Zwischen den Welten – Polizeiruf 110 Episode 337 #Crimetime 1071 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Bukow #König #NDR #Rostock #Welten #zwischen

Crimetime 1071 – Titelfoto © NDR, Christine Schröder

Ein ganz normaler Fall und doch der Fall in die Tiefe der Zeit

Man mag es kaum glauben, aber in „Zwei Welten“, dessen Titel den Inhalt auf verschiedene Weise spiegelt, hat Sascha Buckow nicht mehrere private Probleme, sondern nur eines am Hals. Unfassbar, wie frei diese Reduktion macht. Am Ende hat er zwar die Bescherung oder den Salat auch wieder wegen des Jobs, aber das ist ja nix gegen die Schatten der Vergangenheit oder das, was seine Blutfamilie ihm manchmal aufbürdet. Katrin König hingegen kommt in Sachen Vergangenheit voran – auch dank eines Hinweises, den der Kollege ihr gegeben hat. Was dabei herausgekommen ist und mehr beschreiben wir in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia)

Kriminalhauptkommissar Alexander Bukow hat eigentlich Urlaub und ist mit seinen beiden Jungs auf einer Angeltour. Auf dem Heimweg durch den Wald rennt dem Kommissar ein kleines Mädchen vor den Wagen. Verstört bringt das Kind Bukow zu seiner Mutter, die tot neben ihrem Fahrrad im Wald liegt. Nachdem er seine Kollegen verständigt und die Identität der Toten geklärt ist, kümmert sich Bukow um das Kind und bringt es zu seinem Vater.

Bukow und seine Kollegin Katrin König schließen nicht aus, dass die sechsjährige Franzi den Mörder gesehen hat, aber das Kind spricht nicht. Die Analyse des Laptops von Julia Wenning bringt zu Tage, dass die Jurastudentin nach Hamburg umziehen wollte. Außerdem gab es regelmäßige Zahlungseingänge, die nicht von der Kanzlei stammten, in der sie arbeitete. Als die Ermittler dem nachgehen, stellt sich heraus, dass Julia Wenning zusammen mit ihrer Freundin Lisa Schöning als Prostituierte arbeitete und dafür ein Appartement in Rostock hatte. Da Julia ihre Freier nachträglich erpresst hatte, ist sich Lisa sicher, dass ihr Dozent, Professor Meiners, Julia umgebracht hat. Sie will ihn auf eigene Faust überführen, was ihr aber nicht gelingt.

Hauptverdächtig für Bukow ist Stefan Wenning, der Ehemann des Opfers. Er leugnet, seiner Frau etwas angetan zu haben, obwohl er allen Grund dazu hatte, schließlich wollte sie ihn verlassen. Nachdem Wennings Tochter endlich wieder zu reden beginnt, wird der Nachbar, Frank Freese, belastet. Anhand der Beweislage gegen ihn räumt er ein, mit Julia ein Verhältnis gehabt zu haben. Er hätte sie geliebt und mit ihr ein neues Leben beginnen wollen. Sie habe aber nicht gewollt, worüber es im Wald zu einem Streit zwischen ihnen gekommen sei. Nachdem er ihr einen Schubs versetzt habe, sei sie auf einen Stein gefallen.

Da Bukow seine Arbeit sehr ernst nimmt, fühlt sich seine Frau Vivian immer mehr vernachlässigt. Sie trifft sich heimlich mit Bukows Kollegen Volker Thiesler. Nachdem Bukow sich trotz seines Urlaubs wiederum nicht an getroffene Absprachen hält und die Kinder allein lässt, zieht Vivian erst einmal mit ihren beiden Söhnen aus dem gemeinsamen Haus aus.

