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Für alle Volkswirtschaften wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung für das Jahr 2020 erwartet. Ähnlich wie zuletzt im Finanzkrisenjahr 2009.
Deutschland lag damals mit über 5 Prozent im Minus gegenüber dem Vorjahr, brauchte allerdings nur zwei Jahre, um den Vorkrisenstand zu übertreffen – der allerdings nach einem relativ niedrigen Wirtschaftswachstum in den 2000ern erzielt wurde. Quantitatives Wachstum ist außerdem nicht alles, schon gar nicht in Zeiten, in denen die Wirtschaft vor allem eines werden muss: nachhaltiger.
Gilt der für 2020 zu erwartende Rückgang wirklich für alle?
Es gibt eine sehr auffällige Ausnahme und die heißt China. Das Land, in dem das Corona-Virus ursprünglich ausgebrochen war, kommt offensichtlich bei weitem besser durch die Krise als alle anderen und wird 2020 sogar mit einem Gesamtplus abgeschnitten haben, wenn sich die hier präsentierten Zahlen bestätigen:

„Chinas Wirtschaft ist im 4. Quartal 2020 auf Vor-Pandemie-Niveau gewachsen. Auch bezogen auf das Gesamtjahr befindet sich das Reich der Mitte mit 2,3 Prozent BIP-Wachstum im grünen Bereich. Verantwortlich hierfür ist laut chinesischer Statistikbehörde die „starken Führung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei mit dem Genossen Xi Jinping in deren Zentrum“. Das stimmt sicher mindestens insofern, dass die positive Entwicklung laut tagesschau.de mit einer hohen Neuverschuldung zugunsten großer Infrastrukturprojekte erkauft wurde. „Schaut man sich Chinas Wirtschaftszahlen genauer an, werden die Probleme deutlich: So hat sich der Binnenkonsum 2020 in China unterdurchschnittlich entwickelt“, heißt es in der Erklärung zur obenstehenden Grafik und im oben erwähnten ARD-Beitrag wird wie folgt erläutert:
Um der Wirtschaft zu helfen, machte Chinas Staats- und Parteiführung massiv neue Schulden und steckte sie in Infrastrukturprojekte: Überall in China werden dieser Tage neue Straßen, Flughäfen, Brücken, U-Bahnen und Kohlekraftwerke gebaut. Schaut man sich Chinas Wirtschaftszahlen genauer an, werden die Probleme deutlich: So hat sich der Binnenkonsum 2020 in China unterdurchschnittlich entwickelt. Sorgen bereitet vielen Expertinnen und Experten auch die enorme Schuldenlast staatlicher Unternehmen in China.
Schulden ohne Reue für die Superreichen aller Länder
Das liest sich alles, als seien in anderen Wirtschaftsräumen, die vor Corona bereits höher verschuldet waren als China, nicht ebenfalls enorme Krisen-Hilfspakete geschnürt worden, wenn auch auf die fantasielose Art: Die Unternehmen, denen es teilweise noch immer gut geht und deren Eigentümer während der Coronakrise keineswegs Vermögensrückgänge zu beklagen haben, werden unterstützt, während in die staatliche Infrastruktur nach wie vor zu wenig investiert wird. Jedenfalls macht sich derzeit niemand ernsthaft Gedanken darüber, wie die entstehenden Schuldenberge abzutragen sein werden. Im Notfall durch Währungsschnitte – und wer wird durch solche Maßnahmen wohl bevorzugt werden? Die Eigentümer von Immobilien und Produktivkapital natürlich. In China verschwindet ab und zu auch mal ein Milliardär, denn die Maxime lautet: Niemand darf die Macht der Partei herausfordern. Trotzdem ist China mittlerweile ein hochkapitalistisches Land. Die meisten neuen Milliardäre der letzten Jahre kommen von dort und es ist nur eine Frage der Zeit, bis mehr davon sich in ganz vorne in den Vermögenslisten finden werden (derzeit ist es nur eine von zehn dort gelisteten Personen). Und wovon rührt deren Reichtum wohl? Genau, von Spekulation und Ausbeutung, genau wie bei vielen anderen Superreichen auf der Welt.
China ist kapitalistisch und gleichzeitig eine Einparteiendiktatur, die in der Coronakrise ihren Vorsprung gegenüber anderen Volkswirtschaften beschleunigt ausbaut.
