Der Schweigsame – Polizeiruf 110 Episode 74 #Crimetime 954 #Polizeiruf #Polizeiruf 110 #Berlin #Bergmann #Hübner #DDR #schweigsam #Schweigen

Crimetime 954 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD

Schweigen ist nicht immer Gold

Mit Filmen aus den frühen 1980ern schließen wir jetzt die Lücke, die verblieben ist – die Polizeirufe der DDR-Zeit betreffend. Wie schon bei den Filmen aus der zweiten Hälfte der 1970er treffen wir dabei häufig auf Regisseur Peter Vogel, der auch nach der Wende weiter fürs Fernsehen gearbeitet hat. In vieler Hinsicht ist „Der Schweigsame“ eine Variation von Filmen, die man aus dem ersten Jahrzehnt der ostdeutschen Premium-Krimireihe kennt, aber trifft das auf alle Komponenten zu? Wir machen uns darüber Gedanken in der -> Rezension.

Handlung 

Oberleutnant Jürgen Hübner und Oberleutnant Manfred Bergmann werden mit einem Einbruch in ein Warenlager konfrontiert, bei dem drei wertvolle Import-Elektrogeräte gestohlen wurden. Im Fluchtwagen finden sich verschiedene Spuren, die auf eine Gruppe jugendlicher Täter schließen lassen. Sie stehen in Verbindung zu Arnold Feldmann, genannt „Nolle“. Der ist den Ermittlern kein Unbekannter, da er vor kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen worden ist.

Nolle steht eines Tages vor der Tür von Udo Walter, mit dem er im Gefängnis Kontakt geschlossen hatte. Udo hat sich ein neues Leben aufgebaut und wohnt mit Marlies Rambach und ihrer Tochter Anja zusammen. Marlies und er wollen heiraten, doch weiß sie nichts von Udos Vergangenheit. Udo steht in Nolles Schuld: Nach der Verurteilung Udos starb seine Mutter. Er hatte kein Geld für die Beerdigung, sodass Nolle für die Kosten aufkam. Nun will Nolle sein Geld wieder, – immerhin 2.000 Mark – doch hat Udo nur 500 Mark. Er versucht vergeblich, sich bei Marlies oder Dispatcher Karl Geld zu borgen. Nolle bietet ihm ein Geschäft an: Der bei der Firma Auto Trans Berlin tätige Kraftfahrer Udo soll für ihn Ware bei sowieso fälligen Touren „schwarz“ transportieren. Für jeden Transport erlässt Nolle ihm 100 Mark der Schulden. Ungern übernimmt Udo eine Tour, zumal Nolle ihm droht, Marlies seine Vergangenheit offenzulegen.

Marlies hätte die 2.000 Mark, um Udos Schulden zu begleichen, doch hat sie das Geld für ihre Tochter zurückgelegt und will es nicht anrühren. Als Nolle Udo eine Frist von 24 Stunden setzt, um das Geld zurückzuzahlen, versucht Udo ein letztes Mal mit Marlies zu reden, doch ist sie betrunken von einer Betriebsfeier nach Hause gekommen und vertröstet ihn. Am nächsten Tag stellt Marlies in der Schwimmhalle fest, dass ihr Scheckbuch und Ausweis fehlen. Sie zeigt den Diebstahl bei der Polizei an. Udo zahlt Nolle unterdessen seine Schulden zurück, doch dem geht es nicht ums Geld. Er will mit dem schweigsamen Udo einen großen Coup landen und eine Bank ausrauben. Erneut erpresst er Udo damit, alles Marlies zu erzählen. Udo kehrt nun zu Marlies heim, gesteht ihr, das Geld gestohlen zu haben und früher im Gefängnis gewesen zu sein. Anschließend geht Udo, und Marlies reagiert verzweifelt. Sie zeigt alles bei der Polizei an und eine Fahndung nach Udo wird eingeleitet. Auch nach Nolle suchen die Ermittler, können sie nun doch die Verbindung zum Transport der gestohlenen Waren herleiten: Nolle muss Udo zum Transport der gestohlenen Elektrogeräte gebracht haben.