Rezension

Wir haben, als wir vorhin die Daten zu diesem Film nachgeschaut haben, die Kritiken-Ausschnitte gelesen, die in der Wikipedia stehen. Wir müssen jetzt für diesen 337. Polizeiruf Partei ergreifen: Kein Wunder, dass Autor*innen sich genötigt fühlen, immer absurdere bis lächerliche Plots zu konstruieren, wenn alles, was in Sichtweite der Realität liegt, als „unoriginell“ oder „unpräzise“ oder einfach als schlecht bezeichnet wird. Dadurch verfehlt man viele Details. Immerhin haben alle das Spiel von Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau gewürdigt, das in der Tat herausragend ist. Vielleicht war es aber auch eine Verschiebung, die mit zum Verdruss beigetragen hat: Obwohl dies eigentlich eine König-Episode hätte sein müssen, dominiert Buckow mit seinem teilweise fulminanten Freidrehen den Film. Allein seine Befragungsmethoden sind durchaus originell und reichen vom Hochgehen bei jeder Schwierigkeit bis zum grinsenden Gucken in den Ausschnitt, um das Gegenüber zu irritieren. Oder auch nicht deswegen, sondern einfach so. Aber dadurch, dass er mal nur Eheprobleme mit sich herumschleppt und nicht noch mit seinem Vater, seinem Sohn oder seiner Zeit in Berlin Probleme hat, wirkt er geradezu euphorisch. 

Dagegen ist König dieses Mal eher ein wenig zurückgenommener als sonst und das hat einen guten Grund. Buckow gibt ihr einen Tipp: In einem Altenheim lebt ein ehemaliger Fluchthelfer. Und der hat nicht nur ein phänomenales Gedächtnis, sein Gedächtnis kann auch morphen. Er sieht in Katrin König, die um die 40 ist, sofort das vierjährige Mädchen, dem er einst  zusammen mit der Muter über die Ostsee gen Westen half. In dem Film ist nicht alles gut, keine Bange. Wenn man bedenkt, wie die Auflösung von Katrins Kindheitstrauma über sieben Episoden hinweg vorbereitet wurde, ist sie zu banal. Dem Mädchen fällt ein Koffer ins Wasser (!), die Mutter springt hinterher, von einem fahrenden Schiff oder Boot aus – und ertrinkt (!). Auweia. Wenn das nicht originell und bescheuert ist, wissen wir’s auch nicht. Natürlich hat Katrin König nun Gewissensbisse, sie fühlt sich schuldig am Tod der Mutter. Komischerweise ist das psychologisch stimmiger, als dass der Hergang einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad besäße. Wird es künftig besser werden, weil ihr nun gesagt wird, ein vierjähriges Mädchen hat keine Schuld? 

Offensichtlich musste dieser Part so hingebogen werden, dass er zur Haupthandlung passt, in der ein sechsjähriges Mädchen den Tod seiner Mutter – nicht verhindert. Das ist schon ein bisschen ärgerlich, aber hat uns nicht so gestört wie manche wirklich übertriebenen Konstruktionen, die man vor allem mit Buckow in den Rostock-Polizeirufen, die wir schon gesehen haben, durchexerziert. Die Tendenz geht dahin, dass Tatort immer abgefahrener werden und bereits ins Surreale tendieren, da müssen die Polizeirufe durch ausgemachte Betonung des beschwerten Ermittlerlebens gegenhalten. 

Ist Buckow also dieses Mal etwas überpräsent, muss man die Momente mit König und ihrer Vergangenheit besonders genießen. So weich ist sie in keinem anderen Polizeiruf gezeichnet worden, den wir bisher gesehen haben – es ist Sommer. Man kann im Sommer aber auch ein Tanktop tragen, es muss kein sanftfarbenes, geblümtes Kleid sein, in dem die Kommissarin mädchenhaft wirkt und damit die Entblätterung des Geheimnisses ihrer Kindheit und das mächtige Abtauchen in diese Kindheit kenntlich macht. 

