Haie vor Helgoland – Tatort 157 #Crimetime 509 #Tatort #Hamburg #Stoever #HH #NDR #Hai #Helgoland

Crimetime 509 - Titelfoto © NDR

Beginn einer besonderen Ära

Vorwort 2019

Wir beginnen jetzt mit der sukzessiven Einstellung von aus dem „ersten Wahlberliner“ übernommenen Rezensionen, auch wenn die Filme dazu gerade nicht wiederholt werden. Zu dieser erweiterten Publikationspraxis hat letztlich die Mediathek der ARD geführt, die wir nun ebenfalls durcharbeiten werden, um noch nicht angeschaute Tatorte und Polizeirufe zu rezensieren. Dadurch ist der Lauf von Crimetime noch mindestens für ein ganzes Jahr gesichert. Geplant ist ohnehin, zugunsten des Filmfests spätestens 2021 die Intervalle zwischen Crimetime-Kritiken etwas länger werden zu lassen. Da der NDR besonders großzügig bei der Bestückung der ARD-Mediathek bezüglich der ersten Tatort-Jahre ist, wollen wir dies heute mit einer Rezension würdigen, die bereits im Jahr 2011, dem ersten Jahr der TatortAnthologie, entstanden ist – und eine Premiere. Die Angaben in der Rezension wurden auf Stand 2011 belassen, der Tatort Nr. 157 ist heute bei weitem nicht mehr der älteste, den wir rezensiert haben. Die Optik der Originalrezension haben wir an das heutige Schema weitgehend angepasst.

Rezension 2011

„Haie vor Helgoland“ ist der erste Fall von Manfred Krug als Hamburger Kommissar Stoever und damit der Beginn einer langen Erfolgsserie und er wird heute zu den wichtigen Tatorten gerechnet.

Ungewöhnliche Erzählweise als Howcatchem, beinahe überwiegend aus Tätersicht inszeniert, der Ermittler taucht erst im zweiten Drittel des Filmes auf und gleichzeitig ein Heist-Movie: Ein Raub wird geplant, ausgeführt und es geht darum, ob die Sache funktioniert. Tut sie das und wie lange geht es danach gut? Das klären wir in der -> Rezension.

Handlung

Endlich sind sie wieder in Freiheit: Karl Lepka und Alfred Jüssen. Sieben Jahre haben sie abgesessen – die Strafe für gemeinsam begangene Raubüberfälle. Ihr dritter Mann, Volker Reinders, hat damals Glück gehabt. Er ist mit zwei Jahren Knast davongekommen.

Gemeinsam feiern Lepka, Jüssen und Reinders ihr Wiedersehen mit einem Ausflug nach Helgoland, bei zollfreiem Krimsekt und Kaviar. Man redet von den guten alten Zeiten, davon, daß alle knapp bei Kasse sind, und davon, daß eine ganz schöne Stange Geld von den Besuchern nach Helgoland gebracht wird: durch den zollfreien Einkauf und die vielen Feriengäste in den Hotels. Das sind doch Millionen! Und irgendwie müssen diese Millionen doch wieder zurück aufs Festland. Natürlich mit dem Schiff – der „Wappen von Hamburg“.

Der Raubüberfall während der Überfahrt von Helgoland nach Cuxhaven gelingt zwar, aber es gibt einen Toten. Als Kommissar Stoever mit seinen Ermittlungen beginnt, hat er nur einen einzigen Anhaltspunkt. Der tödliche Schuß stammt aus einer Waffe, mit der einige Wochen vor dem Raubüberfall mehrere Schüsse auf den pensionierten Kriminalhauptkommissar Lothar Mühlenkamp abgegeben wurden. 

Rezension

Sie funktioniert natürlich nicht perfekt, denn ein Mord war nicht geplant; ohne Mord wäre aber Hauptkommissar Stoever nicht auf den Plan getreten.

Obwohl die Sache aber gründlich schiefging, wurde der Film tatsächlich zur Vorlage für einen Raub.

Beeindruckend ist auch die intensive musikalische Untermalung mit Originalmusik und vielen Stücken der damaligen Zeit, mit solchen, die 1984 schon Evergreens waren und sogar mindestens einem Song der Neuen Deutschen Welle, was den Film eindeutiger zeitbezogen macht als die teilweise heute noch gespielten anderen Titel aus  den frühen 80ern.

Insgesamt ein sehr kinomäßig gefilmter Tatort, der heute noch sehr interessant zu sehen ist. Der bislang zweitälteste Tatort den wir rezensieren, aber keine olle Kamelle, sondern ein Klassiker.

Sie funktioniert natürlich nicht perfekt, denn ein Mord war nicht geplant; ohne Mord wäre aber Hauptkommissar Stoever nicht auf den Plan getreten.

Obwohl die Sache aber gründlich schiefging, wurde der Film tatsächlich zur Vorlage für einen Raub.

Beeindruckend ist auch die intensive musikalische Untermalung mit Originalmusik und vielen Stücken der damaligen Zeit, mit solchen, die 1984 schon Evergreens waren und sogar mindestens einem Song der Neuen Deutschen Welle, was den Film eindeutiger zeitbezogen macht als die teilweise heute noch gespielten anderen Titel aus  den frühen 80ern.

