Berliner Wohn-Bau-Report 3/22 | Die autonome Sicht auf „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ +++ aktuelle Pressemitteilung von „DW enteignen“ +++ | #AirBnB #Zweckentfremdung #Mietenwahnsinn #Ferienwohnungen #Homesharing

Frontpage | Der kritische Berliner Wohn- und Bau-Report | Der Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen wurde gewonnen – und nun?

Liebe Leser:innen,

das dritte Thema nach der Obdach- und Wohnungslosigkeit[1] und der Zweckentfremdung durch Ferienwohnungen ist der gewonnene Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Wer die Berliner Wohnungspolitik kennt, wird sich nicht darüber wundern, dass wir dieses Thema bearbeiten. Es wäre einige Tage früher gekommen, wenn nicht – nun ja, der Krieg in der Ukraine. Unsere Kapazitäten sind eben begrenzt und ein Krieg in Europa lässt alles andere zwischenzeitlich zurücktreten, sogar die Wohnungsfrage.

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die autonome Sicht

Nun ist es aber so weit und wir steigen mit einem Statement ein, das wir gestern auf Indymedia gefunden haben. Es ist eine sehr aktuelle Darstellung, die wir zunächst hier vollumfänglich abbilden wollen (dank einer entsprechenden CC-Lizenz geht das). Wir kommentieren unterhalb dieser Mitteilung. Um Sie vorzubereiten: Dieser offenbart auch gegenüber den maßgeblichen Personen und der Idee von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ eine kritische Einstellung.[2]

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„Der ‚Volksentscheid“ wird durch niemanden umgesetzt werden, außer durch die Wut der Straße

von: AutonomeGruppe Stadtentwicklung am: 24.02.2022 – 11:44

In der Nacht auf den 24. Februar wurde ein Büro der Deutsche Wohnen in der Sodtkestraße, Prenzlauer Berg, dem Corporate Design der DW-Enteignen-Kampagne angepasst. Die Straßenfront ist nun großflächig in gelb und lila eingefärbt und der seitliche Zugang hat seine Scheiben klirrend eingebüßt.

Im Rahmen der Bundestagswahl wurde Ende September 2021 über die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ abgestimmt. Dass der Begriff enteignen nicht zu den Zielen der Kampagne passt und bewusst in die Irre führt, ist nicht neu (1). Hier wird eine Radikalität gegenüber den Wohnungskonzernen vorgetäuscht, die auf Stimmfang gehen und polarisieren soll. Die Kampagne sollte nach Aussagen ihrer Protagonist_innen zur Diskursverschiebung und der Wiederbelebung des Begriffes „Enteignung“ beitragen und die Stimmung der Menschen, die zur Miete leben, aufgreifen. Das nutzten auch Parteien wie „Die Linke“ aus, die die Kampagne als strategisches Mittel für ihren eigenen Wahlkampf nutzten. Dass die Kampagne obiges Ziel erreicht hat, war spürbar. Es waren viele Leute auf den Straßen, um über Wohnungskonzerne, steigende Mieten und Praktiken der Aufwertung zu diskutieren und auch in Freund_innenkreisen, Familien und den Medien wurde selten so oft über diesen Themenkomplex gesprochen. Doch stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Gewinn der Kampagne. Die „Aktivierung“ der Mieter_innen war auf die Abstimmung des Volksentscheids ausgerichtet – auf einen Tag, dem Wahltag. Und wie auch bei jedem anderen Ankreuzen ging es darum einen Auftrag an die Politik zu überreichen: Die Wut der Straße, das was all die Mieterinitiativen mühsam erkämpft hatten, was durch militante Kampagnen befeuert wurde, was die einzelne Mieterin durch Vernetzung in ihrer Hausgemeinschaft erreicht hatte, wurde nun gebündelt, verschnürt und mit großen hoffnungsvollen Augen an diejenigen überreicht, die in der Landesregierung sitzen, an diejenigen, die damals einen Großteil der Häuser, um die es geht, geradezu verschenkt hatten (2).

Die Argumente, die gegen die Ziele der Kampagne sprechen, wurden in zahlreichen Texten schon dargelegt und sollen nicht nochmal ausführlich behandelt werden. Genannt sei nur, dass natürlich auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit handeln, dass diese ebenso Zwangsräumungen durchführen und dass generell ein Ankauf der Wohnungen von Vonovia, DW und Co. zu einem Preis stattfinden soll, den diese Konzerne als Marktwert betrachten.

Ob wir die Kampagne zum Volksentscheid richtig und sinnvoll fanden oder nicht: Es bleibt festzuhalten, dass sie ihr erklärtes Etappenziel erreicht hat und zwar in einem Maße, das im Vorhinein keinesfalls absehbar war. Dies zu berücksichtigen, erscheint durchaus von Bedeutung wenn wir bestimmen wollen, wie eine autonome Positionierung in den Miet- und Häuserkämpfen dieser Stadt aussehen muss.
Der Erfolg von DWE wurde unter anderem mit viel PR und falschen Versprechungen erkauft und die Gründe weshalb Leute mit ‚Ja‘ gestimmt haben sind vielfältig. Es gibt keinen Anlass voller Euphorie eine massenhafte Mieter_innenbewegung heraufziehen zu sehen. Gleichzeitig ist es vermessen, die Hunderttausenden als naiv zu betrachten, und zu behaupten, sie seien den Bewegungsmanager_innen von DWE in eine vermeintliche Sackgasse gefolgt. Wir verstehen die 59% Ja-Stimmen vielmehr als Ausdruck der selben Situation, die dazu geführt hat, dass nach der Abschaffung des Mietendeckels – zum ersten Mal seit langem – spontan Tausende auf die Straße gegangen sind und die wir bei unseren Freund_innen und Nachbar_innen seit Jahren erleben: Die Miete wächst uns stetig aber sicher über den Kopf, viele sind wütend, noch mehr sind verzweifelt, viele werden verdrängt und wohnungslos. So weiter geht es nicht, es muss sich was ändern, wie und wohin dürfte den wenigsten klar sein, Hauptsache: in der eigenen Wohnung bleiben und runter mit der Miete.
In dieser Lage, die mittlerweile für fast alle, denen wir uns verbunden fühlen, eine existenzielle Bedrohung darstellt, bot DWE einen Bezugspunkt und dieser steht jetzt als „Volksentscheid“ schwarz auf weiß auf dem Papier.

