Kurschatten – Polizeiruf 110 Episode 231 #Crimetime 982 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Halle #Schmücke #Schneider #Kur #Schatten

Crimetime 982 - Titelfoto © MDR

30 Jahre und gerettet für immer?

Eines kann man der 231. Episode nicht vorwerfen: Dass in diesem Jubiläumsfilm „30 Jahre Polizeiruf 110“ mit Prominenz gekleckert worden wäre. Die bereits verblichenen Kommissare tauchen am Schluss als Fotos auf und viele, die damals aktuell oder in der Vergangenheit in der Reihe eingesetzt wurden und die das Glück hatten, zum  Zeitpunkt der Produktion unter den Lebenden zu weilen, sieht man in bewegten Bildern. Deswegen habe ich mir erlaubt, im Anschluss an die von dort Handlungsbeschreibung die Wikipedia noch einmal zu befragen und alle im Film auf irgendeine Weise zu sehenden Polizeiruf-Ermittler*innen aufzulisten. Demnächst ist übrigens „50 Jahre Polizeiruf 110“. Was werden sie daraus machen? Was sie aus dem 30jährigen gemacht haben, ist in der -> Rezension beschrieben.

Handlung (1)

Kurpatienten werden mit Videos ihrer Schäferstündchen erpresst. Schmücke und Schneider sind sich sicher, dass der Erpresser im Kurklinikum zu finden sein muss. Obwohl Erpressung eigentlich nicht ihr Ressort ist, will Schmücke auf diese Weise gleichzeitig seinen lang ersehnten Kuraufenthalt nutzen. Edith Reger erklärt er zu seiner Tarnung zu seiner Ehefrau und Kollege Schneider erscheint anfangs unauffällig als Pharmavertreter und kann so mit Schmücke in Kontakt bleiben.

Schon bald kommt Schmücke mit der attraktiven Lehrerin Dorle Mikisch in Kontakt und will sie heimlich als Lockvogel einsetzen. Zum Kreis ihrer Kurbekanntschaften gehören der Bankier Taube, der Schokoladenfabrikant Suchon, der Pferdeliebhaber Theodor Illgen, Bauunternehmer Achim Zoch und dessen „Kurschatten“ Patricia Kniestedt.

Schon in der ersten Nacht beobachtet er, wie Patricia Kniestedt einen Briefumschlag in einem Versteck ablegt. Als Schmücke nachsehen will, wird er von Zoch niedergeschlagen, der auf den Erpresser lauerte. In der Erklärung danach hat Schmücke gleich einen Verbündeten, denn Zoch verspricht ihm, ihn über den Stand der Erpressung zu informieren, wenn der Kommissar im Gegenzug über seinen Seitensprung Stillschweigen bewahrt.

Während Schmücke seinen Nachforschungen nachgeht, geschieht in der Kurklinik ein Mord an einer der Schwestern. So lässt Schneider seine Tarnung fallen und outet sich als Kommissar der Mordkommission. Alles deutet darauf hin, dass Tatjana Schiefel die Erpresserin war und sich eines ihrer Opfer nun gerächt hat. Kommissar Schneider hält Achim Zoch für den Mörder, da diverse Indizien gegen ihn sprechen. Während Schneider sich der Aufklärung des Mordes widmet, konzentriert sich Schmücke weiter auf die Überführung des Erpressers, denn er ist davon überzeugt, dass Tatjana Schiefel einen Komplizen hatte. So wie es aussieht, handelt es sich dabei um den Masseur Valentin Kleefisch. Als die Kommissare ihn festnehmen wollen, ergreift er die Flucht und vertraut sich dem Bankier Taube an, um an das Geld auf dem Konto von Tatjana Schiefel zu gelangen.

Auf der Suche nach Kleefisch kann lediglich dessen Auto ausfindig gemacht werden. Auf dem Überwachungsvideo des Parkplatzes entdecken die Ermittler Bankier Taube, wie er den Wagen abstellt. Bei der Recherche über ihn finden sie heraus, dass er bereits vor zwei Jahren entlassen wurde, da er Unterschlagungen begangen hatte, die er versprochen hat zurückzuzahlen, um nicht angezeigt zu werden. Darüber hinaus pflegt er einen Lebensstil, der seine finanziellen Möglichkeiten bei Weitem übersteigt. So schlussfolgern die Kommissare, dass er sich deshalb regelmäßig als Kurpatient in Kliniken und weiter als Bankier ausgibt, um ahnungslose Geldanleger um ihr Erspartes zu bringen. In dem Zusammenhang dürfte er an die beiden Erpresser gelangt sein, die er nun möglicherweise beide aus dem Weg geräumt hat.

