Tod eines Mädchens – Tatort 249 #Crimetime 1084 #Tatort #Hamburg #Stoever #Brockmöller #NDR #Mädchen #Tod

Crimetime 1084 – Titelfoto © NDR

Stoevers Aktion

Die Handlung in einem Satz: Ein 17jähriges Mädchen wird draußen vor den Toren der Stadt tot aufgefunden und hat Seifenschaum im Ohr, das ruft Stoever und Brockmöller auf den Plan, die auf einen Casanova, ein noch jüngeres Mädchen, einen verzweifelten Vater, zwei alarmierte Eltern und einen Jugendlichen treffen, der sich traut, Stoever tätlich anzugreifen, was dieser krumme Hund mit Gegengewalt beantwortet und damit den anwesenden Meyer II zu dem Spruch veranlasst, den wir als Schlagzeile verwendet haben.

Im 15. Film haben sie sich längst gefunden, der robuste Paul und der feinsinnige Peter, auch wenn sie noch nicht oder noch nicht singen. Zumindest tun sie das in „Tod eines Mädchens“ nicht. Die Interaktion zwischen den beiden und mit den übrigen Figuren ist in „Tod eines Mädchens“ wunderbar und vergnüglich anzuschauen.

Bezüglich des Humors ist dieser Film ein Highlight, das begreiflich macht, warum die beiden langjährigen Hamburg-Cops so beliebt und zu Legenden geworden sind (Stoever in Person von Manfred Krug diente der Fernsehkrimi-Gemeinde von 1984 bis 2001, Brockmöller kam zwei Jahre später hinzu). Mehr an Text kommt bei uns in der -> Rezension hinzu.

Handlung

Der 40-jährige Thomas Bading liebt junge Mädchen. Eine seiner jungen Geliebten kommt in seiner Wohnung beim Baden zu Tode. Bading verschweigt seine Neigung und macht sich des Mordes verdächtig. Als ihn die Kommissare Stoever und Brockmöller verhaften wollen, kommen sie zu spät. Thomas Bading ist ermordet worden. Ob aus Leidenschaft oder weil er unliebsamer Zeuge der Vorgänge in der Familienfirma Klimatechnik Bading war, ist zu klären.

Rezension (enthält Angaben zur Auflösung)

Man merkt dem Film auch an, dass Regisseur Jürgen Roland nicht nur einer der erfahrensten Männer im Seriengeschäft war (neben etlichen Tatorten hat er für die ursprüngliche Stahlnetz-Serie und für das heute noch erfolgreiche Format „Großstadtrevier“ viele Folgen inszeniert), sondern auch, dass er im Edgar Wallace-Imperium gearbeitet hat. Der ironische Humor und das teilweise Überagieren der Figuren in „Tod eines Mädchens“ sind Stilzitate seiner frühen Schwarz-Weiß-Filme. Das heißt vor allem: Wenn eine Schauspielerin wie Monica Bleibtreu als Mutter einer 15jährigen Schülerin eher chargiert als differenziert spielt, als sie diese vor dem Zugriff der Polizei durch eine Falschaussage schützen will, dann ist das so gewollt.

Wenn ein 40jähriger Möchtegern-Casanova als Verführer eher wie eine Karikatur wirkt denn wie ein Don Juan und als Sohn eines Reeders eine komplette Niete ohne jede positive Eigenschaft im Geschäftsleben darstellt, dann kann man sicher sein, das ist der Regie nicht durchgerutscht, sondern dient dem Erstaunen und dem Spaß des Zuschauers an knalligen und sehr eindeutigen Figuren. So sind alle Charaktere in diesem Film zu begreifen: Mit einem gewissen satirischen Comic-Touch ausgestattet, den auch die auftretenden Person in den Edgar Wallace-Filmen auszeichnete. In einem Tatort der frühen 1990er wirkt das, was die Wallace-Filme zum Kult gemacht hat, ein wenig holzhammermäßig und wird nicht durch dramatische Beleuchtung, durch Schockeffekte und das krimiklassische Schwarz-Weiß unterstützt, was die Schwarzweißmalerei der Figuren aus der ursprünglichen Konzeption der 1960er herausnimmt. Im normalerweise sensiblen Tatort-Format der frühen 1990er wirken sie dadurch besonders auffällig.