Was passieren wird…
… oder warum ist es eigentlich so still um den Volksentscheid?

Damit ihr es nicht selber nachschauen müsst: Das sagt die neue Landesregierung offiziell zu ihren nächsten Schritten:
„Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft. In den ersten 100 Tagen beschließt der Senat über die Einberufung, Beauftragung und Besetzung der Expertenkommission anhand einer Beschlussvorlage. Dabei setzt die Koalition auf externe fachliche Expertise.“ Weiter soll es um Verfassungskonformität gehen, es wird eine Geschäftsstelle für die Expert_innen eingerichtet und [Trommelwirbel und Paukenschlag]: „Der Senat wird die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung [..] gewichten und bewerten.“
Und eben so konkret wird vermutlich: eingeflossen, berücksichtigt, evaluiert, geprüft, definiert, verständigt, entwickelt, verbessert, vorgelegt, einberufen, angeboten, verlängert, geregelt, verpflichtet und mit viel Glück verantwortungsvoll umgegangen.

Der Volksentscheid ist so wie er vorliegt ein Vorschlag, der von all denen, die unterschrieben haben, an die Landesregierung überreicht wurde. Die Politik soll damit jetzt „verfahren“. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Es ist kein prinzipieller Zynismus, der uns bewegt, rein gar nichts von parlamentarischen Prozessen zu halten. Was kommen wird ist schlicht: business as usual. Verändern wird dieser Appell faktisch nichts an der Prekarität der Berliner Mieter_innen. Denn innerhalb des Systems in dem Wohnraum eine Ware ist, führt Eigentum an dieser Ware zu dem Interesse an Wertsteigerung und Konkurrenz um Wohnraum.
Aus diesem Kreislauf auszubrechen geht unserer Meinung nach nicht durch die Mechanismen dieses Kreislaufs. Braucht es dafür die schlichten Beispiele der anderen Volksbegehren in Berlin oder das Bilderbuch-Beispiel der OXI-Bewegung in Griechenland, die aus dem System ausbrechen wollte – um den Verrat an einer wählenden und hoffenden Masse aufzuzeigen? Oder reichen die Lehren der Berliner Hausbesetzerkämpfe, die uns zeigen wie Staat und Kapital sich Wege bahnen werden die Bewegung zu spalten? Die Spaltung verlief zwischen Befriedeten, die belohnt wurden und weiterhin Radikalen, die isoliert wurden und dazwischen diejenigen, die bis heute glauben, um Mehrheiten zu gewinnen, müsse man diesen das faule Argument verkaufen, dass auch innerhalb staatlicher Politik ihre Bedürfnisse gehört würden. Das ist auch unsere Prophezeiung der folgenden Prozesse um die Kampagne.
Die Akteur_innen – Das Lager der Lobbyist_innen der Immobilienwirtschaft, deren Motto: Its all about the profit; Die Landesregierung, mit dem Motto: Wär schön, wenn die ganze Aufwertung nicht auf Kosten der Mieter_innen und unserer Wähler_innen ginge; und zuletzt das Lager der DWE-Kampagne, mit dem Motto: Besser sind landeseigene Wohnungsbaugesellschaften Eigentümer_innen an unserem Zuhause, als die Privatwirtschaft – werden in der Öffentlichkeit zuallererst versuchen ihr Gesicht zu wahren, heißt: ihrem Motto treu zu bleiben.

Erstere werden auf der legalen Ebene versuchen die Machbarkeit des Ganzen, wie auch beim Mietendeckel, juristisch zu widerlegen und drohen mit Klagen. Auf der nicht-öffentlichen Ebene werden sich die dicken Fische damit beschäftigen Lobbyarbeit zu machen: Peu à peu Presseartikel einstreuen, Radiointerviews, Kunst- und Kulturevents, über beispielsweise den menschenfreundlichen Konzern Vonovia oder die Bereitstellung einer Obdachlosenunterkunft. Sie werden sich mit den Politiker_innen zusammen setzen, je nach Ziel, vor und hinter geschlossenen Türen, um auszutarieren, wo gehobelt werden kann. Vielleicht entsteht eine Schmutzkampagne gegen mietenpolitische Akteur_innen, vielleicht werden Objekte und Grundstücke auf das Reißbrett geworfen, vielleicht wechselt Akteur_in A aus der Degewo ins Management von Akelius oder Politiker_in B wird ganz offiziell von Covivio bezahlt? Vor allem werden Informationen gesammelt und alles Kriegsgerät mobilisiert, um auf der einen Seite die Aktionär_innen und der anderen die Investor_innen ruhig zu stellen.
Und die Kämpfer_innen der Klemmbrettfront? Sie werden wohl nicht mehr als Statisten-Rollen in den Wirren dieses Machtkampfes erhalten, ein bisschen mehr, als diejenigen, die die Unterschrift setzten. Im besten Fall wird es nochmal eine Demo geben, um diese Menschen daran zu erinnern, dass sie es „geschafft haben“ und jetzt die Politik nur noch handeln muss. Und wer sich hervortun wird, als echauffierte „Expert_in“ an den runden Tischen und Kommissionen, mit wutentbrannten Reden, über die Untätigkeit wahlweise der SPD, ähnlich der Klima-Robin Hood und Presseliebling, Luisa Neubauer, wird sich zeigen. Und wie viel diese Charaktere bereit sind für ihre Karriere zu opfern und inwiefern die Ideale von Gruppen wie der IL daran zerbrechen werden, die Kompromisse des Senats vor den „Wähler_innen“ zu rechtfertigen, können wir ebenfalls nur vermuten.
Doch nüchtern betrachtet, wird es in Zugeständnissen münden, Teilerfolgen, Absichtserklärungen und Bekundungen, weitere Instrumente zu prüfen.
Auch wenn der Erfolg der Kampagne nur daran gemessen werden soll, dass diese x-Milliarden ausgegeben werden und 240.000 Wohnungen (3) in der Hand der Landesregierungen landen, glauben wir nicht, dass es zu diesem „Erfolg“ der Kampagne kommen wird, wenn die Umsetzung von nun an Kommissionen dieser Regierung überlassen wird.

Was passieren muss…
… oder wie ein Volksbegehren auch aussehen könnte.

