Crimetime 817 - Titelfoto © WDR
Seele zum Verkauf
Wie sagt Kommissar Fleming zum jungen Motorrad-Staatsanwalt? „Eine Frau, die anfängt, ihrem Mann die Knöpfe anzunehmen oder die Hemden zu bügeln, hat ihre Seele verkauft.“ Was sagen die Göttinnen dazu, die sowieso nicht bügeln? Hoffentlich nicht: „Schatz, du hast es leider doch rausgekriegt: Ich habe keine Seele.“ Außerdem sind manche Hemden mittlerweile tatsächlich (fast) bügelfrei, wie ich heute wieder feststellen durfte. Aber Frauen, die ein Herz As tragen (wenn auch nicht auf dem Herzen), die sind anders und ärgern sich vielleicht, wenn es im Haushalt und in der Liebe nichts zu tun gibt. Was das alles mit dem 316. Tatort zu tun hat, erklärt sich in der -> Rezension.
Handlung
Der totgeglaubte Abenteurer Hugo Brandstätt kehrt aus Neukaledonien in seine Heimatstadt Düsseldorf zurück. Als kurz nach seiner Ankunft sein früherer Geschäftspartner Paul Martens ermordet aufgefunden wird, setzt sich Kommissar Flemming auf Brandstätts Spur. Brandstätt hält sich im Haus seiner Ex-Frau Pia auf, die nach seinem Verschwinden vor 15 Jahren Martens geheiratet hatte. Elfie, Pias Tochter aus ihrer Ehe mit Brandstätt, hatte allen Grund, ihren Stiefvater zu hassen. Nachdem sie nun aber erfährt, unter welchen Umständen der so oft herbeigesehnte Vater seinerzeit Frau und Kind verließ, liefert sie Brandstätt, zutiefst verletzt, der Polizei aus.
Was keiner weiß: Brandstätt hat seine neue Lebensgefährtin Jeanne mitgebracht, und ihr gelingt es, dem Untersuchungshäftling eine Pistole zuzuspielen. Es kommt zum Schußwechsel und Flemming tötet Brandstätt in Notwehr. Der Kommissar ist deprimiert und außerdem quält ihn die Ungewissheit, ob Brandstätt nicht doch unschuldig war. Deshalb ist Flemming fest entschlossen, im Mordfall Martens weiter zu recherchieren. Von jetzt an lebt er gefährlich.
Es werden mehrere Anschläge auf den Kommissar verübt. Flemming findet heraus, daß Brandstätt tatsächlich einen Mord begangen hat – aber der liegt 15 Jahre zurück. Und so ist es schließlich Kollegin Koch, die ihren Chef – dank guter Beziehungen und weiblicher Intuition – auf die richtige Fährte führt.
Ausführliche Handlungsbeschreibung mit Auflösung in der Wikipedia
Rezension
Vorschau: Kunde aus dem Jenseits
Immer wieder mal werden Tatorte ausgestrahlt, die ich noch nicht kenne. Gut so. Warum der Tatort „Herz As“, ein Flemming-Krimi aus Düsseldorf, so lange nicht gezeigt wurde, während andere mit ihm und seinem sympathischen Team Ballauf und Koch (in den späten Episoden, zu denen auch „Herz As“ aus dem Jahr 1995 zählt, nur noch Koch) recht häufig wiederholt werden? Ich rätsele schon lange darüber, ob die Sender sich die Rangliste des Tatort-Fundus anschauen und ihre Wiederholungsstrategie auch daran ausrichten.
Jede Ansicht ist subjektiv, aber ein besseres Modul, um die Meinung vieler Fans zu eruieren als die Ranglisten dieser Plattform gibt es nicht und sehr viele subjektive Meinungen ergeben durchaus ein schlüssiges Bild – das behaupten ja auch die Meinungsforscher.
