Blutgruppe AB – Polizeiruf 110 Fall 7 / Crimetime 351 / #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Hübner #Lind #Vergewaltigung #Blutgruppe #AB #Zirkus

Crimetime 351- Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD

Die erste Waffe, das erste Sexualdelikt

Laut Angaben in der Wikipedia ist „Blutgruppe AB“ der erste Polizeiruf, in dem ein Ermittler, hier Oberleutnant Hübner, die Waffe zückt. Allerdings ist „Blutgruppe AB“ der 7. Fall der Reihe und da ist es normal, dass man viele Dinge erstmalig sieht und wirkt nicht wie ein ausgesprochen langes, bewusstes Zögern. Mittlerweile setzen sich Tatorte und gerade auch Polizeirufe sehr ausführlich mit diesen Delikten auseinander und sind dabei recht schonungslos und oft in die eine oder andere Richtung als Meinungsträger, nicht als Überbringer von Tatsachen unterwegs. Mehr darüber, wie man in den frühen 1970ern, als viele Tabuschellen weitaus höher lagen als jetzt, mit dem Thema umging, steht in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia)

Auf der Fahrt von Leipzig nach Berlin kommt es zwischen der jungen Sybille Arnold und ihrem Freund und Dozenten Dr. Pfeiffer zum Streit. Sie glaubt, dass er sie verlassen will. Als er nichts darauf erwidert, besteht Sybille darauf, im strömenden Regen in einer Waldgegend bei Lühnsdorf auszusteigen. Einige Zeit später erreicht sie offenbar unter Schock ein Forsthaus und schneidet sich an einer Sense die Pulsadern auf. Der Förster findet sie rechtzeitig und Sybille wird ins Krankenhaus eingeliefert.

Oberleutnant Jürgen Hübner und Leutnant Helga Lindt werden mit dem Fall betraut. Bei einer ersten Befragung gibt Sybille an, am Vormittag im Wald vergewaltigt worden zu sein. Sie sei auf der Landstraße in einen LKW eingestiegen, doch der Fahrer sei plötzlich in den Wald gefahren und habe sie vergewaltigt. Weitere Fragen Helga Lindts blockt sie zunächst ab, weil sie sich nicht erinnern will. Der behandelnde Arzt berichtet Helga Lindt, dass Sybille im vierten Monat schwanger ist. Ihr Selbstmordversuch hatte weniger mit der Vergewaltigung zu tun als vielmehr damit, dass sie das Kind nicht behalten will, weil ihr Freund sie verlassen hat. Der weiß nichts von dem Kind. Später berichtet sie, dass der Lastwagen des Vergewaltigers eine fleischähnliche Masse geladen hatte. Dem Mann hat sie während der Tat zudem einen Schlüssel entwendet, mit dem sie ihn am Kopf verletzt hat.

Die Ermittlungen führen zu einem Schlachthaus. Bald werden drei Männer der Tat verdächtigt: Herr Köhlermann ist der Fahrer des LKW, dessen Reifenprofil am Tatort gefunden wurde. Er sagt aus, an dem Tag den Wagen früh auf dem Hof des Schlachthauses zurückgelassen zu haben, weil die Beladung sich verzögerte. Erst gegen 12 Uhr habe er den LKW wieder abgeholt. Martin Rienacker hat eine verbundene Wunde am Kopf, die er jedoch mit einer Verletzung an einem neugezogenen Stacheldrahtzaun auf dem Werksgelände begründet. Er zeigt den Beamten zudem seinen Schlüsselbund. Helmut Paulsen war an dem Vormittag mehr als eine Stunde weg. Er gilt bei den Kollegen als verdächtig, weil er wegen Einbruchsdiebstahls vorbestraft ist. Paulsens Schlüssel ist zudem verschwunden, doch gibt Paulsen an, den LKW nur auf dem Hof beladen zu haben. Dabei habe er den Schlüssel verloren. Anschließend war er zu Fuß unterwegs, um sich bei einem Zirkus zu bewerben. Für ihn als Tierfreund sei die Arbeit im Schlachthof nichts.