Wie bereits erwähnt: Ein massenhaftes Aufbegehren gegen die Zumutungen des Wohnungsmarktes steht auch bei einem eingestampften Volksentscheid nicht vor der Tür. Dennoch: Jeder vergangene Monat mit neuen Vertagungen und Nebelkerzen wird die Kumpanei von Senat und Immobilienlobby mit den Karrierist_innen in DWE offensichtlicher erscheinen lassen, Frustration und Misstrauen in alle Beteiligten zunehmen.
In einer solchen Situation wird es darauf ankommen, die Befriedungsstrategien und Scheinangebote von Senat und Eigentümerlobby zurückzuweisen und die vorhandenen Tendenzen der Wut und Politikverdrossenheit in selbstorganisierte und offensive Bahnen zu lenken. Nicht mit dem Versprechen dadurch eine Umsetzung des Volksentscheides erreichen zu können, sondern als Geländegewinn für eine antagonistische Mieter_innen- und Wohnungslosenbewegung.

Eine unserer Überzeugungen war schon immer, dass es abseits des reformistischen Weges Aktionen braucht, um seine_ihre eigene Involviertheit zu erleben, um mit anderen in den Kämpfen zu wachsen und wirklich Veränderungen einzufordern, statt darauf zu setzen, dass Politiker_innen unsere Interessen durchsetzen. Wir wollen die Wut, Enttäuschung und Ohnmacht der Menschen aufgreifen, die vor einem Jahr die Briefe in der Hand hielten, dass ihre Miete nun doch nicht verringert wird und utopische Nachzahlungen anstehen. Das Kreuz auf einem Wahlzettel, ist für uns kein Zeichen für die Bereitschaft sich einzumischen und wir glauben nicht daran, dass Menschen durch das Ritual einer Wahl politisch eingebunden werden.
Umso wichtiger finden wir es, dass auch all jene, die der Enteignen-Kampagne nie etwas abgewinnen konnten, sich wieder verstärkt ins Gemenge werfen und die Basisarbeit und aktionistischen Interventionen fortführen, die die Wohnraumfrage vor Jahren erst auf die politische Karte Berlins gesetzt haben.

Zu tun gäbe es vieles, eine Auflistung der Möglichkeiten wollen wir hier gar nicht erst versuchen, wir sind da auch nicht schlauer oder einfallsreicher als ihr. Wichtiger als die Frage ob wir nun Propaganda an Hauswänden und in Briefkästen machen, mit nächtlichen Aktionen einen Konflikt zuspitzen oder in Kiezinis aktiv sind, finden wir die grundlegende Haltung und Botschaft unseres Handelns: Dass ein objektiver Widerspruch zwischen den Interessen der Mieter_innen/Wohnungslosen und den Interessen von Senat und Wohnungswirtschaft besteht und wir in diesem Konflikt nichts zu erwarten haben, was wir uns nicht selbst erkämpfen.
Das Potential der daraus entstehenden Auseinandersetzungen ist nicht zu unterschätzen. Die Gegenseite ist sich dessen durchaus bewusst, nicht umsonst ist der ehemalige Innensenator und Räumungs-Dirigent Andreas Geisel (SPD), jetzt Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen.
Inwieweit wir dabei in der Lage sein werden, dem widerständigen Teil dieser Stadt auf Augenhöhe zu begegnen, unsere Kämpfe zu teilen und der Wut den Weg zu ebnen, wird sich zeigen müssen.

Wir haben allen Grund wütend zu sein. Und dies nicht nur auf Twitter, sondern im Alltag, auf der Straße und überall. Ein gutes Beispiel war die Reaktion nachdem der Mietendeckel gekippt wurde. Innerhalb weniger Stunden sind in Berlin über 10.000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Das war was! Leute haben es an sich selbst gespürt, dass sie betroffen sind und was tun müssen. Und sie haben auf der Straße Menschen gefunden, denen es so geht wie ihnen, die auch verdammt sauer waren. Und vielleicht haben sich Menschen in ihren WGs oder Innenhöfen danach darüber unterhalten, was dagegen unternommen werden muss. Was gibt es Schöneres? Und was macht den Politker_innen mehr Angst, als wenn wir uns zusammen schließen, unsere Lage erkennen und Pläne schmieden, ohne sie einzubeziehen? – Am Ende nur 10.000 Menschen, die nicht nur wütend sind, sondern auch wissen an wem sie ihre Wut auszulassen haben.

Den Widerspruch zwischen Kapital und einem Leben nach unseren Bedürfnissen, können wir nicht zur Debatte stellen. Er muss aufs Schärfste bis auf die Spitze getrieben werden, dass er zerschellt. Das schaffen wir nur, durch praktische Arbeit, in gemeinsamen Kämpfen, Gesprächen, Erlebnissen, in Solidarität und dem Vertrauen in unsere Bewegungen.

AutonomeGruppe Stadtentwicklung

(1) Sammlung vieler Texte zur Kritik an DWE:
vonovia-broschuere-weblq.pdf [kopiert zu kontrapolis hier] (7MB)
vonovia-broschuere-druckhq.pdf (50MB)

(2) Das Land Berlin verscherbelte 2004 unter einer rot-roten Koalition damals rund 65.000 GSW-Wohnungen für einen lächerlichen Preis und Rot-Rot-Grün kauft aktuell viele dieser Wohnungen für das fünffache zurück. So vielleicht auch im Rahmen des Volksentscheids.
(3) Betroffen sind rund 240.000 Wohnungen von Deutsche Wohnen, Vonovia, Adler, Covivio, Akelius, Heimstaden und Grand City.Fusion 

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien:  Creative Commons by-sa (CC-BY-SA): Weitergabe unter gleichen Bedingungen

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Der Text, den wir Ihnen gezeigt haben, ist länger als der bisherige Wohn-Bau-Report, aber wir wollten ihn nicht verstümmeln und haben ihn auch nicht korrigiert. Sie sollten sich einen eigenen Eindruck von den Kämpfen in dieser Stadt machen und dass Aktivismus nicht gleich Aktivismus ist. Während unserer aktiven Recherchezeit haben wir auch von den Differenzen einiges mitbekommen und sind daher nicht aus den Wolken gefallen, als wir gesehen haben, dass es auch Aktivist:innen gibt, denen die Kampagne „DW enteignen“, wie wir sich ab hier verkürzt nennen werden, nicht weit genug geht und die ihren Machern außerdem misstrauen.

