Frontpage | Geopolitik, Wirtschaft | Ukraine-Krieg und wirtschaftliche Konsequenzen
Liebe Leser:innen,
es ist wieder Umfragenzeit. Zugegeben, das Thema Krieg in der Ukraine ist noch unübersichtlicher als Corona, es verästelt sich immer weiter, und das in hohem Tempo. Wir sind jetzt bei den wirtschaftlichen Konsequenzen angekommen, die sich aus weiteren Sanktionen gegen Russland wie zum Beispiel einem Importstopp für dessen fossile Energieträger ergeben könnten. Civey hat gefragt:
Die zweite Umfrage, die wir heute besprechen wollen, lautet:
Die Begleittexte von Civey zu beiden Umfragen:
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte letzte Woche an die Bevölkerung, Energie zu sparen. So könne sich Deutschland aus der Energieabhängigkeit von Russland lösen. Angesichts des Krieges in der Ukraine will die Europäische Union Gasimporte aus Russland reduzieren. Man wolle stattdessen auf Flüssiggas aus dem Ausland setzen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verteidigte indes die Entscheidung der Bundesregierung, sich nicht am Embargo für russisches Öl und Gas zu beteiligen. Derartige Importverbote hatten zuvor die USA angekündigt. Habeck warnte im Heute journal im Falle eines sofortigen Boykotts vor dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen für Deutschland, darunter hohe Arbeitslosigkeit und ein Konjunktureinbruch.
„Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ Mit den Worten warb der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bei Maischberger für einen Stopp der Energieimporte aus Russland. Der Verzicht auf den Importstopp Deutschlands sei laut Andrij Melnyk, dem ukrainischen Botschafter in Berlin, „moralisch nicht tragbar” angesichts der zahlreichen Kriegsopfer in der Zivilbevölkerung.
Energie-Expertin Nina Scheer (SPD) und Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sprechen sich für autofreie Sonntage aus. So ließe sich der Spritverbrauch und die Abhängigkeit von russischen Öl-Importen verringern. Russland drohte jüngst, Gaslieferungen über Nord Stream 1 einzustellen. Der Russland-Ukraine-Krieg wirkt sich auf die seit Monaten steigenden Ölpreise aus. Am Montag sind die Spritpreise im bundesweiten Tagesdurchschnitt erstmals über zwei Euro pro Liter gestiegen.
Nach einem von arabischen Staaten verfügten Öl-Boykott gab es bereits 1973 Fahrverbote an vier Sonntagen in Deutschland. Energieforscher Martin Pehnt erinnert im Tagesspiegel an den psychologischen Effekt, durch den die Deutschen damals ein ganz neues Verständnis für das Energiesparen entwickelten. Derzeit gibt es zudem Forderungen nach Tempolimits, um den Ölverbrauch zu senken.
Der ADAC lehnt autofreie Sonntage ab und setzt auf freiwilligen Verzicht. Der Automobilclub gibt indes Tipps zum Kraftstoffsparen wie vorausschauendes statt aggressives Fahren oder ein optimaler Reifendruck. Kurzstrecken und Klimaanlagen-Einsatz seien möglichst zu vermeiden. Wie CDU/CSU spricht sich der ADAC auch für eine Senkung der Mehrwertsteuer aus. Die Union fordert indes eine Spritpreisbremse.
Wir hätten es voraussagen können: Mit „die Deutschen“ meinen viele nicht sich selbst. Deswegen zeichnet sich bei der ganz neuen Umfrage eine Mehrheit für das Sparen aus, während nur 30 Prozent für autofreie Sonntage sind. Okay, so einfach liegt die Sache nicht ganz, aber typisch ist das Ergebnis trotzdem. Was wir von Aufforderungen zum Frieren seitens der klassistischen Zeitgenossen à la Joachim Gauck halten, haben wir hier bereits dargestellt. Auch bei dieser Umfrage ging es um die Energieversorgung in den Zeiten des Ukraine-Krieges. Auch der Herr Melnyk, bei allem Respekt vor seiner großartigen Medienkampagne für sein Land, geht zu weit, wenn er Menschen in anderen Ländern vorschreiben will, ob deren Wirtschaft, die ohnehin corona-geschädigt ist, unter einer Energiekrise zusammenbrechen soll. Wenn er das noch lange in der jetzigen Form betreibt, wird sich hierzulande die Stimmung drehen und das wiederum hätte Auswirkungen auf die so wichtige Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete.
Die energiepolitischen Fehler der Vergangenheit sind nicht durch Spontanopfer zu beseitigen, wenn man sowieso schon die weltweit höchsten Energiepreise zahlt. Gestern waren in ganz Deutschland weniger Menschen auf Demos für die Ukraine als in Berlin zwei Wochen zuvor, obwohl dieses Mal eine koordinierte Vorbereitung von längerer Hand stattgefunden hat. So sind die Menschen. Uns passt das auch oft nicht, aber wir müssen es berücksichtigen. Was uns auch ganz persönlich fuchst: Wir tun schon sehr viel, aber wir werden gar nichts erreichen, wenn wir uns jetzt stellvertretend für Herrn Gauck selbst den Strom und die Heizung abstellen und auch das Warmwasser, denn es verbraucht ja auch Energie. Da sollen sich bitte mal energieverbrauchseitig diejenigen etwas zurückhalten, die nicht sowieso, aus Überzeugung oder aus finanziellen Gründen, auf Sparflamme unterwegs sind. Und die Union fordert eine Spritpreisbremse, obwohl die Benzinkosten gerade mal das reale Niveau von vor zehn Jahren erreicht haben (abzüglich Inflation), verweigert aber Mietenden, die seit Jahren verdrängt werden, eine Mietpreisbremse, die den Namen verdient. Gruselig. Haben Sie in den Nachrichten die Bilder von den fetten SUVs in den Anti-Benzinpreissteigerungs-Demo-Konvois gesehen?
Hier noch einmal die Fragen, falls Sie noch nicht abgestimmt haben:
Die zweite Umfrage, die wir heute besprechen wollen, lautet:
Zum Schluss. Wir haben in beiden Umfragen mit „unentschieden“ gestimmt. Es kommt darauf an, wer sparen soll und zu welchem Zweck gespart werden soll. Kann man dadurch, dass man sich hier noch mehr einschränkt, wirklich etwas im Ukraine-Krieg bewirken? Putin hat gerade in China angefragt, ob man denn nicht Lust hätte, ihm zu helfen, falls der Westen immer mehr auf Kosten der Ärmeren in seiner Bevölkerung sanktioniert. Dieser Putin-Schachzug war vorauszusehen.
Wir halten es so: Fürs Klima immer, anstelle der Reichen und Imperialisten nimmer.
TH