Alexis Sorbas (Zorba, the Greek, USA / GB / GR 1964) #Filmfest 585 zum Tod von #MikisTheodorakis

Filmfest 585 Cinema – Mikis Theodorakis

Der große Grieche

Es ist purer Zufall, dass bei der US-Filmchronologie gerade im Jahr 1964 angekommen sind, in dem Moment, in dem der große griechische Komponist Mikis Theodorakis verstorben ist. Er schrieb 1964 auch die Musik zu diesem Film, die zu einer Legende wurde und mehr als nur die inoffizielle Nationalhymne Griechenlands darstellt. Sie steht für ein Lebensgefühl, an das ich oft gedacht hatte, während Griechenland von der Finanzkrise besonders hart getroffen wurde, in der Hoffnung, es setze sich auch dieses Mal wieder durch. Der Entwurf zur Rezension entstand während der Krisenjahre und wir haben uns entschlossen, ihn nur wenig zu glätten, denn das war auch eine Zeit, in der die Emotionen bezüglich der EU ziemlich hochstiegen. Man kann es vermutlich ein wenig nachspüren in ebenjener –> Rezension.

Handlung (1)

Der Schriftsteller Basil hat auf Kreta ein BraunkohleBergwerk geerbt. Er engagiert den Makedonier Alexis Sorbas, den er am Hafen des Festlandes kennenlernt, als Vorarbeiter. Dieser umwirbt bald die alternde Offizierskurtisane Madame Hortense, bei der beide zunächst Unterkunft auf Kreta finden. Beim Besuch eines Cafés treffen Sorbas und Basil auf die junge Witwe Surmelina, die von vielen Männern begehrt wird, insbesondere von Pavlis, dem Sohn des Dorfschulzen. Bald versucht Sorbas, Basil mit der jungen Frau zu verkuppeln, was sich zunächst als äußerst schwierig erweist, da beide nicht den ersten Schritt wagen.

Wenig später kann Sorbas nicht verhindern, dass das Bergwerk einstürzt; er kann gerade noch sich und die anderen retten. Um den Stollen abzustützen, brauchen sie starke Bäume. Sorbas plant daraufhin den Bau einer Seilbahn, um den Waldbestand des darüberliegenden Berges nutzen zu können. Als Sorbas in der Stadt Material kaufen soll, aber wegen einer „Damenbekanntschaft“ nicht zurückkehrt und obendrauf noch das gesamte Geld verjubelt, das für die Seilbahnkonstruktion gedacht war, wird er von Basil zurückbeordert. In der Zwischenzeit verspricht Basil Madame Hortense leichtfertig, dass Sorbas sie heiraten wird (was dieser keineswegs vorhat). Basil verbringt eine Nacht mit Surmelina. Währenddessen begeht Pavlis, den sie zum wiederholten Male zurückgewiesen hat, Selbstmord. Da die Einwohner des Dorfes Surmelina die Schuld daran geben, versucht man sie am nächsten Morgen auf dem Vorhof der Kirche zu steinigen, und schließlich wird ihr von Pavlis‘ Vater die Kehle durchgeschnitten. Wenig später stirbt auch Madame Hortense, und ihre Pension wird von den Dorfbewohnern geplündert.

Die fertige Seilbahn wird unter Anwesenheit von Gästen eingeweiht, bricht jedoch bei der Inbetriebnahme in sich zusammen. Basil und Sorbas bleiben alleine am Strand zurück. Basil bittet seinen Freund, ihm das Tanzen beizubringen, woraufhin beide sich zum Sirtaki an die Schulter fassen.

Rezension

Es ließ sich nicht vermeiden. Wir mussten uns den Film während der Griechenland—Krise anschauen, denn deren nunmehr fünfjähriges Andauern macht es unmöglich, Filme zurückzustellen, um weniger durch aktuelle Ereignisse beeinflusst zu sein. Also gehen wir den ganzen Weg und fangen wirklich mit den Assoziationen an, die uns dieses grandiose Werk geradezu aufzwingt.