In der Tat, das fällt gewiss jedem auf, der ein wenig Medienarbeit betreibt: „DW enteignen“ ist hochgradig professionell, ist wohl die beste Kampagne, die wir in Berlin gesehen haben, seit wir vor 15 Jahren hierherzogen. Die Ideen, die Umsetzung, die Art, wie die Aufmerksamkeit für diese Idee immer hochgehalten wurde, trotz vieler Schwierigkeiten auf politischer Ebene, trotz Corona und der Nachteile, welche die Pandemie für jede politische Kampagne mit sich brachte, das ist beeindruckend. Irgendwann kommt dann unweigerlich der Gedanke auf: Was machen Profis für sich selbst aus einer solchen Sache? Schon in viel kleinerem Maßstab und für Menschen, die in Wohnungsangelegenheiten weitaus eher als Amateure zu bezeichnen sind, waren Posten als Vorstände von Neugenossenschaften drin. Auch bei „DW enteignen“ hat uns überrascht, welche systemintegrierten Positionen führende Köpfe der Initiative bereits innehaben. Die Frage folgt allerdings auf dem Fuß: Wenn die Politik versuchen würde, die radikalsten Autonomen auf diese Weise zu befrieden, was würden sie tun? Sich konsequent verweigern, obwohl Sie persönliche Möglichkeiten erlangen würden, von denen Sie zuvor nicht einmal träumen konnten? Wir haben zuletzt am Vorgang Obdachlosencamp Rummelsburger Bucht gesehen, dass es zu Streitigkeiten unter den Verteidiger:innen der Bucht kam und immer der Verrat an der reinen Lehre der reinen Selbstermächtigung der Betroffenen und der Verdacht, sich nur persönlich nach vorne bringen zu wollen, dabei eine Rolle gespielt hat. Wo würde also die Spaltungslinie tatsächlich verlaufen? Immer zwischen jenen, die etwas erlangen und jenen, die dabei leer ausgehen? Oder könnten die einen die anderen mitnehmen und die anderen den einen auch etwas gönnen?

Wir stellen hier klar, dass wir nicht in allen Punkten mit den Autor:innen des obigen Textes einer Meinung sind. Aber diese widerständige Einlassung zur Sache ist ein nicht zu verachtender Ansatz für den Einstieg ins Thema, weil er grundsätzliche Probleme von Bewegungsynamik deutilch  macht – und von hier aus gibt es nach links oder ins autonome Denken hinein nur noch wenige Aspekte, die man obenauf setzen könnte. Die Andeutungen zur Umgestaltung eines DW-Büros zu Beginn und weitere Andeutungen werden die mit der Sprache der Autonomen Vertrauten schon richtig verstehen. Für uns war deren Papier sogar ein besserer Einstieg als z. B. eine Pressemitteilung der Initiative selbst, die drei Tage zuvor über die sozialen Netzwerke verbreitet wurde. Auch diese Pressemitteilung bilden wir nun ab, damit Sie auf dem Laufenden sind:

„Börsennotierte Immobilienkonzerne sind keine verlässlichen Partner für bezahlbares Wohnen“ +++ Kundgebung seit 8:30 Uhr vor dem Roten Rathaus[3]

Berlin, 21.02.2022. Seit heute Morgen um 8:30 Uhr protestieren Mieter:innen anlässlich des zweiten Treffens der SPD-Spitze mit der Immobilienlobby vor dem Roten Rathaus. Sie wollen wissen, warum das „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten“ mit jenen Unternehmen zusammenarbeitet, die die Explosion der Mieten in Berlin vorantreiben.

„Börsennotierte Immobilienkonzerne sind keine verlässlichen Partner für bezahlbares Wohnen. Ihre Aufgabe ist es, Rendite zu erwirtschaften. Die Konsequenzen des Kuschel-Kurses von Giffey und Geisel mit der Immobilienlobby sind vielmehr Mieterhöhungen, Verdrängung und Zwangsräumungen. Der demokratische Auftrag von mehr als einer Million Berliner Wähler:innen an den Senat war aber nicht, jene Immobilienkonzerne zu hofieren, die die Krise mitverursacht haben, sondern sie zu enteignen!“, so Gisèle Beckouche, Sprecherin der Initiative.

Anlässlich der Fusion von Vonovia mit Deutsche Wohnen im letzten Jahr versprachen die Konzerne Mieterhöhungen um maximal 1 % in den nächsten drei Jahren. Doch die Mieten in den Wohnungsbeständen der Immobilienriesen werden weniger als ein Jahr später bis zu 10 % angehoben. Erik Tietz, ein Mieter aus Kreuzberg, sagt:

„Die Deutsche Wohnen verlangt für unsere Wohnung bald 10,5 % mehr im Monat. Dabei investiert sie nichts. Wir haben kein Bad und heizen mit Kohleöfen.“

Von der Zusammenarbeit des Senats mit der Immobilienwirtschaft erhofft sich der Mieter der unsanierten Wohnung an der Skalitzer Straße wenig: „Mein Fall macht deutlich, dass auf Selbstverpflichtungen der Immobilienkonzerne kein Verlass ist. Daran ändern auch Imagekampagnen und Geisels warme Worte nichts.“

Die Initiative fordert, dass der Senat endlich den Volksentscheid umsetzt, für den 59,1 % der Wähler:innen gestimmt haben: „Giffey und Geisel werden als Dreamteam der Demokratieverweigerung in die Berliner Geschichte eingehen, wenn sie weiter Augenwischerei statt Problemlösung betreiben und den Volksentscheid ignorieren“, betont Beckouche abschließend.“

