Der Verein „Neue Wege für Berlin“ und die Zivilgesellschaft, wie sie ist – Kommentar / @MietenwahnsinnB @DWenteignen @DoebertSteffen @BMieterverein @HeimatNeue @NeueWegeBerlin @BGemeinwohl @MieterVonovia u. v. a. #Mietenwahnsinn #wirbleibenalle #TDImmo19 #DWenteignen #bauenbauenbauen #FaireMietenbauen

Der junge Verein „Neue Wege für Berlin“ will statt Enteignungen 100.000 neue Wohnungen bauen lassen. 40 Prozent davon sollen sozialgebunden sein, die übrigen für 9,50 Euro (kalt) pro m² vermietet werden, schreibt die taz in einem Beitrag von gestern. Um das zu schaffen, müssten bisherige Freiflächen bebaut werden. Die Akteure des Vereins sind bekannte Personen aus der Politik (SPD, CDU, FDP). Haben wir schon eine Ansicht zu „Neue Wege für Berlin“?

Zunächst bedanke ich mich für die rasche Vernetzung via Twitter und dafür, dass der Wahlberliner auf diese Weise als (kleiner) Akteur der Zivilgesellschaft anerkannt wird. Aus dem geplanten Kommentar ist im Laufe des Tages ein größerer und ein wenig sprunghafter Abriss geworden, aber ein solcher war nach einiger Zeit ohnehin wieder fällig.

Es geht gegen „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, schreibt die taz, deshalb vielleicht kurz ein parteipolitischer Blick darauf, wenn die Vereinsmitglieder von „Neue Wege für Berlin“ auch Politiker*innen sind.

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ haben wir beim Wahlberliner vor der LINKEn unterstützt, wenn auch nicht von Beginn an, weil wir uns erst einarbeiten und uns eine Meinung dazu bilden mussten – aber dann sehr darauf gehofft, dass diese innerhalb von 2RG am besten dafür geeignete Partei es auch tut, dazu entschloss sie sich auf dem Landesparteitag im Dezember 2018.

Zuvor hat sie sich wenig geschickt beim Anschluss an die Mieter*innen gezeigt, aber diese Chance letztlich genutzt und damit einen Dissidenten namens Rouzbeh Taheri ins Boot geholt. Oder sich zu ihm ins Boot gesetzt. Ich weiß nicht, ob er auch in die Partei eingetreten ist, deren Vorgängerin er 2005 oder 2006 verlassen hat – wegen der Wohnungspolitik des damaligen rot-roten Senats.

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist eine echte zivilgesellschaftliche Initiative, die nun die erste Hürde genommen hat, keine, die von Parteifunktionär*innen erdacht wurde. Die Unterschriften, die in Geschäftsstellen der LINKEn, auch in unserem Bezirk, gesammelt wurden, waren jedoch eine sinnvolle Unterstützung.

Ins Thema: Bauen oder Klauen?

Die FDP, deren Chef Lindner das vorgestern auf dem „TDImmo19“ so gesagt haben soll, ist unverschämt, aber neu ist diese undemokratische Haltung nicht:

Sollte es tatsächlich ein Enteignungsgesetz geben, das auf dem Mehrheitswillen der Berliner*innen fußt, wäre von Klauen keine Rede. Mir ist seit dem Ende der NS-Zeit mit ihren unrechtmäßigen Enteignungen kein Fall bekannt, in dem jemandem die Wohnung geklaut worden wäre. Wirtschaftliche, die als wichtig für die Allgemeinheit definiert werden, sind hingegen gängige Enteignungsgründe und wer sind wir, diese anzuzweifeln oder gar als Klau zu bezeichnen?

Es fällt wegen vieler Ansprachen dieser Art jedoch schwer, in CDU- und FDP-Politikern Diskussionspartner zu sehen, die sich ernsthaft um uns Mieter*innen bemühen. Unser zuletzt gestern upgedateter Report zum „TDImmo19“ zeigt wieder, wie diese Menschen der mieterfeindlichen Immobilienlobby das Wort reden, dabei hemmungslos weiter polarisieren und diejenigen, die sich nur ihrer Haut wehren, als Spalter bezeichnen – ein typischer Agitprop-Trick, wie ihn juristisch und rhetorisch versierte CDU-Politiker aber auch gerne verwenden, namentlich der Mietrechtsexeperte Dr. Luczak aus meinem Bezirk. Von dem habe ich gerade beim Überarbeiten dieses Entwurfs wieder einen Tweet gesehen, in dem er sich diebisch darüber freut, dass ein neues Gutachten behauptet, die Mieter*innen bekämen nun doch wohl keinen Mietendeckel, wegen dessen Verfassungswidrigkeit. Dazu gibt es aber sowieso schon viele Pro- und Contra-Stimmen, die neue kann also nur eine mehr sein, die einen der beiden Chöre verstärkt.

