Filmfest 316 A
In Westdeutschland galt „An American in Paris“ als das amerikanische Musical schlechthin und hat vielleicht ebenso zur Übernahme der US-Kultur beigetragen wie Coca Cola und der Kaugummi. Keine Frage, die Shownummern sind famos und die besten, die es bis dahin gegeben hat. Das Amercian-in-Paris-Ballett ist ein Traum. Aber es kommt nichts von nicht, schon gar nicht bei MGM. In Filmen wie „Till Clouds Roll by“, die nichts anderes waren als herausragend inszenierte Nummernrevuen war die Tendenz zu solchen „Extravganzen“ bereits angelegt und sie finden sich z. B. auch in „Singin‘ in the Rain“, der für mich insgesamt der bessere Film ist
Doch das ca. 10-minütige Ballett nach der Musik von Georges Gershwin wurde in einem Musikfilm nicht wieder getoppt. Insofern ist dieser Film das Musical, aber er ist gar nicht so typisch, anders als der getanzte Revuefilm der 1930er oder die Leinwandoperretten der späteren 1950er („Oklahoma!“, „Carousel“, „Gigi“, die ihre Höhepunkte sogar in den 1960ern fanden („Mary Poppins“, „My Fair Lady“, „The World of Music“) und selbstverständlich auch gut choreografierte Tanzszenen beinhalteten, aber eher von den handlungstragenden Songs dominiert waren. Die vom Stepptanz bestimmte Version aber war nach dem Misserfolg von „Always Fair Weather“ vorbei und Gene Kelly und sogar Fred Astaire wandten sich mehr der Schauspielerei im Fach Drama oder Komödie zu und reduzierten die Zahl ihrer Auftritte auf der Leinwand.
Wir werden noch eine neuere Rezension zu „Ein Amerikaner in Paris“ vorstellen, eines ist dabei sicher: Zu einer Sonderwertung wie „11 von 10“ wird es dabei nicht mehr kommen. Diese herausragende Stellung hat der Film nicht, das macht die inhaltliche Betrachtung deutlich. Ich finde es manchmal schade, dass mich diese Filme mit ihrem großartigen Style nicht mehr so uneingeschränkt verzaubern können wie in der Zeit, als sie viel dazu beigetragen hatten, dass ich einen erweiterten Zugang zum Medium Film gewinnen konnte. Aber man kann sie immer noch genießen, besonders, wenn man synästhetisch veranlagt ist. Und man ist damit in guter Gesellschaft: Auf Rotten Tomatoes liegt der Kritikerscore bei 96 Prozent positiven Meinungen, der Metascore der US-Kritiker weist 83 Prozent aus. Es ist, erstaunlich, bei einem Publikumsfilm wie diesem, ebenjenes Publikum, das etwas zurückhaltender geworden ist. Auch die Paris-Atmosphäre, das hätte mir nach zwei Paris-Aufenthalten, die ich 1989 bereits hinter mir hatte, auffallen dürfen, spiegelt eine sehr amerikanisierte Version dieser Stadt.
Mit diesem Film gehen wir auch endgültig in den Weihnachtsmodus über, denn das sind diese Träume aus der Traumfabrik natürlich auch. Wunderbare Festtagsperlen.
© 2020, 1989 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie | Vincente Minnelli |
Drehbuch | Alan Jay Lerner |
Produktion | Arthur Freed |
Musik | Saul Chaplin George Gershwin |
Kamera | Alfred Gilks John Alton |
Schnitt | Adrienne Fazan |
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