Trüffeljagd – Polizeiruf 110 Episode 75 #Crimetime 961 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #DDR #Fuchs #Hübner #Arndt #Bergmann #Trüffeljagd #Trüffel #Jagd

Crimetime 961 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD

Der Gelinkte und der Schmerzensreiche

Mit 87 Minuten ist der Polizeiruf Nr. 75 nicht nur für die Verhältnisse der Zeit recht lang, sondern auch kurzweilig. Regisseur Helmut Krätzig hat seinen bekannt robusten Stil eingesetzt, um ein eigenes Skript zu inszenieren, das im wörtlichen Sinn kammerspielartig beginnt und ein Finale aufweist, das ein wenig an die James-Bond-Filme erinnert, in denen es zu Actionszenen in weißverschneiten Bergen kommt. Hierzu und zu anderen Aspekten von „Trüffeljagd“ schreiben wir mehr in der -> Rezension.

Handlung

Georg Polte wird in der folgenden Woche wegen Einbruchs ins Gefängnis müssen. Kurz vorher will er einen absolut sicheren Bruch machen. Während einer planmäßigen Sprengung von Altbauten und der damit einhergehenden Evakuierung verschiedener naheliegender Betriebe will er in das Gebäude des VEB Plast eindringen und dort einen Sicherheitsschrank aufschweißen. Im Schrank sollen sich unter anderem Industriediamanten befinden. Georg überredet den Ex-Häftling Detlef Franzius, den Bruch mit ihm zusammen zu machen. Detlef leidet unter Klaustrophobie, sodass er vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, und lässt sich nur zögerlich überreden.

Georg hat den Bruch akribisch vorbereitet und zwei Gasflaschen und zugehöriges Schweißgerät beschafft. Beide Männer tragen beim Einbruch gleiche Kleidung. In den Tresorraum brechen beide über eine Dachluke ein, die nicht verschlossen ist. Georg schweißt den Tresor auf, doch enthält er nur Akten. In einem Sonderfach befindet sich ein Schlüsselbund, von den Diamanten fehlt jede Spur. Beide Männer werden im Raum eingeschlossen, als im Zuge der Sprengung die Dachluke zufällt und sich nicht mehr öffnen lässt. Detlef wird panisch, weil er den Raum nicht verlassen kann. Während die Arbeiter langsam in den Betrieb zurückkehren, versucht Georg, die Tür zum Raum aufzuschweißen. Am Ende wird die Tür von den Arbeitern Peter Bittner, Bernd Gunkel und Ralph Kaspar aufgeschlossen, die in der Zwischenzeit in der Gaststätte Einhorn ein Bier getrunken und mit Kellnerin Lottchen geflirtet haben. Während Georg flieht, jedoch bald gefasst werden kann, reagiert Detlef lethargisch. Er hat den Verstand verloren, redet bei der Vernehmung wirr und wird schließlich in die Psychiatrie eingewiesen. Georg behauptet bei der Vernehmung, dass er nur verhindern wollte, dass Detlef den Bruch macht. Er sei ihm nachgegangen und mit ihm eingeschlossen worden.

Während die Ermittler Georg noch vernehmen und zu einem Geständnis bewegen wollen – Oberleutnant Jürgen Hübner ist dabei nur halb bei der Sache, leidet er doch unter Zahnschmerzen und wird stets vom Arztstuhl weg zu einem Fall gerufen – werden Geldschränke in zwei Betrieben ausgeräumt. Die Schränke weisen keine Einbruchsspuren auf. Es zeigt sich, dass sie mit Nachschlüsseln geöffnet wurden oder zum Teil mit Schlüsseln von dem Bund, den Georg bei seinem Bruch achtlos zur Seite geworfen hat. Jürgen Hübner erkennt, dass Georg beim Bruch ausgenutzt wurde. Er vergleicht ihn mit einem Trüffelschwein, das zwar die Beute finden, jedoch nicht an sich nehmen kann. Georg verrät nicht, wer ihm vom Schrank und den angeblichen Diamanten berichtet hat. Ihm gelingt jedoch bei seinem Abtransport zurück ins Gefängnis die Flucht. Die Polizei heftet sich an seine Fersen, nimmt ihn aber nicht fest. Die Ermittler wissen, dass Georg sie zu den Hintermännern bringen wird.