Aber zurück. Bauen und Enteignen, das schreiben wir hier immer wieder, stehen nicht gegeneinander, wie es die andere Seite immer wieder versucht zuzuspitzen, wofür sie auch unsinnige Umfragen erstellen lässt.

Enteignung soll a.) die Mieten im Bestand dämpfen helfen, b.) der Stadt einen Teil ihrer unter CDU- und SPD-Führung verspielten Handlungsfähigkeit auf dem Wohnungsmarkt zurückgeben, c.) die Marktmacht von Immobilienkonzernen begrenzen, die dazu führt, dass diese in und mit ihren Großwohnanlagen den Mietspiegel in bestimmten Kiezen bestimmen können. Außerdem klagt die Deutsche Wohnen sogar gegen den Mietspiegel, er ist ihr also noch zu niedrig. Das passt nicht zum Imagepflege-Framing, das aus dieser Ecke auch immer mal wieder kommt.

Unter den Akteuren von „Neue Wege für Berlin“ ist auch ein Ex-Juso-Vorsitzender von Berlin.

Das finde ich interessant, weil die aktuellen Berliner Jusos für die Enteignung sind und die Berliner SPD unter anderem deshalb noch keine einheitliche Linie gefunden hat. Der SPD-Teil des Senat würde die Debatte am liebsten ersticken, aber es gibt eben auch Genoss*innen, die etwas mehr links stehen. Selbstverständlich denke ich an bekannte Fälle, wenn es zu Jusos kommt, die etwas älter geworden sind: Der typische Weg eines Jusos oder einer Juso ist, sich mit der Zeit immer mehr in den Mainstream einzugliedern und im Extremfall sogar weit nach rechts auszurücken und sozialen Kahlschlag zu organisieren. Gerhard Schröder, Andrea Nahles, was haben die in jungen Jahren sozialistisch auf den Putz gehauen und was haben sie später für eine menschenverachtende Politik gemacht bzw. sie nicht korrigiert.

Kevin Kühnert wird der nächste sein, dessen Ansichten sich mit Funktionen und Positionen verändern, die er in der Partei und vielleicht als Regierungsangehöriger erreicht. Es sei denn, die SPD verändert ihr gegenwärtiges Kommher, geht aus der Groko und besinnt sich auf ihre Wurzeln. Wenn sie wieder Volkspartei werden will, wird ihr nichts anderes übrig bleiben. In Berliner Umfragen profitiert sie übrigens bisher nicht vom Mietendeckel – der ebenfalls gegen die Enteignungsinitiative gerichtet ist – obwohl eine Mehrheit in unserer Stadt der Maßnahme zustimmen dürfte. Das ist signifikant, spricht aber nicht gegen den Mietendeckel an sich und als Preisdämpfungsinstrument. Im Moment bekommen eben die Grünen die 2RG-Credit-Points für fast alles.

Wir spüren jetzt aber nicht den Biografien der Akteur*innen von „Neue Wege für Berlin“ nach, sondern bleiben im Wesentlichen am Sachthema.

Mich hat das getriggert, jetzt sind wir damit durch und es ist nicht persönlich gemeint. Hier das „Manifest“ der neuen Volksinitiative:

Zu den Fakten. Kostet der Bau von 100.000 Wohnungen nur 2 Milliarden Euro?

Das wären Baukosten von 20.000 Euro pro Wohnung. Ernsthaft? Nach taz-Angaben sind die (1 bis) 2 Milliarden nur der gedachte Förderungsanteil. Die Erstellung einer durchschnittlich großen Wohnung kostet etwa das Zehnfache, zumindest, wenn der Grund erst gekauft werden muss, auf dem die Wohnung stehen soll – womit wir den Enteignungskosten schon viel näher sind.

