Traum meines Lebens (Summertime, USA 1955) #Filmfest 405

Filmfest 405 Cinema

Venedig verkehrt

Traum meines Lebens (OT: Summertime) ist ein britischUS-amerikanisches Liebesdrama des Regisseurs David Lean aus dem Jahr 1955. Es ist eine Verfilmung des Bühnenstücks The Time of the Cuckoo von Arthur Laurents.

Zuletzt habe ich über „Reise nach Indien“, David Leans letzten Film, berichtet und dabei seine Ausnahmestellung als Regisseur herausgehoben. Das wiederhole ich hier nicht, so bleibt mehr Raum für die andere wichtige Person dieses Films: Katharine Hepburn. Als Lean und Hepburn für diesen Film aufeinander trafen, hatte Hepburn einen Hauptdarstellerinnen-Oscar gewonnen, die beiden Auszeichnungen von David Lean lagen noch vor ihm, für Hepburn sollten drei weitere Hauptrollen-Oscars folgen, der Rekord bis heute. Beide wurden für ihre Leistungen in „Summertime“, wie der Film im Original heißt, allerdings für den Oscar nominiert. Es ist schon ein Ereignis, einen Film aus den 1950ern mit so viel Talent zum ersten Mal zu sehen, das kommt bei mir nicht mehr so häufig vor. Außerdem sind es nicht einfach die 1950er, sondern das Jahr 1955, dessen Filme noch immer eine besondere Faszination auf mich ausüben, wohl auch deswegen, weil ich viele davon bereits in meiner Jugend im TV gesehen habe. Wie viel davon bei einem Film, den ich vor vier Jahren zwecks Rezension erstmals angeschaut habe? Es steht in der -> Rezension.

Handlung (1)

Jane Hudson, eine alleinstehende Frau mittleren Alters aus Ohio, erfüllt sich ihren Lebenstraum und reist nach Venedig. In Signora Fiorinis Pension muss sie feststellen, dass die anderen Gäste alle zu zweit hier sind und ihre Tage mit Touren durch die Stadt und Baden am Strand verbringen. Da sind beispielsweise die jungen Künstler Eddie und Phyl, die heftig ineinander verliebt zu sein scheinen; oder das schon zur Karikatur gewordene reiche amerikanische Touristen-Ehepaar, Herr und Frau Lloyd McIlhenny, die Jane ständig mit Ratschlägen überschütten.

Es dauert nicht lange, bis Jane ein Gefühl der Einsamkeit beschleicht. Bei einem ihrer Streifzüge durch die Stadt lernt sie schließlich den Straßenjungen Mauro kennen und freundet sich mit ihm an. Als sie auf dem Markusplatz ein Straßencafé besucht, merkt sie, wie sie von einem Herrn am Nebentisch beobachtet wird. Sie tut aber so, als merke sie nichts davon.

Am nächsten Tag steht Jane vor dem Schaufenster des Antiquitätengeschäfts «Renato de Rossi», wo ihr ein besonders schöner Kelch ins Auge sticht. Kaum hat sie den Laden betreten, erkennt sie in dem Inhaber jenen Italiener wieder, der sie gestern auf dem Markusplatz so aufmerksam gemustert hatte. Die beiden werden sich rasch handelseinig, und zum Schluss bittet Jane den Händler, ihr noch ein zweites Stück zu beschaffen. Renato de Rossi sichert ihr zu, es persönlich in die Pension zu bringen.

Tags darauf passiert Jane beim Fotografieren ein Missgeschick: Sie stürzt rücklings in den vorbeifließenden Kanal. Nachdem Renato von Janes Unfall erfahren hat, eilt er sofort zur Pension, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Dabei verabreden sich die zwei zu einem gemeinsamen Abendessen. Dieses genießen sie in vollen Zügen.

Wieder einen Tag später wartet Jane am vereinbarten Platz sehnsuchtsvoll auf ihren Verehrer. Stattdessen kommt jedoch Vito an ihren Tisch, ein Junge, den sie schon in Renatos Laden gesehen und für seinen Neffen gehalten hat. Von ihm muss sie erfahren, dass dessen Vater aus verschiedenen Gründen nicht kommen könne. Nun dämmert es Jane, dass Renato verheiratet ist. (…)

2021-02-06 Filmfest Cinema 2021Rezension (1)

Ich schrieb in der Kritik zu „Reise nach Indien“, dass man das Talent eines Regisseurs wie David Lean an den kleineren Filmen manchmal besser erkennt als an den großen, die mit entsprechendem Aufwand gedreht wurden und von ihren Schauwerten profitieren. Letzteres tut allerdings auch der nur 100 Minuten lange „Summertime“, denn so schön ist Venedig selten zuvor fürs Kino abgelichtet worden. Und das war in den 1950ern, also es noch keine Billigflieger gab, ein Wert für sich, dafür konnte man ins Kino gehen.

