Blutige Spur (Tell Them Billy Boy Was Here, USA 1969) #Filmfest 628

Filmfest 628 Cinema

Blutige Spur (Originaltitel: Tell Them Willie Boy Is Here) ist ein US-amerikanisches Filmdrama von Abraham Polonsky aus dem Jahr 1969. Das Drehbuch schrieb Abraham Polonsky nach dem Buch Willie Boy: A Desert Manhunt von Harry Lawton aus dem Jahr 1960.

Native Americans sind exzellente Dauerläufer und zu Fuß so schnell wie die Weißen mit ihren Pferden, die bei der Verfolgung ins Schäumen kommen. Ist das so unrealistisch? Western aus der Zeit der Mystifizierung zeigen etwas, was es in Wirklichkeit selten gegeben haben dürfte, vorgeblich stundenlange Ritte im Galopp, zumal Pferde und Reiter in jenen Zeiten oftmals nicht in der exzellenten Kondition gewesen sein dürften, die man in Filmen meistens sieht, besonders nicht in der Wüste. Aber das Zentrum des Films ist ein anderes: Wie ein „Indianer“ von Weißen gejagt wird, weil er kein Weißer ist. Das war 1969 noch relativ neu und dass Robert Redford die Hauptrolle spielt, wirkt stimmig, weil er ein Vertreter der liberalen Generation von Hollywoodschauspielern war, die in den 1940ern und 1950ern zunehmend den politischen Sound von Tinseltown dominierten. Und wie war der Film? Wir klären auf in der –> Rezension.

Handlung (1)

Die Handlung spielt im Jahr 1909 in Kalifornien. Der Indianer Willie Boy streitet mit dem Vater seiner Freundin Lola, den er in Notwehr tötet. Beide machen sich zu Fuß auf die Flucht. Hilfssheriff Christopher Cooper führt eine Gruppe von Männern an, die Willie Boy fangen oder töten wollen. Cooper kehrt um, als die Verfolgung aussichtslos erscheint. Die anderen verfolgen Willie Boy weiter. Durch ihr Ungeschick geraten sie in eine Falle. Willie Boy erschießt ihre Pferde. Aus Versehen verwundet er dabei einen alten Freund von Coopers Vater tödlich. Cooper nimmt die Verfolgung deswegen wieder auf.

Lola erschießt sich selbst mit einem Colt ihrer Verwandten, damit Willie Boy schneller vorwärtskommen kann. Cooper zweifelt, ob es Selbstmord oder ein Mord von Willie Boy war. Er überrascht schließlich Willie Boy in den Bergen und erschießt ihn erst, als Willie Boy mit seinem Gewehr auf ihn zielt. Später stellt er fest, dass das Gewehr nicht geladen war.

Rezension

Zu der Zeit, in welcher der Film spielt, waren die „Indianer“ längst in Rerservate verbannt, in einem solchen entspinnt sich auch die Handlung. „Blutige Spur“ wurde offenbar von einer einflussreichen Publikation zu einem der zehn besten Filme des Jahres 1969 gewählt, zumindest weist ein Filmplakat auf diesen Umstand hin.

Emanuel Levy zitierte auf http://www.emanuellevy.com die Zeitschrift TIME, die den Film als eine „subtile, intensive Dokumentation der rassistisch motivierten Verfolgung“ bezeichnete. Der Film habe eine Reihe der Filme inspiriert, in denen weiße Menschen die Bösewichte seien. Levy bezeichnete die Kameraarbeit als „launisch“.[1]

Joe Hembus stellt fest, der Film gelte als „einer der besten Hollywood-Filme von 1969.“ Er erhalte außerdem eine „andere Dimension des Authentischen“ durch Polonsky, der auf der Schwarzen Liste stand und 20 Jahre nicht unter seinem Namen arbeiten durfte. Polonsky bestätigte, dass der Film nicht von Indianern, sondern von ihm selbst handle.[2]

Phil Hardy nennt den Film einen „fehlgeleiteten ‚liberalen‘ Film“, der lediglich als Star-Vehikel für Redford funktioniere. Einige Sequenzen, etwa der Besuch von Präsident Taft, seien „akkurat dargestellt“, andere aber seien „zu pointiert, um überzeugend zu wirken.“[3]

