Crimetime 450 - Titelfoto © RBB, Conny Klein
Abschied ohne Wauwau, Neuanfang mit Helm
Nach dem großen Zweiteiler „Wendemanöver“, in dem die Teams Rostock und Magdeburg zusammen auftraten, der nächste Aufreger in der Welt der Polizeirufe: Olga Lenski wechselt die Dienststelle von Potsdam nach – äh, wie heißt der Ort auf der polnischen Seite des Grenzgebiets? Minuspunkt für die schlechte Merkbarkeit. Minuspunkte dafür, dass Lenski auf der Fahrt ins Neue angeblich dem guten Krause noch einmal begegnet. Krause mit Beiwagen, aber ohne Hund darin? Was ist echt, was ist Fake, was ist normal und was ist grausam? Wir klären auf in der -> Rezension.
Handlung
Kriminalhauptkommissarin Olga Lenski ermittelt ab sofort mit Kriminalhauptkommissar Adam Raczek in einer deutsch-polnischen Ermittlergruppe im Grenzgebiet nahe Frankfurt (Oder). Beide gehören als deutsche Polizisten zum gemischten Team. Ebenso Polizeihauptmeister Neumann, der wie Olga Lenski an den neuen Arbeitsort gewechselt ist.
Bei einer Verkehrskontrolle in Polen flüchtet ein Mann aus einem Auto, in dem ein Schwerverletzter liegt. Lenski überlegt nicht lange und bringt den Mann ins Krankenhaus. Doch jede Hilfe kommt zu spät: Der Student Tomasz Nowak erliegt noch in der Nacht seinen Verletzungen. Raczek, vorzeitig aus seinem Urlaub gerufen, unterstützt seine neue Kollegin, da Lenskis polnische Sprachkenntnisse noch bescheiden sind.
Lenski und Raczek verdächtigen den Fahrer des Wagens, Ramsan Dimaev. Doch über den Tathergang schweigt er ebenso wie seine Frau Sazzit. Was hatte das Opfer mit dem tschetschenischen Asylbewerber Dimaev zu tun? Weder Marta Nowak, die Mutter des Toten, noch seine Schwester Elzbieta Nowak haben Veränderungen an Tomasz bemerkt. Nur, dass er zuletzt vollauf mit seinem Studium und seiner Bachelorarbeit beschäftigt war.
Weitere Ermittlungen führen Lenski und Raczek in den Boxclub von Anwalt Tobias Vogel. Hier hat Tomasz Nowak seit seiner Jugend trainiert. Trotzdem behauptet Vogel, Tomasz kaum gekannt zu haben. Aber warum hat die Kanzlei Vogel dem Studenten dann monatlich Geld überwiesen – und wofür?
Lenski und Raczek versuchen, die Mosaiksteine mit der Unterstützung ihrer polnischen Kollegen Wiktor Krol und Edyta Wisniewski nach und nach zusammenzusetzen. Der polnische Dienststellenleiter Karol Pawlak überwacht die Arbeit des neuen Teams mit Argusaugen. Er ist sich der Bedeutung dieser neuen, einzigartigen Zusammenarbeit beider Länder äußerst bewusst. Das Projekt muss Erfolg haben, das ist sein Auftrag.
Rezension
Angesichts des Potenzials, das die Darsteller von „Grenzgänger“ haben, ist der erste Film der zweiten Lenski-Ära eher unter unseren Erwartungen geblieben. Er ist nicht gar so düster wie der kürzlich rezensierte, in gewisser Weise unerträgliche „Abwärts“ aus Magdeburg, an den er uns unter anderem wegen der Schlussszene erinnert hat (Selbstmord mit Knarre am Kopf oder doch lieber nicht?), Lenski ist ein anderer Typ als Brasch und Raczek eindeutig lichter als Drexler und warum soll man nicht mal ein paar Sekunden auf das Gesicht eines Mannes halten, der damit ringt, ob er das Schweigen brechen darf. Aber dieses Kanzlei-Setting! Wäre wenigstens der Gründer der Hintermann des Fightclubs gewesen! Nein, auch schlecht, weil ganz übles Klischee, Juristen sind ja schon in der Parallelreihe Tatort regelmäßig zu allem fähig.