Wir haben uns nach reiflicher Überlegung und aufgrund unserere Beobachtung aus dem kämpferischen Jahr 2019, in dem mehr Menschen in Berlin mit Hausinitiativen und auf der Straße gegen den Mietenwahnsinn Position bezogen haben als über viele Jahre hinweg zuvor, entschlossen, in dem der Begriff Kommunalisierung oder aber Selbstverwaltung ernster als zuvor genommen und mehr bekanntgemacht wurde, diese Enteignunginitiative zu befürworten. Dazu stehen wir selbstverständlich auch weiterhin. Ob wir sie, die auch die Linke kritisiert, ihrerseits gegen links verteidigen, wie etwa gegen die Autonomen, ist eine andere Frage. Über die Strategie und die Konsquenzen sowohl eines Erfolgs als auch einer Niederlage der Enteignungsinitiative machen wir uns im Verlauf der Weiterentwicklung dieses Reports noch Gedanken. In einer Sache müssen wir dem Indymedia-Artikel aber sachlich widersprechen: „DWenteignen“ hat immer klargemacht, dass die Entschädigung für die 240.000 Wohnungen, die an die jetzigen Eigentümer gezahlt werden soll, nicht dem aktuellen Marktwert der Gebäude, der im Zeichen der Immobilienblase immer weiter ansteigt, entsprechen muss. Diesen Streit um Zahlen dazu, was die Enteignung kosten würde, der sich zwischen der Politik, einigen Medien und der Initiative entspann, haben wir registriert. Verkürzt: Die Initiative geht von Kosten unter 10 Milliarden Euro aus, die Politik jazzt die Kosten auf 40 Milliarden hoch, aus sehr durchsichtigen Gründen. Das Gleiche gilt für die rechtskonservativ-neoliberale Presse in Berlin, welche die höhere der beiden Zahlen begierig aufgriff.

Dass die Wohnungen hingegen nicht zum „Verscherbelungspreis“ der 2000er zurückzugewinnen sind, ist leider klar. Wie der damalige Vorgang passieren konnte? Das lässt sich wiederum nur unter Berücksichtigung der Berliner Bankenkrise erklären, die von einer früheren Stadtregierung geradezu angezettelt wurde. Vor allem die CDU kann man heute argumentativ immer stoppen, wenn sie den Immobilienkonzernen das Wort redet, denn ihr nichtswürdiges Tun hatte den Verkauf des Tafelsilbers zu Ausverkaufspreisen erst notwendig gemacht. Böse Zungen könnten von Absicht sprechen: Man fährt die Finanzen einer Stadt gegen die Wand, um die Finanzialisierung eines wichtigen Bereichs der Daseinsvorsorge durch renditeorientierte Private endlich zu ermöglichen bzw. neues Futter für die Renditejäger bereitzustellen. Auf jeden Fall hat man die Situation ausgenutzt, ähnlich wie beim Fall „Neue Heimat“ in den 1980ern, der als Scheinargument für die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit herangezogen wurde, die wir heute so schmerzlich vermissen und ohne die einige extreme Auswüchse am Wohnungsmarkt eben nicht so extrem wären.

Wir haben oft genug auf diese missliche Ausgangslage hingewiesen, die den Staat auf jeden Fall nicht gut aussehen lässt: Greift er nicht ein, werden die Mietenden immer schneller verdrängt und der soziale Friede in der Stadt wird immer stärker gefährdet, greift er ein, muss er sich von einigen Schlaumeiern und politischen Gegnern wirtschaftliches Fehlverhalten vorwerfen lassen. Es hilft aber nichts, frühere Fehler müssen korrigiert werden, auch wenn die Korrektur nicht für umsonst zu haben ist und man dabei nicht so schlau wirkt wie die Lästerer, die, falls sie tatsächlich auch Investoren sind, noch merken werden, dass der gegenwärtige Trend zu immer höheren Werten nicht unendlich weit in die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Auch die makroökonomischen Verzahnungen und Fehlstellungen, die erst zu dieser Blase führen konnten, sind noch nicht Gegenstand dieser dritten Ausgabe des Baureports.

Wir geben an dieser Stelle auch keine Einschätzung darüber ab, wie hoch die Chancen sind, die wir einer Umsetzung von „DWenteignen“ geben. Selbstverständlich haben wir dafür gestimmt, aber wir wissen, dass es damit nicht getan ist.

Ein weites Feld ist, was passieren wird, sollte die die Enteignung wirklich stattfinden. Um darauf einen Hinweis zu geben, sprechen die Initiatoren auch gerne vom Ergebnis, von der Vergesellschaftung. Sie in den Vordergrund zu rücken, finden wir richtig. Inwiefern sich das, was die Initiative sich darunter vorstellt, mit dem Wunsch nach Selbstermächtigung seitens der Mietenden und deren Wunsch nach dauerhafter Sicherung ihrer Wohnung vereinbaren lässt, ist dann der Analyse zugänglich. Nach unserer Ansicht müsste am Ende eine Aufspaltung in kleine, selbstverwaltete Einheiten stehen, nicht ein weiterer, dieses Mal wieder städtischer Wohnkoloss, in dem die Mieter zwar mehr zu sagen haben als bei den Privaten, aber nicht genug, als dass man von einem Paradigmenwechsel hin zur Ermächtigung derer, die in den Häusern wohnen, sprechen könnte. Die Genossenschaften sind da erheblich weiter, aber keine Macht ohne Pferdefuß. Seit wir auf einer Veranstaltung von „Genossenschaft von unten“ waren, wissen wir, dass es auch in diesen Gemeinschaften immer wieder Zwist und immer wieder Menschen gibt, die es auf die Gewinnung persönlicher Macht anlegen. Diese Eigenschaft mancher Menschen muss in kooperative Modelle einkalkuliert werden: Wie macht man sich diese Eigenschaft, dass einige gerne im Vordergrund stehen, gemeinsam und für die Sache zunutze, ohne sich von diesen Charakteren dominieren und marginalisieren zu lassen? Aber darüber müssen sich derzeit nur jene Gedanken machen, die überhaupt irgendwo mitmachen dürfen. Das ist bei den weitaus meisten Berliner Mieter:innen nicht der Fall. Sie sind mitbestimmungslose Ausbeutungsobjekte des Kapitals.

Ganz sicher ist „DW enteignen“ einer der wichtigsten aktuellen Vorgänge auf dem Berliner Wohnungsmarkt und wird uns hier noch häufiger beschäftigen.

Zweckentfremdung – Homesharing, Ferienwohnungen, Vermietungsplattformen[4]

Wenn es darum geht, normale Stadtwohnungen und Apartments an Touristen zu vermieten, fällt immer sofort ein Name: AirBnB. Diese Plattform ist der größte Anbieter weltweit für „Homesharing“ und privat vermietete Ferienwohnungen – innerhalb weniger Jahre hat sich der Umsatz des Unternehmens vervielfacht und wurde durch die Corona-Krise nur kurzfristig gebremst, wie neueste Zahlen zeigen.

