Der Marshall (True Grit, USA 1969) #Filmfest 689

Filmfest 689 Cinema

Wahrer Grips kommt manchmal spät zum Vorschein

Der Marshal (dt. DVD-Titel Der Marshall) ist ein US-amerikanischer Western mit John Wayne in der Titelrolle und unter der Regie von Henry Hathaway. Gedreht wurde er 1968, die Premiere fand am 11. Juni 1969 statt. Die Handlung basiert auf dem Buch Die mutige Mattie von Charles Portis. Der englische Originaltitel True Grit bedeutet „echter Schneid“.

Manchmal kommt es vor, dass man ein Remake vor dem Original anschaut, und dann kann es passieren, dass das schon wieder so lange her ist, dass ein direkter Vergleich, eine Synopsis, schwierig wird. Deshalb verzichten wir hier auf eine solche, obwohl es erst eineinhalb Jahre her ist, dass wir „True Grit“ von den Coen-Brüdern aus dem Jahr 2011 besprochen haben. Mit einer deutlich restriktiven Haltung und einer Bewertung, die um einiges unter der liegt, welche Filmfans zum Beispiel bei der IMDb für den Film geben. Dieser ist dort wiederum marginal höher angesehen als das Original. Mehr zum Original in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der einäugige und trunksüchtige Marshal Rooster (deutsch in etwa Hahn, Gockel) Cogburn ist ein Raubein, dessen Leben jeglichen Sinn verloren hat. Doch nun wird er wieder gebraucht. Er hilft der jungen Mattie Ross, den Mörder ihres Vaters zu verfolgen und zu stellen. Mattie war nach Fort Smith in Arkansas gekommen, um die Leiche ihres Vaters zu identifizieren. Dieser war von Tom Chaney erschossen worden. Da die Behörden ihr bei der Suche nach dem Mörder nicht helfen wollen, engagiert sie für 100 Dollar Rooster Cogburn, obwohl sie von vielen Seiten vor dem alten Säufer gewarnt worden ist.

Auch der junge Texas Ranger La Boeuf schließt sich ihnen an. Die drei liegen auf ihrem Ritt in ständigem Streit miteinander. La Boeuf, der sich ein in Texas auf Chaney ausgesetztes Kopfgeld verdienen will, ist ein Aufschneider. Der alte Cogburn ist bald genervt von dessen ständiger Angeberei.

Schließlich stoßen sie auf den Mörder. Doch dieser entführt mit seiner Bande das Mädchen. Bei der Befreiung, die Winchester in der einen, den Colt in der anderen Hand, können der Marshal und La Boeuf alle Übeltäter erschießen. Nun gilt es noch, die von einer Schlange gebissene Mattie schnellstmöglich zum Arzt zu bringen. Auch das gelingt dem Helden, der wieder zu sich selbst zurückgefunden hat.

Rezension 

Im Original gibt es keinen epischen Ansatz, wir sehen Hattie nicht 25 Jahre nach ihrem Rachefeldzug, für den sie zwei Männer eingespannt hat, aber einige Szenen sind fast unverändert übernommen, das fiel uns erstmalig in dem Moment auf, als der Rauchfang der Hütte, in der sich einige Outlaws verschanzen, mit einem Bekleidungsstück abgedeckt wird, um die Leute so zum Verlassen ihres Unterschlupfes zu bewegen. Gewiss ist die Figur der Hattie im Jahr 2011 wesentlich offensiver dargestellt worden, aber im Original war sie für die Zeit und einen Western auch schon besonders, denn sie vermittelt das Eindringen der Emanzipation in die Wildnis, und angesichts dieses Szenarios fiel es John Wayne sicher leicht, eine selbstironische Darstellung von einem versoffenen, einäugigen und alternden Marshal abzugeben.

Ob der den Film ernst genommen hat, wissen wir nicht, aber endlich erhielt er für genau diese distanzierte Darstellung den Oscar, nachdem er zwanzig Jahre zuvor schon einmal – und nur einmal zuvor – nominiert war. Er wird sich darüber gefreut haben, auch wenn das vielleicht einer jener Oscars war, die einfach sein mussten, weil ein großer Star nun einmal einen Oscar braucht, um von der Legende zum ernsthaften Schauspieler mutieren zu können. Und eine Rolle wie diese kann man nur spielen, wenn man eine Legende ist, ohne dabei lächerlich zu wirken.