Was war nun mit Regisseur Abraham Polonsky? Wir klären dies auch noch, bevor wir in die Bewertung einsteigen:

Als überzeugter Marxist trat Polonsky in die Kommunistische Partei der USA ein und war auch gewerkschaftlich aktiv. Seine Weigerung im Jahr 1951, im Zuge der Ermittlungen der McCarthy-Ära über seine politischen Aktivitäten auszusagen und Parteimitglieder zu verraten, führten zu seiner Entlassung durch die 20th Century Fox, und er kam auf die „Schwarze Liste“, die sein berufliches Aus in Hollywood bedeutete.[1] Obwohl er anonym weiter in Hollywood arbeiten konnte, wurde seine Karriere nachhaltig beschädigt. So vergingen 21 Jahre zwischen seinem Regiedebüt Die Macht des Bösen (1948) und seiner nächsten Regiearbeit, Blutige Spur (1969).

Wahrscheinlich hatten offenbar konservative Rezensenten wie Phil Hardy die Geschichte von Polonsky im Kopf, als sie von fehlgeleitetem Liberalismus schrieben. So viel liberaler als andere Filme seiner Zeit ist „Blutige Spur“ durchaus nicht. Die Spur zu diesem Film hatten nämlich schon Marlon Brando und Paul Newman gelegt, die es sich nicht nehmen ließen, im gesellschaftsliberalen Sinne selbst Native Americans zu spielen und damit das Publikum auf deren Seite zu ziehen. Besonders bei Newman musste man die hellblauen Augen irgendwie erklären und ließ ihn deshalb lieber als „angenommenen Indianer“ agieren. Heute würde man das vermutlich als kulturelle Aneignung bezeichnen, aber damals war es der einzige Weg, eine realistischere Sicht auf die Geschichte der amerikanischen Landnahme ins Mainstream-Kino zu bringen, nachdem amerikanische Ureinwohner im Film jahrzehntelang genauso schlecht wegkamen wie im tatsächlichen Leben. In dieser Tradition also stand der Film schon, als Robert Redfort und Abraham Polonsky sich gewiss über dessen politische Aussage einig waren und der Cast ist noch lange nicht „original“, was besonders bei Katharine Ross als junge Native American Lola auffällt, aber auch der authentischer wirkende Robert Blake ist kein Abkömmling von Ureinwohnern, sondern italoamerikanischer Herkunft.

Es sollte bis in die 1990er dauern, bis profilierte Darsteller mit authentischer Herkunft zur Verfügung standen, die einen Film tragen konnten: Mit Graham Greene, Tantoo Cardinal und Floyd Westerman wirkten gleich drei dieser ersten Generation von filmschaffenden Angehörigen der First Nation in einem Film mit, der schon deshalb „echter“ wirkt als alles, was in Hollywood bis dahin über diese Menschen gefilmt wurde: „Der mit dem Wolf tanzt“. 

In der Menschenjagd manifestiert sich die Haltung der Macher weniger als in einem anderen Aspekt: Die aufopferungsvolle Liebe von Billy Boy und Lola wird dem wenig harmonischen Verhältnis von Sheriff Cooper und Dr. Arnold gegenübergestellt. Vielleicht kann man das als etwas  stark pointiert bezeichnen, aber nicht das, was sich zwischen den jungen Leuten abspielt, sondern das Verhalten der Weißen ist irritierend, Coopers Umgang mit der Ärztin, die das Reservat leitet, am Rande der Vergewaltigung, und so ist es sicher auch gemeint. Die Gewalt und der Hass sind auf der Seite der Weißen. Der Wandel des Films an der Schwelle zu New Hollywood hingegen irritierte nicht nur traditionelle Regisseure, sondern sicher auch das Publikum und einen Teil der Kritik. 

Es ist schon sehr spannend, anhand dieses uramerikanischen Genres Filmstile nach Epochen zu ordnen. Deswegen gibt es auch den klassischen Western und den Spätwestern, während bisher niemand versucht hat, klassische und späte Melodramen und Komödien zu definieren. Einzig der Krimi wird mit dem Sondergenre Film noir ähnlich eingegrenzt, als Epoche, die manche bis aufs Jahr genau definieren wollen (1940/41 bis 1958). So, wie es den Neo-Noir gibt, gibt es also auch den Neowestern und zwischen der klassischen Phase und den neuen Western die Spätwestern, zu denen man Abrahm Polonskys „Blutige Spur“ schon knapp rechnen kann. Im Grunde ist er aber noch, anders als der im Jahr zuvor entstandene, sehr modern wirkende „Butch Cassidy and the Sundance Kid“, mit dem Robert Redford in die A-Liga aufstieg und mit Paul Newman ein zünftiges Banditenduo bildete, traditionell gefilmt. Dass ein „Indianer“ und seine Frau im Mittelpunkt stehen, geht nicht mit einem Stilbruch einher.