Rund 301 Millionen gebuchte Nächte und Entdeckungen sowie ein Brutto-Buchungsvolumen von 47 Milliarden US-Dollar hat Airbnb für 2021 gemeldet. Damit haben sich die Buchungen nach dem Corona-Einbruch im Vorjahr wieder erholt und erreichen fast das Niveau von 2019, wie die Statista-Grafik zeigt.[5]

In Berlin werden Zehntausende von Wohnungen und Zimmer via AirBnB angeboten, man schätzt, dass ein Fünftel aller deutschen Angebote auf die Hauptstadt entfallen. Wir gehen davon aus, dass die obige Zahl von 48 Milliarden Euro sich nicht auf einzelne Nächte, sondern auch auf die Buchung mehrerer Nächte bezieht, ansonsten würde eine Nacht im Weltdurchschnitt ca. 150 Euro kosten. Eines fällt auch an dieser Vermietungsplattform sofort auf: Sie ist, wie der Begriff sagt, reine Plattformökonomie. Er schafft nichts Neues, produziert keine nützlichen Waren, sondern macht sich, wie viele andere Großkonzerne, die teilweise fälschlich der Tech-Industrie zugeordnet werden, vorhandene Infrastrukturen zunutze und verändert die Spielregeln für deren Nutzung. Wenn man so will, ist AirBnB als größter dieser Anbieter das Amazon unter den Ferienunterkünfte-Vermietern. Der Umsatz (nicht zu verwechseln mit dem in der Grafik genannten Wert der Buchungen) belief sich im Jahr 2019 auf ca. 4,8 Milliarden Dollar.[6]

Schon im Jahr 2016 war die Notwendigkeit klar, dem Wildwuchs im Privatvermietungsbereich via Internetplattformen ein Steuerungsinstrument entgegenzusetzen, am 1. Mai des Jahres trat die erste Version des Berliner Zweckentfremdungsgesetzes in Kraft, die mittlerweile nachgeschärft werden musste. Zuvor wurden 19.000 Wohnungen und Zimmer via AirBnB in der Hauptstadt angeboten, danach ging die Zahl zunächst auf 11.000 zurück, heißt es in einem Taz-Artikel aus dem Dezember 2016, stieg aber bis zum Jahresende schon wieder auf 12.400 an.[7]

„‘Wenn man eine geringe Miete von etwa 500 Euro im Monat zahlt und über Airbnb 3.000 Euro verlangt, kann man richtig Geld damit machen‘, sagt Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte. Das Problem: Dem Wohnungsmarkt werden so Tausende Wohnungen entzogen – vor allem im niedrigen Preissegment“, heißt es in dem Artikel weiter.

Berlin-Mitte ist als Tourismus-Hotspot besonders von dieser Art der Zweckentfremdung betroffen. Die Zweckentfremdung ist bei AirBnB-Nutzung einer Vermutung, daher braucht nach dem Zweckentfremdungs(verhinderungs-)gesetz für jede vermietete Wohnung eine Erlaubnis, die rechtstechnisch gesehen eine Ausnahmegenehmigung darstellt.

Im Jahr 2019 war der vor dem Inkrafttreten des ZweckentfremdungsG erreichte Höchststand längst wieder übertroffen:

„In Berlin sind einer Studie zufolge im vergangenen Jahr rund 26.500 Unterkünfte über Airbnb angeboten worden. Darunter seien 2.600 komplette Wohnungen, die mindestens 138 Tage im Jahr vermietet wurden.“[8] Selbstverständlich beteuern Sprecher:innen des Unternehmens, ihre Tätigkeit habe keinen Einfluss auf die Mietpreise oder die Wohnungsknappheit, wie man im selben Artikel nachlesen kann und beziehen sich auf die Ergebnisse einer Studie, in welcher auch die Zahl der Angebote ermittelt wurde, die AirBnB offenbar selbst nicht liefern konnte. Die Studie stammt von „Empirica“, einem der Immobilienwirtschaft nahestehenden Institut, darin wird die Tätigkeit von AirBnB auch als für den Wohnungsmarkt unbedenklich eingestuft. Jedoch gibt dieselbe Studie auch diese Zahlen preis:

„Laut Erhebung gibt es in Berlin 2.600 Komplettwohnungen, die mehr als 137 Tage über Airbnb vermietet werden und damit als Renditeobjekt eingestuft werden können. Diese „Zweckentfremdung“, heißt es bei Empirica, dies entspreche 2,3 Prozent der 114.799 Wohneinheiten, die zwischen 2007 und 2017 in der Hauptstadt zu wenig gebaut wurden. In München trägt Airbnb demnach 2,1 Prozent zum Mangel bei, in Hamburg 4,4 Prozent.“[9]

2.600 Wohnungen, das entspricht 50 mittelgroßen, klassischen Altbauten mit jeweils ca. 50 Wohnungen. Die erstaunlich exakte Ziffer von „zu wenig gebaut“ in Berlin basiert auf Annahmen, die wir nicht kennen und die sich auf eine Zeit vor der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Rot-Rot-Grün Ende 2016 beziehen. Vor allem gilt das für die Erteilung von Baugenehmigungen, die dem Bau neuen Wohnraums notwendigerweise vorausgeht. Der Mehrbedarf der „wachsenden Stadt“ war spätestens zu Beginn der 2010er Jahre erkennbar, die Zahlen bezugsfertigen neuen Wohnraums, insbesondere im Neubau, stiegen jedoch erst gegen Mitte des Jahrzehnts merklich an, noch einmal dann unter Rot-Rot-Grün ab 2017. Dazu mehr im entsprechenden Kapitel „Neubau“, das wir demnächst in den Report integrieren werden.

