Eine Madonna zuviel – Polizeiruf 110 Fall 20 / Crimetime 426 // #Polizeiruf #Polizeiruf110 #DDR #Madonna #Madonnenfigur #Kunst #Kunstraub

Crimetime 426 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD 

Kirchenkunstraub à la Carte

Der 20. Film der Reihe Polizeiruf 110 ist in Farbe gedreht und hat in Teilen ein außergewöhnliches Setting. Eine Kirche, in der es statt einer regulären Madonnenstatue plötzlich deren zwei gibt. Aber der Küster wird niedergeschlagen und das ruft die „K“ auf den Plan, die Kripo, in den Personen von Oberleutnant Jürgern Hübner und Leutnant Vera Arndt. Wie es war in der Kirche, mit Küster, Pfarrer und Kunst, darüber mehr in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia)

Mischa wird mal wieder von der jungen Doris Schubert, Tochter eines Küsters, abgewiesen. Er weiß, dass Küster Schubert ihn als möglichen Schwiegersohn ablehnt und ist wütend. Leicht angetrunken fährt er mit seinem Freund Peter zur Kirche, in der der Küster seinen Dienst verrichtet. Mischa will allein mit dem Küster reden, holt jedoch kurze Zeit später Peter in den Kircheninnenraum: Küster Schubert liegt leblos im Altarraum, neben sich eine Madonnenfigur und einen Kerzenleuchter. Während Peter Mischa noch Vorwürfe macht, wird das Licht gelöscht und die Kirchentür verschlossen. Die jungen Männer läuten die Glocken und holen so Hilfe.

Oberleutnant Jürgen Hübner und Leutnant Vera Arndt übernehmen die Ermittlungen. Schubert wird lebensbedrohlich verletzt ins Krankenhaus gebracht. Der Pfarrer findet eine identische Madonnenstatue hinter dem Altar und glaubt an ein Wunder. Jürgen Hübner sieht den Fall realistischer: Nach eingehender Untersuchung kann eine der beiden Figuren als Fälschung identifiziert werden. Es stellt sich heraus, dass Schubert eigentlich Restaurator und Holzschnitzer ist. Er arbeitete einst mit dem freien Kunsthistoriker Dr. Schneider und Museumsdirektor Bonk zusammen. Schubert wurde eines Tages verdächtigt, Originalsteine aus Antiquitäten entfernt und durch Nachahmungen ersetzt zu haben. Die Originale wurden an wohlhabende Käufer veräußert. Zwar konnte Schubert die Tat nicht nachgewiesen werden, doch kündigte er aus verletztem Stolz seine Anstellung. Er wurde Küster der Kirche, betreibt jedoch auf dem Kirchengelände eine eigene Restaurierungswerkstatt. Auch Arzt und Sammler Dr. Eberhard Kunze hat immer wieder seine Skulpturen bei Schubert zur Restaurierung abgegeben. Als er ein Stück abholen will, wird er von der Polizei befragt. Die gerade für Kunze restaurierte Skulptur befindet sich jedoch schon lange in seinem Familienbesitz.

In Mischa Burgers Wohnung finden die Ermittler, die inzwischen den Kunstexperten Leutnant Dr. Binder zu ihren Ermittlungen hinzugezogen haben, eine Johannes-Skulptur. Sie ist ebenfalls gefälscht, jedoch noch nicht fertiggestellt. Das Original befindet sich im Köckritzer Heimatmuseum und Dr. Binder demonstriert vor Ort, wie leicht das Original gegen die Fälschung ausgetauscht werden könnte. So wurden wahrscheinlich zahlreiche Originale gegen falsche Skulpturen ausgewechselt, ohne dass der Diebstahl bemerkt wurde.