Das Foto von der aktuellen Flemming-Rangliste könnte belegen, warum der 316. Tatort bis jetzt kein Wiederholungspet war und warum er so spät gesendet wird (23:45 Uhr am morgigen 22.09.2020). Unser Titel ist etwas makaber und bezieht sowohl auf die Handlung wie darauf, dass Flemming-Darsteller Martin Lüttge am 22. Februar 2017 verstorben ist. Ob man deswegen einen 22. fürs Zeigen dieses Films ausgewählt hat, wage ich zu bezweifeln – denn die Wiederholungen des WDR für eigene Tatorte finden nun einmal vorwiegend an Dienstagabenden statt, selbst dann, wenn ein Kommissar in Notwehr tötet und daraufhin traumatisiert ist. Also ist dem Flemming das auch passiert.
Ich werde Herz As morgen Abend aufzeichnen und demnächst wird eine Rezension im Wahlberliner zum angeblich schlechtesten aller Flemming-Filme erscheinen. Wie gut, wenn man sich nie von solchen Vorab-Recherchen beeinflussen lässt.
Besetzung und Stab
Regie | Ulrich Stark |
Drehbuch | Horst Vocks |
Produktion | Veith von Fürstenberg |
Musik | Birger Heymann |
Kamera | Manfred Ensinger |
Schnitt | Felicitas Lainer |
Besetzung | |
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Ob eine große Liebe immer große Opfer bedeuten muss? Sogar, sich an einen Kommissar heranzumachen, der weiß, dass er nicht mehr der Jüngste und Attraktivste ist? Eigentlich ist Flemming ein guter Typ, aber echte Gefühle finden diesen notorischen Single deshalb noch lange nicht. Wie meistens, wenn sich etwas anbahnt zwischen Fernsehkommissar*innen und wem auch immer, verstirbt die Person, mittlerweile auch mal gerne einen oder zwei Filme nach dem Beginn der Lovestory, oder es handelt sich um eine*n Verdächtige*n, der Hintergedanken hat oder sogar die tatsächliche Täterperson ist. Hier handelt es sich um eine Beihelferin, die Lüttge in einer Bar an verschiedenen Abenden unterschiedliche Zeichen sendet. Die Atmosphäre dort, ohne Statisten, unterscheidet sich erheblich von derjenigen im Herrenklo, die uns jedoch besser instruiert: Handtuchspender sind die idealen Verstecke für geschmuggelte Waffen, besonders im Polizeipräsidium. Das waren Zeiten. Es waren allerdings auch in mancher Hinsicht nicht weniger bescheuerte Zeiten als diejenigen, in denen wir gerade leben.
Zum Beispiel die Szene, in de Flemming angeschossen wird. Im Anschluss benötigt er eine neue Jacke, was verständlich ist. Übernatürlich hingegen, dass er komplett unverletzt scheint. Von einer schusssicheren Weste, die bis über die Schulter reicht, ist nicht die Rede, außerdem sprechen Spontanblutspuren dagegen. Es sei denn, man hätte ihm in den Arm geschossen, aber dann hätte man zumindest zeigen müssen, dass er tatsächlich verletzt ist und verbunden werden muss. Der Film hat sowieso einige Anschlussfehler und darüberhinaus Szenen, die inhaltlich in der Luft hängen und keinerlei Sinn ergeben, zum Beispiel einen handlungsfrei eingeblendeten Taxistand.
War das nun der Abschiedstatort von Flemming? Wäre ja interessant zu wissen, weil der Kommissar doch hier so gebeutelt wird und nach Ansicht seiner Assistentin Miriam Koch lebensmüde ist. Wäre eine nette Kooinzidenz gewesen, nach dem zuletzt angeschauten Abschiedstatort „Havarie“ von Brinkmann, der allerdings trotz einer erheblichen Unwucht bezüglich der Qualität seiner Teile besser war. Es ist aber nicht so, Flemming hatte danach noch drei weitere Fälle zu lösen, die beim Publikum etwas besser ankamen als Herz As (siehe Vorschau). Die Nr. 316 ist ein typischer 90er Jahre Tatort, mit schrecklicher Musik, ebenso schrecklichen Dialogen oder noch schlimmeren und einem Verhalten und einer Ausformung der Figuren, die den Psychogrusel auslöst – man hofft inständig, dass man im Leben keinen Menschen begegnet, die dermaßen zu ihrem und anderer Schaden verhaltensauffällig sind und komplett unberechenbar.