Dabei spielt es durchaus eine Rolle, dass Regisseur Henry Hathaway, der früher begonnen hatte, Stars wie John Wayne auf eine eher kontemplative Art in Szene zu setzen („Rio Bravo“) als John Ford, der sich schrittweise an die Dekonstruktion dessen herangewagt hat, was Ford an Statur für John Wayne aufgebaut hatte. Auch Ford hat das in den 1950ern und frühen 1960ern zunehmend getan, aber zunächst auf eine wiederum pathetische Weise in „The Searchers“ (1956). Henry Hathaway hat auf New Hollywood immerhin mit „True Grit“ eine Antwort gefunden, die Ford nie hätte in Bilder umsetzen können: Alles wirkt plötzlich ganz unpathetisch und härter und realistischer in Einzelszenen, wobei der Italowestern bereits einen Einfluss gehabt haben dürfte. Es ist aber auch ganz ohne Dialogdrive gefilmt. „True Grit“ hat so wenig Statuarisches, dass Waynes Statur selbst im Zustand des Verfaulens mehr herausragt, als sie das in den schroffen, pathetischen Bilderwelten der Ford-Filme hätte tun können. Deswegen wirken Szenen, in denen Wayne hier mitten in vier Gegner hineinreitet und selbstverständlich auch aus der Sache wieder heil rauskommt, so anders. Weil es gar nicht anders sein kann? Es konnte nie anders sein. Vielmehr, weil es essentiell und schon gleichermaßen parodistisch wirkt. Die sonst eher ruhige Kamera zitiert hier auch die bewegten Kampfbilder aus den großen Tagen des US-Westerns und schwingt sich mitten ins Getümmel.

Anders als in der Neuverfilmung der Coen-Brüder hat uns die Figur der Hattie im Original-True Grit nicht genervt. Sicher ist sie etwas nervig für ihre Filmpartner, aber die reagieren ja auch noch entsprechend kernig, der Tradition entsprechend, in welcher der Film trotz einiger Besonderheiten entstand. Man konnte sehr wohl schon ein Buch verfilmen, das eine auf ganz eigene Weis moderneres und emanzipierteres Mädchen als Mittelpunkt einer Westernhandlung zeigt, was es zuvor nie in einem Western gegeben hat (wenn man von beinahe fetischorientierten Films noirs im Westernkleid, von Einzelstücken wie „Herrin der toten Stadt“ und „40 Gewehre“ oder „Johnny Guitar“ absieht, die nicht wirklich die Rollenbilder angriffen, sondern sich geradezu der Exotik starker Frauen bedienten, um letztlich die Unabdingbarkeit eines starken Mannes hervorzuheben). Hattie wirkt in der 1969er Verfilmung nicht überzogen, was allerdings nicht dazu führt, dass ihre Verhandlungen mit Pferdehändlern und anderen gewieften Burschen glaubwürdiger wirken als in der Neuverfilmung – wir kommen doch ein wenig ins Vergleichen, weil die Erinnerung stückweise zurückkommt. Das wiederum ist möglich, weil die beiden Verfilmungen sehr handlungsähnlich sind, alle Kernszenen gibt es in beiden Versionen.

Während aber der Film aus 2011 den Revisionismus moderner Western (nicht zu verwechseln mit Neo-Western, die es seit den 1960ern gibt) auf die Spitze treiben muss, um auf die 1969er Version etwas draufsetzen zu können, ist diese ein Unikum, das sich stilistisch und inhaltlich  zwischen den Fronten bewegt. Das Schauspiel ist noch klassisch, nicht an den Ansätzen des Italo-Westerns oder von New Hollywood orientiert, Gleiches gilt für die Optik des Films. Die Darstellung von Gewalt und Charakteren ist hingegen schon etwas moderner und geht auch ins Satirische, weil alle immer erst so viel überlegen und sich zieren, bevor sie dann suboptimal handeln. Hattie und Rooster Cockburn natürlich ausgenommen, auch wenn Letzterer zwischenzeitlich mal betrunken vom Pferd fällt und sich auch sein Name aus einer bestimmten Vogelabschuss- und Rupfszene erklärt. Aber in seinen Aussagen reflektiert der Film wirklich die Scheidelinie zwischen gestern und heute. Es gibt diese bedeutende Frauenfigur, aber man merkt schon, dass Rooster Cockburn einfach gutmütig genug ist, ihr alles durchgehen zu lassen, was nicht dasselbe ist, als wenn sie ihn ernsthaft hätte überlisten oder niederargumentieren können. Er ist eben unter der verwitterten Schale herzensgut und kann das Gör damit ertragen.