Die eher karge Musik und der realistische Unterton sind durchaus zeitgemäß, die „launische Kameraarbeit“ besteht u. a. darin, dass durch Gräser hindurch gefilmt wird und Personen auch mal vom Rand her ins Bild laufen. Das hat sich nicht durchgesetzt und man merkt schon, dass der Moment für Experimente günstig war, von denen nicht alle den Weg in den Kanon der Filmkunst geschafft haben. Den Gang der Geschichte unterbrechen die Stilmittel aber nicht und immerhin gibt es die eine oder andere Supertotale, die stark an die mittlerweile etablierten Italowestern denken lässt. Einen kleinen Punkt in der Wüste zu zeigen, das hätte man bei diesem Film noch stärker ausspielen können. Dem Film fehlt die emotionale Dynamik, die in Italowestern durch den rigiden Wechsel zwischen Nahaufnahmen und Totalen oft bis zur Grenze der unfreiwilligen Komik inszeniert wird. Es ist dem stilwilligen Können von Spitzenkräften wie Sergio Leone zu verdanken, dass es nicht zu sehr ins Lächerliche dreht.

Abgesehen von der Tatsache, dass der Gejagte ein Native American ist und dass häufig aus dessen Sicht gefilmt wird, ist die Story nicht exorbitant und wurde vielfach zuvor gefilmt, denn im Westen befanden sich unzählige Männer auf der Flucht, die sich vor Justizirrtümern, Lynchmobs , vor Verbrecherbanden retten mussten. Wie man dabei eine beeindruckende Landschaft groß herausbringen kann, das sieht man auch in „Blutige Spur“.

Finale

Dass „Blutige Spur“ einer der besten Filme des Jahres gewesen sein soll, spiegelt sich heute nicht mehr in der Nutzerwertung der IMDb, die im Durchschnitt nur 6,4/10 anzeigt. Über alle Altersstufen, unabhängig davon, ob die Votes aus den USA stammen oder von „abroad“, ob besonders versierte Nutzer:innen sie abgaben oder das Normalpublikum, zu dem wir nach IMDb-Maßstäben auch zählen, ist die Bewertung mäßig. Eine Ausnahme gibt es, die aber kaum in die Statistik einfließt, weil nur zehn Prozent der Bewertenden dieser Gruppe angehören: Frauen mögen den Film noch weniger als Männer, vermutlich wegen der einzigen überraschenden Handlung, die wir sehen: dem Moment, als wir feststellen, dass Lola sich erschossen hat, damit Billie Boy alleine schneller fliehen kann.  Sinn ergibt diese Handlung, wenn überhaupt, erst, nachdem der junge „Indianer“ versehentlich einen der Verfolger schwer getroffen hat, obwohl er auf dessen Pferd zielte. Sinnigerweise ist es der alte Indianerjäger, der findet, das Leben sei nicht mehr lebenswert, seit man nicht mehr hinter den Skalps her sein darf. Coopers Vater und er waren einst eine Jagdgemeinschaft in diesem Sinne und man merkt Cooper den Konflikt zwischen dem Macho an, den sein Vater wohl darstellte und seiner selbst erarbeiteten pazifistischen Haltung. Vielleicht doch etwas überpointiert, diese Aufstellung und dieser Verlauf, aber man kann diesem Konflikt der Generationen letztlich sogar besser nachspüren als dem der Kulturen, der eher schematisch und vom guten Willen getragen als packend und provokativ dargeboten wird.

67/100

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, zitiert und tabellarisch: Wikipedia

Regie Abraham Polonsky
Drehbuch Abraham Polonsky
Produktion Jennings Lang,
Philip A. Waxman
Musik Dave Grusin
Kamera Conrad L. Hall
Schnitt Melvin Shapiro
Besetzung

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