Filmfest 714 Cinema
Blue Steel ist ein US-amerikanischer Thriller von Kathryn Bigelow aus dem Jahr 1990. In den Hauptrollen sind Jamie Lee Curtis und Ron Silver zu sehen. Der Titel bezieht sich auf die bläuliche Farbe des im Film verwendeten Polizeirevolvers.
Ja, ja. Die Amerikaner und ihr Waffenfetisch. Da musste es mal zu einem Film kommen, dessen Vorspann darin besteht, dass die Kamera in einer Makroaufnahme der Sorte „detaillierter geht nicht“ einen (Polizei-) Revolver abtastet. Und das auf eine so blaue – also kühle – und doch liebevolle Art, dass man sich denkt: Was immer kommt, es passiert zu Recht, denn diese Waffe wird es entscheiden. Was wir aber auch im Verlauf des Films noch sehen werden: Diese optisch so attraktiven sechsschüssigen Trommelrevolver, die mit dem Kugelbauch der Nation, die es seit den Tagen des guten, alten Westens gibt, haben im New Yorker Alltag ihre Nachteile, wenn man nicht gut genug zielt, um mit sechs Schuss den Gegner zu töten. Was es sonst zu schreiben gibt, steht in der –> Rezension.
Handlung (1)
Die Polizistin Megan Turner erschießt in Notwehr einen Räuber. Da der zufällig anwesende Börsenmakler Eugene Hunt die Waffe des Verbrechers an sich nimmt und diese nicht gefunden werden kann, wird angezweifelt, ob es sich um eine Notwehr handelte.
Hunt lernt Turner näher kennen, die seine Geliebte wird. Bald stellt sie fest, dass Eugene Hunt ein Psychopath ist, der mit der gestohlenen Waffe Menschen umbringt. Er tötet ihre beste Freundin, da er aber während der Tat hinter Turner stand, will ihr niemand glauben, er wäre der Täter gewesen. Turner wird beschuldigt, Hunt zu belästigen.
Hunt besucht ihre Eltern, Turner deutet an, dass sie bewaffnet sei und bereit zu kämpfen. Sie kämpft später gegen Hunt und gewinnt den Kampf, wobei Hunt zuerst angeschossen, von Turner danach mit einem Auto überfahren, und, nachdem seine Waffe leer ist, erschossen wird.
Rezension
Ob die New Yorker Polizei tatsächlich solche vorsintflutlichen Schusswaffen verwendet oder im Jahr 1990 verwendet hat, werden wir nicht gerade anhand dieses Films recherchieren, aber die Assoziation zum uramerikanischen, ebenfalls sehr schusswaffenlastigen Genre kann nicht ausbleiben. Und die Großaufnahmen von Jamie Lee Curtis’s Gesicht erinnern teilweise an die Art, wie die Kamera in Italo-Western eingesetzt wird. Bei Ron Silver als ihrem Gegenspieler ist das interessanterweise nicht so auffällig.
Kritiker sehen den Film überwiegend positiv. Wir haben geradezu aufgeatmet, als wir feststellten, dass die Nutzer der IMDb nur 5,6/10 vergeben (2022: 5,7/10) und die Nutzer auf Rotten Tomatoes mit 36 % die Daumen noch deutlicher senken. Denn wir sind keine Sekunde lang in diesen Film eingestiegen. Nach beinahe 1.100 Rezensionen nur für die TatortAnthologie des Wahlberliners, Kinokrimis, die hinzuzuzählen wären, wenn wir eine exakte Angabe über die Genrezuordnung bei „Filmfest“ hätten, außen vor, haben wir uns gefragt, wer eine solch krude, psychologisch lächerliche und bar jeder Wahrscheinlichkeit angesiedelte Handlung entwerfen kann.