Am Schlüsselbund wurden Blutspuren der seltenen Blutgruppe AB gefunden, die vom Täter stammen müssen. Herr Köhlermann, Martin Rienacker und Helmut Paulsen werden Blutproben abgenommen. Gleichzeitig legt Helga Lindt Sybille Fotos möglicher Täter vor. Die Zeit drängt, da in der Zwischenzeit bereits eine weitere Frau sexuell missbraucht wurde. Die Blutgruppe AB und auch Sybilles Identifizierung machen deutlich, dass es sich bei dem Täter um Martin Rienacker handelt. Eine sofort eingeleitete Fahndung kann eine dritte Tat gerade noch verhindern. Martin Rienacker wird festgenommen. Sybille und Dr. Pfeiffer sprechen sich aus; sie bleiben zusammen und werden eine Familie gründen.

Rezension

Man soll nicht bei Regen und auf der Landstraße  aus einem Auto aussteigen, nur wegen eines banalen Streits um die gemeinsame Zukunft. Wobei die Betonung auf dem schlechten Wetter liegt, denn bei Sonnenschein hätte man vielleicht den Weg auch schön durch den Wald zu Fuß gehen können und nicht in einen Lastwagen einsteigen müssen und wer weiß, wem man im Wald begegnet wäre.

„Blutgruppe AB“ zeichnet sich durch eine für die Verhältnisse der Zeit sehr offensive Darstellung des Themas Sexualdelikte aus. Und ist kein Tatort aus den ersten Jahren erinnerlich, der so unverblümt oder überhaupt einen Serientäter zeigt, wie er Frauen vergewaltigt. Die Darstellungsweise ist ausdrücklich, es passiert nicht etwa verschämt offscreen. Beim ersten Mal schon, weil nicht gleich ersichtlich sein soll, was zwischen Sybilles Ausstieg aus dem Wagen des Freundes und ihrem Eintreffen in der Forstwerkstatt geschehen ist, wo es zu einer schockierenden Tat kommt – dem Versuch, sich mit einer Sichel oder dergleichen selbst zu töten. Am Ende ist es anders, als der Täter in Flagranti gestellt wird, da wird aus der Perspektive des Opfers gefilmt. Wir haben ohnehin einige subjektive Kameraeinstellungen zu sehen bekommen, sogar von eine vom fahrenden Motorrad aus.

In der Wikipedia zitierte Kritiker sagen auch, man sei sehr sensibel mit dem Vergewaltigungsopfer Sybille umgegangen, habe aber bezüglich des Täters keine Ideen, hier sei eine gewisse Hilflosigkeit zu bemerken. Uns sind beide Punkte gar nicht so aufgefallen. Der eine wohl nicht, weil Sybille Zeugin ist und es keine spezielle Absprache war, dass sie nur von einer weiblichen Person – nicht vernommen, sondern befragt wird. Während wir Leutnant Arndt schon mehrfach an der Seite von Oberleutnant Fuchs gesehen haben, beobachten wir in „Blutgruppe AB“ erstmals Karin Ugowski als Leutnant Helga Lindt zusammen mit Oberleutnant Hübner alias Jürgen Frohriep.

Wenn von sensibel die Rede ist, dann ist es sicher ihre Art, ins Betimmte, das sie als Polizistin zeigen muss, eine gewisse Wärme, ein Lächeln zu legen. Sie wirkt als Person zugänglicher als die Kollegin Arndt etwa in „Das Haus an der Bahn“, dem Vorvorgänger von „Blutgruppe AB“. Das liegt natürlich auch am Plot und an den Charakteren, mit denen umgegangen werden muss. Auch Hübner macht hier eine gute Figur, ist auf der Höhe und lässt sich keinen Unsinn erzählen, man tut, was möglich ist, um den Täter zu kriegen.

