Ausgezählt – Tatort 1099 / Crimetime 354 // #Tatort #TatortLuzern #Luzern #Flückiger #Ritschard #Ausgezählt #Tatort1099 #SRF

Crimetime 354 - Titelfoto © SRF, Daniel Winkler

Thrillerprototyp, schweizerisch

Ach nein, gegenwärtig Platz 965 von 1099 in der Rangliste des Tatort-Fundus sind Bashing. Und da machen wir traditionell nicht mit. Sicherlich wurde durch „Ausgezählt“ das Runterzählen bis zum Tod eines Entführungsopfers nicht neu erfunden und die ständige Beobachtung durch die Kamera hat die Handlung eher gebremst, aber nicht nur einige Fans haben den Eindruck, man ist in der Schweiz wieder am Beginn angekommen, als mit „Wunschdenken“ ein schon im Vorfeld stark diskutierter Film den Flückiger-Start darstellte. Wir haben häufig über dem Durchschnitt bewertet und darauf wird es auch heute hinauslaufen. Warum, eklären wir in der -> Rezension.

Handlung, Besetzung, Stab

Als ihre Gegnerin im Ring einen Herzinfarkt erleidet, ist das für die Boxerin Martina Oberholzer Anlass, sofort mit dem Dopen aufzuhören. Außerdem will sie der Presse alles berichten, was sie an Hintergründen über die Dopingszene weiß. Um sie davon abzuhalten, sperrt ihr korrupter Manager Sven Brügger Martina in einen Luftschutz-Keller. Kurz darauf wird Brügger erschossen.

Am Tatort stoßen die Ermittler Reto Flückiger und Liz Ritschard nicht nur auf den toten Boxmanager, sondern auch auf Heinz Oberholzer, der den Mord sofort gesteht: Heinz ist Ex-Polizist und Martinas Onkel. Er hat Brügger im Streit erschossen, als er aus ihm den Aufenthaltsort der entführten Boxerin herauspressen wollte. Der Mordfall ist also schnell geklärt. Doch was wird nun aus Martina? Wie sollen Flückiger und Ritschard die Entführte finden? Nun, da Brügger tot ist, scheint niemand zu wissen, wo sie eingesperrt ist. Verschärft wird die Situation durch den verzweifelten Hinweis von Ferdi Oberholzer, Martinas Vater und gleichzeitig ihr Trainer: Aufgrund des Dopings leidet seine Tochter an erhöhtem Flüssigkeitsverlust. Maximal zwei Tage, dann wird sie verdurstet sein, wenn sie nichts zu trinken bekommt.

Die Zeit drängt und der geständige Mörder Heinz Oberholzer hat einen Plan: Er will in das Gefängnis überstellt werden, in dem Pius Küng einsitzt. Küng ist der skrupellose Drahtzieher des Dopingrings. Einzig er könnte Martinas Aufenthaltsort kennen. Doch der Plan ist hochriskant: Als ehemaliger Polizist wird Heinz im Gefängnis auf Rache seiner ehemaligen Klientel gefasst sein müssen. Dennoch setzt sich Liz für das Vorhaben ein – sogar über die Grenzen der Legalität hinweg. Sie kennt Heinz aus den Anfängen ihrer Polizeilaufbahn: Er war einst ihr Ausbilder, und sie scheint ihm blind zu vertrauen – was Flückiger zunehmend irritiert. Ein seltener Konflikt bahnt sich darüber zwischen den Ermittlern an – in ihrem zweitletzten gemeinsamen Fall. 

Rezension

Ganz sicher könnte man diese Story nach dem Muster „Die Uhr ist abgelaufen“ spannender erzählen und plausibel ist sie auch häufig nicht – vielleicht gibt es Städte und Cops, in denen es dermaßen dienstvorschriftenfremd zugeht, wie man es hier zu sehen bekommt bzw. wo das irgendwie plausibel wirkt, vielleicht auch, wenn man die Stilisierung anerkennt – aber Luzern? Man hat versucht, das, was geschieht, durch eine alte Verbindung zwischen Liz Ritschard und dem Polizisten unter den Oberholzer-Brüdern zu unterlegen, das war auch nicht falsch. Aber der Mattmann mal wieder und wie Liz und Reto grinsen, als sie ihn drankriegen – angesichts der Situation sind ohnehin einige Momente viel zu chillig dargestellt. Wir glauben gern, dass die Schweizer das Motto „In der Ruhe liegt die Kraft“ weitaus mehr in ihren Alltag einfließen lassen als wir, aber der Film ist ja auch für das weitaus größere deutsche Publikum gedreht, und das orientiert sich mehr an der Gangart amerikanischer Serien. Anders als in Wien kommt auch kein Lokalkolorit zustande, was dieses Mal am Setting, aber permanent an der Synchronisation liegt. Warum macht man nicht eine Version mit abgeschwächtem, aber deutlich hörbarem Dialekt? Sinnlos, darauf immer wieder abzuheben, denn bald ist es ja vorbei mit Reto und Liz und vermutlich auch mit Luzern als Schauplatz. Wenn man eh den See nur auf einer digitalisierten Karte sieht, ist das Malerische der Gegend witzlos und man kann auch zu den Kleptokraten von Zürich wechseln, wo man wieder zünftige Krimis über die Schweiz als Sammelstelle für seltsames Geld aus aller Welt drehen könnte.