Obwohl der Film auf einem erfolgreichen Bühnenstück basiert, hätte man das für die Handlung allein nicht tun müssen, denn diese ist alles andere als spektakulär. Selten habe ich einen Film mit weniger Wendungen und Drama gesehen. Und ich muss gestehen, dass es während der Kennenlernphase von Jane und Renato Phasen gab, in denen ich mir mehr Tempo gewünscht hätte. Ich mag reflexive Filme sehr gerne, wenn sie von interessanten Charakteren leben, und diese Jane in all ihrer Durchschnittlichkeit ist interessant. Das Hin und Her war es wohl, das mich etwas aus dem Takt gebracht hat. Dabei ist es ja die Essenz des Films. Dass man nie erfährt, ob Renatos Angaben über die Trennung von seiner Frau stimmen oder ob der rote Pokal, den Jane bei ihm entsteht, wirklich antik ist. Dies lässt seinen Charakter immer ein wenig im Zwielicht verweilen, und zumindest im Fach Melodram ist es unüblich, die Zweifel, die durchaus bestehen können, nicht am Ende aufzulösen. Das ist vielleicht sogar wichtiger als das Happy End, das es in David Leans Filmen ohnehin selten gibt.

Hingegen hat mich die lange Exposition nicht gestört, ich hätte ewig zuschauen können, wie Jane Hudson Venedig entdeckt und Lean immer wieder herrliche Schauplätze und Details findet, um seine Hauptfigur in den Zauber der Stadt hineinzuziehen. Abgesehen davon, dass alles den Italian Touch hat, ist die Liebesgeschichte als solche aber doch recht konventionell und man muss David Lean sein und eine Katherine Hepburn haben, um daraus eine solche Studie wie „Summertime“ über eine Frau zwischen 40 und 50 Jahren machen zu können, die plötzlich etwas erlebt, was ihr bisher ganz offensichtlich verwehrt war und sich am Ende nicht traut, den ganzen Weg zu gehen.

Zu Recht, war mein Gefühl, und war auf ihrer Seite, als sie abfährt. Vor zwanzig Jahren wäre ich vielleicht enttäuscht gewesen, dass es nicht das für solche Filme beinahe obligatorische Happy-End gibt und natürlich ist es in unserem trotz HIV-Gefahr permissiven Zeitalter auch schwierig, sich in eine Figur wie Jane hineinzuversetzen, die ihre vielleicht letzte und einzige Chance auf die große Liebe mit ein paar Tagen des großen Glücks für auserzählt hält. Dank der äußerst stimmigen Figuren glaubt man jedoch an diesen Ausgang und zumindest heute sträube ich mich nicht mehr dagegen, dass Jane nicht die Stiefmutter der Kinder von Renato wird. Das alles ist doch fremd und vage und zumindest altersmäßig kann ich mich wiederum gut in Hudson hineinversetzen. Dass sie wohl niemals eine wagemutige, sondern eher misstrauische Person war, erklärt der Film ebenfalls so, dass es psychologisch nachvollziehbar ist.

Auch hier sind es wieder die Szenenwechsel und Dialoge, die für Spannung sorgen, wie in vielen Lean-Filmen. Was wir sehen, wirkt für die 1950er mit ihren oft schönen und sentimentalen, aber auch konventionell gefilmten Romanzen sehr fortschrittlich und lässt den Zuschauer selten ins Gleichmaß kommen. Die Aufwühlung der Jane Hudson in Venedig lässt sich sehr gut nachvollziehen, denn auch auf mich, gemessen an dem, was andere Filme zeigen oder gar an Alltagsdialogen, wirkt das alles gleichermaßen authentisch wie besonders. Es ist eine erdachte Welt, das spürt man schon, außerdem natürlich ein verfilmtes Bühnenstück, und ein solches Stück, in dem die Kamera nicht zwischen den schönsten Schauplätzen dieser besonderen Stadt hin- und herwandern kann, muss von den Dialogen und den durch sie geformten Charakteren leben.