Leider gibt es im Plot einen Knackpunkt, der die Qualität des Films in Mitleidenschaft zieht. Vieles ist recht gut gemacht, aber zum einen ist man relativ schnell festgelegt auf den Mann, der dann wirklich der Täter ist, zum anderen – kaum denkbar, dass Sybille derart traumatisiert ist, dass sie das Gesicht des Fahrer eines LKW der Marke Robur, der ihr so viel näher gekommen ist, als sie wollte, gar nicht mehr erinnern kann und in auch in einer Gegenüberstellung, die leider nicht stattfindet, die richtige von den drei in Frage kommenden Personen nicht erkennen würde.

Das wäre vielleicht stimmig, wenn der Mann sie im Wald, möglicherweise von hinten, überfallen hätte, aber sie stieg zu ihm ins Auto, in dem Moment fühlt sie noch keine Gefahr, ist erst einmal nur eine Anhalterin, die versucht, nach Berlin zu kommen. Wenn man so will, geht sie sogar ein gewisses Risiko ein. Menschen, die per Anhalter reisen, vor einigen Jahrzehnten war das weit verbreitet, sieht man mittlerweile kaum noch.

Dass man sich auf den Mann einstellt, der den Ausgang aus dem Firmengelände durch den Stacheldraht sucht, liegt daran, dass der etatmäßige Fahrer des Lastkraftwagens die doch etwas zu einfache Lösung gewesen wäre – und dass der schwatte Paulsen zu knuffig wirkt. Eine durchaus humorvolle Seite, die der erste Polizeiruf mit einem Sexualdeliktan an der Stelle zeigt, als Hübner den Typ, der wie geschaffen scheint, um einen körperlich sehr überlegenen und animalischen Triebtäter abzugeben, vernimmt und der ihm treuherzig erzählt, wie er wegen eines Vorstellungsgesprächs beim Zirkus ausgebüchst ist.

Er hatte mal was ausgefressen, wird sozialisiert, man versucht ihn zu reintegrieren, aber der Leiter der Schlachthof-Brigade hat einiges an diesem Mitarbeiter auszusetzen und wirkt nicht frei von Vorurteilen. Ja, es ist schwer, mit der zweiten Chance, selbst im hier nicht einmal erkennbar idealisiert dargestellten Realsozialismus. Die Wiedereingliederung wird in frühen Polizeirufen häufig thematisiert, wir haben das nun schon zweimal gesehen, in „Freunde“ und „Der Mann„. Hier ist es aber nur ein Nebenthema.

Vielleicht ist die Prämisse, berufliche Beschäftigung mit Fleischproduktion und psychisch krank und triebhaft mit krimineller Energie sein geht häufig miteinander, so gesehen, wäre dieser Film schon ein Plädoyer fürs pflanzliche Leben. Wir müssten mal unbedingt recherchieren, ob es jemals einen veganen Triebtäter gegeben hat. Vermutlich nicht. Pflanzenfresser sind einfach friedliebend und haben in der Regel eine perfekte Impulssteuerung. Ausnahmen von dieser Regel haben wir bisher noch nicht getroffen.

Auffallend ist die Kürze des Films, die eine sehr komplizierte Handlung ausschließt, ebenso, dass man alle Verdächtigen sehr griffig werden lässt. Bei Paulsen gelingt das in kurzen, kräftigen Pinselstrichen, von dem wirklichen Täter erfahren wir nur, dass es in dem Haus, in dem er wohnt, eine Frau gibt, bei welcher er nicht landen kann, woraufhin er röhre wie ein Hirsch, heißt es. Daran kann man wiederum sehen, dass nicht alle Serientäter ganz unauffällig sind, denn ein röhrender Hirsch, der sich nicht auf einem Wohnzimmergemälde befindet, macht sich im Sozialismus wie im Kapitalismus gleichermaßen verdächtig, wenn er eigentlich ein Mensch sein sollte.

Wir haben noch nicht ermittelt, ob „Blutgruppe AB“ der kürzeste Film der beiden Reihen Tatot und Polizeiruf insgesamt ist, einen kürzeren Tatort gibt es jedenfalls nicht, die Produktionen beginnen bei ca. 70 Minuten und es gibt welche, die an zwei Stunden herankommen. Das Grundmaß der Polizeirufe der ersten Jahre war aber wohl eine Stunde. Es ist nicht so, dass „Blutgruppe AB“ etwas Wesentliches fehlen würde, aber die Suche nach dem Täter muss eben doch recht knapp ausfallen, zumal der Einstieg, die Szene im Auto zwischen Sybille und ihrem Freund, eine recht ausführliche Exposition darstellt.