Tatsächlich begibt sich Georg nach mehreren Zwischenstationen in einen Wintersportort und dort zum Ausflugsziel Schneehütte. Hier trifft er mit Lottchen zusammen und bedroht sie. Er wirft ihr vor, ihn nur für ihre krummen Geschäfte benutzt zu haben. Er will Selbstmord begehen und sie dabei ebenfalls töten. Bernd Gunkel kommt hinzu, und Georg bezeichnet ihn als Lottchens Kompagnon. Es kommt zur Schlägerei zwischen beiden Männern, die erst der junge Ralph Kaspar beendet: er streckt Georg mit einem Holzscheit nieder. Lottchen animiert ihn dazu, mit ihr den blutenden Georg auf einem Rettungsschlitten ins Dorf zum ABV zu bringen, und Ralph willigt ein. Auf halber Strecke will Lottchen Georg zurücklassen, weil er schlechte Dinge über sie erzählt, doch Ralph lehnt das Vorhaben ab. Am Ende werden alle drei von der Polizei eingeholt. Lottchen wird verhaftet und gesteht, zusammen mit Bernd Gunkel die Einbrüche geplant zu haben. Auch Bernd wird festgenommen und abgeführt.

Rezension

Wenn ein Trüffelschwein die Trüffel selbst fräße, wäre seine Funktion als Suchhund für Pilze obsolet. Aber wie ist es, wenn man als vertrauensseliger Ganove einen Bruch macht, bei dem auf den ersten Blick nichts zu holen ist und dabei das Trüffelschwein spielt, weil ein Schlüsselbund zum Vorschein kommt, der den eigentlichen Hauptgewinn darstellt – was der Ganove natürlich nicht weiß?

Selbstverständlich musste der Drehbuchautor im Kopf behalten, dass einer der Skihüttenfahrer der Tippgeber sein muss, der ein doppeltes Spiel betrieb, aber ansonsten wirkt das Skript, als sei es im Discovery-Modus verfasst: Alleinfalls ein groß umrissenes Konzept, und dann losgeschrieben und sich der Faszinatioin darüber hingegeben, was man mit Figuren alles machen kann, um immer wieder neue Wendungen zu provozieren. Man hatte auch eingeplant, dass mit Schnee zu rechnen ist und man Skier und einen Schlitten einsetzen sowie Polizeiautos stecken bleiben lassen kann. Zu allem Überfluss hat Oberleutnant Hübner, der hier einen ausgezeichneten und humorvoll ausgestalteten Part hat – Zahnschmerzen. Diese werden als Running Gag eingesetzt und im Zusammenhang damit sieht man auch Hauptmann Fuchs. Er hat nur diese eine kurze Szene – und kommt so auf seinen 47. Polizeiruf. Ob man ihn damit, bezogen auf die Zahl der Einsätze, vorne halten wollte (Vera Arndt kommt hier auf ihren 44. Fall) oder, ähnlich wie bei den Tatorten, immer mal einen beliebten weiteren Ermittler kurz auftreten lässt – egal, er springt etwas wie Kai aus der Kist und ist in für die Ermittlungen in diesem Fall nicht notwendig.

Dafür gibt es wunderbare Verhörszenen, von denen sich mancher heutige Tatort eine Scheibe abschneiden könnte. Weil sie so realistisch sind. Geständnisse sprudeln nicht ohne Not wie Sturzbäche, sondern werden selbst dann verweigert, wenn eigentlich nichts mehr zu retten ist. Das wirkt zutiefst menschlich und es gibt in diesem Film nicht eine einzige wirklich unsympathische Figur. Der junge Ganove, gespielt von Henry Hübchen, der unter Eingeschlossenheitsphobie leidet und dessen Tatbeteiligungin der Anstalt endet, derjenige, der ihn anstiftet, schön gezeichnete Charaktere, ebenso wie die Ingenieure vom VEB Plaste, die alle hinter der Ex-Kollegin Lottchen her sind, die nun kellnert und damit viel mehr verdient als ebenjene Ingenieure. Sie fährt einen Peugeot 305, für DDR-Verhältnisse ein Luxusauto und es ist das erste Mal, dass wir ein solches Exemplar in einem Polizeiruf sehen. Sonst stehen eher die Shigulis (Ladas, die auf einem Fiat 125 basieren) oder, später Mazdas des Modells 323, manchmal auch ein VW Golf, für fast schon dekadenten Automibilismus. Und wie es meistens ist, wenn jemand solch ein Gefährt besitzt, ist er auch die eigentlich böse Person in einem Polizeiruf, der materialistische Mensch.

