Crimetime 1001 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD, Manfred Ulenhut [Der Film ist in Farbe]
Du schöner, impotenter Opa!
Vorwort 2021 anlässlich der Veröffentlichung
Noch 16 Tage, dann wird der Polizeiruf 110 … sehr alt. Genau 50 Jahre alt, denn am 27.06.1971 fand die Premiere von „Der Fall Lisa Murnau“ als erster Produktion statt. Deswegen mussten wir immer schon das Wort „Episode“ dazwischenschieben, weil wir nicht, wie beim Tatort, einfach den Namen der Reihe und die Nummer dahintersetzen konnten. Auch sonst ist beim Polizeiruf manches anders, bis heute. Und das ist gut so. Ob der Anfang wirklich harmlos war? Nicht in jedem Polizeiruf kommt es zu mindestens einer Leiche, viele Verbrechen sind mehr der Alltagskriminalität zuzuordnen. Umso mehr Raum war für psychosoziale Beobachtungen, wie sie im Verlauf der Entwicklung, welche die Reihe noch in der DDR nahm, immer mehr Raum griffen. Aber in der Episode 73 gibt es sie, die Leiche. Die Beobachtungen ebenfalls.
Rezension 2020
Derzeit sendet der MDR einigermaßen chronologisch die Polizeirufe der 1980er Jahre. Auffällig ist, dass man „Harmloser Anfang“ zunächst ausgespart und dann doch gezeigt hat, etwa zu dem Zeitpunkt, als bereits der übernächste Jahrgang lief. Könnte es für dieses Zögern einen Grund geben? Darüber und über andere Beobachtungen steht mehr in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
Auf einer Abteilungsexkursion nach Dresden erklärt der Leiter der Betriebspoliklinik, Dr. Günter Siebold, seinem Freund, Abteilungsleiter Hermann Gaffrei, dass er mit seiner Freundin Barbara Kuhnt Schluss machen will. Seine neue Freundin ist eine alte Bekannte, die er zum abendlichen Tanz der Exkursionsgruppe eingeladen hat. Er will sie wie zufällig begrüßen und den Abend mit ihr verbringen. Hermann soll ihn decken und sich um Barbara kümmern, die Hermanns Sachbearbeiterin ist. Hermann lehnt ab und erklärt Günter auch, dass er nicht verstehe, warum er eine so schöne und patente Frau wie Barbara nicht halten will.
Beide Männer wissen nicht, dass Barbara ihr Gespräch belauscht. Als Günter am Abend wie zufällig seine Bekannte in der Disko anspricht, macht Barbara vor Ort mit ihm Schluss und geht. Hermann eilt ihr nach, und sie gesteht ihm, dass sie ihn mag, weil er im Gegensatz zu anderen Männern nie etwas von ihr wollte. Sie gibt ihm einen Freundschaftskuss. Nachts geht Hermann auf ihr Hotelzimmer und gesteht ihr, dass er seine Gefühle für sie nur unterdrückt habe. Beide verbringen die Nacht zusammen, und Hermann plant, für sie seine Familie – mit seiner Frau Elise hat er eine fast volljährige Tochter – zu verlassen. Er lässt ihr am nächsten Morgen an der Rezeption einen Brief übergeben, in dem er Dutzende Mal „Ich liebe dich“ geschrieben hat. Vor den Kollegen bewahren sie über ihre Beziehung Stillschweigen. Sie wollen sie erst öffentlich machen, wenn Hermann die Scheidung eingereicht hat.
Schon auf der Heimfahrt will Günter sich mit Hermanns Hilfe mit Barbara versöhnen, doch Hermann wiegelt ab. Auch später im Betrieb will er Günter bei seinen Versuchen, Barbara zurückzugewinnen, nicht helfen. Er begründet es damit, dass er schließlich Barbaras Vorgesetzter sei. Bald jedoch bemerkt Hermann, dass er in seiner Familie fest verankert ist. Auch wenn das Leben mit seiner Frau wenig aufregend ist, ist eine Vertrautheit da. Im Büro sucht Barbara Hermann auf, und er gesteht ihr, dass er seiner Frau noch nichts von der Scheidung erzählt habe. Sie besteht darauf, dass er es ihr am Abend sagt, obwohl sie an dem Tag Geburtstag hat. Auf der Geburtstagsfeier ruft Barbara bei Hermann an. Beide wohnen in gegenüberliegenden Häusern, und Hermann geht notgedrungen kurz zu ihr. Seine Tochter sieht wenig später einen Mann an Barbaras Fenster, kurz danach eilt Günter aus Barbaras Haus. Unbemerkt kommt Hermann dazu, der blass ist, es jedoch auf den Stress schiebt. Weil es ihm nicht gut geht, geht er vorzeitig schlafen.
Am nächsten Tag findet Günter die unbekleidete, und mit einem Bademantel bedeckte Leiche von Barbara in ihrer Wohnung. Hauptmann Peter Fuchs und Oberleutnant Jürgen Hübner beginnen mit den Ermittlungen. Sie finden schnell heraus, dass Günter in der Nacht im Wohnhaus von Barbara war, doch erweist sich sein Alibi als stichhaltig. Er wurde von einem älteren Bewohner des Hauses gesehen und beide redeten kurz miteinander, als Günter Barbaras Wohnungstür verschlossen vorfand. Hermanns Tochter Ines sagt zunächst aus, sie habe einen ihr bekannten Mann an Barbaras Fenster gesehen. Sie weiß jedoch nicht, wer er war.