Man kann auch sagen, es kommt auf das Gleiche heraus. Was die Übernahme der fachlichen und politischen Verantwortung durch den Senat bedeutet, ist mir im Moment nicht klar. Der Senat hat für alles, was gebaut wird, zumindest die politische Verantwortung, z. B. durch die Flächennutzungspläne, in deren Rahmen die Bebauungspläne erstellt werden. Ich gehe aber weiter: Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften müssen generell mehr bauen (dürfen), dann obliegt ihnen auch die fachliche Verantwortung. Ersteres ist ein Bekenntnis der Stadt zu aktiver Wohnungspolitik, Letzteres die sachgerechte Delegation der Verantwortung an einen weiteren nicht gewinnorientierten Teil der Bauwirtschaft.

Die Enteignung kostet nun wieviel?

Okay fände ich es, wenn die Initiative die Enteignungskosten nicht ganz so hoch ansetzen würde wie der Senat, sondern eine eigene Berechnung aufzumachen würde, allerdings lesen wir in den Sozialen Medien heraus, da ist von 30 Milliarden die Rede, das entspricht fast der von der Initiative „DWenteignen“ als zu hoch kritisierten Schätzung des Senats:

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ rechnet in ihren Modellen nach neuen Erkenntnissen über die  Zahl der nach ihrem Schema betroffenen Wohnungen und Unternehmen mit 8 bis 15 Milliarden. Der Unterschied liegt vor allem darin, ob zu Marktpreisen entschädigt wird. Nach Ansicht von „DWenteignen“ muss es nicht so kommen. Außerdem muss weder beim Neubau noch bei der Enteignung die ganze Summe auf einen Rutsch und von einer Stelle aufgewendet werden. Es versteht sich von selbst, dass der Bund in beiden Fällen helfen muss. Das ist auch seine moralische Pflicht, nachdem der soziale Wohnungsbau jahrzehntelang vernachlässigt bzw. als überflüssig erachtet wurde.

Aber er muss ja doppelt so viel zahlen, wenn beides zum Tagen kommt, die Neubau-Initiative und die Enteignung.

Wir betonen erneut, dass wir die Enteignung nicht gegen den Neubau stellen. Auch nicht den Mietendeckel oder auf Bezirksebene in Kooperation mit dem Senat ausgeübte Mittel der „Mieter*innen-Rettung“ wie das bezirkliche Vorkaufsrecht oder die Kooperationsvereinbarungen, die wir allerdings sehr differenziert sehen.

Gegen das Phänomen freidrehender Briefkastenfirmen, die ihre Mieter verdrängen wollen, hilft auch der Neubau nach bisherigem Muster nicht. Es drängt so viel Kapital in die Immobilien, dass eben nicht nur die  Nachfrage am Mietenmarkt den Umfang der Investitionen und die Höhe der Kaufpreise bestimmt, die sich wiederum auf die Mietpreise auswirkt. Auch die Initiative „Neue Wege für Berlin“ tut so, als ob alles nur eine Sache von Angebot und Nachfrage und nicht eine Fehlsteuerung von Kapitalströmen sei.

Das ist eine andere Haltung, als ich sie vertrete, weil sie aus einer abweichenden Ursachenanalyse resultiert. Manche Journalisten, viele Immobilien-Analysten, aber nur wenige Politiker*innen wollen diese Ursachen erkannt haben. Ich hatte gehofft, nach der Europawahl machen sie sich ehrlicher, bisher ist das leider nicht passiert.

Was ist mit den Freiflächen,  die bebaut werden müssten, um das Ziel zu erreichen?

Da muss ich etwas ausholen. Ich habe 2014 für „100 Prozent Tempelhofer Feld“ gestimmt. Heute würde ich das nicht mehr tun, wenn ein ausgewogenes, sozial stimmiges Konzept vorläge. Der Senat hat damals auf eine so arrogante Art und Weise argumentiert, das allein fand ich unangemessen, zudem ging ich davon aus, dass der Mietenwahnsinn sich nicht so weiterentwickelt oder bald abflauen wird. Aber „Whatever it takes“ bzw. dessen Perpetuierung bis heute und andere Faktoren, wie den starken Zuzug 2015, habe ich nicht vorausgesehen bzw. voraussehen können.