Udos Lastwagen wird an der Ostsee gesichtet. Marlies fährt mit den Ermittlern hin und würde gerne alles rückgängig machen. An der Ostsee will Nolle mit Udos Hilfe eine Bank überfallen. Udo jedoch fährt im entscheidenden Moment nicht zur Bank, sondern will Nolle auf der nächsten Polizeiwache abgeben. In dem Moment wird der Lastwagen von den Ermittlern gestellt. Nolle wird festgenommen. Auch Udo muss die Ermittler begleiten, nachdem er und Marlies sich eine Zeitlang schweigend gegenübergestanden haben.

Rezension

Der Mann, der aus dem Gefängnis kommt. Der es schafft oder auch nicht, sauber zu bleiben. Geprüft wird er von Typen aus der Vergangenheit, die bei ihm auftauchen und ihn wieder in schmutzige Geschäfte hineinziehen wollen. Klappt die Resozialisierung oder nicht? Und wenn ja und wenn nein, warum oder warum nicht? Damit befassen sich viele Polizeirufe der Vorwendezeit und die Plots unterscheiden sich nur in Details voneinander. Das gilt für die Handlung, nicht für den Stil, denn bei Letzterem gibt es durchaus größere Abweichungen, der sich auch auf die Figurenzeichnung auswirkt – und die Haltung. Die Haltung ist auch unterschiedlich. Einige Regisseure und Drehbuchautoren gehen kein Risiko und halten sich detailliert an den Staatsauftrag, bleiben dabei ernst und manchmal ziemlich trocken. Zu den anderen zählt Peter Vogel. Da sind immer subversive Elemente zu bemerken, wenn er einen Film inszeniert.

Ein Loch im Zaun, das den Einstieg in eine Lagerhalle erleichtert? Blame it to the big Plan, die Norm ist so hoch, dass die Baustellenfahrzeugfahrer schon mal in Hektik geraten und eine Befriedung demolieren. Wo in anderen Filmen meist fünfstellige Summen aufgerufen sind, machmal auch mehr, wird im 74. Polizeiruf das Verhängnis aufgrund lächerlicher 2.000 Mark seinen Lauf nehmen. Die Polizei ermittelt, aber kommentiert nicht. Dass man ihr mehr vertrauen muss, wird von einem Teenager ausgedrückt, der intuitiv das Richtige denkt, aber über die Praxis noch nicht Bescheid weiß. Damit ist formal das, was wichtig ist, erzählt, aber auf eine Weise, dass man merkt, die Sache ist in Wirklichkeit viel komplizierter.

Sehr präzise wird außerdem mangelndes Vertrauen auch in anderer Richtung kritisiert. Trucker Udo ist nur erpressbar, weil er befürchtet, seine jetzige Frau könnte entweichen, wenn sie erfährt, dass er im Gefängnis war. Seine gegenwärtige Beziehung ist auf Sand gebaut, weil sie diesen wichtigen Umstand nicht kennt. Der Grund, warum Udo 2.000 Mark gebraucht hat, ist doch sehr ehrenwert, er wollte seiner Mutter ein würdiges Begräbnis verschaffen und einen schicken Marmorstein für sie aufstellen. Wir dachten während des Anschauens des Films mehrfach: Oh Mann, es muss ausgesprochen werden! Dann wäre aller Druck weg. Aber Fassaden sind nun mal ein wichtiges Thema, und Marlies, die Frau, mit welcher Udo seine Zukunft gestalten möchte, wirkt auch ein wenig emotional-flatterhaft. Vielleicht befürchtet er, dass sie bei einer feucht-fröhlichen Party zu viel plaudert, dann wissen es die Kolleg*innen und man fühlt sich unwohl in seinem neuen Setting. Der Alkohol mal wieder. Man kann sicht nicht auf Menschen verlassen, die ab und zu so blau sind, dass ihnen Dinge durchrutschen könnten.

Für den Schweigsamen eine schwierige Situation. Und da lässt er sich darauf ein, den Transporteur für Diebesgut zu machen. Allerdings hat man bei Peter Vogel nicht selten das Gefühl, dass er absichtlich überzieht. Vielleicht war es so: Wenn ihn jemand von der Zensurstelle fragte, ob er vielleicht bei der Zeichnung seiner Figuren ein bisschen ins Verrückte tendiert, wird er geantwortet haben: Was glauben Sie, warum ich Vogel heiße? Typen wie „Nolle“ Feldmann sind jedenfalls in der DDR mit ziemlicher Sicherheit eher selten gewesen. So übertrieben verschlagen und so offensichtlich ein Filou, das ist eben Film, die Kleidung, das pomadige Haar, der Auftritt zwischen Prahlerei und anderen drohen, Stil, Mimik … der Gewohnheitsverbrecher, wie ihn sich der brave Bürger vorstellt.