„272 Millionen Buchungen wurden über die Plattform getätigt. Im ersten Pandemiejahr 2020 sank die Zahl der Buchungen um 41 Prozent auf 193 Millionen. ‚Airbnb ist trotzdem relativ ungeschoren aus der Krise herausgekommen‘, sagt Katalin Gennburg. Sie sitzt für Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus und ist Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus und Smart City ihrer Fraktion“, wird in einem Artikel des ND aus dem Juli 2021 erläutert.[10] Die aktuellen Zahlen belegen das, diejenigen für 2019 sind etwas niedriger angegeben als in der obigen Grafik, diejenigen für 2020 stimmen überein. „Obwohl nur etwa 1,2 Prozent der Berliner Wohnungen bei Airbnb gelistet sind, ist das angesichts der Gesamt-Leerstandsrate in der Hauptstadt von nur 0,8 Prozent nicht zu vernachlässigen“, heißt es in dem Artikel weiter. Weltweit sorgt die Vermietung von Wohnraum über Plattformen für Preisdruck in touristisch attraktiven Städten, wird weiter ausgeführt, auch der Deutsche Städtebund habe 2018 bereits auf das Problem aufmerksam gemacht. AirBnB selbst ist übrigens technisch bei Amazon angedockt, womit wir wieder beim Zusammenwirken der Unternehmen wären, mit denen ganz wenige sehr reich werden, die aber dafür mit einer nie zuvor gekannten Geschwindigkeit in gewachsene soziale und kommerzielle Strukturen eingreifen.

Trotz des weiterhin anhaltenden pandemiebedingten Rückgangs des internationalen Reiseverkehrs meldete der Marktführer für Kurzzeitvermietungen einen 56-prozentigen Anstieg der über seine Plattform gebuchten Übernachtungen und Erlebnisse. Weil viele Gastgeber:innen die Preise erhöht haben, um den Verlust aus 2020 auszugleichen, liegt das Buchungsvolumen sogar um 24 Prozent über dem aus 2019 trotz weniger Buchungen.[11]

Das liege einerseits an erheblichen Preiserhöhungen, andererseits an mehr Langzeitvermietungen (über einen Monat hinaus), vor allem daran, dass Menschen sich ein Leben im Ausland ermöglichen und per „Fernarbeit“ tätig sind. Eine Variante der Digitalnomaden, mit anderen Worten. Dieser Begriff spielt bei einem weiteren Verdrängungsproblem ebenfalls eine Rolle: Der Umwälzung von Kiezstrukturen durch sogenannte Workspaces.

Inzwischen gibt es Neues vom Berliner (Anti-) Zweckentfremdungsgesetz, auch darüber und mehr Meinung von uns in einem kommenden Update.

Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit[12]

Die Obdachlosigkeit und die Wohnungslosigkeit sind eines der drängendsten sozialen Probleme in Berlin. Die Ursachen dafür, dass Menschen ihre Wohnung verlieren, sind ebenso vielfältig wie die betroffenen Menschen und ihre Biografien. Wir freuen uns sehr, dass sich dort, wo nach allgemeiner Ansicht „ganz unten“ ist, endlich etwas tut, das zumindest als Ansatz vielversprechend erscheint.

„Housing first“ bedeutet, dass alle Hilfen für Obdachlosen auf dem Prinzip Wohnung basieren: Erst eine sichere, individuelle Unterkunft, ein geschützter Raum, auf dessen Einrichtung basieren alle weiteren Überlegungen, Hilfen und die Bewältigung sozialer und persönlicher Probleme.

„Wohnungs- und Obdachlosen zunächst ohne Vorbedingungen eine Wohnung mit eigenem Mietvertrag zur Verfügung zu stellen und erst dann weitere psychische und soziale Probleme anzugehen, soll also perspektivisch der reguläre Umgang mit dem Problem sein, das allein in Berlin Zehntausende Menschen betrifft.“[13]

Auch nach einer Zählung im Januar 2020, bei der über 2.000 Menschen auf der Straße und in Notunterkünften ermittelt wurden, kann man nur schätzen, wie viele Menschen in Berlin von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind. Eine zweite Zählung soll im Juni 2022 folgen, eine dritte im Winter 2023/24. Anmelden können sich freiwillige Helfende ab März 2022 über die Freiwilligenagentur Marzahn-Hellersdorf [aller-ehren-wert.de] und die „Zeit der Solidarität“-Website [zeitdersolidaritaet.de].[14]

Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) hatte, als sie das Amt von Elke Breitenbach (Die Linke) übernahm, angekündigt, dass die Beseitigung der Wohnungslosigkeit priorisieren will. Housing-First-Pilotprojekte in Berlin haben bereits vielversprechende Ergebnisse erbracht. Freilich ist der Bedarf, wie überall, auch auf diesem Gebiet größer als die aktuellen Möglichkeiten und juristische Faktoren müssen bei der Umstellung auf Housing First ebenfalls berücksichtigt werden.

„Im Doppelhaushalt 2022/2023, dessen Entwurf kommende Woche vom Senat beschlossen werden soll, sind für das Projekt doppelt so hohe Mittel eingestellt als bisher. Staatssekretär Fischer appelliert an die Abgeordneten, dies so auch zu bewilligen. Widerstand ist nicht zu bemerken, alle Fraktionen loben die Erfolge.“[15]

Allerdings scheint es gemäß Bundesrecht bisher so gestaltet zu sein, dass die deutsche Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den „Wandel von der Unterbringung zur Beheimatung“ ist. Dies muss im Interesse aller von Wohnungs- und Obdachlosigkeit Betroffenen geändert werden.

Mahnwachen gegen Obdachlosigkeit sind in Berlin in den letzten Monaten zu einer im wörtlichen Sinne stehenden Einrichtung geworden und weisen immer wieder auf die Situation der Betroffenen hin. Hat man mit der verstärkten Konzentration auf Housing First eine Forderung der Obdachlosen und der Menschen erfüllt, die sich für sie einsetzen?

Schon bei unserem ersten Report-Thema wird auch deutlich, wie verknüpft bauwirtschaftliche Missstände in Berlin miteinander und mit dem Schicksal vieler Menschen sind, die sich gegen dieses Kesseltreiben nicht wehren können.

Sogar während der Corona-Pandemie wurden in der Stadt unbekümmert tausende von Zwangsräumungen durchgeführt, darunter einige vielbeachtete bei bekannten solidarischen Projekten sowie unzählige, von denen wir nichts mitbekamen, weil sie die Öffentlichkeit nicht erreichten. Spekulativer Leerstand ist in Berlin ein weiteres Thema, das die Unterbringung von Menschen zu günstigen Bedingungen verhindert. Und natürlich der „Mietenwahnsinn“, ein Begriff, den Sie in unseren Wohn- und Bau-Reporten noch häufiger lesen werden: Die immer weitere Steigerung der Mietpreise in Berlin, die nun durch die rasch ansteigende Teuerung gedoppelt wird und weniger begüterte Haushalte immer häufiger in Bedrängnis bringt.