Auf eine Sache sind wir ja ein wenig stolz: Kaum dachten wir, ein Baufachmann sollte sich den nicht dunklen, aber verschlossenen Kellerraum doch mal ansehen, da tritt tatsächlich einer auf und grenzt das Baujahr des Haues ziemlich eng ein. Auf die Sache mit der Stromabschaltung sind wir aber nicht gekommen und sie nützt ja leider auch nichts. Am Ende sind es eben doch Oberholzers Hinweise und die Baujahrbestimmung in Kombination, die dafür sorgen, dass die junge Boxerin gerade noch gerettet werden kann. Nicht bloß nebenbei transportiert der Film eine Anti-Doping-Botschaft. Die Sportlerin vermindert nicht nur allgemein, sondern auch in der konkreten Situation ihre Überlebenschancen, weil sie dopt. Aber was wir nicht glauben mögen: Dass wirklich die Hälfte aller Sportler sagt, für einen Olympiasieg nehme ich in Kauf, dass ich nur noch fünf Jahre zu leben habe. Sollte das in der Schweiz doch so sein, tun sich ungeahnte Abgründe auf. Wir haben schon oft an einen Plot gedacht, in dem solche Deals mit dem Teufel enthalten sind, aber noch keinen geschrieben. Man weiß ja nie, was dann passieren würde.

Finale

Ein Teil des Films ist auch ein Knast-Movie und im Knast gibt es immer ein paar sehr besondere Typen, was meist zu ganz unangenehmen Entwicklungen führt, weil die Türen immer offen sind. Und weil sich das Gesetz der Straße dadurch auch hinter Gittern abbildet. Ist das wirklich so? Eines muss man den Schweizern lassen: Wenn jemand bei ihnen einsitzen muss, dann lebt er komfortabler als bei uns in mancher Kleinwohnung unter der Ägide des #Mietenwahnsinns. Einige Witze wurden über den Film auch schon gemacht, etwa über die graue Kleidung der Darsteller in grauer Umgebung oder darüber, dass die Restlebenszeit des Entführungsopfers wie Echtzeit wirken, wenn man den Film anschaut. In der Tat gibt es eine seltsame Diskrepanz zwischen der unvorschriftsmäßigen, heiß diskutierten Vorgehensweise im Kommissariat und dem ziemlich gefassten Verhalten beim Suchen und beim Beobachten, während die Zeit verrinnt. Nich tmehr in Erinnerung: Wie die Polizei Zugriff auf die Kamera bekommen hat. Aber der Film ist für uns immer noch Durchschnitt und das heißt nach dem WB-Schema, das Wertungen unter 4/10 normalerweise ausschließt, wir kommen auf

7/10.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Vorschau: bald ausgezählt

Der 17. Tatort mit Reto Flückiger und der 16. mit Liz Ritschard ist also der vorletzte, noch 2019 soll das Finale ausgestrahlt werden, das unter dem Arbeitstitel „Der Elefant im Raum“ entstanden ist (Angaben: Tatort Fans).

Die weiter unten auf der Seite zum Film zu lesenden Meinungen der Redaktion geben wieder, was zumindest in Deutschland nicht aus den Köpfen der Zuschauenden zu bekommen war: Dass der Schweizer Tatort langatmig bis langweilig ist und vielleicht die Ermittelnden zu wenig Profil zeigen. Wir haben das bis zu einem gewissen Grad anders gesehen und regelmäßig  höher gewertet als die der Durchschnitt der Community auf der Plattform Tatort-Fundus. Er hatte sich vom einst letzten Platz auf 16 / 21 vorgearbeitet, aber was bedeutet das schon, angesichts der Tatsache, dass einige der neueren Teams oder Personen wirklich übel abschneiden und ihre Filme im Schnitt mit weniger als 6/10 rauskommen?

18 Filme werden es also letztlich sein, in denen Reto mit ruhiger Hand Fälle gelöst hat, diejenigen, in denen er schon vor dem Start der Luzern-Schiene als Ermittlungspartner von Bodensee-Kommissarin Klara Blum am Werk war, nicht mitgerechnet. Das nicht riesig viel, aber auch nicht wenig und umfasst einen Zeitraum von acht Jahren. Wir werden der Rezension zu „Ausgezählt“ diejenige zum ersten Luzern-Tatort „Wunschdenken“ aus dem Jahr 2011 beistellen. Schon jener erste Tatort war ein böses Omen, in der Schweiz heftig diskutiert und wegen vom Sender erkannter Qualitätsmängel verzögert ausgestrahlt. Nach diesem ersten Film hatte man Flückiger schon eine neue Teampartnerin zur Seite gestellt.

Können neun Jahre und achtzehn Filme ein Fail sein? Oder eine verpasste Chance? Wir sehen das nicht so.

Playlist

Hey Trouble Bachmann/Langenegger/ Rohrer Bachmann/Langenegger/ Andy McFarlayne/ Heinz Rohrer

 Besetzung und Stab

Liz Ritschard Delia Mayer
Reto Flückiger Stefan Gubser
Heinz Oberholzer Peter Jecklin
Ferdi Oberholzer Ingo Ospelt
Martina Oberholzer Tabea Buser
Pius Küng Pit-Arne Pietz
Eugen Mattmann Jean-Pierre Cornu
Corinna Haas Fabienne Hadorn
Musik: Balz Bachmann
Kamera: Jutta Pohlmann
Buch: Urs Bühler
Michael Herzig
Regie: Katalin Gödrös

 

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