Tod eines Auktionators – Tatort 313 #Crimetime 966 #Tatort #Düsseldorf #Duesseldorf #Flemming #Koch #WDR #Auktion #Tod

Crimetime 966 - Titelfoto © WDR

Freud und Goethe lesen bildet am meisten

Max Ballauf ist schon seit zwei Jahren weg, man merkt, dass es bei der Düsseldorfer Mordkommission ein wenig ruhiger geworden ist. Genau richtig, um sich voll auf die zu lösenden Fälle konzentrieren zu können. Die Anlage des Plots von „Tod eines Auktionators“ ist interessant: Es ist zunächst ein Anti-Howcatchem, denn es gibt einen Mann, der wohl den Mord nicht begangen hat, dem die Polizei aber sicher auf die Spuren kommen und ihn für verdächtig halten wird. Wie die  Umsetzung dieser Idee geworden ist, darüber schreiben wir in der -> Rezension.

Handlung

Der Auktionator Johann Kampenrath, spezialisiert auf den Handel mit Militaria, bereitet eine Versteigerung von Objekten aus dem Nachlaß des umstrittenen deutschen Kolonisators Carl Peters vor. Als Kampenrath in seinem Büro tot aufgefunden wird – erstochen mit dem attraktivsten Stück der Sammlung, dem Dolch des Afrikareisenden – schließt die Kripo auf Raubmord, denn sowohl die Tatwaffe als auch andere wertvolle Stücke sind verschwunden.

Kommissar Flemming und seine Kollegin Miriam Koch finden heraus, daß Kampenraths Schwester Cornelia in einer nahezu inzestuösen Beziehung mit dem Verstorbenen gelebt hat. Gibt es da möglicherweise ein Motiv? In Verdacht gerät aber auch eine Gruppe von Studenten, die eine Protestkundgebung gegen die Geschäftemacherei mit diesem grausamen Teil deutscher Geschichte geplant hatten. Flemming spürt den gestohlenen Dolch schließlich im Hinterzimmer eines Trödlerladens auf, wo sich ergraute Militaria-Sammler gegenseitig überbieten, um in den Besitz des Corpus delicti zu kommen.

Die entscheidende Wende erfährt der Fall jedoch durch die Ex-Frau des Verstorbenen, die aussagt, daß Kampenrath wieder Kontakt zu ihr aufgenommen hatte und seine Schwester verlassen wollte. Also doch ein Mord aus Eifersucht? Cornelia Kampenrath verblüfft die Kripo mit ihrer Aussage: Es war Selbstmord, von ihr als Raubmord getarnt, um in den Besitz der Lebensversicherung ihres Bruders zu kommen. Aber Flemming spürt, daß das nicht die ganze Wahrheit sein kann.

Rezension

Mitte der 1990er war die Krimireihe „Tatort“ in der Krise. Nur 5,95 Millionen Zuschauer wollten die Erstausstrahlung des 313. Falles sehen. Heute liegt eine schwache Premieren- Sehbeteiligung regelmäßig über 7 Millionen, manche Filme knacken auch die 10-Millionen-Marke, während der Corona-Krise zeigte sich ein weiterer Auftrieb. „Tod eines Auktionators“ war sicher nicht der Film, der dem Format neues Leben einhauchen konnte. Insofern ist Flemmings Schlusssatz: „Mehr lesen, weniger fernsehen!“ schon recht selbstironisch. Die Leute haben aber nicht mehr gelesen, sondern mehr volksverblödendes Privatfernsehen geschaut.

Die Wende für den Tatort, zumindest fief im Westen, kam wohl eher mit dem Wechsel zum Team Ballauf und Schenk im Jahr 1997 und der Verlegung des WDR-Haupt-Tatorts nach Köln. Einen zweiten Standort gab es damals auch nicht, vielmehr versuchte man sich zusätzlich an der Reihe „Polizeiruf 110“, nachdem deren Bestand seit 1993 gesichert war. Seitdem hat der WDR mit der zusätzlichen Münster-Schiene und den ebenfalls ohne Vorgänger ins Leben gerufenen Dortmund-Krimis einen erheblichen Aufschwung erfahren, die wohl bemerkenswerteste Entwicklung aller ARD-Sender vollzogen. Die Kölner sind immer noch beliebt, Münster ein Sonderfall mit unzähligen Fans und selbst das sehr kantige Dortmund-Ensemble kann nach neun Jahren als sichere Erfolgsgeschichte angesehen werden – auch wenn der ganz große, herausragende Film diesem Team noch fehlt.

Stilistisch ist das, was heute geboten wird, kein Vergleich mit dem äußerst konservativen Gepräge, das zum Beispiel „Tod eines Auktionators“ in vieler Hinsicht aufweist. Die zwei Jahre danach startenden Köln-Tatorte waren sicher damals die visuell modernsten, hatten aber bezüglich des Ermittlerduos schon ein Vorbild: die Münchener Kommissare Batic und Leitmayr. Die Kölner waren anfangs etwas kontrastreicher angelegt, aber sie konnten bezüglich einiger Erfolgsfaktoren den damals jungen Sternen des Südens folgen, die ebenfalls immer noch im Fernseh-Dauerdienst stehen.