Vera Arndt erfährt, dass Schubert im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen ist. Sie überbringt Tochter Doris die Nachricht, die Vera daraufhin eine Erpressermeldung vorspielt, die sie vor zwei Tagen auf Tonband erhalten hat. Darin fordert der Mann, die gefälschte Johannes-Skulptur in einem Schließfach zu hinterlegen. Doris befolgt die Anweisungen. Einige Stunden später wird die Figur abgeholt und der Täter flieht in einem Wagen. Die Polizei verfolgt ihn und stellt ihn schließlich – es handelt sich um Dr. Eberhard Kunze. In seinem Besitz befinden sich zahlreiche Originalschnitzereien, die an ihren eigentlichen Standorten durch täuschend echte Fälschungen ersetzt wurden. Hehler war Dr. Schneider, der wiederum Restaurator Schubert erpresste. Einst hatten Schneider und Schubert beim Edelsteindiebstahl zusammengearbeitet, da der nach dem Tod seiner Frau alkoholabhängige Schubert Geld brauchte. Schneider setzte Schubert nun unter Druck. Schubert schuf für Schneider die Kopien, dachte jedoch, Schneider wolle sie an Sammler verkaufen. Als er Schneider in der Kirche überraschte, als dieser die Madonna austauschte, kam es zum Zweikampf und Schneider schlug Schubert nieder. Als Mischa und Peter in die Kirche kamen, schlich sich Schneider aus dem Raum und verschloss die Kirche. Er dachte nicht daran, dass der schwerverletzte Schubert einen Arzt gebraucht hätte, sondern wollte sich so einen Vorsprung verschaffen. Schneider gesteht die Tat, als er erfährt, dass Schubert tot ist. Er wird festgenommen. Mischa ist nun von jedem Tatverdacht entlastet und es kommt zur Versöhnung mit Doris.

Rezension

Es war die 20. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Oberleutnant Jürgen Hübner ermittelte in seinem 7. und Leutnant Vera Arndt in ihrem 16. Fall. Nach Alarm am See war es das zweite Mal, dass Kunstraub bzw. -fälschung in einem Polizeiruf thematisiert wurde. Die Kritik lobte, dass die Kirche im Film durchaus positiv als „soziale Auffanginstitution“ dargestellt wird, war Restaurator Schubert doch nach dem Tod seiner Frau zum Trinker geworden und hatte durch seine Arbeit als Küster einen neuen Sinn im Leben erhalten. Der Film ergreife zudem „für Jugendliche Partei, die wegen ihrer oft nicht sofort einsehbaren Haltungen schnell verurteilt werden.““[2]

Kunstraubfälle sollten in den nächsten Jahren noch häufig zum Thema werden, alte Uhren in „Reklamierte Rosen“ oder Münzen in „Heiße Münzen„. Häufig sind zumindest die Hintermänner egoistische Privatsammler, die versuchen, Kunstschätze der Öffentlichkeit und dem sozialistischen Staat zu entziehen. Das Streben nach Besitz ist nicht, wie in Filmen des Westens, nur dann verwerflich, wenn er mit offensichtlich illegalen Mitteln ausgeübt wird, sondern es ist eher umgekehrt: Diese Haltung ist per se zu verurteilen, diese Botschaft wird aber selbstredend eingekleidet in Diebstahls- und Raubdelikte, die in jeder Rechtsordnung strafbar sind.

Wir wissen nicht, was der Ersteller der oben zitierten Kritik über Filme geschrieben hat, die sich tiefergehend mit Jugendlichen auseinandersetzen, aber das Ausleuchten von deren „nicht sofort einsehbaren Handlungen“ steht nach unserer Ansicht nicht im Mittelpunkt von „Eine Madonna zuviel“ und wurde später in vielen Polizeirufen oft viel tiefer ausgelotet und dramatisch inszeniert.

Es ist der Küster und es sind all jene Kunstexperten, Kunstliebhaber und Kunstfertigen, die hier ein recht ansehnliches Spannungsfeld aufbauen und den Film zu einem kleinen Edelpolizeiruf der frühen Jahre machen. Die schönen Farben, die zumindest innen schön restaurierte Kirche, die relativ neutrale Haltung dieser gegenüber (nur Gott durfte nicht erwähnt werden) und die flüssigen, klaren und akzentuierten Dialoge machen dieses Werk von Regisseur Helmut Krätzig zu einem Genuss. Immerhin merkt Hübner an, dass die Kirche als Ort manchen Menschen etwas bedeutet. Manchen etwas traditionell geprägten Menschen, wenn man schärfer interpretieren möchte.

Der Fall ist für damalige Verhältnisse recht kompliziert, sodass viel erklärt werden muss und – ja, hätte der Täter nicht die zweite Madonna einfach stehenlassen, wäre die Polizei niemals dahinter gekommen, wer den Küster niedergeschlagen hat, denn er verwendete Handschuhe und die DNA-Analyse gab es damals noch nicht. Sie kam erst in der Wendezeit auf. Wäre jedoch die Madonna nicht als Anhaltspunkt vorhanden gewesen, wäre man nie der gewerblichen Kunstfälscherei auf die Schliche gekommen, die so hervorragend ausgeführt ist.