Auffällig ist in „Herz As“, dass Szenen mit Paaren nicht so gestaltet werden können, dass zwischen gewollt witzig und ungewollt komisch eine klare Trennlinie zu bemerken ist. Kein Wunder, dass Martin Lüttge, der Flemming-Darsteller, in der Bar so gequält wirkt. Das passt natürlich zu seinem Seelenzustand, nachdem er einen Tatverdächtigen erschossen hat. Vielleicht kommt es auch daher, dass seine Miriam Koch sich gegen Ende ihrer Karriere als Vamp in schwarzem Leder entpuppt, der seinen Liehaber aus der Staatsanwaltschaft in allen möglichen und unmöglichen Situationen mit Handschellen an Gitter befestigt. Logisch, sie ist ja Polizistin. Aber davon weiß Flemming ja nichts, als er in der Bar sitzt und die rote Ampel bildlich vor sich sehen müsste.
Dafür rettet die beherzte lederne Dame aus dem Revier den Kommissar vor einem veritablen „KiA“, also davor, im Dienst erschossen zu werden. Selbstverständlich trägt sie im Dienst eher ihre teuren, aber konservativen Klamotten im Zeltstil der 1990er – okay, Mitte der 1990er wurde es langsam wieder besser mit dem Geschmack, nachdem der Wendeschock verdaut und ein möglicher Einfluss des Ostens auf den Westen konsequent abgewehrt worden war. Aber die Typen!
Das Team von Mord und Totschlag erhält mehr zufällig, weil sich Fahndungswege kreuzen, Verstärkung durch einen durchgeknallten Menschen von der Drogenfahndung, der ständig high ist und sich unendlich viele Tabletten einschmeißt, weil Koks zu teuer ist (für einen nicht korrupten Polizisten, auch solche gibt es beim Rauschgiftdezernat offensichtlich). In mir kann irgendwann der Verdacht auf, dass man einen so schlechten Film machen wollte, dass die zu der Zeit vielleicht schon geplante Einführung von Ballauf und Schenk auf die Zuschauer wie eine Erlösung wirken würde. Doch ob das so frühzeitig, zwei Jahre vor deren Start, der Fall war, ist zumindest zweifelhaft.
Immerhin steigt mit Ballauf, und das erst zum zweiten Mal nach Kommissar Lenz in München, eine Nummer 2 oder 3 zum leitenden Ermittler auf. Allerdings muss er durch eine hochwertige Schulung beim FBI in Miami oder beim CSI von Miami und mutiert dabei von einem stets mit Schulden kämpfenden und bezüglich seines Privatlebens unter Kontrollverlust leidenden Jungen, der gerne die Dienstvorschriften stecken lässt, zu einem verantwortungsvollen, ersten Mann, der in Freddy seinen eigenen Wiedergänger sieht, mit dem er nun zusammen ab und zu mal ein bisschen manipulieren kann, um der Gerechtigkeit gegen die allzu schnöde Rechtswirklichkeit zum Sieg zu verhelfen.