Wir müssen auf die kritisierte Ideenlosigkeit bezüglich des Täters zurückkommen. Uns ist nicht bekannt, dass heute wesentlich anders verfahren wird. Jemand, der psychisch krank ist und dazu neigt, Frauen zu überfallen, wird sicher so gut wie möglich therapiert, aber das zu zeigen, ist auch heute in Tatorten oder Polizeirufen nicht üblich – eher, dass die Handlung sich daran festmacht, wie diese Person unplanmäßig freikommt oder auf Freigang wieder tätlich wird. Seltener: Jemand gerät in Verdacht, weil er früher vergewaltigt und vielleicht dabei sogar getötet  hat.

Fälle von Mobbing kommen vor, wenn die Umgebung herausbekommt, wer da eingezogen ist. Die Kritik an der vielleicht etwas unbeholfenen damaligen Praxis wirkt hingegen, als sei man heute viel weiter und hätte ein Konzept, das es ermöglicht, Menschen, die immer noch hochgradig gefährlich sind, trotzdem in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen quasi unbegrenzten Freiraum zu gewähren. Derlei gibt es nach wie vor nicht und die wenigen Fälle, in denen es durch Menschen zu neuen Taten kommt, denen man gewisse Freiheiten zugesteht, reichen aus, um diesbezüglich nicht zu viel zu wagen.

Finale

Dieser Polizeiruf, der kaum mehr Spielzeit aufweist als ein Vorabend-Krimi, ist auf jeden Fall historisch interessant, aber gerade bei einem Film über die vorliegende Tätergruppe ist es doch besser, wenn man sich etwas genauer einlässt.

Gestern hatten wir eine Diskussion darüber: Gibt es das Serienmörder-Gen? Und kann es wirksam werden, ohne dass biografische Umstände hinzutreten? Unsere Gesprächspartnerin hatte einige Jahre lang in einem Knast für Langzeitstrafgefangene gearbeitet. Unter anderem hat sie gesagt, sie habe sich nach einiger Zeit abgewöhnt, sich vorher die Akten anzuschauen, weil sie sonst noch mehr gegen die extrem unsympathischen Typen voreingenommen gewesen wäre, denen sie begegnet ist. Es sei aber in der Regel so gewesen, dass diese Menschen tatsächlich schwere Biografieschäden aufweisen würden. Dem steht auf den ersten Blick eine Aussage aus einem Gespräch am Tag zuvor entgegen, in dem unsere Diskussionspartnerin von einem Cousin erzählt hat, der schon als kleines Kind ein Sadist mit schweren Verhaltensauffälligkeiten gewesen sei. Beim Weiterfragen haben wir allerdings herausbekommen, dass der Vater unter Alkoholeinfluss zu häuslicher Gewalt  neigte.

Hintergründe des Täters erfahren wir in „Blutgruppe AB“ nicht, aber aufgrund der Kürze des Films und weil Filme der Reihen Tatort und Polizeiruf sich auch heute in der Regel nur dann mit dem Leben nach der Festnahme befassen, wenn es um ein neues Verbrechen geht und ein Mensch, der schon einmal bestimmte Straftaten begangen hat, macht sich erneut verdächtig, ist es für uns außerhalb der Diskussion, dass nicht ausführlich dargestellt wird, wie Menschen mit dieser Disposition aufwendig therapiert werden und wie man eine (Re-) Sozialisierung angehen könnte, wenn jemand als geheilt gilt. Der verdächtige Paulsen hatte vor seinem Gefängnisaufenthalt und der folgenden Resozialisierung übrigens kein Sexualdelikt begangen.

6,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Bernhard Stephan
Drehbuch Gerhard Jäckel
Produktion Rainer Crahé
Musik Wolfgang Pietsch
Kamera Bernd Sperberg
Schnitt Brigitte Funk
Besetzung

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