Aber aus solchen Kunstdialogen etwas der Wahrheit sehr Nahes entstehen zu lassen, ist tatsächlich Kunst und so beobachtet man den Film immer mit der Haltung, dass eine neue Szene etwas Überraschendes im Kleinen bieten kann – wie der Rückwärtsfall von Jane in den Kanal, den die Hepburn selbst ausgeführt und wobei sie sich eine dauerhafte Bindehautentzündung zugezogen hat. Für mich war das allerdings einer der wenigen Momente, die ich nicht so gelungen fand. Natürlich ist dieser Kontrollverlust symbolisch gemeint, aber passiert so etwas einer Person wie dieser? Jedenfalls hat sie in keiner Szene zuvor ihre Kamera so bedient, dass dabei eine Fahrt mit dem Dolly simuliert wird.

Wenn man das weiterspinnt, kann man natürlich eine konzeptionelle Szene entdecken, denn auch, dass sie plötzlich so aus der Bewegung heraus filmen will, ist ja ein Hinweis darauf, wie diese Stadt in Bewegung von ihr Besitz ergreift. Nach dem Fall in den Kanal kann es bis zum zwischenmenschlichen Abenteuer nicht mehr lange dauern. Auch hier übrigens wieder diese fantastischen Einfälle, die ganz filmisch sind: Der Auflauf von Menschen, die Jane aus dem Kanal helfen oder dabei zusehen, wie ihr geholfen wird und dann der Mann, der es ihr nachmacht. Das dürfte so kaum in der Bühnenvorlage zu finden sein, trägt aber enorm zur Lebendigkeit des Films bei. Das Bühnenstück selbst dürfte als Dreiakter angelegt sein, darauf deutet die Struktur der Filmumsetzung hin.

Dass Katharine Hepburn, die den Film trägt, eine große Schauspielerin ist, steht außer Frage, aber bis in die 1940er hat sie vor allem forsche Typen verkörpert, die ihrem eigenen Charakter sehr nahe kamen – die Wandlung kam wohl mit „The African Queen“ (1951), wo sie erstmals eine Jungfer mittleren Alters spielt und in der Folge tat sie das oft, mit unterschiedlicher Rollenakzentuierung, aber wohl selten so verletzlich wie in „Summertime“, der denn auch mehr eine Charakterstudie über eine Frau in einer besonderen Situation als eine typische Romanze ist.

Ihre Jane ist sehr ladylike, aber nicht weltläufig, wie Hepburn selbst, sondern eine edle Variante der Durchschnittsamerikanerin, die gerade durch ihre auffällige Optik authentisch in der Lage ist, diesen Gentleman-Italiener Renato zu reizen, der vielleicht im Allgemeinen eher dazu neigt, seine Aufmerksamkeit etwas jüngeren Frauen zu schenken. Was die Filme jener Zeit immer etwas unwirklich erscheinen lässt, ist, wie sehr eben diese Leute doch optisch veredelt sind und dass eine alternde Sekretärin in ihren kleinen Koffern für jeden Tag ein neues Modellkleid hat, eines schöner als das andere. Natürlich können die 1950er nichts dafür, dass sie modemäßig der heutigen Zeit haushoch überlegen waren und man diese in Stoff ausgedrückte Sehnsucht nach Ästhetik und Anmut heute als etwas empfindet, das ebenso traumhaft erscheint wie das Abenteuer von Jane Hudson. Es ist ja auch alles nur ein bisschen schicker als in der Wirklichkeit der meisten Menschen auch in den USA, nicht komplett anders. Und es passt einfach perfekt zu den Farben der Stadt und lebt in dieser alten, stets und bis heute gegen den Untergang und Zerfall kämpfenden Pracht.

Finale

„Traum meines Lebens“ ist schon vom Titel her ein altmodischer Film, allerdings trifft das nicht auf das Original zu, das auch auf den Titel des schönsten Liedes aus „Porgy and Bess“ und damit eines der schönsten Songs überhaupt anspielt. Überhaupt ist der Film sehr stark von Musik unterlegt, noch  mehr und noch gefühliger als damals üblich, und das heizt die besondere Stimmung natürlich weiter an – ich glaube, man muss über einen mindestens in Maßen geübten Blick verfügen, um das Besondere, das Vage und Herausgespielte des Films genießen zu können. Dieses Zusammenspiel aus gelungenen visuellen und sprachlichen Aspekten machen ihn immer noch zu einem Sehgenuss und Katharine Hepburn spielt jede ihrer Rollen so, dass man sich von ihr  mitnehmen lassen kann.

75/100

© 2021, 2017 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) und kursiv: Wikipedia

Regie David Lean
Drehbuch H. E. Bates,
David Lean
Produktion Ilya Lopert
Musik Alessandro Cicognini
Kamera Jack Hildyard
Schnitt Peter Taylor
Besetzung

 

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