Unter den richtigen Bedingungen kann man den Rand des Tempelhofer Feldes bebauen, ohne dessen ökologische Funktionen zu schmälern. Man kann sie sogar verbessern, indem man die  Teilkontaminierung beseitigt und dadurch eine hochwertigere Bepflanzung einiger Teilflächen möglich macht. Mit der Elisabeth-Aue habe ich mich noch nicht näher befasst und kenne die dortigen ökologischen Gegebenheiten nicht. Die richtigen Bedingungen wären aber: Bau nur öffentlich und mit partizipativen Bauformen. Und damit kommen wir zu einer weiteren Funktion von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen.“

Ich weiß, dass viele in der Mieter*innen-Bewegung das anders sehen, weil der Kampf ums Tempelhofer Feld auch hohen Symbolwert hat und als erster ganz großer Erfolg einer sich neu formierenden – sic! – Zivilgesellschaft gilt, von einigen sogar als Auslöser für die heutige Bewegung wahrgenommen wird. Daher ist der Pragmatismus, den eine wachsende Stadt erfordert, die alle willkommen heißen will, die hierher möchten, nicht immer leicht mit dem Narrativ vom selbstbestimmten Individuum zu vereinbaren.

Wirkt also auch „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ über den eigentlichen Zweck hinaus?

Befürworter und Gegner haben gleichermaßen gut erkannt, dass damit eine neue Erzählung begründet oder die des Volksentscheids von 2014, wenn wir der Interpretation von „100 Prozent Tempelhofer Feld“ als Startzeitpunkt folgen, fortgeschrieben werden kann. Die Erzählung von einer Stadt, die sich erhebt, die Widerstand gegen das Finanzkapital leistet und die Dynamik, die dadurch entsteht, erhält mit „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ im Jahr 2019 ein neues Kapitel und weitere könnten folgen.

Die Menschen bewegen sich also endlich wieder und schreiben – ihre – Geschichte und den Politiker*innen ist das unheimlich?

Nicht allen Politiker*innen, vor allem denen nicht, die selbst als Aktivist*innen angefangen haben, wie der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt. Für mich ist das, was sich bei den Mieter*innen-Initiativen zeigt, das einzige, was derzeit den Charakter einer graswurzelhaften gesellschaftlichen Bewegung hat, während z. B. „Fridays for Future“ bis jetzt nur eine Vorform darstellt, die noch kein demokratisches Modul in Form einer Initiative mit Volksbegehren entwickeln konnte, um ihre Wirksamkeit zu stärken. Allerdings haben wir sowas auf Bundesebene leider auch nicht, es müsste also regional organisiert werden.

Andere Politiker*innen kommen mit alldem nicht so gut klar. Für sie muss alles kanalisiert werden. Es muss alles beherrschbar bleiben und im System, in das sie selbst so viel Lebenszeit investiert haben, mit einer Karriere als Gegenleistung. Und dann kommen plötzlich unbekannte Typen daher und stellen sich auf Plätze und fangen an, Forderungen in Megaphone zu brüllen. Typen, die vielleicht vor einem Jahr noch nicht politisch aktiv waren! Da standen immer schon Prinzipien gegeneinander, das hat sich bis heute kaum geändert – vor allem konservativen Politikern ist der Aktivismus, der aus dem Bauch der Stadt heraus entsteht, unheimlich.

Dass die Zivilgesellschaft, wie ich sie verstehe, die Stadtgesellschaft der Betroffenen und Sympathisant*innen der Mieterbewegung, anfängt, selbstbewusst über die Grundfragen des Miteinanders anhand des besonders wichtigen Elements der Daseinsvorsoge namens Wohnen nachzudenken und darüber zu verhandeln, hatten wir aber lange nicht mehr.

Nun fragt sich die Politik: Wie kann man es in kapitalistisch vewertbare Bahnen lenken oder so lenken, dass diese Bahnen nicht beeinträchtigt werden?

Darüber machen sich viele versierte Lobbyisten und deren politische Helfer Tag und Nacht Gedanken, einige verlieren auch die Nerven und treten verbal gegen die aktiv gewordenen Mieter*innen aus. Auch die Gründung einer alternativen Initiative kann eine, wenn auch klügere, Maßnahme zur Befriedung und Kanalisierung sein. Der Verdacht, dass dem so ist, liegt nicht ganz fern, wenn es sich bei den Gründern um langjährige Parteipolitiker*innen handelt.