Die Antwort: Kathryn Bigelow war’s, die auch Regie geführt hat. Der Killer, den sie entworfen hat, ist aber nicht einmal nur frauenfeindlich, sondern mit seiner Jekyll- und Hyde-Persönlichkeit einfach nur daneben. Die ersten Morde dienen wohl dazu, die Fixierung auf Megan dramaturgisch langsam, aber sicher zu steigern – für den Zuschauer. Aber wenn wir mal frauenfeindlich sein wollen, müssten wir feststellen, Frauen können keine Psychothriller entwerfen, wenn wir diesen Film als Maßstab nehmen. Das stimmt natürlich nicht ganz, aber echte Thriller sind wohl immer noch das männlichste Genre. Und so frauenfeindlich sit diese Feststellung gar nicht – das gewaltige Aggressionspotenzial, das man zumindest nachbilden können muss, wenn man den perfekten Thriller schreibt und inszeniert, ist bei Frauen wohl doch seltener vorhanden, zumindest und vor allem, wenn es um die Darstellung physischer Gewalt geht, die zudem aus einer Persönlichkeitsstörung resultiert. Als ich die Rezension im Jahr 2015 entwarf, kannte ich den Begriff „Femizid“ noch nicht, aber darauf läuft es letztlich hinaus, in diesem wie in vielen anderen Filmen, in denen Männer gewaltsam hassen.
Der Film war für uns schon beinahe gestorben, als diese unsinnige Übungsszene vorbei war, die Filmen wie „Sag niemals nie“ nachgebildet worden ist. Sie ist miserabel getimt, die Situation ist vollkommen unrealistisch: Welches Opfer schießt auf den Cop, der es gerade von einem Aggressor befreit und zieht dabei die Pistole so schnell aus dem Nirgendwo, dass er rascher einen Schuss abfeuern kann als der Cop, der seine Waffe noch vom soeben abgefeuerten Schuss im Anschlag hält und auch die Frau haargenau im Blick hat; der weiterhin so auf Adrenalin ist, durch diese Situation, dass er garantiert eines nicht tut. Eine solche verrückte Reaktion verpennen.
Und leider geht dieses Übermaß an Zusammenschusterung von Szenen, die von mangelnder Einfühlung ins Thema zeugen, während des gesamten Films weiter. Allein, wie dilettantisch die Polizei agiert, als Megan ins eigene Visier gerät, wie lächerlich die Schutz- und Beschattungsmaßnahmen organisiert sind, wie inkonsequent das Verhalten aller Beteiligter, inklusive Megan selbst – also, wenn die New Yorker Polizei so arbeiten würde, gäbe es sie längst nicht mehr, das gilt auch für jede andere Großstadt-Polizeieinheit. Ein Tiefpunkt ist die Szene, in der sie mit ihrem Kollegen Nick Mann ihre Wohnung aufsucht, und das direkt nach einer Konfronation mit Eugene Hunt, bei welcher er entkommt, und nicht einmal die Wohnung sichert, obwohl sie weiß, dass Eugene die Adresse kennt – außerdem muss er wirklich blitzartig dorthin gelangt sein.
Vielleicht mit dem Hubschrauber, von dem aus gesehen die Menschen alle so klein wirken. Welch eine ausgeklügelte Symbolik, um den mentalen Zustand eines Serienkillers zu illustrieren, der ja gerade nicht ein abgehobener Machtmensch ist, sondern ein Psychopath, der mehrere Personen umbringt, um seine eigentliche Zielperson in die Enge zu treiben, dem all sein verbrecherisches Streben und Treiben gilt.
Auch die Szene bei den Eltern von Megan ist so schlecht gemacht, dass uns beinahe die Worte fehlen, um sie zu beschreiben. Selbstverständlich hätte sich Megan verbal wehren können oder ihre Eltern irgendwie aus der Schusslinie bringen können. Aber sie ist wohl einfach zu nett oder, nett ausgedrückt, zu einfach, um die Reaktionen zu zeigen, die eine professionell ausgebildete Polizistin in einer so hanebüchenen Lage draufhaben muss. Klar, die Eltern sind furchtbar, und der gewalttätige Vater die Motivation für sie, Polizistin zu werden. Wie sie ihn festnimmt und dann doch wieder mit dem erhobenen Zeigefinger laufen lässt, dass er doch künftig bitte die Mama nicht mehr züchtigen möge – also, nee!
Schade, dass Jamie Lee Curtis, die im Jahr zuvor so schön die Wanda in „Ein Fisch namens Wanda“ gespielt hat, hier in ein Feuer von entsetzlichen Handlungselementen geworfen wird, die nur einen Zweck haben: Am Ende zu beweisen, dass eben auch Frauen Filme manchen können, in denen die üblichen Schusswechsel-Arien das Finale bedeuten und ein Typ von einem Auto überfahren werden kann. Curtis hat eine hohe Präsenz und wirkt als etwas herber, hoch aufgeschossener und eckiger Typ für eine taffe Polizistin genau richtig – aber die Regie nutzt das nicht aus, sondern lässt sie viel zu unbedarft wirken, sodass sie immer wieder ganz leicht in Situationen kommt, in denen sie sich falsch verhält und dem Psycho-Börsenmakler Hunt mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist.