Denn auch Peter & Paul agieren in diesem Film wesentlich knackiger als in manchen anderen ihrer Folgen und der sozialpolitische Ansatz dieses Tatorts ist eher vorgeschoben als zentral. Dass der gewisse Bading Junior, dessen 17jährige Geliebte im Bad umkommt und vorher darüber referiert, dass sein Verhältnis vielleicht moralisch fragwürdig, aber nicht strafrechtlich relevant ist, gleich auch noch eine 15jährige aus dem eigenen Familienumfeld anbaggert. Moral und Strafrecht in dieser Sache behandeln wir nebst anderen Aspekten des Films in der folgenden Darstellung.

Spotlight: Die Sache mit den 17jährigen und den 15jährigen Mädchen

Thomas Bading, der nichtsnutzige Unternehmersohn, mag zunächst eine Erscheinung sein, welche die übliche sozialpolitische Botschaft von Tatort-Filmen übrbringt: Ein gelangweilter Erbe, der materiell unabhängig ist durch Familienvermögen und nichts im Kopf hat, als weiblichen Personen nachzustellen, die weit weniger als halb so alt sind wie er selbst. Diese Anklage des Kapitalismus, der solche Tagediebe und Nachtaktive fördert, weil er die Anhäufung von Kapital durch eine oder zwei Generationen in der Höhe fördert, dass die nächste Generation nicht mehr fleißig und diszipliniert und gemeinschaftsdienlich oder sonst von höheren Werten beseelt sein muss, sondern hedonistisch herumschlawinern kann.

Diese Anklage sollte man aber in „Tod eines Mädchens“ nicht zu ernst nehmen, sie ist der Vorwand für einen Schaueffekt, den man sehr wohl als kalkuliert bezeichnen kann. Gerade Altmeister, Traditionalisten wie Jürgen Roland, wussten sehr wohl, dass man das Publikum gut mit neuzeitlich wirkenden Botschaften versorgen kann und in Wirklichkeit nur dem Voyeurismus dient. Entsprechend ist zum Beispiel die 17jährige Silke Rupp nicht etwa ein Opfer, sondern macht mit ihren prallen Kurven und ihrer lasziven Art Werbung für Sex zwischen unterschiedlichen Generationen, denn welcher Mann würde sie nicht körperlich attraktiv finden?

Damit diese plakative Geschichte, in der man folgerichtig auch nackte Körperteile sieht und die in einem plakativen Tod endet, doch noch einen moralischen Impetus bekommt, wird eine zweite Schülerin, die noch unerfahrene und erst 15jährige Ulrike Jahn mit Thomas Bading in Verbindung gebracht und es wirkt in der Tat wenig erfreulich, wie er das junge Mädchen mit exklusiven Restaurantbesuchen beeindrucken will und die beiden etwas von Liebe blubbern, das Mädchen aus Mangel an Kenntnissen über das Gefühl Liebe und der ältere Typ aus Berechnung.

Strafrechtlich allerdings wäre selbst eine Beziehung zwischen diesen beiden Personen nach heutigem Recht und gemäß § 182 III StGB nur im Einzelfall strafbar. Nämlich dann, wenn das 14- oder 15jährige Mädchen noch nicht „sexuell selbstbestimmt“, mithin für Sachverständige und das Gericht erkennbar unreif ist und die männliche Person älter ist als 21 Jahre. Diese Einzelfallprüfungs-Notwendigkeit trägt schon seit Längerem der Tendenz Rechnung, dass das Wort „frühreif“ alles andere als eine Floskel ist und heute 12- oder 13jährige schon erste sexuelle Erfahrungen sammeln. Ob man das gutheißen soll, ist die eine Sache, dass jemand, der eine bereits als sexuell selbstbestimmte Person sexuell kontaktiert, nicht automatisch kriminalisiert werden darf, die andere. Aus diesem Grund ist § 182 III u. a. ein Antragsdelikt:

Die Erziehungsberechtigen müssen also Strafantrag gegen den erwachsenen Teil der Sexualbeziehung stellen (die Staatsanwaltschaft ermittelt von sich aus nur bei „öffentlichem Interesse“ an dem Fall und z. B., wenn der Erwachsene einschlägig wegen Sexualdelikten vorbestraft ist).