Die Zivilgesellschaft ist als politische Akteur*in aber noch nicht sehr etabliert.

Ich überschätze sie nicht und die Gegner sollten sie auch nicht an der falschen Stelle überschätzen, sondern an der richtigen Stelle zuhören. Die meisten Aktiven haben keinen systemkritischen Ansatz, aber wir alle lernen induktiv dazu und nicht jeder muss mit einer hochgradig innovativen und ausgefeilten Transformationsideologie daherkommen, um mitreden zu können. Die Mieter*innen-Bewegung ist nicht voraussetzungsreich, auch das ist ein großer Vorteil. Sie ist weitgehend selbsterklärend, vor allem, wenn man mal einen Brief mit einem Mieterhöhungsverlangen von 100 Prozent im Postkasten hatte und vor Schreck ein paar Tage nichts mehr essen und noch viel länger nicht mehr richtig schlafen konnte – bis man sich entschloss, sich mit anderen zusammenzutun und zu kämpfen und damit aus der Schockstarre kam.

Wir müssen uns aus dem Stand der Ohnmacht der Wirtschaft und der Politik gegenüber befreien, in den die meisten von uns sich leider selbst begeben haben, damit sowas aufhört. Das ist ganz einfach zu verstehen: Es reicht nicht, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen oder auch jedes Jahr, wenn man alle Wahlen zusammenrechnet. Auch Wahlen kann man anders gestalten, die meisten von uns trauen sich aber nicht, radikal links zu wählen, um das zu ändern oder die Mitte-Parteien wenigstens unter Druck zu setzen.

Die Notwendigkeit zum eigenständigen Handeln, die immer mehr Menschen in der Frontstadt der Emanzipation erkennen, betrifft nicht nur das Wohnen, sie betrifft auch den Zustand der Demokratie, den Kampf gegen Rechts, sie betrifft die Umwelt und viele andere wichtige Themen. Ob die Akteure von „Neue Wege für Berlin“ diesen Move akzeptieren, der gerade stattfindet, die Verzahnung, die sich abzeichnet?

Sie definieren den Begriff Zivilgesellschaft anders, als ich es tue, das habe ich bereits angedeutet. Für mich zählen Menschen, die viele Jahre in der Politik zugebracht haben, erst einmal und bis zum Gegenbeweis nicht zur Zivilgesellschaft, sondern zur Funktionärskaste. „Zivil“ heißt für mich, aus der Mitte der kritischen Masse von Bewohner*innen hervorgegangen, die alle möglichen Berufe haben und ganz viele Skills einbringen können, die bisher gar nicht oder nur im persönlichen oder beruflichen Umfeld aktiviert waren, die nun aber, politisch nutzbar gemacht, sinnvolle Werkzeuge der gesellschaftlichen Progression werden können.

Vor allem: Die meisten jetzigen Aktivist*innen sind auch Betroffene. Traditionelle Politiker*innen, also nicht Ausnahmen wie Kalle Gerigk in Köln, sind normalerweise nie selbst in der misslichen Lage gewesen, von Verdrängung bedroht zu sein. Es ist ein fundamentaler Erfahrungsunterschied, beeinflusst die Biografie und die Mentalität, ob man die massive, existenzbedrohende Aggression wildgewordener Immobilien-Investoren am eigenen Leib erfahren musste oder nicht.

Diejenigen, die ich als Zivilgesellschaft betrachte, wehren sich ihrer Haut oder wollen ihre Nachbar*innen behalten, sorgen sich um die Soziale Stadt aus einem tief empfundenen Gerechtigkeits- oder Inklusionsdenken heraus, wollen die Vielfalt ihrer Welt gegen die Verbreitung toter Betonburgen schützen. Sie sind natürliche Gegner derjenigen, welche diese Stadtgesellschaft oft missachtet, verletzt, ignoriert haben und erst einmal zeigen müssen, dass sie die Mieter*innen nicht als Verfügungsmasse betrachten und sie nicht mit ihren Aktivitäten bloß ruhigstellen oder wieder mal reinlegen wollen.

Wenn ich lese, dass ein Ex-Finanzsenator von der CDU bei der Volksinitiative mitmacht, kann ich mir vorstellen, was das sofort bei vielen Mieter*innen triggert.

Also doch nochmal zu den Personen – weitere Köpfe der neuen Initiative.