Am nächsten Tag schließt sie sich in ihr Zimmer ein und verweigert die Aussage: Sie ahnt, dass ihr Vater am Fenster stand. Hermann wird von seinen Schuldgefühlen geplagt und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Er beschuldigt sich nachts der Tat und gesteht seiner Frau, mit Barbara geschlafen zu haben. Der herbeigerufene Günter gibt Hermann eine Beruhigungsspritze. Vor der Polizei meint Günter, Hermanns Selbstbezichtigung sei nicht glaubhaft. Längst haben die Ermittler jedoch Hermanns Brief an Barbara gefunden. Er befand sich in einem Koffer, den Barbara kurz vor ihrem Tod an ihre Schwester geschickt hatte, da sie bei ihr mit Hermann einziehen wollte. Als die Ermittler am nächsten Tag zu Hermann gehen, erwartet er sie bereits. Er hat einen Koffer für das Gefängnis gepackt und gesteht den Ermittlern beim Verhör, dass er von der Geburtstagsfeier aus bei Barbara war. Er habe ihr gesagt, dass er sich nicht von seiner Frau trennen werde. Sie habe sich daraufhin nackt ausgezogen und wollte so vor seine Frau und die Gäste treten. Sie wollte öffentlich machen, dass er nicht nur sie, sondern auch seine Frau belogen habe. Als sie nicht zur Vernunft kommen wollte, erschlug Hermann sie.
Stimmen (Wikipedia)
Die Kritik schrieb, dass sich Regisseur Helmut Nitzschke im Film „der gesellschaftskritischen Attitüde enthielt und [sich] ganz auf die Tat aus Leidenschaft, den Totschlag im Affekt konzentriert. Nitzschke […] zeigt sich als stil- und formbewußter Regisseur“, so werden die drei Abschnitte des Films – Liebesbeziehung, Ermittlung, Tathergang – in unterschiedlicher Beleuchtung und damit Temperatur gezeigt.[3]
Rezension
Es ist schade, dass Helmut Nitzschke nicht mehr Polizeirufe inszenieren durfte. Außer „Harmloser Anfang“ gibt es nur einen Film von ihm namens „Der Einzelgänger“, der als Fragment gilt und mit 48 Minuten einer der kürzesten Polizeirufe ist. In der Wikipedia findet sich über ihn nichts – auf der Homepage der DEFA-Stiftung findet man eine Dokumentation mit ihm / über ihn:
In diesem Zeitzeugengespräch spricht Filmemacher Helmut Nitzschke über seinen beruflichen Werdegang. Er berichtet unter anderem über seine Zeit als Student an der Filmhochschule, über die Studentengruppe mit Böttcher, Tetzlaff und Grabe, seine Anfänge bei der Deutschen Film AG (DEFA) und deren Ende. Nitzschke erzählt von seinen Erfahrungen bei den Dreharbeiten zu Filmen wie „Wind von vorn“ (1962), „Das schlaue Füchslein“ (1965), „Nebelnacht“ (1968), den Episodenfilm „Aus unserer Zeit“ (1969), „Leichensache Zernik“ (1972), „Das Licht auf dem Galgen“ (1976) sowie seine Inszenierung von „Woyzeck“ am Berliner Ensemble. Weiterhin spricht Nitzschke über die Thematiken Literaturverfilmung und Erzählweise im Film sowie über seine Erinnerung an die Zusammenarbeit diverser DEFA-Kollegen und Schauspielern.
Seine Filmografie ist vergleichsweise kurz und, signifikant: Sie endet mit „Harmloser Anfang.“
Sie kommen erst spät zum Einsatz, weil man in „Harmloser Anfang“ nicht mit der bei Polizeirufen beliebten Rückblendentechnik arbeiten, sondern mit einfacher, linearer Zeitstruktur filmen wollte. Wenn das so ist und gleichzeitig das Schema eingehalten wird, dass erst die Entwicklung zum Verbrechen hin gezeigt und erst die Figuren eingeführt und dem Zuschauer nähergebracht werden, bevor es geschieht, bleibt für die Polizisten zwangsläufig nicht mehr so viel Spielzeit übrig. Fuchs und Hübner nutzen diese wenige Zeit hier aber recht gut und teilen sich sogar ein Hotelzimmer, in dem sie vor dem Schlafengehen kurz über den Fall diskutieren.
Eine ungewöhnliche Szene auch dies, sie verdeutlicht aber ein Prinzip: Hauptmann Fuchs ist immer superior gegenüber Oberleutnant Hübner, nicht nur vom Rang. Er kombiniert besser, denkt präziser und hat außerdem die „Nase“, die Spürnase. Das wird in „Harmloser Anfang“ noch in einigen weiteren Szenen illustriert und ist mir in diesem Film wirklich zu einseitig ausgeführt. Den Frust von Jürgen Frohriep, dem Darsteller von Jürgen Hübner, dass er immer nur einigermaßen souverän sein darf, wenn Fuchs nicht dabei ist, kann ich mir lebhaft vorstellen, denn Frohriep ist erkennbar ein sehr sensibler Typ, der schon zu dem Zeitpunkt, als er in die Serie Polizeiruf 110 einstieg, also fast von Beginn an, vermutlich darunter litt, dass der nicht mehr so häufig Kino-Hauptrollen angeboten bekam. Besonders durch seine Verkörperung eines Wehrmachtssoldatn in der männlichen Hauptrolle von „Sterne“ (1959) von Konrad Wolf war er berühmt geworden.
Regie | Helmut Nitzschke |
Drehbuch | Helmut Nitzschke |
Produktion | Gabriele Rötger |
Musik | Hermann Anders |
Kamera | Werner Helbig |
Schnitt | Renate Müller |
Besetzung | |
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