für Genre-Versatzstücke aus dem Hannibal-Lecter-Land

Und vorhersehbar. Diesbezüglich meinen wir allerdings, das ist gewollt. Es muss den Filmern aufgefallen sein, dass die Figur im grauen Hoodie recht groß, aber sehr schlank ist. Von allen Menschen, die wir in diesem Film zu dem Zeitpunkt schon gesehen haben, trifft das nur auf eine zu, fast wichtiger aber ist der Eindruck, dass es sich um die Ärztin Clara handeln muss. Ihre Bewegungen wirken sanft, verhuscht, geradezu anrührend.

Da Drehbuch und Regie von Thomas Stiller stammen, kann man also sagen, Inszenierung schägt Skript, das gilt nicht nur für die Momente, in denen man Clara von hinten sieht.

Bis fast zum Ende hat bei uns die Identifikation mit einer Täterin, die lila Briefe schreibt (nicht blasslila, wie einst im gleichnamigen Tatort), gut funktioniert. Das ist, neben den starken Ermittlerfiguren, einer der Pluspunkte des Films. Unsere Sympathie für die Frau im Jogginganzug hat erst Schaden genommen, als sie König angegriffen und schwer verletzt hat, obwohl wir, siehe oben, vorher fast sicher wussten, dass sie die Täterin im Fall Nummer Eins war, die dort plump eine Schere als Tatwerkzeug verwendet, die Ärztin und dann die Zunge abklemmt (!).

Apropos Fälle: Ein Zusammenhang mit dem Hamburger Fall besteht offensichtlich nicht, das wird auch mal einfach so eingeflochten und dann nicht aufgelöst. Es wäre eine steilere Konstruktion gewesen, die aber mehr Überblick bewiesen hätte, wenn die Ärztin dereinst in Hamburg tätig gewesen wäre oder eher – dort studiert hätte, so alt ist sie ja noch nicht. Passenderweise gibt es immerhin eine Abweichung bei der Tatausführung.

Dass solche Tätertypen jahrelang vor sich hinmorden, bis sie auf die Falschen treffen, also auf Buckow und König, ist all diesen Filmen eigen, da machen auch die großen amerikanischen Vorbilder selten eine Ausnahme. Manchmal wird versucht, ein Ereignis in der Vergangenheit als Auslöser zu rekrutieren, aber in letzter Zeit haben wir nur noch Menschen am Werk gesehen, die entweder immer schon schön böse waren oder unbemerkt über lange Zeit hinweg einen Wahn entwickelten. Wir werden, es ist kaum zu glauben, heute eine weitere Rezension schreiben müssen, in welcher der Fall genau so liegt. Es ist sicher ein ungünstiges Zusammentreffen, dass so viele ähnlich gelagerte Filme hintereinander über unseren Bildschirm geflimmert sind und wir bei keinem von ihnen resümierend festhalten können: Das war ja mal ein überzeugender Irrsinn, heute Abend!

Finale

Langweilig ist diese Art von Filmen für uns nicht –  zumindest noch nicht. In diesen Tagen haben wir eine ungewöhnliche Reihung ähnlicher Muster zu besprechen haben, aber eine Übersättigung würde eintreten, falls die Polizeirufe heute alle so gestrickt sind, mit der Reihe sind wir noch nicht vertraut genug, um das zu überblicken. Bei den Tatorten wissen wir immerhin, dass es viele Varianten gibt und auf die Abende mit Quatsch wieder solche mit Sinn und Verstand folgen werden. Darauf können wir uns verlassen und das mögen wir an der Reihe auch, dass nicht immer an der gleichen Masche gestrickt wird und alle nur noch auf Schockeffekt ausgerichtet ist. Heute keine Medienrezeptionskritik, die sich zur Kultur- und Zivilisationskritik erweitert.

Wir sehen König und Buckow nach wenigen Filmen schon richtig gerne, weil sie eine sehr gute Balance aufweisen: Sie sind menschlich, aber sie manipulieren uns nicht durch allzu viel Zugänglichkeit, mit der Absicht, uns bereit für die nach Sendermeinung notwendige politische Anleitung zu machen wie die beiden Kölner Kommissare Ballauf und Schenk das jahrelang hingebungsvoll getan haben bzw. wie es mit ihnen exerziert wurde.

Liebhaber_innen großer Krimi- oder Thrillerkunst haben es bei den Filmen, die im Moment ausgestrahlt werden, nicht leicht, aber es ist unsere Wahrnehmung, dass dem so ist. Wir haben es gerade bei „Das Nest“ gesehen, viele sind sehr begeistert von dem Film.

Bei „Liebeswahn“ hält es sich die Waage. Team und Inszenierung gefallen und überlagern die spekulativen Elemente und Plotschwächen. Wir können’s auch nicht ändern, dass wir das häufig schreiben müssen. Es ist einfach so.

7/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Thomas Stiller
Drehbuch Thomas Stiller
Produktion Iris Kiefer
Musik Fabian Römer
Kamera Marc Liesendahl
Schnitt Simone Sugg-Hofmann

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