Die am modernsten gefilmte Szene ist ausgerechnet eine mit gewissem Ekelfaktor. Wir schreiben nur: Der Nagel des großen Zehs! Das einzige halbwegs Progressive am Setting mit Flemming ist hingegen, dass er eine Assistentin hat und diese im 313. Tatort auch ein wenig selbstständig arbeiten darf. Sie bringt sogar entscheidende Hinweise auf die Lösung des Falls ins Spiel, indem sie nach München fliegt und als Ergebnis dieser Reise das Tatmotiv im Gepäck mit sich führt. Aber schon die Optik des Films ist dieser seltsamen Zeit nach der Wende verhaftet, in der es unter anderem eine ziemliche Geschmacksverirrung zu beklagen gab. Nicht alle Figuren sind so schwülstig gekleidet wie die Schwester des Auktionators, bei ihr sollte das Outfit ja auch psychologische Untiefen ausdrücken. Die Männer hatten es tendenziell etwas leichter, aber nur etwas, nicht sehr. Trotz des Settings Auktionshaus ist der ästhetische Wert dieses Films eher gering. Mag schon sein, dass man das Milieu der Militaria-Sammler auch so konservativ darstellen wollte, wie es garantiert ist.

In einer Hinsicht sticht der Film doch heraus: Wir reden heute von Dekolonisierung und in ihm wird schon der Konflikt gezeigt, der sich auftut, wenn man an die Experimente Deutschlands mit der direkten Form des Imperialismus denkt, vor allem die frühere Besetzung von Territorien im südlichen Afrika spielt dabei naturgemäß eine große Rolle, denn viele weitere Kolonien gab es nicht. Deswegen ist der Auftritt der Nachfahren der unterdrückten Völker Südafrikas während einer Auktion sicher auch das Highlight des Films und man zeigt eine sympathische junge Frau, die offenbar ihren Freund, einen Studenten neuerer Geschichte, zu seiner Arbeit angeregt hat: Über die Kolonialzeit zu forschen, wobei er beim Militaria-Händler sozusagen in einen Hinterhalt gerät und alles den Anschein erweckt, er könnte diesen Mann ermordet haben.

Eigentlich ist das ein großartig gruseliges Szenario, die psychologisch auf Abwegen befindliche Schwester mit ihrer pompösen Art, der feinsinnige Auktionator, der sich aber selbstständig auf diese Devotionalen einer zu Recht rasch versunkenen, ausbeuterischen Zeit spezialisiert hat und die Mechanismen der Ausbeutung, die in diesem Verhältnis wirken – emotionale Ausbeutung. Leider zeigt der Film dieses Konstrukt nicht sehr gut, sondern konzentriert sich mehr auf den Weg des Dolches, der einst Carl Peters gehört haben soll. Die Täterperson überrascht dann ohnehin nicht, nachdem man weiß, der Student hat den Mann, der ihm Exponate zur Verfügung stellen sollte, nicht umgebracht.

Neben dem Milieu der reaktionären Militaria-Sammler wird ein proletarisches gezeigt, das leicht satirisch ausgeformt erscheint, aber in die Handlung interessanterweise besser integriert ist als die schwierigere Geometrie der deutschen Traditionen bei Dichtern, Denkern und Kolonisatoren und neuen älteren Rechten, die teilweise noch Menschen gekannt haben, die im Kolonialbusiness tätig waren.

Finale

„Tod eines Auktionators“ krankt vor allem an seiner steifen Inszenierung. Ob es Absicht war, die seltsamen Menschen so zu zeigen, von denen einige mehr als reaktionär sind – die Atmosphäre eines besonderen Milieus will nicht so recht aufkommen. Sicher hat das auch damit zu tun, dass die Schauspieler besser hätten geführt werden können. Das gilt für die Episodenrollendarteller*innen ebenso wie für Flemming alias Martin Lüttge – nur Roswitha Schreiner als Miriam Koch wirkt eigentlich wie immer – mit der zusätzlichen Möglichkeit, nicht nur Anweisungen entgegenzunehmen, sondern auch mal einen eigenständigen und ihrer Art gemäßen Weg zu gehen: Dienstreise winkt? Nehm ich! Wenn man etwas genauer hinschaut, steckt in dem Film viel zum Nachdenken und auch zum Schmunzeln, wobei man dann wieder darüber nachdenken sollte, warum man beispielsweise über die „Prolls im Hochhaus“ schmunzelt. So witzig sind die Erziehungsmethoden und der allgemeine Umgang dort gar nicht. Heut wird in der Regel auch nicht mehr so leichtfertig gezeigt, wie Kinder geschlagen werden. Wenn das passiert, hat es zentrale Bedeutung für das Thema, das der Film bearbeitet, wird aber nicht mehr sozusagen als Sozialkolorit verwendet.

6/10

© 201 (Entwurf 2020= Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Erwin Keusch
Drehbuch Claus-Michael Rohne
Produktion Veith von Fürstenberg
Musik Andreas Köbner
Kamera Dietmar Koelzer
Schnitt Monika Bergmann
Besetzung

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