Ich greife nur zwei heraus, die zumindest in der Berliner Politik alles andere als neue Köpfe sind: Die Namen Peter Kurth, der Ex-Finanzsenator von 1999 bis 2001, und auch der in der taz erwähnte Ex-Wirtschaftssenator Wolfgang Braroner (ebenfalls CDU) sind mit dem Bruch der Großen Berliner Koalition unter Eberhard Diepgen verbunden, die durch den Bankenskandal ausgelöst wurde, Kurth war auch für die LBB tätig, die im Mittelpunkt dieses Skandals stand.

Das perfekte Vertrauen flößt mir dieses Tableau nicht ein. Die Befürchtung, dass mit alter Politik, die in Berlin schon einmal versagt hat und der sich dann, auch als Folge der damaligen Probleme, die Immobilien-Verscherbelungsära unter Finanzsenator Thilo Sarrazin anschloss, nicht die heutigen Herausforderungen gelöst werden können, mag ich nicht verdrängen.

Das Gleiche gilt für die Möglichkeit, dass mit diesem Verein die beiden auch in Berlin kriselnden Parteien SPD und CDU von der Seite unterstützt werden sollen. Dies wiederum kann als Hebel verwendet werden, um 2RG zu beschädigen, denn immerhin hat sich eine Regierungspartei ganz, die andere beinahe hinter die Enteignungsinitiative gestellt und wir sehen schon, wie Frau Lompscher, die Stadtbausenatorin, offensiv angetwittert wird, nach dem Motto, wir haben Lösungsvorschläge für Ihr Problem bzw. für Sie als Teil des Problems. Damit wird erst einmal nicht der Neubau gefördert, sondern Druck gegen den Mieterschutz ausgeübt, obwohl mittlerweile alle wissen, dass in Berlin aus Kapazitätsgründen nicht wesentlich mehr gebaut werden kann als derzeit. Das ist ohnehin ein Aspekt, den man sich merken sollte, wenn sehr große Neubauzahlen ins Spiel kommen. Wären diese Zahlen aber über mehrere Jahre verteilt, lägen sie ohnehin im Rahmen dessen, was bereits gemacht wird oder gedacht ist.

Ist das nicht etwas spekulativ?

Das waren nur drei mittelgroße Gedankenschritte. Außerdem müssen alle, die sich der Mieter*innen-Bewegung annähern und mit reden wollen, bedenken, wie diese Bewegung weiterhin von Lobbyisten diffamiert wird und welches Misstrauen daraus entsteht. Manchmal wird in einer Art und Weise auf die Mieter*innen eingedroschen, die nahelegt, dass die handelnden oder schreibenden Personen die demokratische Entwicklung der letzten 74 Jahre verpasst haben.

Wer zum Beispiel den Feudalisten, um nicht ein anderes Wort zu verwenden, von Haus und Grund zuhört und deren Einlassungen liest, obwohl die Mitglieder dieses Vereins doch gar nicht von „DWenteignen“ betroffen sein sollten, der ist bedient von der gesamten Immobilienblase und sieht immer weniger ein, warum er solche Charaktere mit seinem sauer verdienten Geld mästen soll – und wird stärker und stärker im Widerstand.

Aber ein Dialog mit einer neuen Initiative, die sich darauf einlassen will, muss immer möglich sein.

Alles, was sinnvoll ist, ist sinnvoll. Auch der Neubau, selbstverständlich. Aber bitte nicht alten Wein in neue Schläuche gießen wollen, wie es gestern ein befreundeter Aktivist und vom Mietenwahnsinn Betroffener ausgedrückt hat, mit dem wir uns über „Neue Wege für Berlin“ austauschten.

Sowas merken wir sofort, so gut sind wir mittlerweile eduziert. Wenn es zum Beispiel um sozialen Wohnungsbau geht, fällt mir ein, dass hier wieder ein Modell promotet wird, das eine Kardinalschwäche aufweist und die üblichen 30 Prozent Anteil gebundener Wohnungen, die heute in den sozialen Teil der privaten Neubauprojekte gesteckt werden, immer unter diesem Aspekt betrachtet werden müssen -es geht um die Bindungsbegrenzung.