Dabei kann  man gar nicht woanders starten als mit der einstürzenden Seilbahn, deren Holzstützen viel zu schwach konstruiert sind, um die dicken Stämme, die an den Seilen hin- und herschwingen, in der Bahn halten zu können. Die ganze Konstruktion, gespickt mit Griechenland-Fähnchen und gesegnet vom Vorsteher eines orthodoxen Klosters, kracht zusammen und danach will der zurückhaltende, wenn nicht scheue Engländer Basil vom  Konstrukteur der Malaise, Alexis Sorbas, lernen, wie man tanzt.

Die Botschaft haben wir verstanden, und, nein, wir nehmen eben nicht diesen Mann her, um aktuelle Griechenland-Klischees zu verifizieren. Der Autor der Buchvorlage, das ganze Filmteam bestand aus Griechen, die werden gewusst haben, wovon sie schreiben. Aber Sorbas ist ja nicht zu uns gekommen, um uns zu lehren, wie es ausgehen kann, wenn man die nötige Ernsthaftigkeit und den maximalen Perfektionismus bei der Arbeit vermissen lässt, sondern, u uns beizubringen wie man das Leben austanzen kann. Und er hat sowas von Recht damit. Der Film war auch in Deutschland ein Riesenerfolg, das 1964 noch vor allem von der Perfektion gelebt hat, die man sich selbst zurechnete, wenn schon alle moralischen Ansprüche futsch waren.

Und das, obwohl es ganz andere Dinge sind als Sorbas‘ lockere Ideen und seine Einstellung, die den Film für uns so impressiv gemacht haben. Fehler am Bau gibt es überall, und was ist diese Seilbahn gegenüber dem legendären Berliner Großflughafen, der mittlerweile internationale Popularität genießt, weil er belegt, dass die Deutschen auch nur mit unreinem Wasser kochen. Falls sie es denn zum Kochen bringen (mittlerweile ist das tatsächlich passiert, seit 2020, rechtzeitig zum Corona-Stopp des Flugverkehrs, ist er geöffnet worden). Und wir haben den Verdacht, dass diejenigen, die den BER fehlkonstruiert haben, nicht so sympathisch sind wie der Grieche Sorbas, der vom Irisch-Mexikaner Anthony Quinn fantastisch verkörpert wird.

Was uns entsetzt hat, war die archaische Gesellschaft, die eine junge Frau gesteinigt hat, während eine Messe gelesen wurde, war die ungeheuer dumpfe und brutale Art der Menschen, mit Enttäuschungen umzugehen – und, ja, Schuldverschiebungen vorzunehmen. Nicht der idiotische Sohn des Bürgermeisters, der sich umgebracht hat, weil die Witwe den englischen Fremden ihm vorgezogen hat, war für die Leute der Schuldige, sondern diese stolze und schöne Frau, die nichts weiter getan hat, als sich ihre Integrität zu bewahren und ihre Unabhängigkeit. Gewiss hat sich Kreta inzwischen verändert, aber wir machen immer wieder die Erfahrung, dass selbst Touristen, die Freundschaften durch Reisetätigkeit geknüpft haben, alles unbewusst oder sogar bewusst durch die rosarote Brille sehen und nicht wirklich wissen, wie Gesellschaften konstruiert sind und dass die Menschen, die sie dabei kennengelernt haben, möglicherweise nicht typisch sind und sich außerdem gegenüber Außenstehenden anders verhalten als untereinander.

Wir sind sicher, was der Film zeigt, ist nicht komplett realitätsfern – in seiner Zeit, in der speziellen Situation, versteht sich, das Buch zum Film entstand 1946. Kaum hat man den niederschmetternden Tod der Frau halbwegs verdaut, den Sorbas, der einzige, der sich für sie eingesetzt hat, nicht verhindern konnte, da kommt das Ende der alternden Prostituierten. Zunächst denkt man, die gehässigen Dorfhyänen setzen sich an die Tür, um Trauerarbeit zu leisten, aber dann wird klar, dass sie die Vorposten sind, die dafür sorgen, dass beim Plündern niemand zu kurz kommt. Etwas so Gruseliges, komplett Respektloses im Umgang mit Toten haben wir in einem Film bisher noch nicht gesehen. Dazu passt im Maßstab 1:1, dass der Dorfpriester Mme. Hortense nicht beisetzen will, angeblich, weil sie Katholikin und nicht orthodox ist. Auch solche Engstirnigkeit wird in vielen Filmen thematisiert, aber hier wirkt sie so massiv, weil sie sozusagen zu den vorherigen brutalen Szenen hinzuaddiert wird.

