Wie verteilen sich Geflüchtete aktuell auf die Länder der EU? Das hat, Stand Ende 2019, Statista grafisch aufgrund von Daten des UNHCR aufbereitet. Die Grafik erschien kurz nach dem schockierenden Brand in einem Lager für Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos am 9. September 2020. Wie immer unterhalb der Grafik und des Begleittextes ein kurzer Kommentar von uns.
Timeline 15.09.2020 | Geflüchtete in der EU

Begleittext von Statista vom 15.09.2020
EU-weit leben auf Zypern pro 1.000 Einwohner gerechnet die meisten Flüchtlinge und Asylbewerber (36,2). Das zeigt die Grafik auf Basis einer Statista-Berechnung, die auf aktuellen Daten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR basiert. Fast überall in Europa sind die Flüchtlingszahlen in den vergangenen Jahren stark gesunken, in Zypern hingegen hat sich die Zahl der Asylbewerber seit 2016 vervierfacht. Die Insel ist eines der Schlupflöcher entlang der abgeschotteten europäischen Grenzen. Deutschland liegt mit 17,4 Flüchtlingen je 1.000 Einwohnern auf dem sechsten Rang. In den meisten anderen Ländern liegt die Zahl unter 10.
Vor sechs Tagen war das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos vollständig abgebrannt. 12.000 Menschen verloren ihre Unterkunft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich heute darauf verständigt, rund 1500 Migranten von den griechischen Inseln in Deutschland aufzunehmen. Dabei handelt es sich um Familien mit Kindern, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden.
Das Asyl bezeichnet einen geschützten Aufenthaltsort und ist ein Begriff für die Aufnahme von Verfolgten. Nach Artikel 16a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland genießen politisch Verfolgte Asyl. Damit wird das Asylrecht in Deutschland nicht nur auf Grund der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gewährt, sondern hat als Grundrecht Verfassungsrang. Es ist das einzige Grundrecht, das nur Ausländern zusteht.
Kommentar
Wir gliedern diese Information in unsere Timeline ein, sind aber schon etwas weiter. Sind nun die 1.500 Geflüchteten / Migrant*innen aus Lesbos in Deutschland aufgenommen worden?
- Am 30.09., 21 Tage nach dem Brand und 15 Tage, nachdem die obige Grafik erschien, waren 139 Menschen in Deutschland angekommen (Tagesschau). Insgesamt soll sich nach diesen Angaben die Zahl der Aufzunehmenden auf ca. 2.500 addieren. Am 16.10. wurden weitere 101 Geflüchtete aufgenommen (Tagesschau). Am 22.11.2020 wurde eine Zahl von 900 Aufgenommenen genannt – von mehreren griechischen Inseln (Deutschlandradio Kultur). Am 31. März 2021 sollte der letzte Flug von Lesbos stattfinden, damit hat Deutschland seine Zusage eingehalten (Amnesty International). AN fordert die Aufnahme weiterer Geflüchteter.
Das Asylrecht in Deutschland
Ursprünglich war der „Asylparagraph“, der Art. 16a des Grundgesetzes, sehr kurz. bestand nur aus Absatz 1 des Textes, den wir im Anschluss wiedergeben. Allerdings hatte man, als so verfasst wurde, sicher nicht damit gerechnet, dass Deutschland einmal zum Ziel hunderttausender asylsuchender Menschen jährlich werden würde, wie zu Beginn der 1990er und zuletzt während der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, Afghanistan und anderen Ländern Vorderasiens.
Art. 16a
Deutschland hat mehr Geflüchtete aufgenommen als irgendein anderes Land in Europa – mit Abstand und vor allem im Herbst 2015, nach der berühmten „Wir-schaffen-das-Rede“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel im späten August des Jahres. Schweden ist zunächst ähnlich verfahren, hat dann aber die Aufnahme gestoppt. Noch Ende 2019 zeigte sich in Schweden eine höhere Quote von Geflüchteten als in Deutschland, das mit Österreich zusammen im oberen Mittelfeld liegt. Viele Menschen sind inzwischen wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt, aber viele werden bei uns bleiben. Wir werden uns darauf einzustellen haben, dass wir auch künftig Menschen aus Kriegsgebieten oder auch Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, aufnehmen, versorgen, integrieren und ihnen zu einem guten Platz hierzulande verhelfen. Vor allem wird dies erhebliche Relevanz gewinnen, wenn aus Gründen des Klimawandels bestimmte trockene Zonen, u. a. in Afrika, nicht mehr bewohnt oder die bisherige Bevölkerung tragend bewirtschaftet werden können.
Was den Vergleich mit Schweden angeht: Möglicherweise sind anteilig mehr Menschen dortgeblieben als in Deutschland, denn Ende 2015 waren die Anteile ähnlich. Aber der Vergleich unter den Top-Aufnehmerländern erspart uns nicht einen Blick auf die übrigen. Die Solidarität innerhalb der EU war erschreckend gering und besonders, dass die mittelosteuropäischen Länder keinerlei Nachteile aus ihrer Verweigerungshaltung zu erwarten hatten, also weiterhin auf die wirtschaftliche Solidarität der Weststaaten bauen konnten, darf sich nicht noch einmal wiederholen. Denn das derzeitige rigide Grenzregime der EU lässt sich nur aufheben, wenn es innerhalb der EU zu etwas mehr Verteilungsgerechtigkeit kommt. Sicherlich hat die Bundesregierung im Jahr 2015 Fehler bei der Einbindung der Partner gemacht und außerdem gab es Rückkopplungen aus dem Management der Wirtschaftskrise von 2009. Aber eine EU, die sich gerne als Vorbild in Sachen Menschenrechte und Humanität darstellt, muss zum einen Kriegsursachen vermeiden helfen, die Fluchtbewegungen auslösen und die Fluchtbewegungen, die entstehen, verantwortlich auffangen helfen.
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