Im Fall der Ulrike J. würde auf Antrag der Eltern wohl gegen Thomas B. ermittelt und ein Strafverfahren eingeleitet werden, vermutlich auch eine Verurteilung erfolgen, denn Ulrike wird im Film eindeutig nicht als sexuell selbstbestimmt dargestellt.

Dass dies ein Sonderfall wäre, belegt die in Studien vertretene Ansicht, dass vermutlich nur jeder 100ste bis 200ste Sexualkontakt zwischen einem Erwachsenen und einem oder einer Jugendlichen zum Rechtsfall wird. Heutzutage würde aus Gründen gesellschaftlicher Akzeptanz ein solches Verhältnis nur noch selten problematisiert.

Das klingt in Zeiten verschärfter Beachtung des Pädophilie-Komplexes erstaunlich, aber die Freiwilligkeit und die persönliche Reife der jugendlichen Person spielen eine wichtige Rolle in der heutigen Betrachtung dieser moralisch für uns immer noch mehr als fragwürdigen Konstellation, besonders, wenn sie unter 16jährige betrifft. Das absolute Schutzalter liegt heute bei 13 Jahren.

Weiter zum Fall – Kausalität und Vorsatz bei Freddy B.

Zum Humor und seiner Ausprägung haben wir uns bereits geäußert. Auch diese Art von deftigem Humor, wie er hier gezeigt wird, ist übrigens ein Indiz dafür, dass die Macher des 15. Stoevers ihren Film nicht als Mädchendrama verstanden sehen wollen – zumal es zwischen der 15jährigen Ulrike und dem Unternehmersohn nicht zum Sex kommt, weil sie sich wehrt, indem sie dem Mann eins oder mehrere mit einer Kristallkaraffe überzieht und er verletzt am Boden liegen bleibt.

Das nutzt dann sein bester Freund aus, der in der Firma eine Unterschlagung begangen hat, der Bading aber auch trickreich in seine Hand bekommt, indem er ihn erst überzeugt, dass die Polizei Bading nicht glauben wird, dass der Badewannen-Tod ein Unfall war und ihm dann bei der Verbringung der Leiche ins Gelände hilft. Trotzdem: „120.000 Mark für einen Leichentransport waren dem Bading wohl etwas zu viel“, wie Stoever gegenüber Freddy, dem Täter, äußert.

Natürlich sind bestimmte Momente des Films keine Krimi-Sonderklasse. Dazu gehört, wie einfach Freddy den „Freund“ überreden kann, in der Sache Silke R. nicht die Polizei zu rufen. So dumm sollte dieser Thomas nicht sein, dass er denkt, die Polizei kann nicht ermitteln, wie das Mädchen zu Tode kam – oder zumindest gegen Bading nichts unternehmen kann, weil seine Täterschaft nicht nachweisbar wäre und keine entscheidenden Indizien dafür sprechen. Das Radio ist in die Wanne gefallen, den Stromschlag belegt die Rechtsmedizin schnell. Es gibt aber keine Kampfspuren oder etwas im Verhältnis der handelnden Personen, das mit hinreichender Sicherheit auf eine Tötungshandlung des Thomas B. hindeuten würde. Wir hätten jedenfalls die Polizei gerufen und uns auch nicht dadurch abbringen lassen, dass dieser Freddy hintenrum mit der Weitergabe der Sache an Journalisten droht und die Familie einen Ruf zu verlieren hat. Okay, wir heißen nicht Bading. Trotzdem wirkt es nicht sehr überzeugend.