Insgesamt ein sehr kinomäßig gefilmter Tatort, der heute noch sehr interessant zu sehen ist. Der bislang zweitälteste Tatort den wir rezensieren, aber keine olle Kamelle, sondern ein Klassiker.

Ich muss mir mal nen Hut kaufen. Das sagt Manfred Krug als Kommissar Stoever nebenbei, und zwar am Tatort. Es ist kalt in Hamburg und die Glatze friert. Programmatisch ist der Satz auch, denn Stoever wird in der Folge oft mit Kopfbedeckung unterwegs sein.

Ein noch recht junger leitender Ermittler löst seinen ersten Tatort-Fall und ist anfangs eher im Hintergrund, denn die Täter sind die Figuren, die zuerst vorgestellt und entwickelt werden. 16,85 Millionen Zuschauer verfolgten bei der Erstausstrahlung diesen Raubfall, der durch einen Mord aus dem Ruder läuft.

Die Figur des Kommissars wird sich von diesem Fall ausgehend weiterentwickeln, schärfere Konturen bekommen, das Geschehen mehr dominieren als in „Haie vor Helgoland“, als der Neue von Hamburg im wörtlichen Sinn eingeführt wird. Es ist tragender Teil des Spannungsbogens, dass der neue Ermittler erst so spät eingeführt wird und sich von da ab immer stärker in den Vordergrund schiebt.

Stoever arbeitet noch ohne den späteren Kollegen Brockmöller, sondern mit dem untergeordneten Ermittlungsbeamten Nickel (Edgar Bessen); zur Entstehungszeit von „Haie vor Helgoland“ waren gleichberechtigte, später auch vielfach asymmetrisch angelegte Ermittlerfiguren noch die Ausnahme, dem trocken-humorigen und realistischen Stoever fehlte noch der sozial engagierte Gegenpart, der nicht zuletzt ein Figurenprodukt der seit den 90ern deutlichen Tendenz zur didaktisch-gesellschaftskritischen Ausprägung norddeutscher Tatorte ist.

Konzentration auf die Handlung und die Figuren. Dadurch, dass man 1984 noch nicht ganz so viel Subtext einbauen musste, konnte man sich auf die Handlung konzentrieren und mit schönsten Perspektivwechseln arbeiten. Die Handlung an sich ist weitgehend fehlerfrei, wenn auch durch einige Zufälle beeinflusst.

Die beiden Freunde, die auf der „Wappen von Hamburg“ Beobachtungen machen und später so stark nachhaken, der eine verliebt sich in eine der Tatbeteiligten, der andere will von der Beute abhaben, die sind sicher nicht sehr realistisch, aber wunderbar unterschiedlich angelegt – auf die einfache Art. Der eine hat andere Motive als der andere, um an der Sache dranzubleiben, der eine, der mit dem Erwerbstrieb, will es auch mehr als der andere.

Im Grunde genauso gestrickt das Räubertrio, in dem eine der Figuren zum Mörder wird. Zwei treibende Kräfte, einer, der sich reinziehen lässt und wiederum seine Freundin mit hineinzieht.

Nicht etwa, dass im Jahr 1984 die Tatorte keine Botschaft gehabt hätten. Ein gewisser Hang von Kriminellen zum Wiederholen ihrer Muster wird unterstellt und dass es für solche, die aussteigen wollen, schwer ist, sich dem zu entziehen, wenn die anderen, kaum, dass sie frei sind, schon wieder an krumme Dinger denken. Nach immerhin sieben Jahren Haft.

Eines können heutige Tatorte sicher besser als „Haie vor Helgoland“: Figuren differenzieren. Alle diese Typen sind hier recht schematisch dargestellt und außerdem auch noch ein wenig auf moderatem Niveau, was die geistige Durchdringung angeht. Es wird zum Beispiel angesprochen, dass die schweren Jungs auch morden, trotzdem lässt sich eine der Ausflügler nicht nur dazu hinreißen, bei Stoever als jemand, der Beobachtungen preisgeben will aufzutauchen mit der Absicht, dort quasi den Spieß umzudrehen, um mehr über die Sache zu erfahren, er macht sich wirklich daran, das Trio zu erpressen. Das kann nicht gutgehen und das merkt der Zuschauer auch sofort.

Die Auflösung am Ende ist ebenfalls sehr simpel und basiert darauf, dass einer der drei Verbrecher  sehr simpel gezeichnet ist – allerdings nicht gleichbleibend während des Films, die Figur ist nicht konsistent. Jedenfalls ist derjenige, der den Mord auslöst, weil er sich an Bord der Fähre verplappert und damit die Identität eines der beiden anderen Mittäter preisgibt, auch derjenige, der sich am Ende von Stoever mit einem Bauerntrick reinlegen lässt.