Verschwörungstheoretiker*innen hier, die behaupten, China habe das Virus absichtlich in die Welt gesetzt, um ebenjenen Beschleunigungseffekt zu erzielen? Nein? Komisch. Ausgerechnet da, wo es gar nicht so abwegig wäre, will niemand an eine Verschwörung glauben. Aber die Verschwörungstheorie muss natürlich auch zur selbstgebastelten Ideologie passen und das tut sie nicht, wenn es um China geht, das von Kommunisten immer noch als Vorbild angesehen wird und dessen Seidenstraßenprojekte nicht als das erkannt werden, was sie sind: Adern, durch die chinesisches Denken in demokratische Ländern fließen soll. Es ist der Führung dort schon lange ein Dorn im Auge, dass ihre Menschenrechtspolitik allgemein nicht begrüßt wird und jetzt ist die Zeit gekommen, die wirtschaftliche Macht auszuspielen, um diese Kritik zum Verstummen zu bringen. Insofern kam Corona wirklich gerade recht, denn anders als in einem Überwachungsstaat wie China haben die Demokratien derzeit Schwierigkeiten, die Bevölkerung ruhig zu halten und alle möglichen Betisen nehmen ihren Lauf.
Selbstverständlich gibt es auch jene, die eine autoritäre Regierung sehr wohl bevorzugen würden, aber ein roter Deckmantel ist ja so viel schicker als dieses olle Braun. Der Zustand unserer lobbygetränkten und auf immer mehr Ungleichheit aufgebauten Demokratie ist in der Tat beklagenswert, aber deswegen sollten wir nicht auf das schmale Brett kommen, uns chinesische Verhältnisse zu wünschen, wenn uns an unserem ach so gepflegten Individualismus etwas liegt. Aber auch dann nicht, wenn uns an echter Demokratie, an mehr Partizipation, weniger Herrschaftsmacht etwas liegt. In China hat die Partei immer recht. Einige allzu freie bzw. abweichende Denker bei uns würden sich wundern, wie schnell sie selbst zu spüren bekommen würden, dass die Partei nicht mit sich spaßen lässt und kein Abdrehen in das, was die Partei selbst als schädlich für die Gemeinschaft definiert, zulassen würde.
Ein solcher Kommentar zu einem simpel klingenden Wirtschaftsfakt ist geradezu Pflicht.
Ich hatte diese Sonderentwicklung in China mindestens für möglich gehalten, und sie passt leider nur allzu gut in das Bild, das dort wirklich alles getan wird, um den wirtschaftlichen Einfluss weltweit auszudehnen. Von der neuen US-Führung ein Gegenhalten zu erwarten, könnte sich jedoch als ein weiterer Einschätzungsfehler erweisen, denn mehr als Trump kann man nicht versuchen, die Tendenz der Kolonisierung anderer Weltregionen (bei ihm natürlich vor allem die USA, die Verbündeten waren ihm eher egal) durch Chinas Wirtschaftsmacht zu bremsen. Ob die Mittel und der Stil tauglich waren, ist eine Frage, die man sich genauer anschauen muss, vor allem, wenn es um die Langfristbetrachtung geht.
Wir werden es auch 2021 sehen: China wird stärker wachsen als andere Volkswirtschaften, obwohl diese ja erst einmal den Einbruch von 2020 wieder aufholen müssen, den China gar nicht hatte. Denn auch in China wird es zu einem Nachholeffekt kommen, wie diese Grafik verdeutlicht: BIP in China – Wirtschaftswachstum bis 2025 | Statista. Sie enthält desweiteren eine Prognose, die bis zum Jahr 2025 reicht.
Als der „erste“ Wahlberliner 2011 ins Netz ging, war der Aufstieg Chinas und was daraus folgen könnte, eines unserer bevorzugten Wirtschaftsthemen und wir haben damals schon vor jener Entwicklung gewarnt, die mittlerweile kaum noch zu übersehen ist. Damals wäre aber noch Zeit gewesen, sich klug und vereint dagegenzustellen. Jetzt wird es wohl nur noch mit scharfer, vermutlich wieder kleinteilig organisierter Protektion möglich sein, den weiteren chinesischen Durchgriff zu verhindern.
Die Desintegration der Weltwirtschaft, die eine solche Strategie mit sich bringen würde, hätte nicht nur Nachteile
Doch sie hätte viele Nachteile, wenn sie nur als Abwehrmaßnahme gegen das Wirtschaftsimperium Nummer eins und nicht z. B. zur Förderung nachhaltiger regionaler Strukturen auf den Weg gebracht würde. Außerdem ist nicht gesagt, dass nicht auch 2021 die europäischen Volkswirtschaften noch einmal schrumpfen werden, während es in China offensichtlich nie zu einer größeren Anzahl von Corona-Neuinfektionen kommt. Es wird sehr spannend werden, mit welcher Geschwindigkeit der Bedeutungsverlust des Westens und der Demokratie als Staatsform sich in nächster Zeit vollziehen wird. Die Tatsache als solche steht ohnehin fest.
TH