Die auf die Kausalität zielende Schlussszene, in der Stoever sagt, Freddy sei ein Idiot, er hätte den Thomas B. nur liegen lassen müssen, er wäre an den Verletzungen, die ihm Ulrike zugefügt hätte, sowieso gestorben, ist für uns in jeder Hinsicht unverständlich. Einerseits – woher sollte Freddy auch als Nicht-Idiot die Sicherheit gehabt haben, dass er nichts mehr tun musste, um den Tod von Thomas B. zu verursachen, zum anderen – woher will Stoever das wissen? Die KT kann ja nicht nachweisen, von wem genau die tödlichen Schläge kommen, denn alle Einwirkungen gehen vom selben Gegenstand, der Karaffe, aus und sind zeitlich sehr dicht aufeinanderfolgend ausgeführt worden.

Dritter Aspekt: Freddy ist natürlich auch unter der Annahme strafbar, dass seine gewaltsamen Handlungen am Thomas B. zwar nicht mehr ursächlich für den Tod von Thomas B. waren, aber das wusste er nicht und konnte es vermutlich auch nicht einschätzen – und hatte den entscheidenden Tötungsvorsatz. Es handelt sich also bei ihm mindestens um einen versuchten Totschlag (§§ 212, 22, 23 StGB), vermutlich sogar um einen versuchten Mord (§§ 211, 22, 23 StGB), beides wird sanktioniert.

Bei Ulrike ist die tatsächliche Tötungshandlung durch eine Notwehrsituation gerechtfertigt – es sei denn, ihre Handlung wäre „überschießend“ gewesen, also in dieser Stärke zur Abwehr der Gefahr für ihr Rechtsgut der sexuellen Unversehrtheit nicht notwendig (Notwehr, Notwehrexzess, §§ 32, 33 StGB), aber in dieser Fragestellung sind weitere Ausdifferenzierungen enthalten, die zu erörtern hier den Rahmen sprengen würde.

Finale

Strafrechtlich ist der Fall nicht uninteressant, die Figuren sind im Wesentlichen kräftig und linear gezeichnet, ganz in der Tradition des klassischen Whodunit. Über einen Mangel an Humor kann man sich kaum beklagen, auch wenn er nicht die ins Klamottenhafte gehende Dichte gewisser heutiger Tatorte aufweist. Er beschränkt sich aufs Verbale, es gibt keinen Slapstick.

Die Figuren und ihre Dialoge machen einen Film spannend, dessen Handlung ein typisches Konstrukt von der Stange ist und ein paar Fragwürdigkeiten enthält. Sicher hat „Tod eines Mädchens“, wenn man die Handlung von den Besonderheiten der Inszenierung trennt, etwas sehr Konventionelles – aber das ist bei heutigen Tatorten auch oft der Fall, es wird nur hinter noch mehr Brimborium und einem mittlerweile enormen künstlerischen Anspruch bei der Bildgestaltung versteckt, von dem in „Tod eines Mädchens“ noch nichts zu sehen ist – wenige subjektive Kameraeinstellungen, das ist alles, was wir an Besonderheiten bemerkt haben.

Wir fanden den Film trotzdem spannend – weniger im kriminalistischen Sinn, sondern wegen seiner Figuren und geben wegen deren Aufstellung als Menschen mit der Fähigkeit, schlagfertig und locker wirkend zu sprechen, eine recht gute Wertung, weil es souverän wirkt – einerseits die witzigen Sätze schnodderig-alltäglich wirken zu lassen, andererseits Szenen, Figuren, Worte übersteigert und theatralisch zu präsentieren, um an den guten, alten Schocker der 1960er Jahre und seine Charaktere zu erinnern.

7,5/10

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Jürgen Roland
Drehbuch Horst Bieber
Produktion Studio Hamburg Filmproduktion
Musik Michael Gajare
Kamera Klaus BrixSönke Hansen
Schnitt Anja CoxTatjana Schöps
Erstausstrahlung 4. August 1991 auf Das Erste
Besetzung

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