Um Taube zu überführen, stellt Schmücke ihm eine Falle. Er gibt vor ein größeres Kapital an Schwarzgeld anlegen und vor seiner Frau verstecken zu wollen. Taube spricht auf den Köder an und verabredet sich mit Schmücke in seinem Jagdhaus. Zuvor dringen die Kommissare dort ein und tauschen sicherheitshalber die Munition der Gewehre gegen Platzpatronen aus. Während Schmücke zusammen mit Taube zu dessen Jagdhaus fährt, bleiben Schneider und die Kriminaltechnikerin Rosamunde Weigand in sicherem Abstand hinter ihnen. Zu allem Unglück fahren sie sich fest, als Schneider leicht vom Waldweg abkommt. Schmücke ist nun mit Taube allein und muss feststellen, dass dieser ihn nicht mit einem seiner Gewehre, sondern mit einem Revolver bedroht. Somit ist er dem Mörder ausgeliefert. In seiner Not verwickelt er Taube geschickt in ein Gespräch, bei dem dieser die Morde zugibt. Glücklicherweise treffen Schneider und Weigand rechtzeitig ein und können Taube überwältigen.

Auftretende Ermittler*innen (1)

Im Rahmen der Aneinanderreihung ehemaliger und im Ausstrahlungsjahr noch aktueller Polizeiruf-Kommissare sind außer Schmücke und Schneider zu sehen:

  • Peter Borgelt: Peter Fuchs, Oberleutnant/Hauptmann von 1971 bis 1991, als Foto am Filmende
  • Jürgen Frohriep: Jürgen Hübner, Oberleutnant von 1972 bis 1994, als Foto am Filmende
  • Kurt Böwe: Kurt Groth, Oberkommissar von 1994 bis 2000, als Foto am Filmende
  • Sigrid Göhler: Vera Arndt, Leutnant, von 1971 bis 1983, als Restaurantbesitzerin Frau Raven
  • Jürgen Zartmann: Manfred Bergmann, Oberleutnant von 1981 bis 1991, als Bankdirektor
  • Andreas Schmidt-Schaller: Thomas Grawe, Leutnant/Oberleutnant von 1984 bis 1995, als Bauunternehmer Achim Zoch
  • Günter Naumann: Günter Beck, Hauptkommissar von 1988 bis 1997, als Kurdirektor Dr. Honig
  • Anne Kasprik: Ikser, Leutnant von 1989, als Lehrerin und Kurgast Dorle Mikisch
  • Heidemarie Fabian: Zivilfahnderin 1991, als Frau Taube
  • Arianne Borbach: Kriminalkommissarin Kleinert von 1993, als Patricia Kniestedt
  • Dirk Schoedon: Jens Hoffmann, Kommissar von 1993 bis 1995, als Masseur
  • Manfred Möck: Lindemann, Kriminalkommissar 1997, als Kurgast Zimmermann
  • Oliver Stokowski: Robert Grosche, Kommissar von 1998 bis 2002, als scheinblinder Masseur Valentin Kleefisch
  • Dieter Montag: Rene Schlosser, Kommissar von 1998 bis 2003, als Schokoladenfabrikant
  • Dennenesch Zoudé: Carol Reeding, Kommissarin von 2001 bis 2003, als Kriminalassistentin
  • Oliver Stritzel: Karl-Heinz Küppers, Kommissar von 1995 bis 2004, als Ferdinand Taube
  • Uwe Steimle: Jens Hinrichs, Hauptkommissar von 1994 bis 2009, als Pferdewettspezialist Theodor Illgen
  • Kathrin Angerer: Rolle der Kriminaltechnikerin Tamara in Filmen mit Horst Krause von 1999 bis 2003, als Kurschwester Tatjana Schiefel

Rezension

Schmücke und Schneider hatten sicher in ihren ersten Jahren mehr als jedes andere Team dazu beigetragen, den Polizeiruf in die Neuzeit zu überführen. Sie waren genau richtig dafür: Sympathisch, ein wenig schrullig, den Zuschauern aus der DDR noch bekannt, aber nicht so DDR-basiert wirkend, dass sie im Westen keine Fans hätten generieren können – sie waren viel unverbindlicher als Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher, der vor allem in seiner Dresden-Zeit immer wieder daran erinnerte, dass der Osten noch eine Rechnung offen hat. 1991 sah es zunächst so aus, als ob die Reihe Polizeiruf 110 eingestellt und das Tatortformat in die neuen Bundesländer übernommen wurde. Das hat der MDR mit der erwähnten Ehrlicher-Schiene dann auch getan – aber schon wenige Jahre nach der Wende dämmerte es den ARD-Verantwortliche wohl, dass a.) der Erhalt wichtiger Güter der Alltagskultur der DDR helfen würde, den sozialen Frieden zu sichern und b.) der Polizeiruf plotseitig viele Chancen bietet, die dem Tatort verwehrt bleiben – zumindest, wenn man die Möglichkeit nutzt, nicht zu Beginn eine Leiche präsentieren zu müssen, wie im Tatort (nicht immer, aber üblich).