Eine Gesellschaft, die mit Menschen so umgeht, hat keinen Reichtum durch die Wiederinbetriebnahme der Braunkohlemine verdient, die der junge Engländer Basil geerbt hat, das war das erste, was man nach dem Doppelschock und angesichts des ökonomischen Fehlschlags denkt – weshalb man es eher mit Sorbas hält und nicht allzu traurig ist, dass die Sache schiefgeht, als dass man sich Sorgen um die finanzielle Zukunft des Literaten macht, der zum Unternehmer werden wollte.

Er wird zu seiner Tätigkeit und in sein Land zurückkehren, das Experiment ist gescheitert, aber das Leben geht weiter. Wir waren ohnehin verwundert, wie gleichmütig Basil alles auf- und mitnimmt, was ihm begegnet. Seine zurückgenommene Art lässt ihn zuweilen lieblos erscheinen, dabei ist er ein Büchewurm, der am Ende mit seinen vielen Seiten Papier zurückfährt. Falls er etwas gelernt hat, dann aus dem, was auf Kreta geschah, nicht durch seine Bildung, die höher ist als die aller Einheimischenr. Alexis Sorbas, Makedonier, hat ein hohes Maß an Zugang zu den essentiellen Dingen und Basil kann aus seiner kulturellen Überlegenheit kein Kapital machen, nicht im wörtlichen und nicht im menschlichen Sinn. Die Leute vor Ort arbeiten zwar für ihn und nehmen ihn, im Gegensatz zu der Witwe, die sie töten, nicht in Regress für den Selbstmord des jungen Mannes, aber er bleibt ein Fremder. Das von Alexis Sorbas gebrauchte Wort von der Gastfreundschaft trifft auf diese Menschen nicht zu – wir sehen keine einzige Szene, in der Basil in die Gemeinschaft integriert wird. Die Menschen haben etwas Grundfeindseliges an sich, das nur aus einer Repression entstehen kann, die sich aus Elementen der Religion und der Armut zusammensetzt und, soweit es die griechische Geschichte betrifft, aus unseligen Abhängigkeiten über Jahrhunderte hinweg. Was uns die Menschen entfremdet, ist auch die Tatsache, dass man ihre Sprache nicht synchronisiert hat. Dadurch, dass wir sie nicht einschätzen können, wirkt die Lage auf uns noch bedrohlicher. Was haben die keifenden Weiber geäußert, dass sich der Mob vorerst vom Haus der jungen Frau zurückzieht? Die trügerische Ruhe, die dadurch entsteht, unser Aufatmen, wird dramaturgisch sehr geschickt ausgelöst, denn umso härter kommt es dann, dass es kein Mitleid, keine Barmherzigkeit gibt, sondern nur Rache für nichts und aus Neid.

Heute wird es diese rigide Gesellschaft nicht mehr geben – oder vielleicht in abgelegenen Bergdörfern, aber nicht an der Küste, denn die Touristenströme und die Devisen, die sie ins Land bringen, haben mit Sicherheit eine Modernisierung des Alltags und eine Auflösung von starren Strukturen mit sich gebracht, zu denen auch die Rollenbilder gehören, die der Film ohne viele Worte vermittelt.

