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Liebe Leser:innen,
heute ist „Equal Payday“ und morgen ist Weltfrauentag. Wir würdigen diese Tage mit einer kritischen Betrachtung der Verhältnisse, ohne dabei allzu sehr ins Detail zu gehen, denn die Weltlage bestimmt die Priorisierung. Ganz ohne Äußerung sollten wir aber auch nicht über das Thema hinweggehen. Vor wenigen Jahren betrug der Gender Pay Gap in Deutschland, das, was Frauen weniger verdienen als Männer, noch ca. 21 Prozent. Jetzt sind es noch 18,9 Prozent. Damit müsste der Equal Pay Day sich eigentlich nach vorne verlagern, der 7. März ist jedenfalls zu früh, wenn man bedenkt, dass das Jahr erst beim 66. Tag angelangt ist, der Equal Pay Day aber erst in drei Tagen stattfinden dürfte, wenn man 364 x 0,189 rechnet. Insofern sind die Frauen großzügig, wenn sie den heutigen Tag ansetzen. Trotzdem müssen einige Anmerkungen sein, zunächst jedoch die Grafik über den Stand von Equal Gender Pay in der EU:
Die Statista-Grafik ist unter einer Lizenz CC-BY-ND erstellt worden und wir geben sie so weiter, hier der Begleittext dazu:
Frauen werden schlechter bezahlt als Männer. EU-weit lag der sogenannte Gender Pay Gap, also der Anteil des durchschnittlichen Bruttolohns der Männer, den Frauen für ihre Arbeit weniger erhalten, im Jahr 2020 bei 13 Prozent. Deutschland liegt weit darüber, wie die Grafik von Statista zeigt – und das seit Jahren relativ unverändert. Innerhalb der letzten 15 Jahre verringerte sich die “Lücke” hierzulande nur um etwa fünf Prozent.
Spitzenreiter in dem aktuellen Vergleich von Eurostat, dem die Daten von 2020 zugrunde liegen, ist mit 22,3 Prozent Lettland, gefolgt von Estland mit 21,1 Prozent. In Slowenien und Rumänien liegt der Verdienstunterschied bei lediglich 3,1 und 2,4 Prozent. Den geringsten Wert verzeichnet Luxemburg mit 0,7 Prozent.
Der unbereinigte Gender Pay Gap berücksichtigt keine strukturellen Unterschiede wie Teilzeitarbeit, die Position im Unternehmen oder unterschiedliche Branchen. Er zeigt aber, dass Männer und Frauen nicht im selben Maße an der Wirtschaft partizipieren und Frauen generell weniger Geld zur Verfügung steht. Das liegt zum einen daran, dass Frauen häufiger unbezahlte Sorge- und Hausarbeit leisten und Jobs mit hohem Frauenanteil generell schlechter bezahlt werden.
Wir haben uns auf den Pay Gap von 21 Prozent in Deutschland vor vier Jahren bezogen, siehe oben. Schon damals erschien in Telepolis ein kritischer Artikel dazu, der bei gleichen Parametern, also bei gleicher Arbeit, einen viel geringeren Gender Pay Gap ausweist. Die jetzigen 18,9 Prozent berücksichtigen demnach keine unterschiedlichen Tätigkeiten und lassen den Öffentlichen Dienst, der gar keine Gender-Unterschiede bei gleicher Arbeit kennt, ganz außen vor. Telepolis mutmaßte, hinter den knalligen 21 Prozent steckt seitens der EU-Kommission, welche diesen Wert für Deutschland im Jahr 2017 auswies, neoliberales Anheizen des Konkurrenzdenkens. Wir haben in einem Artikel, der im neuen Wahlberliner noch nicht republiziert ist, darauf reagiert und uns vor allem auf eine weitere Überlegung bezogen: Was ist der soziale Gender Pay Gap, der im verlinkten Artikel angesprochen wird und wie kann das Folgende geändert werden: Jeder IT-Berater, der zumeist ein Mann ist, verdient wesentlich mehr als Frauen, die überwiegend in systemrelevanten Berufen tätig sind. Die Pflege steht derzeit besonders in der Diskussion, allgemeiner gefasst das Gesundheitswesen. Die Pandemie hat eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Missstände in diesem Bereich hervorgebracht. Hier muss ein Hebel angesetzt werden und das ist mit einem gesonderten, gegenüber dem allgemeinen Mindestlohn erhöhten Pflege-Mindestlohn schon ansatzweise geschehen.