Der Film macht aus einer Schauspielerin, die in ihrem Job glaubwürdig sein könnte, einen Opfertyp. Gesteigert wird dieser Eindruck noch durch die internen Ermittlungen, die unter anderem viel zu schnell und mit viel zu rudimentären Argumenten zu einer Suspendierung führen. Dass der eigene Chef ihr nicht glaubt, sie könne eine Schusswaffe von einem Messer unterscheiden und glaubt unbesehen, dass sie halluziniert, ist wohl die lächerlichste Suspendierungsbegründung, die wir je gesehen haben.
Es gibt zwar erst einmal keine Waffe, aber auch keinen Beweis dafür, dass Megan sich falsch verhalten und nicht in Notwehr auf den Supermarkt-Räuber geschossen hat. Dass dieser dann aufgrund der gesammelten Wucht mehrerer Revolverschüsse durch die Scheibe fliegt – okay, wenn schon unglaubwürdig, dann richtig, also auch in den wenigen Szenen, in denen es um physikalische Grundlagen geht. Vielleicht soll auch dieser Moment auf den Western anspielen, aber wenn man das tut, muss man die Stilistik des Films insgesamt so ausbauen, dass die Idee stimmig umgesetzt wirkt. Hier aber geht es um einen klassischen Großstadt-Copthriller, in dem die Anonymität eine wichtige Rolle spielt, die es Menschen wie Eugene Hunt erlaubt, ihr Unwesen zu treiben.
Dass der Mann überhaupt so alt werden konnte, ist eine andere Sache. Wir bewerten diese plötzliche Explosion der Gewalt bei einem Mann, der bisher offenbar ganz unauffällig war, nicht zu sehr, denn diese Form der Unglaubwürdigkeit – spiegelbildlich die Plotkonstellationen, in denen jemand nach genau 15 Jahren plötzlich anfängt, Rache für die Vergangenheit zu üben, nachdem er 14 Jahre lang aus nicht nachvollziehbaren Gründen oder auch vollkommen grundlos nichts getan hat, weisen viele Krimis auf. In gewisser Weise muss die Logik der Wahl des richtigen Zeitpunktes für den Beginn einer tödlichen Kausalkette oder einer Mordserie hintanstehen, sonst würden viele dieser Handlungen ihr Überraschungsmoment und ihr bedrohliches Geheimnis verlieren.
Finale
Es ist nicht wahr, dass amerikanische Polizeifilme immer die besten sein müssen, und wenn wir nicht einer Dreisterne-Wertung unseres TV-Vorschaumediums auf den Leim gegangen wären, hätten wir sicher vor „Blue Steel“ noch einige tausend andere Filme besprochen – oder ihn ganz ausgelassen, weil wir uns, von Reihen und Serien abgesehen, bei denen es auch um die Vollständigkeit geht (bei Kinofilmen derzeit die deutschen Edgar Wallace-Adaptionen von 1959 bis 1972), auf die bessere Hälfte des Mediums konzentrieren wollen.
Wer eine 38er gerne ganz aus der Nähe sehen will, aber im Realleben – wir meinen: glücklicherweise – nicht die Gelegenheit dazu hat, der mag sich den Vorspann von „Blue Steel“ anschauen. Ob man sich den restlichen Film auch noch reinzieht, sollte man im Wesentlichen davon abhängig machen, ob man einen Crush auf Jamie Lee Curtis hat. Wenn nicht, ist die Lebenszeit für dieses Machwerk zu schade. Ein paar Punkte gibt es für die Kombination Börsenmakler und Psychopath. Ist doch nicht alles an diesem Fall psychologisch dumm gelaufen.
40/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
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Regie | Kathryn Bigelow |
Drehbuch | Kathryn Bigelow, Eric Red |
Produktion | Edward R. Pressman, Oliver Stone |
Musik | Brad Fiedel |
Kamera | Amir M. Mokri |
Schnitt | Lee Percy |
Besetzung | |
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