Befasst man sich mit einzelnen Menschen, die obdachlos sind und solchen, die sich für Obdachlose und Wohnungslose einsetzen, wird es schnell emotional. Wir kennen zum Beispiel die in diesem Artikel genannten Aktivist:innen persönlich, die für die Organisation der Berliner Mahnwachen gegen Obdachlosigkeit mitverantwortlich sind, die immer dabei sind und ihr großes, stadtbekanntes Transparent[16] ausrollen, wenn es gegen den Mietenwahnsinn geht. Einige persönliche Hintergründe, die Motive für ihr großes Engagement und die Geschichte ihrer Selbstermächtigung waren uns bisher nicht geläufig.[17]

Es ist dringend erforderlich, dass sich mehr Menschen für diese grundlegenden Belange eines menschenwürdigen Lebens engagieren oder wenigstens interessieren, denn auch Housing First ist etwas, woran die Zivilgesellschaft mitarbeiten muss, sei es durch politische Arbeit oder ehrenamtliches Engagement. Es geht nicht zuletzt darum, das langfristig, auch in Zeiten knapper Kassen, zu sichern, was bereits ausprobiert wurde und in etwas größerem Maßstab weiterentwickelt werden soll.  

In eigener Sache

Aufgrund unserer besonders strikten persönlichen Corona-Politik haben wir zuletzt nicht mehr an Veranstaltungen der Mietenbewegung teilgenommen. Uns ist sehr wohl bewusst, dass unser Verfahren zum Beispiel ein sicheres Wohnen und die Absicherung aller Grundbedürfnisse voraussetzt. Wir haben oft daran gedacht, dass dies nicht allen Menschen in Berlin zur Verfügung steht und uns an unsere Begegnungen auf Veranstaltungen der Mietenbewegung erinnert. Etwas Positives hat diese Form des immer wieder durch die Pandemie ausgelösten Rückzugs für Monate hervorgebracht: Die Corona-Reporte, mit denen wir testen konnten, ob es uns gelingt, mit einem täglich so viele Nachrichten produzierenden Thema umzugehen. Diese Tätigkeit fahren wir angesichts des abklingenden Pandemiegeschehens zurück, die Erkenntnisse daraus lassen wir in die künftigen Wohn-Bau-Reporte einfließen.

Wir werden uns in ihnen mit Zahlen zur Berliner Bau- und Wohnungswirtschaft befassen, aber auch weiterhin mit Einzelfällen des Berliner #Mietenwahnsinns, mit der Politik und mit Menschen, die betroffen sind, die engagiert sind und die alle zu dieser Stadt gehören. Sie gehören viel mehr zu ihr als alle Spekulanten, die Berlin als reine Spielwiese für ihre Kapitalinteressen betrachten, ohne Rücksicht zu nehmen auf irgendwen, der hier lebt. Teile der hiesigen Politik, große Teile, sind diesen Akteuren sehr zu Diensten, auch darauf werden wir wieder verstärkt eingehen.

Falls wir es zeitlich / administrativ hinbekommen (das kategorisierte Artikel-Gesamtverzeichnis ist immer noch vakant), werden wir die Reporte auch mit Bestandsartikeln verlinken, die sich besonders in den Jahren 2018 und 2019 mit vielen Vorkommnissen auf dem Berliner Wohnungsmarkt befasst haben.

Außerdem haben wir gleich zu Beginn der Tätigkeit des „neuen“ Wahlberliners einen mehrteiligen Vorgänger der aktuellen Reporte erfasst, damals betitelt mit „Berlin ist eine große Baustelle“, den wir demnächst aktualisieren werden.

TH

[1] Im hiesigen Report enthalten, Gliederung der 3. Ausgabe:

  • Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die autonome Sicht (24.02.2022) + PM der Initiative vom 22.02.2022
  • Zweckentfremdung
  • Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit
  • In eigener Sache

[2] Der „Volksentscheid“ wird durch niemanden umgesetzt werden, außer durch die Wut der Straße | de.indymedia.org

[3] Initiative Deutsche Wohnen und Co. protestiert gegen Zusammenarbeit mit der Immobilienlobby und für die Umsetzung des Volksentscheids – Deutsche Wohnen enteignen! (dwenteignen.de)

[4] Zuletzt aktualisiert am 20.02.2022

[5] • Infografik: Airbnb erholt sich vom Corona-Tief | Statista –Lizenz CC BY-ND 4.0

[6] Curry, David: Airbnb Revenue and Usage Statistics (2020). Business of Apps, 30.10.2020, unter: www. businessofapps.com/data/airbnb-statistics/; zu den Geschäftszahlen seit 2015 vgl. Airbnb-Börsenprospekt unter: http://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1559720/000119312520294801/d81668ds1. htm#toc81668_1.  – Zitiert nach: Gemuetliches_Loft_dt_web.pdf (rosalux.de)

[7] Airbnb-Wohnungen in Berlin: Ein Verbot, viele Schlupflöcher – taz.de

[8] Wohnungsnot: Mehr als 26.500 Unterkünfte in Berlin über Airbnb angeboten | ZEIT ONLINE

[9] Airbnb gibt erstmals Vermietungszahlen in Deutschland preis (handelsblatt.com)

[10] Airbnb: Verdrängung inklusive (nd-aktuell.de)

[11] • Infografik: Airbnb erholt sich vom Corona-Tief | Statista

[12] Zuletzt aktualisiert am 18.02.2022

[13] Housing First: Von der Unterbringung zur Beheimatung (nd-aktuell.de)

[14] Berlin will zum zweiten Mal Obdachlose in der Stadt zählen | rbb24

[15] Housing First: Von der Unterbringung zur Beheimatung (nd-aktuell.de)

[16]Darauf zu sehen: Miethaie contra Schwarmintelligenz der kleinen Fische, der Mietenden, die  zum versammelten Kampf aufgerufen werden. Das Logo verwendet die Mieterpartei, in der die im Artikel genannten Personen ebenfalls aktiv sind: DeWiki > Mieterpartei

[17] Obdachlosigkeit: Weil jeder Mensch wertvoll ist (nd-aktuell.de)

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