Man kann der Europa-Grafik aber auch entnehmen, dass Deutschland noch ein vergleichsweise industriell geprägtes Land ist und dass nicht überwiegend Traditionalismus und Modernität ausschlaggebend für den Pay Gap sind, denn einige noch recht traditionell geprägte Länder im Osten der EU haben einen vergleichsweise geringen Gender Pay Gap gegenüber westlichen langjährigen Demokratien mit insgesamt modernen Gesellschaftsstrukturen. Dass Luxemburg mit seinem überbordenden Bankensektor kaum einen Gender Pay Gap ausweist, ist leicht zu erklären, während in Deutschland überdurchschnittlich bezahlte Industriearbeitsplätze immer noch hauptsächlich von Männern gehalten werden. Das liegt aber auch an der Berufswahl der Frauen, wie auch im IT-Bereich, in dem sie unterrepräsentiert sind. Deswegn ist, was wir oben geschrieben haben, so zu verstehen: Repräsentiert die Gehaltsstruktur die Wichtigkeit der Berufe für die Gesellschaft und müsste diesbezüglich stärker in den Markt eingegriffen werden?
Wenn es nur nach der Erwerbspersonenquote geht, sind in Berlin sogar die Frauen vorne. Das Bundesland weist eine höhere Frauen- als Männerbeschäftigungsquote aus. Wenn man Gleichstellung hier ernst nehmen und nicht als Kampfmittel, zum Drehen der Machtverhältnisse, verwenden würde, müssten Männer in nächster Zeit, besonders in der öffentlichen Verwaltung, bevorzugt eingestellt werden. Wäre die Gendergerechtigkeit dann aber auch leistungsgerecht? Das lässt sich wohl nicht so leicht statistisch ermitteln.
Ein weiteres Merkmal sorgt in Deutschland für mehr Ungleichheit auch im Bereich des Gender Pay Gaps: Die allgemein starke Ungleichheit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, der sehr hohe Gini-Index beim Einkommen, besonders aber beim Vermögen. Diese ist ein Thema, bei dem sich Frauen und Männer zusammenschließen sollten, um ein weiteres Ansteigen dieser Ungleichheit zu verhindern. Absolute Spitzenjobs, die teilweise auch durch erhebliches Einkommen aus Vermögen unterstützt oder gar ersetzt werden, sind immer noch eher männlich, obwohl es in Deutschland auch einige „leistungslose“ Milliardärinnen gibt.
Was ist zu tun? Die allgemeine soziale Ungleichheit, die in den letzten Jahren durch die Pandemie weiter verstärkt wurde, endlich ernsthaft bekämpfen und vor allem die Jobs, in denen Frauen verstärkt tätig sind, aufwerten, denn sie sind teilweise zu schlecht bezahlt für das, was sie für die Gesellschaft erbringen. Dort, wo Frauen noch nicht in gleichem Maße in Jobs repräsentiert sind wie Männer, auch in der Politik, notfalls mit verbindlichen Quoten für mehr Gleichstellung sorgen, wenn Freiwilligkeit nicht fruchtet. Ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher Arbeit unter gleichen Bedingungen dürfte es vor allem noch im nicht tarifgebundenen Bereich geben, in dem Vertragskonditionen individuell verhandelt werden. In diesem Spiel sind Männer bekanntermaßen immer noch etwas besser, vor allem, wenn die Personal-Entscheider:innen auch Männer sind. Also wäre die gewerkschaftliche Arbeit auch im Bereich der hochwertigen Dienstleistungen zu stärken und allgemein der Organisationsgrad der Arbeiter:innen wieder zu erhöhen. Letztlich kann man vereint klassenorientiert eben doch am meisten durchsetzen.
Selbstverständlich schließt die Aufforderung zu mehr Gleichstellung und Einkommensgerechtigkeit dort, wo erkennbare Mängel bestehen, alle weiteren Geschlechter bzw. die sexuellen Orientierungen der LGBTI* mit ein, die auf verschiedene Weise benachteiligt werden. Dafür gibt es u. W. noch keinen speziellen Tag im Jahr.
TH