Wir müssen endlich auf höherer Ebene wirksam werden, um die Wohnungsgemeinnützigkeit wieder zu etablieren und dafür zu sorgen, dass nicht Wohnungen nach einer gewissen Frist, in der Regel derzeit 20 Jahre, aus der Bindung fallen. Es gehen mehr Sozialwohnungen verloren, als neue gebaut werden. Jedes Jahr. Langfristig finanziert auf die Weise, wie jetzt alles geregelt ist, die öffentliche Hand den Privaten ihre Renditen mit, wenn sie sich auf gemischt finanzierte Baumodelle einlässt und nicht mit eigenen Wohnungsbaugesellschaften aktiv wird.

Auch diese nehmen bei Neubauten Kaltmieten von über 10 Euro / m².

Das ist mir bekannt und ich kritisiere es auch. Die Wohnungen bleiben aber städtisch und das ist ebenfalls zu berücksichtigen.

Zurück zur Gemeinnützigkeit: Werden uns die Akteur*innen von „Neue Wege für Berlin“ dabei unterstützen, dass die Wohnungsgemeinnützigkeit wieder zum Leitbild fürs Bauen wird? Das könnte ein Lackmustest sein: Seid ihr wirklich für uns Mieter*innen? Uns sind alle Mitstreiter willkommen und je stärker sie in der Politik vernetzt sind, desto mehr können sie bewirken – und wir wollen nicht auf früheren Begebnissen ewig herumreiten, jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber wir müssen prüfen, ob wir bei diesen wichtigen Anliegen ehrliche Partner finden oder ob man uns spalten und marginalisieren will.

Andere Frage: Wird in Berlin derzeit nicht ohnehin genug gebaut?

Es gibt immer mehr Stimmen, die von einem Ende des Zuzugsbooms ausgehen, aus wirtschaftlichen Gründen, und die Sondersituation des Herbstes von 2015 wird sich vermutlich nicht wiederholen. Falls dieses Szenario eintritt, ist immer noch ein Nachfrageüberhang aus den vergangenen Jahren zu beseitigen. Ich sehe sehr wohl die Notwendigkeit, weiterhin zu bauen, damit die Wohnfläche pro Einwohner wieder ein wenig anwachsen kann, die in Berlin seit Längerem zurückgeht und ohnehin die geringste in Deutschland ist. Wir wollen ja auch entspannt in unserer Stadt leben, nicht wie die armen Hühner in Legebatterien. Oder wie Funktionssklaven der Wirtschaft 4.0 in krass überteuerten Micro-Living-Spaces. Der Vergleich musste jetzt sein, damit klar ist, wo ich bezüglich der Wirtschaftsentwicklung stehe: Diese Art von Bauen ist für mich der Ausdruck einer zudem ziemlich wackelig gewordenen kapitalistischen Verwertungsmaschinerie, die nach allem greift, was nicht rechtzeitig die Flucht antritt.

Verstehen Bankmanager, die in den 1990ern geprägt wurden, überhaupt, worüber wir in der stadtgesellschaftlichen Zivilgesellschaft nachdenken und uns austauschen?

Wo doch die Bankmanager aus dem Fail von 2008 schon nicht viel gelernt haben? Wir wollten ja nicht altes Gemüse auftauen und aufkochen. Aber wenn uns jemand nochmal mit ohnehin sachlich falschen DDR-Vergleichen bezüglich einer begrenzt und befristet regulierten Wohnungswirtschaft belästigt, dann werden wir mal ansprechen, was die Zockerbanden in den Zockerbanken die Steuerzahler*innen in den letzten Jahrzehnten gekostet haben und weshalb wir heute fast alle weniger Reserven haben als vor 20 Jahren, um immer weiter steigende Mieten zu zahlen.

Wir haben jeden guten Grund, unsere eigene Kompetenz zwar nicht zu überschätzen, aber auch nicht denen ohne Hinterfragen zu folgen, die uns nach traditionellem Muster erzählen wollen, was gut für uns ist. Und was schlecht ist, zum Beispiel die Enteignung von Konzernen, die jeden Tag beweisen, dass sie sich nicht am Wohl der Mieter*innen orientieren. Wir haben in die Geschäftsberichte reingeschaut, wir wissen in etwa, worum es bei der Deutsche Wohnen oder der Vonovia geht.

Gegen diese Betrachtung von oben, in der Mieter nur Partikel in Renditeobjekten darstellen, muss sich die soziale Stadt aufstellen?

Sie muss dabei einen ganzheitlichen, emanzipativen Ansatz wählen.