Hingegen wirkt die Polizei in diese Film besonders brav. Oberleutnant Bergmann entwickelt kaum eigene Persönlichkeit und Oberleutnant Hübner wirkt generell sanfter als der abwesende Kollege Fuchs. Die beiden Wackeren von der K der Vopo kombinieren sich dem hinterher, was der Zuschauer ohnehin weiß, weil der FIlm nicht als Whodunit angelegt ist, sondern als eine Mischung aus „Wie entwickelt sich das neue Verbrechen“ und „Wie kriegt man die Verbrecher (bevor Schlimmeres passiert)?“, also einem Howcatchem. Auch Udo Walter wird wohl wieder einfahren, da hilft es nichts, dass er auf dem Weg zur Polizei war. Zu spät, zu spät, die Reue ist außerdem nicht beweisbar, so, wie sich die Dinge am Schluss ergeben.

Was die Filme von Peter Vogel mehr oder weniger stark auszeichnet, ist der kräftige Pinselstrich der Figuren, unterstützt durch freiere Dialoge als in manch anderem Polizeiruf. In „Der Schweigsame“ sind besonders die Frauen recht offensiv und ein bisschen zotig unterwegs und es ist alles ein bisschen frecher. So muss man wohl Filme inszenieren, die – siehe oben – Bekanntes nur leicht abwandeln, man muss die Figuren so interessant machen, dass auch der Film im Ganzen interessant ist und nicht wie ein Aufguss wirkt. Und wenn es dadurch passiert, dass ein bisschen mit den Grenzen der Glaubwürdigkeit gespielt wird. Sicher, wir schauen derzeit Filme aus fast 50 Jahren Polizeirufgeschichte mit einer so hohen Frequenz, dass uns das Schematische mehr auffallen dürfte als Zuschauern, die damals pro Jahr 10 bis 12 neue Krimis vorgeführt bekamen – auch heute hält die Reihe etwa diese Abstände bei den Premieren, neue Tatorte kommen mindestens dreimal häufiger.

Finale

Trotz der lebendigen Inszenierung ist „Der Schweigsame“ kein herausragender Film, dazu fehlt der Pfiff in der Handlung, das Überraschende. Es ist schon spannend, ob Uwe es nun schafft oder nicht, aber in dem Moment, wo er sich auf das Ansinnen von „Nolle“ einlässt, weiß man, da ist wenig zu machen. Ein bisschen frauenfeindlich fanden wir das Werk auch, denn es wirkt, als sei das nicht nur ein Selbstgespräch, als Marlies sich des Fehlverhaltens gegenüber ihrem Fernfahrer bezichtigt. Nur das junge Mädchen, das noch unschuldig wirkt, nimmt den Mann vorbehaltlos an, obwohl sie immer die wichtigen Gespräche zwischen der älteren Generation belauscht. Sie hat wohl noch die Intuition und die Fantasie, sich die Dinge so vorzustellen, wie sie sind und keine Angst davor, ihr Erspartes zu verlieren.

Jung und und unschuldig oder unverdorben. Es gibt aber auch Erwachsene, die geradezu programmatisch vorurteilsfrei an alles herangehen – und dann nicht selten  Fehler begehen, weil ihnen diese Sicherheit, diese Intuition nicht oder nicht mehr gegeben ist, die sie zielsicher unterscheiden lässt, wem sie vertrauen dürfen und wem nicht. Ob das eine Form von Systemkritik ist, dass die Menschen so rüpelhaft und kleingeistig sind? Es fällt jedenfalls in den DDR-Polizeirufen auf, dass man das Arbeiter*innen-Dasein als eine manchmal recht karge und wenig kulturell aufgewertete Angelegenheit dargeboten bekommt. Bei Peter Vogel ist immerhin eine gewisse Lust an der Exploitation zu erkennen.

7/10

©2021 (Entwurf 2020) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Peter Vogel
Drehbuch Otto Bonhoff
Produktion Ingeborg Trenkler
Musik Hermann Anders
Kamera Bernd Sperberg
Schnitt Marion Fiedler
Besetzung

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