So aber sehen wir ein Familiendrama, das überhaupt keine echte Verbindung zum Fall das Geflüchteten Sazzid Dimaev aufweist, beides hängt immer etwas in der Luft und es kommt dadurch nicht zu einer vernünftig arrangierten Dramaturgie. Nach einigen modernen Polizeirufen haben wir langsam das Gefühl, das ist aktuell die Schwäche der Reihe, nicht, wie bei den Tatorten, die Handlungslogik, die dort mittlerweile immer generöser über Bord gekippt wird, damit eben trotz mäßiger Drehbücher noch ein guter Rhythmus geschaffen werden kann. Jedes Handlungselement von „Grenzgänger“ ist mehr oder weniger denkbar, auch wenn uns die seltsame Fahrt von Lenski mit dem Schwerverletzten zu Beginn schon irgendwie das Gefühl vermittelt, dass diese bzw. ihre Darstellerin Maria Simon zu sehr kämpfen muss, um gut rüberzubringen, dass sie sich selbst auf den Weg macht, anstatt einen Krankenwagen so zu beordern, dass sein Weg sich wenigstens mit ihrem kreuzt und dadurch dem Verletzten früher geholfen werden kann. Ups, doch nicht ganz glaubwürdig. Gibt in dieser Hinsicht aber Schlimmeres.
Auffällig ist das lange Ausspielen von Szenen, das aber nicht durch tolle Dialoge gerechtfertigt ist, diese sind eher dröge und klar ist das Leben in Tschetschenien hart und wir sind verweichlicht, deswegen gehen tschetschenische Clans ja hierzulande auch wie das Messer durch die Butter, es herrscht immer Krieg, auch in den Köpfen. Dafür wirkt der bullige Kämpfer, der nie etwas sagt, wenn man ihn befragt und der allein dadurch den Film stark verlangsamt, recht sensibel, mit seinem Hundeblick und den weichen Gesichtszügen. Der Übersetzer hingegen ist auch nicht der eigentliche Clanchef, sondern handelt im Auftrag von Geldgebern, was sonst.
Der Kick mit dem Boxen auf Leben und Tod, den haben wir in einem Tatort namens „Tod und Spiele“ vor einiger Zeit gesehen und der Film hatte immerhin den Vorteil, dass man mehr in der Szene blieb, vielleicht hatte man sich „Grenzgänger“ angeschaut und gemerkt, dass der Film langatmig und wenig zentriert wirkt. Aber dann war der Plot von „Tod und Spiele“ – sic! – ziemlich krude und am Ende kamen 6/10 Punkte heraus, unwürdig für das Dortmund-Team Faber, Böhnisch, Dalay, Pawlak, das zu den besten der Szene rechnet. Aber in diese Richtung wird es bei „Grenzgänger“ auch laufen. Manchmal denken wir ja, die verschärften Anforderungen, die sich daraus ergeben, dass wir die Reihe Polizeiruf nun zusätzlich rezensieren und dadurch jeden Abend einen Film auf der Pfanne haben, der angeschaut und besprochen werden will, sorgt langsam für den Overkill.
Wir hatten nicht damit gerechnet, dass ca. 370 Polizeirufe fast ebenso oft wiederholt werden wie 1099 Tatorte. Es kommt zwar jetzt zu den ersten Fällen von „haben wir schon gesehen, uff!“, weil mehrere Sender sich gleichzeitig der DDR-Traditionspflege widmen, aber trotzdem ist es objektiv ziemlich viel, im Moment. Und dann denken wir, ja, schon möglich, dass es uns dann wirklich packen muss, damit wir zu höheren Punktzahlen greifen, guter Wille, gutes Thema, gute Schauspieler reichen da nicht, wenn nicht alles dies zusammenkommt und auch noch die Handlung und deren Inszenierung überzeugen. Aber wir hatten solche Phasen schon mehrmals und am Ende stellte sich heraus: So schwankend sind wir gar nicht drauf, es liegt einfach am Film selbst. Und so ganz langsam stellt sich jetzt auch eine leise Enttäuschung über die mordernen Polizeirufe ein, die von Kritikern und Zuschauern nicht selten als den Tatorten gleichwertig, wenn nicht überlegen, dargestellt werden. Das sind sie bisher nicht, das wollen wir mal festhalten, obwohl besonders auf weiblicher Seite die Ermittler*innen darstellerisch mindestens auf gleichem Niveau liegen. An dieser Stelle müssen wir dem Entwurf, der schon vor mehr als zwei Monaten entstanden ist, vor der Veröffentlichung etwas beifügen: Das Team König / Buckow hat uns mittlerweile mehrfach überzeugen können, vor allem aber sind die Von-Meuffels-Polizeirufe, von denen wir nun mehrere gesehen haben, qualitativ fast eine Welt für sich. Das schließt auch den Vorgänger Tauber und bisher die Nachfolgerin Eyckhoff ein, deren ersten Fall wir vor drei Tagen rezensiert haben.