Vor allem aber, damit er sich nicht in Situationen begibt, wie Flemming sie in „Herz As“ vormacht. Das Furchtbare an diesem Film ist, dass er trotz aller Wildheit und aller unvorhersehbaren Aktionen zeitweise langweilig wirkt. Das kommt vom Mangel an Zentriertheit, von beliebig wirkenden Szenen und von den angesprochenen schlechten Dialogen. Man spürt dem Mangel an Sprachgefühl nach und ist abgelenkt. So verpasst man beinahe, dass derjenige Mann, der doch recht sympathisch wirkt, der Rückkehrer, der für tot gehalten wurde und jetzt nicht gemordet hat, offenbar vor 15 Jahren genau das doch getan hat. Das eigentlich sehr anrührende Wiedersehen, die Frau, die ihm helfen will, koste es was es wolle, dass alles geht unter in einer wirklich dilettantischen Inszenierung. Dass der Film mit seinen massiven Logik Schwächen und all den anderen Fehlern bei den Fundus-Nutzern nicht ähnlich schwach abschneidet wie einige berüchtigte Werke der Tatort Geschichte à la „Der gelbe Unterrock“, liegt vermutlich vor allem daran, dass Flemming beim Publikum als Ermittlerperson sehr beliebt war, obwohl er nie einen „Spitzentatort“ hatte, der z. B. heute noch unter den Top 100 zu finden wäre. In der Rangliste ist von ihm kein einziger FIlm mit mehr als 7,02 von 10 zu finden, aber selbst ein Werk wie „Herz As“ kommt noch auf etwa 5 Punkte.
Ach, der Titel! Der Titel bezieht sich auf die Schulterblatttätowierung jener Frau mit dem allenden roten Haar, einer Ex-Prostituierten (diese Prostituierten trugen dieses Tätowierung quasi wie einen Stempel oder ein Brandzeichen, daher weiß Flemming sofort Bescheid, als er diesen Körperschmuck sieht). Dadurch wiederum kommt er auf einen alten Zusammenhang, der leider komplett aus der Luft gegriffen ist. Aus dem Nichts taucht wieder mal Miriam Koch auf, um ihn wieder einmal aus einer selbst herbeigeühfrten Situation zu retten – aber er hatte sich bereits gefangen. Hat der Lady mit dem Colt die sechs Schuss aus ebenjenem genommen, als sie kurz in der Küche war. Außerdem ist sie Kettenraucherin, da weiß man, es stimmt etwas nicht. Nicht die einzige in diesem Film, und mit der anderen verhält es sich ebenso (diejenige, die es mit einem radebrechenden Russen zu tun hat, weil sie das Geschäft ihres ermordeten Mannes vollumfänglich übernehmen will). Das ist schon keine Küchenpsychologie mehr, sondern stammt aus dem Seelenkeller der für diesen Film verantwortlichen Personen. Im Grunde ist es auch egal, wer nun wen umgebracht hat, der Verdächtige ist ohnehin tot.
Finale
Zum Ausgleich wird ein Drogenring ausgehoben. So war das in den 1990ern. Man glaubte noch irgendwie an den guten Zweck. In Berlin erhalten heute die Straßendealer nummerierte Standplätze, obwohl das Drogen verkaufen immer noch nicht legal ist. Aber an die Hintermänner herankommen? Oh je? Schon bei dem Gedanken an die Konfrontation schlottern der Polizei, die so gerne linke Demonstrationen aktiv begleitet, die Knie. Die Drogendezernate könnte man in Großstädten eigentlich auflösen und endlich dafür sorgen, dass von Gras bis Koks alles in der Apotheke verkauft werden darf. OHne Rezept natürlich. Das käme den Konsumenten sehr zugute, weil bessere Qualität zu geringeren Preisen zu erwarten wäre und die Polizei sich mehr um den geparkten Wildwuchs kümmern könnte. Oder vielleicht bei DM oder Rossmann. Ich hatte mich neulich erst über die Apothekenpreise geärgert, als ich dort Baldrian erstanden habe, der mich in die Lage versetzen sollte, Tatorte wie „Herz As“ ohne Nervenflattern durchzustehen. Ich meine jenes Nervenflattern, das nicht durch mörderische Spannung, sondern durch nervende Qualitätsmängel verursacht wird. Normalerweise vergeben wir beim Wahlberliner immer noch sehr selten weniger als 5/10, wenn nicht besondere, zum Beispiel poilitische Gründe vorliegen, aber in diesem Fall häufen sich die weniger besonderen Gründe doch sehr.
4,5/10
© 2020 Der Wahlberliner, Thomas Hocke