Und damit zum eigentlichen Part. Er ist vergleichsweise konventionell, am Ende ist simple Eifersucht das Tötungsmotiv – ein Mord ist es ja wieder einmal nicht, weil: Es war nicht so gewollt. Das ist nicht so fetzig wie ein getriebener Serienkiller, der es will und immer wieder will. Einen Serienmörder werden wir mit Buckow und König übrigens morgen Abend erleben, wenn der 380. Polizeiruf „Dunkler Zwilling“ Premiere feiern wird.

„Zwei Welten“ ist sogar ein Whodunit, also auch bezüglich der Plotanlage konventionell. Das trifft aber auf alle Buckow-König-Filme zu, die wir bisher, auch auf die stark gepriesenen. Inhaltlich müssen wir bei Werken, welche die Prostitution von Studentinnen zum Inhalt haben, immer daran denken, dass zu unserer Zeit die Meinung bestand, etwa 5 Prozent aller Studentinnen verdienen sich auf diese Weise etwas nebenher. Eher selten auf dem Straßenstrich, dafür nicht so selten als Escorts. Buckow spricht diese Variante  an, als er sich durch das Doppelleben der Jurastudentin Lisa kämpft und sich dabei in sie verknallt. „Abteilung Jura“ heißt das Institut, an dem sie studiert in Rostock. Damals, in the Old West: „Fakultät I, Rechtswissenschaften“.

Die Zeiten sind in der Tat banaler geworden, da müssen eben die Plots … oder sollten. Gut und weiter. Dass eine Studentin in Ausübung ihres Nebenjobs auf einen ihrer Professoren trifft, ist gar nicht so unvorstellbar, das könnte selbst in Berlin passieren. Dass die Liebesdienerin ihren Lehrer damit erpressen kann, weil er offiziell ein untadelig treuer Familienmensch ist – geht das heutzutage noch?

Oder ist es eher umgekehrt? Dass man den Typ dadurch für den tolleren Hecht oder den glatteren Aal hält, der gut eine Fassade markiert – was gerade bei Juristen eine gefragte Eigenschaft darstellt. Jedenfalls bemerkt nur Lisa nicht die Untauglichkeit ihres Erpressungsversuchs, doch immerhin, sicher ist sicher, wollen der Prof und der Anwalt aber die Aufzeichnungen der toten Julia. Was die alles dokumentiert hat und wie penibel. Aus ihre wäre eine gute Juristin in einer öffentlichen Verwaltung geworden. Ein bisschen vom Mädchen Rosemarie ist also auch dabei; warum nicht, den Fall hat es wirklich gegeben und wie er ausging, sagt uns, dass man nicht vorsichtig genug sein kann, wenn man ein Risiko eingeht.

Finale

Ein gigantischer Wurf ist der „Zwei Welten“ nicht, aber uns hat er Spaß gemacht und wir fanden ihn nicht gedehnt oder gezogen, weil das Spiel es verhinderte und weil wir wissen wollten, was nun mit Katrin König passiert ist, als sie vier Jahre alt war. Dazugekriegt haben wir den Auszug von Frau Buckow aus dem gemeinsamen Haus. Wenn wir’s richtig im Kopf haben, bleibt es dabei, zumindest ist er in den neuesten Filmen von seinen Söhnen getrennt. Bahn frei für Katrin König, die keine Beziehung hat? Vielleicht erfahren wir morgen mehr. Vielleicht ziehen sie das Königskinder-Spiel, das die subtile Spannung, die in Königs Kinderzeit lag, aber auch über weitere 20 Folgen. Das sind solche Sachen, die wir dann etwas gedehnt finden. Vor allem, wenn am Ende eh nichts draus wird. Es gibt im Moment mit den Tatort-Ermittlern Falke und Grosz in Hamburg ein Paar, das ebenfalls einen spannenden Weg geht. Ausgerechnet der NDR als Stifter von emotionaler Erfüllung? Na, na. 

8/10

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2020)

Regie René Heisig
Drehbuch Michael B. Müller,
Jens Köster,
Thomas Stiller
Produktion Iris Kiefer
Musik Oliver Biehler
Kamera Peter Nix
Schnitt Horst Reiter
Besetzung

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