So ein Pech. Davon abgesehen, dass das Vergessen der Madonna ziemlich platt wirkt, kommt der Fall gut ins Rollen – was nicht bedeutet, dass alle seine Elemente logisch sein müssen. „Eine Madonna zuviel“ hat uns ein wenig Glauben abverlangt, weil wir nicht alles, was gezeigt oder erklärt wird, in der notwendigen Geschwindigkeit durchdenken konnten, aber dafür hat der Film ja auch das passende Setting.

Wir müssen zugeben, dass wir Leutnant Arndt super und auch ein wenig schräg finden und dann noch in den Sommerklamotten, in denen man sie hier sieht – solche Polizistinnen gab es damals im Westpendant Tatort noch lange nicht. Und Genosse Hübner regt sich dieses Mal mehr auf als in einigen anderen frühen Einsätzen, in denen wir ihn bisher beobachten konnten. Auch jene um die alte Bildhauerkunst Kreisenden, die einen Crush auf Tilman Riemenschneider haben, sind in aller Kürze recht deutlich skizziert.

Wir meinen, dass man Werke von Tilman Riemenschneider nicht zufällig ausgewählt hat, als es ums Fälschen ging. Es liegt nah, weil er einer der bekanntesten Künstler seiner Epoche war, „am Übergang zwischen Spätgotik und Renaissance“, er hatte auch ein politisches Schicksal, das sich mit den Bauernkriegen verbindet, also mit Auflehnung gegen die adelige Obrigkeit. Dass gerade seine Werke von einem ziemlich dekadent wirkenden Arzt einkassiert und privatisiert werden, ist ein sehr interessanter, gut lesbarer Subtext in diesem Film, den wir für wichtiger halten als beispielsweise, dass Jugendliche, die selbst die Polizei gerufen haben (durch Einschaltung de Glockenspiels) tatsächlich nicht schuldig sind und auch nicht dafür gehalten werden.

Finale

Nicht nur durch die sehr helle Lichtsetzung, die schönen Farben, die wundervollen Kunstwerke und Figuren, die alle etwas zivilisierter rüberkommen als in einem Durchschnitts-Polizeiruf – natürlich mit unübersehbarer Sympathie für den einzigen Arbeiter, den jungen Schlosser – wirkt dieser Film auf eine interessante Weise leicht. Es ist vergnüglich anzuschauen, dass in der DDR alte Kunst auf diesem hohen Niveau in aller Heimlichkeit reproduziert werden konnte und es Menschen gab, die einiges taten, um an die Originale heranzukommen.

Sogar Verfolgungsjagden mit der Polizei haben sie sich dafür geliefert und diese sind für damalige Verhältnisse ziemlich rasant gefilmt, nämlich aus den Autos heraus. Es gibt keine erkennbaren Rückprojektionen.

Der Küster ist tot, aber man kommt als Zuschauer nicht in den Modus der Erschütterung, weil auch Oberleutnant Hübner dieses Hinscheiden als Folge des Schlags mit dem Leuchter vor allem deshalb als bedauerlich ansieht, weil der Verstorbene nicht mehr befragt werden kann. Dafür gibt es Aufnahmen auf Tonband und auf den seinerzeit ganz neuen Musikkassetten. Die Tochter trägt es letztlich auch mit Fassung und geht in sehr kleidsamem Schwarz dem Glück mit ihrem motorisierten Verehrer entgegen, jetzt kann der Vater nicht mehr dazwischenfunken. Und im Zentrum der Kunstfälscherei kann er sich auch nicht mehr umtun.

Es gibt Tode, die sind zwar für die Ermittler ein Problem, weil sie einen Fall generieren, aber für viele Menschen ist es genau umgekehrt. Ihre bisherigen Probleme lösen sich dadurch, dass eine Figur vom Schachbrett genommen wird.

7,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Helmut Krätzig
Drehbuch Helmut Krätzig
Produktion Hans-Jörg Gläser
Musik Hartmut Behrsing
Kamera Bernd Sperberg
Schnitt Silvia Hebel

Jürgen Frohriep: Oberleutnant Jürgen Hübner
Sigrid Göhler: Leutnant Vera Arndt
Peter Reusse: Leutnant Dr. Binder
Anne-Kathrein Kretzschmar: Doris Schubert
Rüdiger Joswig: Mischa Burger
Jürgen Holtz: Dr. Eberhard Kunze
Bruno Carstens: Herr Schubert
Rudolf Donath: Dr. Schneider
Achim Schmidtchen: Museumsdirektor Bonk
Traute Richter: Frau Bauernfeind
Rolf Günther: Peter
Wolfgang Greese: Pfarrer
Gertrud Brendler: Nachbarin


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