Zudem wirkt die Inszenierung recht kühl, weil zu den Täterfiguren ein erheblicher Abstand gewahrt wird, damit man sich nicht mit ihnen identifiziert. Allenfalls die zweifelnden oder aus Loylität mitmachenden Figuren Petra Kolb (Ilse Biberti) und der zweite Ausflügler, der sich in sie verguckt hat und sich von dem gierigen Freund überreden lässt, an der Sache  dran zu bleiben, bieten hierfür Potenzial.

Straff, logisch, nicht  zwingend – und kühl. Emotionen hingegen werden in den Film eher durch die Musik hineintransportiert, als dass die Figuren stark emotionalisiert wären oder weil deren Schicksal den Zuschauer mitreißen würde. Da sind die Kriminellencharaktere, die trotz der schönen Anfangszene auf Helgoland nicht an den die Gefühle appellieren, auch, weil schon die Diskrepanzen im Trio sichtbar werden. Man fragt sich, warum der Dritte sich wirklich hineinziehen lässt, recht schlüssig wird das aus den Dialogen nicht.

Im Grunde kommt nur einmal etwas auf wie Nähe suchen, das uns aber eher schmunzeln ließ – als sich dort, wo die Beute versteckt wurde, Frau Kolb und der nettere der beiden Ausflügler einfinden und sich im VW Käfer küssen. Schon damals etwas Nostalgisches und irgendwie käfertypisch. Das ist einfach ein Auto zum Verlieben in und mit. Cool, aber auch stilisiert hingegen der große Opel Kapitän aus den späten 50ern, den die Gangster fahren, bereits ein Oldtimer. Solch ein auffälliges Auto steuert keine vernünftige Bande von Räubern und Mördern.

Auch der Strang mit dem Hamburger Exkommissar, dem der übelste der drei Täter nachstellt, weil dieser ihn nicht nur in den Knast brachte, sondern ihm auch eine bleibende Handverletzung zugefügt hat, ist ganz schön zu Lasten der Täterfigur inszeniert, so handelt kein versierter Verbrecher, dass er dann beim Raub dieselbe Waffe benutzt. Überhaupt kommt das übermotiviert und etwas an den Haaren herbeigezogen rüber. Ebenso wie die Notwendigkeit, dass die Freundin diese Tatwaffe dann aus anderen Händen erhält und an Bord der „Wappen von Hamburg“ schmuggeln muss. Wir hören jetzt aber auf mit diesem Gründeln – Logikfehler sind das nicht, sondern Fragen an die Figurenzeichner.

Dadurch, dass die Figuren aber nicht  zwingend handeln, wirken sie auch nicht dämonisch oder erdrückend und auch nicht dem neuen Kommissar ebenbürtig. Es früh klar, dass er sie alle in die Tasche stecken wird.

Die Handlung spinnt sich gut von Element zu Element, traditionelles Storytelling, man ist versucht zu sagen: nach amerikanischer Art. Das bedeutet auch, dass problemlos aus der Sicht  aller Figuren gefilmt werden kann, neutral, wenn  man es aufs Literarische überträgt, nicht etwa personal, wie die meisten Tatorte, oder gar subjektiv.

Die Logik der Handlung folgt der Logik der Figuren. Prinzipiell fehlerfrei, aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eben die Figuren etwas einfach gestrickt sind und dadurch den Handlungsverlauf ermöglichen. Dass es besonders im ersten Teil einige wenig wahrscheinliche Zufälle gibt, die alle mit der Verknüpfung der Figurengruppen 1 (Täter) und 2 (Beobachter) zu tun haben, nimmt man seltsamerweise bei diesem Tatort eher hin als bei den heutigen Folgen. Das hat wohl etwas damit zu tun, dass die Tatorte heute so ambitioniert sind und ungeheuer viel sagen wollen. Man akzeptiert den hohen Manipulationsgrad, die oft auf mehreren Ebenen angelegten Subtexte und die Ambitionen eher, wenn die Macher nicht den Eindruck erwecken, sie ersetzen fehlerlose Konstruktion durch übertriebene Ambition.

Finale

Eine gut gemachte, nicht perfekte Räuberpistole wie „Haie vor Helgoland“ hingegen, die noch den nüchternen Erzählstil der frühen Jahre zeigt, unterwirft man nicht einer ganz so harten Bewertung, macht sich auch keinen großen Kopf darüber, ob man diesen Plot hätte dramatischer und figurenstärker herausarbeiten können, denn immerhin ist das die 157. von mittlerweile über 800 Folgen. Kein Frühwerk, aber auch kein Fall für den rezensorischen Scharfrichter, denn alles, außer den beiden Morden, ist verjährt.

7/10

© 2019, 2011 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kommissar Stoever: Manfred Krug
Nickel: Edgar Bessen
Uwe Voss: Bernd Tauber
Rolf Gerber: Ronald Nitschke
Petra Kolb: Ilse Biberti
Volker Reinders: Hans Hirschmüller
Alfred Jüssen: Karl-Heinz Gierke
Karl Lepka: Dietrich Mattausch
Lothar Mühlenkamp: Ferdinand Dux:

Regie: Hartmut Griesmayr
Buch: Peter Hemmer
Kamera: Frank A. Banuscher

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