Filmfest Cinema Special - Kinokrise in Deutschland
Wir wollten heute eigentlich nicht mehr so viel zu Corona schreiben, deswegen ordnen wir diesen Artikel unter Kultur und Wirtschaft ein. Aber der große Rückgang an verkauften Kinokarten in den Jahren 2020, 2021 hat selbstverständlich nicht nur etwas, sondern hauptsächlich mit der Pandemie zu tun.
Aber er trifft uns natürlich auch aus Filmfans, die gleichzeitig eine strikte persönliche Corona-Policy umsetzen und zeigt, wie diffizil diese Themen sind und wie ambivalent speziell der Umgang mit Kultureinrichtungen, denn was man unten für die Kinos sieht, darf man sich in ähnlichem Umfang für Theater, Museen usw. vorstellen: Einen Einbruch bei den Besucherzahlen, der erhebliche finanzielle Aufwendungen seitens des Staates erforderlich macht, damit die kulturelle Infrastruktur nicht zusammenbricht. Viele dieser Kulturstätten sind ohnehin staatlich subventioniert, dann geht es nur um eine Anhebung der Unterstützung innerhalb eines eingeübten Vorgangs, aber für Kinos gilt das in der Regel nicht und für ganz viele Kleinkunstdarbietende auch nicht.
Was sich bei den Kinos auch zeigt: Durch die Erhöhung der Kartenpreise lässt sich kaum etwas ausgleichen, sie sind von 2019 auf 2021 nur geringfügig angestiegen, von durchschnittlich 8,65 auf durchschnittlich 8,88 Euro. Die Konkurrenz von Streamingdiensten ist zu stark, um viel an der Preisschraube drehen zu können, ähnlich, wie es während des großen Kinosterbens war, als das Fernsehen die Wohnzimmer eroberte.
Wussten Sie, dass in den 1950ern bis zu 800 Millionen Kinokarten jährlich allein in Westdeutschland verkauft wurden?
Heute sieht es anders aus. Deutschland ist definitiv kein Kinoland. Nur 29 Prozent der Bevölkerung sehen mindestens einmal im Monat einen Kinosaal von innen. In den USA, in Großbritannien, aber auch in Frankreich, wo englischsprachige Blockbuster ebenfalls synchronisiert werden müssen, sind die Kinobesucherzahlen traditionell wesentlich höher, auf die Bevölkerung umgerechnet in manchen EU-Ländern wie Frankreich oder Großbritannien doppelt oder 2,5-mal so hoch wie in Deutschland. In der gesamten EU wurden vor Corona jährlich etwa 1 Milliarde Kinokarten verkauft, der nationale Anteil an gezeigten Filmen war innerhalb der EU in Frankreich mit fast 40 Prozent am höchsten. In den USA wurden sogar 1,24 Milliarden Kinokarten jährlich verkauft (2017), noch mehr Menschen nehmen nur in Indien (1,98 Milliarden, 2017) und China (1,62 Milliarden, 2017) auf Kinosesseln Platz, bei um ein Mehrfaches höherer jeweiliger Bevölkerungszahl, als die USA aufweisen.

(…) Wie die Statista-Grafik auf Basis von Daten der Filmförderungsanstalt zeigt, sind die Ticketverkäufe der Jahre 2020 und 2021 gegenüber 2019 um fast zwei Drittel eingebrochen. Entsprechend schwach sind auch die Umsätze. (…) So bezeichnete die Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands Deutscher Filmtheater, Christine Berg, die 2G-plus-Regel als „Lockdown durch die Hintertür“. Nach der 2G-Plus-Regel haben nur vollständig geimpfte oder genesene Personen Zutritt zu Veranstaltungen, die zusätzlich das negative Ergebnis eines Antigen-Schnelltests oder eines PCR-Tests vorlegen können.
„Wir blicken auf ein Jahr zurück, das für die Kinos einer Achterbahnfahrt glich“, erläutert Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt FFA. Besonders erfreulich sei dabei aber, dass die Kino-Infrastruktur bislang keinen Schaden genommen habe. „Die wichtigsten Kennzahlen – Standorte, Kinounternehmen, Spielstätten, Leinwände und Sitzplätze – sind im Vergleich zu den Vorjahren weitestgehend unverändert.“ Genug Kapazitäten für Kinobesucher gibt es daher auch weiterhin: Mit Stand 2020 gibt es mehr als 1.700 Kinos in Deutschland, die fast 800.000 Sitzplätze zählen. (…)
Ein positives Signal erhoffen sich Branchenvertreter von der diesjährigen Berlinale. Nach einer pandemiebedingten Sonderedition 2021 findet die Eröffnungsfeier in diesem Jahr wieder im Berlinale-Palast statt. (…)
Die Corona-Inzidenz in Berlin sinkt zwar seit einigen Tagen merklich, aber auch bezüglich der Berlinale sind wir zwiespältig, obwohl wir diese Veranstaltung absolut faszinierend finden. Vermutlich ist sie vom Gesamtkonzept dasjenige internationale Filmfestival, das normalen Besuchern wie uns die besten Möglichkeiten bietet, sich über das aktuelle Weltkino zu informieren. Das berühmte Programmkino „Babylon“ ist das wichtigste seiner Art in Deutschland. Wir wohnen in einer Stadt, in der Kino immer gelebt wurde. 250 Filme aus 69 Ländern sollen dieses Jahr auf der Berlinale gezeigt werden. Viele von ihnen werden bald darauf auch vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, z. B. auf Arte, ausgestrahlt werden, aber bei weitem nicht alle.
Corona verläuft im Moment tatsächlich so, dass die Lage in Berlin einigermaßen im Griff zu sein scheint. Unserer Affinität zu dem Medium steht derzeit jedoch immer noch eine strikte persönliche Zurückhaltung entgegen, Events aller Art betreffend. Deswegen möchten wir hier keine Meinung dazu abgeben, ob es eine gute Idee ist, die Berlinale jetzt schon wieder im (beinahe) üblichen Rahmen durchzuführen, wollen die politischen Entscheidungen in dieser für Berlin so wichtigen Angelegenheit nicht bewerten, sondern wünschen allen, die sich auf der Berlinale einfinden werden, viel Spaß und den Kinos endlich wieder mehr Besucher:innen.
TH