Schwierig war der Übergang personell. 1993 und 1994 verstarben die beiden Gründungs-Ermittler Peter Borgelt und Jürgen Frohriep (Hauptmann Fuchs, Oberleutnant Hübner) und bei OL Zimmermann (Lutz Riemann) stellte sich heraus, dass er Stasi-IM war. Bei OL Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) ebenfalls, aber erst lange nach dem Ende seiner Dienstzeit als Polizeiruf-Ermittler. Auch als „Kurschatten“ 2001 gefilmt wurde, war davon noch nichts bekannt. Der knorrige Hauptmann / Hauptkommissar Beck war eine präsente und glaubwürdige Figur, gespielt von Günter Naumann, aber kein Perspektivkandidat. Mitte der 1990er kam man sogar auf die Idee, die Reihe sogar in den Westen zu übernehmen, zunächst beim HR und beim WDR, dann beim Bayerischen Rundfunk. Einzig die BR-Schiene existiert noch – und hat inzwischen mit einigen prämierten Filmen und den großartigen Ermittlern Tauber und von Meuffels Polizeirufgeschichte geschrieben.

Im Osten gab es neben Schmücke und Schneider auch den Kommissar Hinrichs aus Schwerin (dargestellt von Uwe Steimle), der aber mit wechselnden Partnern leben musste, während Schmücke und Schneider auch hinsichtlich ihrer Kontinuität ein Glücksgriff waren.

„Kurschatten“ stammt aus dem ersten Viertel ihrer 17 Jahre währenden Dienstzeit, in der es drei deutlich unterscheidbare Phasen gibt: Den gelungenen Start mit für damalige Verhältnisse modernen und abwechslungsreichen Produktionen, die Stagnation in den 2000ern und den Versuch, mit rasanteren Drehbüchern und mit der viel jüngeren Nora Winkler (Isabell Gerschke) als dritter Ermittlerin neuen Wind reinzubringen – von den späten 2000ern bis zum Ende 2013. Im Grunde gelang dieser Wandel auch, aber der MDR entschloss sich dennoch, die beiden Darsteller Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler entsprechend ihrem tatsächlichen Alter in Rente zu schicken. Ihrem Image in den Filmen gemäß hatte sich Jaecki Schwarz über seine Absetzung beschwert, von Wolfgang Winkler sind keine beleidigten Reaktionen überliefert.

Ganz sicher spielen die beiden auch ihre wahren Persönlichkeiten aus, deswegen wirken sie so authentisch. Schmücke heißt nicht nur so, er ist auch schmucker gekleidet als sein Freund, er ist, auch wenn man das nicht immer merkt, der Leitende, etwas eitler auch im Ausdruck, während Schneider der Prototyp des braven Beamten darstellt, den es im Tatort in dieser essentiellen Form übrigens nie gegeben hat.

Auch wenn es positive Kritiken zu „Kurschatten“ gibt – der Film leidet nach meiner Ansicht unter dem Zwang, die vielen Ex-Ermittler integrieren zu müssen. Das gelingt selten wirklich gut: Günter Naumann wirkt als Klinikleiter, der selbst musiziert und seine Soundanlagen nicht aufbauen kann, weil ein Stück Querverbindung als Tatwaffe entwendet wurde, leicht deplatziert, Demenesch Zoudé hat nur eine Szene und in hat sie die etwas doofe dunkelhäutige Assistentin spielen, die sich von Schmücke anraunzen lassen darf, die fesche Sigrid Göhler hatten wir nicht wiedererkannt und Andreas Schmidt-Schaller gibt als Baulöwe in Nöten eine mittelglaubwürdige Figur ab, Uwe Steimle als Wettprofi wirkt einigermaßen präsent, Anne Kasprik hat etwas mehr Spielzeit und eine Rolle, die an ihre früheren Polizeiruf-Einsätze erinnern – an jene, in denen sie keine Polizistin gespielt hat.

Finale

Die Handlung hat einen Agatha-Christie-Touch, nur, dass ein Kurhotel der Ort der Verbrechen ist, kein altes Schloss, aber die vielen Verdächtigen können nicht verhindern, dass zumindest der „scheinblinde Pfleger“ ziemlich schnell als Beteiligter auszumachen ist und sehr glaubwürdig wirkt die Handlung auch nicht. Die Schlussszene ist sehr nett gemacht, der Nostalgiefaktor hoch, für Schmücke-Schneider-Fans und solche der älteren Polizeiruf-Tage ist „Kurschatten“ gewiss ein Schmankerl, aber er wirkt auch ein wenig gewollt oder bemüht. So, als ob der Plot für eine ganz normale Besetzung geschrieben worden wäre und dann musste das Figurentableau für die Jubiläumsausgabe stark erweitert werden, was er Handlungsdynamik geschadet hat.

6,5/10

(1) Wikipedia

© 2021 (Entwurf 2020) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Marco Serafini
Drehbuch Scarlett Kleint,
Michael Illner
Produktion Susanne Wolfram
Musik Gast Waltzing
Kamera Bernd Neubauer
Schnitt Ilana Goldschmidt
Besetzung

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