Es gibt sehr schöne Filme wie „Käfer und Prinzessin„, auch mit Olga Lenski, aber noch mit Horst Krause, es kommt zu einigen mittelplusguten Produkionen, aber oft wird düsterstes Gedräue mit packender Dramatik verwechselt. Wir hatten uns von den Polizeirufen vor allem versprochen, dass sie etwas bodenständiger sind als die manchmal schon recht abgefahrenen Tatorte – auf die Darstellertypen trifft das auch zu, aber nicht auf die Inszenierungen, denen gleichzeitig jedoch das mutig-Experimentelle mancher Tatorte fehlt, die als Leuchtturmprojekte angelegt sind und bewusst ein hohes Risiko gehen, wenn es um den Zuspruch traditionellerer Zuschauer geht. Dafür gibt es bei den Poliizeirufen kein Team, das man als Totalausfall bezeichnen kann, wie Tschiller in Hamburg und mittlerweile Lessing, Dorn in Weimar.
Wir verstehen auch, dass man die spannende neue Paarung Lenski / Raczek langsam aufbauen wollte – blöd nur, dass Maria Simon 2020 aufhören wird und für Lucas Gregorowicz eine neue Partnerin gesucht werden muss, nachdem er vor einiger Zeit erst Krause ersetzt hat, wenn man diese Verschiebung als Ersatz bezeichnen kann. Mit den beiden haben wir bisher nur „Muttertag“ gesehen, und der schon etwas stringenter geraten als „Grenzgänger“. Tut uns ja auch leid, dass es so schwierig ist, über „Grenzgänger“ zu schreiben und wir daher in allgemeine Betrachtungen übergewechselt sind, aber wir haben alles, was darin vorkommt, schon zu oft gesehen und das dürfte anderen, selbst wenn sie, wie wir, nicht so oft mit den amerikanischen Vorbildern des Fight-Club-Teils zugange sind, den wir deshalb ja auch so genannt haben, auch so gehen. Dazu reicht es eben, regelmäßig Tatorte und Polizeirufe zu sichten.
Finale
Eine Empfehlung ist „Grenzgänger“ für uns nur an diejenigen, die es komplette haben möchten, also auch den Grenzseitenwechsel von Olga Lenski nach Polen nicht verpassen wollen, der man vorausschauend einen passenden Namen gegeben hat, als man sie 2010 die Nachfolge von Johanna Herz antreten ließ.
6/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Tobias Vogel | Christoph Luser |
| Dr. Marian Kaminski | Tomek Nowicki |
| Elzbieta Nowak | Barbara Wysocka |
| Achmat Kisultesov | Husam Chadat |
| Trainer Wurm | Robert Gallinowski |
| Ramsan Dimaev | Tamer Yigit |
| Tomasz Nowak | Tim Haberland |
| Inspektor Karol Pawlak | Robert Gonera |
| Wiktor Krol | Klaudiusz Kaufmann |
| Edyta Wisniewski | Katharina Bellena |
| Hans Vogel | Manfred Zapatka |
| Prof. Dunant | Luc Feit |
| Polizeihauptmeister Wolfgang Neumann | Fritz Roth |
| Kriminalkommissarin Olga Lenski | Maria Simon |
| Kriminalkommissar Adam Raczek | Lucas Gregorowicz |
| Marta Nowak | Danuta Stenka |
| Sazzit Dimaev | Nilam Farooq |
| Musik: | Dirk Dresselhaus |
| Buch: | Uwe Wilhelm |
| Kamera: | Matthias Fleischer |
| Regie: | Jakob Ziemnicki |
| Buch: | Claudia Boysen |
| Jakob Ziemnicki | |
| Musik: | Dirk Dresselhaus |
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