Außerdem wird damit einer gewissen Frauenfeindlichkeit Genüge getan, die wir in den klassischen Polizeirufen nicht selten beobachten: Sowohl Charlotte als auch ihre Konkurrentin, die eifersüchtige Frau Gunkel, sind genau diejenigen, die man am Ende als wenig erfreuliche Charaktere in Erinnerung behalten wird. Vor allem natürlich Charlotte, die den verletzten Polte am liebsten im Winterwald entsorgen würde.

Was dem Discovery-Prinzip beim Schreiben entspricht und die Spannung steigert: Es wird immer was aufgedeckt. Der Film beginnt als Howcatchem und wandelt sich zu einem Whodunit, das ist recht ungewöhnlich. Man sieht am Anfang gleich zwei Einbrecher bei der Arbeit, aber nachdem diese relativ schnell dingfest gemacht wurden, muss die Polizei herausfinden, wer der „Tippgeber“ war, als derjenige, der das Trüffelschwein in Bewegung gesetzt hat. Um das aufregender zu gestalten, passiert etwas, was in Tatorten alle Naslang vorkommt, aber in Polizeirufen der DDR-Phase aus guten Gründen selten: Die Polizei schafft es nicht, einen festgenommen Verbrecher zu sichern, er kann fliehen und will Privatrache an der Person üben, die den Tipp gegeben hat. Als Charlotte dann als diese Person feststeht, ist immer noch die Frage, wer ihr „zweiter Mann“ ist, ihr Komplize bei den Einbrüchen, die mit nachgemachten Schlüsseln des ominösen Bundes getätigt wurden. Es ist der Herr Gunkel, von dem wir zwischenzeitlich dachten, er wird von Rolf Herricht gespielt – wegen der ähnlichen Optik des Darstellers und des Humors, auf den die Figur ausgerichtet ist.

Der Aufbau des Films ist im Grunde sehr einfach: Immer, wenn das Ganze halbwegs auserzählt scheint, öffnet sich wieder eine Tür zu weiteren Handlungselementen, schön zu sehen beim Entweichen von Polte aus Polizeigewahrsam. Man merkt als Zuschauer durchaus, dass man sozusagen auf eine Reise mitgenommen wird, die deshalb realistisch wirkt, weil ihr Verlauf unberechenbar ist. Das ist aber gleichzeitig sehr effektvoll und amüsant anzuschauen.

Finale

Der Chronist der Polizeirufe, die in der DDR entstanden sind, Peter Hoff, hat „Tüffeljagd“ als einen der besten Filme der Reihe aus jener Epoche bezeichnet. Die Handlung, die immer weitere Wendungen erfährt, lässt sich gut anschauen und ist einigermaßen schlüssig, am Ende beinahe mehr als zu Anfang, denn die Eroberung des Schlüsselbundes durch zwei Trüffelschweine, von denen eines immer wirkt, als würde es gleich aus den Pantinen oder Hufen kippen, ist nicht ganz zwingend – und der Film hat einen eigenständigen Zugang zum System, den vor allem starke, etablierte Regisseure sich leisten konnten: Wenn Einbrecher Polte über sein Vergehen am gesellschaftlichen Eigentum referier, wirkt das ganz anders, nämlich viel komischer, als wenn einer der Ermittler eine dahingehende Belehrung aussprechen würde – und die kleinkapitalistische Charlotte als die Frau, in die alle Ingenieure ernsthaft verliebt sind, ist schon recht nett überzeichnet, zu sehr, als dass man sie im Kontext der damaligen Verhältnisse ernst nehmen könnte. Das spielfreudige Ensemble tut sein Bestes, alle Charaktere für den Zuschauer griffig werden zu lassen. Ob „Trüffeljagd“ zu den Tops zählt, können wir noch ncht abschließend beurteilen, aber zu den besseren auf jeden Fall.

8/10

© 2020 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Helmut Krätzig
Drehbuch Helmut Krätzig
Produktion Lutz Clasen
Musik Hermann Anders
Kamera Walter Küppers
Schnitt Gerti Gruner
Besetzung

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