„Alexis Sorbas“ ist ohnehin dort am stärksten, wo er wenig Worte macht. Das Salbadern gehört zwar zu einer Figur wie Alexis, aber was sind die Ansprachen, die er zum Beispiel an Madame Hortense hält, gegen den Moment, in dem sich Basil und die Witwe auf dem schmalen Weg begegnen und sich nicht trauen, miteinander zu reden. Das wirkt vielleicht in einer solchen Zweiersituation stilisiert, normalerweise hätte man einander  guten Tag gewünscht, aber es rekurriert sehr schön auf die Gelegenheiten des Lebens, die man ausgelassen hat, weil man zu verzagt war. Basil lässt sich einen Mehrtagebart wachsen, seine Frisur unordentlich werden und wagt es dann doch, die Frau aufzusuchen, deren Zeichen ihm wohl bisher nicht eindeutig genug waren. Alexis Sorbas, der Filou, hat die Situation viel früher erkannt.

Finale

Es ist wieder die  Zeit für besondere Filme. Nachdem wir zuletzt „Die Nacht des Jägers“ rezensiert haben, zwischen diesem Film und „Alexis Sorbas“ nur einen aktuellen Tatort, fahren wir also fort mit den außergewöhnlichen Momenten der Kinogeschichte.

Die Härte und Konsequenz von „Alexis Sorbas“ sind einzigartig, wie der vorgenannte „Jäger“ ist er häufig zitiert worden, sein Stil jedoch wurde nie kopiert oder gar zu einem Trend. Im Grunde weist er ja auch rückwärts, denn so, wie „Die Nacht des Jägers“ expressionistische Elemente enthält, kann man von „Zorba, the Greek“, wie der Film im Original heißt, eine Verbindung zum italienischen  Neorealismus erstellen, der 1964 bereits eine abgeschlossene Angelegenheit war. Die Musik und die Figur des Sorbas setzen zwar auf der emotionalen Ebene Akzente, die nicht dem dokumentarischen Grundcharakter der italienischen Nachkriegsfilme entsprechen, zudem ist die Kameraarbeit ausgezeichnet und zeigt innovative Elemente wie die Talfahrt mit den Holzstämmen, dass man von einem eigenständigen Werk ohne genaue Zuordnungsmöglichkeit sprechen kann – und das zeichnet die besonderen Filme ja oft aus: Dass sie entweder einen Stil auf die Spitze und zur höchsten künstlerischen Höhe treiben, oder etwas ganz Einzigartiges schaffen, wie „Zorba, the Greek“.

Es gibt deutliche Goofs, die beinahe ein wenig wie Spiegel der mangelhaften Seilbahnkonstruktion wirken,, und tatsächlich sehen wir einmal das Modell des Berges, das Sorbas gebastelt hat in einer Szene mit Seilbahn, in der nächsten Einstellung ohne, dann wieder mit. Oder sollte das symbolisch sein, ebenso wie die Tatsache, dass Sorbas sich zwischenzeitlich die Haare dunkel färben lässt und in der Szene, als er versucht, die Witwe zu retten, das Haupthaar wieder in natürlichem Grau trägt?

Einige Längen hat der Film durchaus, aber im Vergleich zu anderen Werken aus der Endphase des klassischen Hollywood, die oft aufgeblasen und leer wirken, überzeugt er mit seinen Typen, seiner erstklassigen Dramaturgie, der hohen Spannungskurve, die er zwischenzeitlich erreicht und natürlich mit seiner Botschaft, die uns sagt, wie schön es ist, das Leben zu lieben und wie man wird, wenn man das Leben nicht liegt. Insofern gibt es keine Griechen als solche, sondern vitale Typen wie Sorbas, der gerne auch mal schnorrt und gerne mit dem Geld anderer Leute arbeitet, aber sehr menschlich wirkt, und es gibt eine Bevölkerung, die in einer vorgestrigen ökonomischen und gedanklichen Welt zuhause ist und deren Dasein für sie selbst und andere kein Glück bringen kann.

85/100

© 2021 (Entwurf 2015) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Michael Cacoyannis
Drehbuch Michael Cacoyannis (nach dem Roman von Nikos Kazantzakis)
Produktion Michael Cacoyannis
Anthony Quinn
Musik Mikis Theodorakis
Kamera Walter Lassally
Schnitt Michael Cacoyannis
Besetzung

 

 

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