Ich weiß und finde es gerechtfertigt, dass wir für die Soziale Stadt Opfer bringen müssen. Self-Empowerment ist nicht umsonst zu haben, ebenso wie die sogenannte Nachhaltigkeit. Aber wir bringen doch lieber Opfer für unsere Selbstermächtigung, als immer weiter gutes Geld in den Rachen derer zu stopfen, die nie genug bekommen können und uns auch gar nicht mögen.

Die Opfer dürfen nicht mehr darin bestehen, dass wir dem Kapital jedes Jahr mehr die Taschen vollstopfen und leistungslose Einkommen gegen unendlich tendieren lassen, das Ergebnis darf nicht immer aufs Neue sein, dass wir trotz oder gerade wegen unseres hohen Tributs komplett abhängig von diesen Menschen oder von Briefkästen bleiben, mit denen von Zossen bis in die Karibik das Geld der Mehrheit zwecks Machtgewinn weniger verbuddelt wird.

Die Immobilieneigentümer sind weit über den fairen Preis für die Überlassung von Wohnraum hinausgegangen, das spüren viele von uns und sagen: Wir zahlen mehr als genug und jetzt ist es genug! 

Wir Mieter*innen sind auch nicht daran schuld, dass die Kaufpreise für Immobilien dermaßen abheben, dass selbst bei explodierenden Mieten die Renditen sinken. Das hat die Politik so eingerichtet und alle, die aus der Politik kommen und sich zivilgesellschaftlich einbringen wollen, beobachte ich auch wegen dieses Kausalzusammenhangs mit angemessener Vorsicht.

„Neue Wege für Berlin“ twittert gerade mit den bekannten Stellen der Mieter*innen-Bewegung. Der Eindruck?

Um mit denen, die kämpfen, zu reden, muss man ihre Kämpfe erforschen, verstehen und was diese Kämpfe mit ihnen machen. Wir vom Wahlberliner haben uns dazu nun so lange Zeit gegeben, wie es braucht, um ein Kind auszutragen. Das ist nicht so viel, ich spreche auch nicht für andere und bin in viele Zweige der Bewegung noch gar nicht so weit vorgedrungen, dass ich sagen kann, ich verstehe sie wirklich. Das gilt besonders für die Kerlinken, die seit vielen Jahren dabei sind und oft schon vor dem Mietenwahnsinn aktiv waren. Aber den Ansatz halte ich für besser, als die Mieter*innen bevormunden zu wollen.

Man darf „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ nicht verkennen und schon gar nicht absichtlich beschädigen wollen, wenn man für die Mieter*innen ist. Denn in der Initiative spiegelt sich die Hoffnung vieler Menschen, dass sie politisch überhaupt etwas bewirken können. Selbst wenn diese Hoffnung sich nicht erfüllen sollte, das Volksbegehren muss durchgezogen werden, damit wir sehen, erfühlen und analysieren können, wie weit Demokratie derzeit gehen darf, wann sie ausgebremst wird oder ob sie nicht stark genug war – und daraus unsere Schlüsse zu ziehen und neue Ideen auf den Weg zu bringen.

Dass sich der Verein „Neue Wege für Berlin“ in den Sozialen Medien gerade mit seinen Standard-Aussagen viele Standard-Antworten einhandelt, hätten wir voraussagen können, aber es ist möglicherweise lehrreich. Wir würden gerne in Kontakt bleiben, auch wenn wir im Moment in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sind und skeptisch, ob wir überhaupt gesehen, mit unseren Bedenken ernst genommen und mit unserem kritischen Ansatz, der sich sehr wohl auch auf handelnde Personen bezieht, anerkannt werden. Und natürlich werden wir jeden Tag beobachten, was geschieht und immer für die Mieter*innen argumentieren. Was auch sonst, wir gehören ja dazu.

Wogegen wir uns jetzt schon klar wenden: Dass der Neubau gegen die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ausgespielt werden soll und wir finden auch den zeitlichen Ablauf falsch: Man kann nicht in ein laufendes Verfahren mit Versprechen und Ideen eingreifen, die auf eine noch unbestimmte, jedenfalls um Jahre vorausliegende Zukunft gerichtet sind. Bis dahin sind wieder Zigtausende verdrängt.

© 2019 Thomas Hocke für Der Wahlberliner


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