Das hat Henry Hathaway recht schlau inszeniert, denn damit können traditionelle Männer und Wayne-Fans in dem Film ebenso etwas finden, gleichmeraßen kommt es für Frauen und eine jüngere Generation von Männern annehmbar daher. Wir haben kurz gestoppt, um in die IMDb zu schauen: Frauen und Männer bewerten „True Grit“ sehr ähnlich, was bei Western nicht selbstverständlich ist.  

Die anderen

Lexikon des internationalen FilmsBreit angelegter Western, der seine Geschichte mit Humor erzählt und in Darstellung und Kameraarbeit über dem Durchschnitt liegt.[2]
Joe Hembus Western-Lexikon: Das glorreiche Denkmal von Hollywoods Western-Tradition, ein enorm junges, frisches, allumfassendes Werk.
Prisma Online: Regisseur Henry Hathaway inszenierte 1968 diesen überdurchschnittlichen Spätwestern gewohnt routiniert. John Wayne glänzt hier vor allem durch eine starke Prise Selbstironie.
Evangelischer Film-Beobachter, Kritik Nr. 403/1969: Ein insgesamt prachtvoller Western alten Stils, der vom Drehbuch über Regie, Kameraführung und Musik bis hin zu der Besetzung Lob verdient. Als wohltuender Kontrast zu den europäischen Überspitzungen der Gattung kann er ab 14 allen Freunden empfohlen werden.
True Grit’ war ein guter Western mit tollen Charakteren und sehr authentischer Atmosphäre, litt aber unter der etwas dürftigen Story, einem blassen Glenn Campbell und einer Kim Darby, die in den ersten Szenen des Films zu altklug, geschwätzig und vorlaut wirkte. (Thomas Jeier)[3]

Finale

„True Grit“ weist einen erheblichen Spieltrieb auf, verbindet Elemente des klassischen Westerns mit modernen Ansätzen, ohne sie wirklich zu harmonisieren oder synchronisieren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die vielen älteren Herren unter den Beteiligten viel Spaß damit hatten, dass man das neue Kino nicht mehr so ernst nehmen muss.

Henry Hathaways Hang zu einer eher flachen Dramaturgie kommt auch hier wieder zum Tragen und verbindet sich mit den erwähnten Merkmal zu einer Handlung, die ein wenig behäbig und strukturschwach daherkommt, was natürlich auch an den Charakteren liegt, die etwas von ihrer literarischen Maximalkapazität entfernt sind und damit die Stilisierung negieren, die der Western speziell in den 1950ern erfahren hat und die seine italienische Variante dann auf die Spitze trieb. Gleichzeitig ging dabei die Moral komplett verloren. Insofern ist „True Grit“ ein maßvoll den Stil der Zeit adaptierende Gegenmodell zu letzteren. Nur gut schießen müssen die Männer immer noch können, gleich, ob sie Helden, Antihelden oder irgendetwas dazwischen sind, Charaktere, die man lustvoll verschrammt und zerknautscht hat. Hattie hingegen kann nicht schießen, und damit wird sie auch nicht als der bessere Mann unter Männern gezeigt, wie es die Protagonistinnen der oben erwähnten Frauen-Western durchaus im Repertoire hatten.

Wir bewerten das Original etwas höher als die Neuverfilmung: 71/100 (Die Version von 2011 schnitt mit 6,5/10 bei uns vergleichsweise schlecht ab).

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

(1), kursiv, zitiert, tabellarisch: Wikipedia

Regie Henry Hathaway
Drehbuch Marguerite Roberts
Produktion Hal B. Wallis
Musik Elmer Bernstein
Kamera Lucien Ballard
Schnitt Warren Low
Besetzung

 

 

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