Filmfest 748 Cinema
Realismus = Pessimismus
Keine Gnade für Ulzana (Originaltitel: Ulzana’s Raid) ist ein US-amerikanischer Western des Regisseurs Robert Aldrich aus dem Jahr 1972. Deutschland-Premiere war am 16. März 1973 in der von Burt Lancaster erstellten europäischen Fassung, die 101 Minuten läuft. In den USA lief der Film dagegen in der von Robert Aldrich autorisierten Fassung mit einer Länge von 103 Minuten, dieselbe Fassung, die auch allen DVDs zugrunde liegt. Trotz ähnlicher Laufzeit enthielten beide Fassungen verschiedene Szenen, die nur jeweils in einer der beiden Versionen auftauchten. Der Westdeutsche Rundfunk strahlte am 7. September 1986 eine rekonstruierte (jedoch unautorisierte) Fassung aus (FSK für diese Fassung: ab 16), die alle Szenen aus den beiden Fassungen zusammenfügte und etwa 111 Minuten[2] dauert.
Es war im Jahr 1954, da drehte ein jüngerer Robert Aldrich mit einem jüngeren Burt Lancaster in der Hauptrolle schon einmal einen Film über einen Apachen („Apache“, deutscher Titel: „Massai“) und kehrt nun noch einmal zum Kampf der First Nation gegen die weißen Eindringlinge zurück. Zwischendurch hatte Aldrich einige sehr beachtliche Filme gemacht, unter anderem, ebenfalls 1954, die herrliche Western-Räuberpistole „Vera Cruz“, ebenfalls mit Burt Lancaster, dann aber auch zunehmend schräge Filme wie „Whatever Happened to Baby Jane“ oder „Wiegenlied für eine Leiche“. Wie ist es um das Schaffen von Aldrich wiederum zehn Jahre und im Zeitalter des desillusionierten Westerns bestellt? Das klären wir in der –> Rezension.
Handlung (1)
Der Apache Ulzana vom Stamm der Chiricahua kann mit sieben Stammeskriegern sein Reservat in San Carlos verlassen. Mordend und plündernd vergelten die Indianer an den Siedlern in der Umgegend, was ihnen im Reservat angetan wurde. In Fort Lowell wird der unerfahrene Lieutenant De Buin beauftragt, mit einer Kavallerieeinheit die Apachen zu verfolgen und zu fangen. Ihm zur Seite stehen zwei Kundschafter: der erfahrene Scout McIntosh und der junge Apache Ke-Ni-Tay.
Auf ihrer Suche nach der entkommenen Gruppe finden die Soldaten eine Spur der Verwüstung vor. Farmen wurden zerstört, Siedler grausam getötet, Frauen vergewaltigt. Die beiden Scouts versuchen sich in die Gedankengänge von Ulzana hineinzuversetzen, um seinen nächsten Schritt vorauszusagen. De Buin soll damit auch vor überstürzten Aktionen zurückgehalten werden.
McIntosh tötet auf einem Erkundungsritt Ulzanas Sohn. Damit zieht er die Rachsucht des Indianers auf sich. Mit einer Eskorte will der alte Scout Ulzana ablenken und in einen Hinterhalt locken. Der Plan misslingt, es kommt zu einem schrecklichen Blutbad.
Rezension
„Apache“ aus 1954 war nicht nur ein früher „indianerfreundlicher Film“, er war auch aus der Sicht eines Apachen gedreht, der sich letztlich zivilisiert und dadurch Gnaden vor den Augen der Weißen findet und überleben darf. Dieses affirmative Ende kann man kritisieren, aber es ist ganz sicher angenehmer als das von „Ulzana’s Raid“, wie der Film im Original wieder einmal treffender heißt als in der deutschen Übersetzung. Denn Aldrich hatte seinen Versöhnungs-und-Farmer-Aufbau-Idealismus mittlerweile verloren und ging den gleichen Weg wie viele andere Filmer in den späten 1960ern und 1970ern: Er rechnete ab. Mit allen und allem. Mit den Weißen gleichermaßen wie mit den Ureinwohner-Stämmen und mit seinen Idealen früherer Tage.
Es ist schwierig, in Handlungsangaben Interpretationen hineinzuschreiben, wie das der Verfasser des Wiki-Artikels zur Handlung getan hat. Dass die Apachen im Reservat vom Regierungsbeauftragten bei der Lebensmittelzuteilung beschissen wurden, ist nämlich das Einzige, was konkret gezeigt wird, alles andere kann man nur vermuten, natürlich auch die Freiheitsbeschneidung an sich. Aldrich zeigt Ulzana und seine Mitstreiter aber auch als Menschen, die sui generis grausam sind und deren Kultur auf ihre eigene Weise ebenso wenig zimperlich mit anderen Menschen umgeht wie die der Weißen. Es wird hinlänglich betont, dass die Apachen auch mit ihren eigenen Frauen nicht besser umgehen als mit der weißen Siedlerin, die aus taktischen Gründen nur vergewaltigt und nicht auch getötet oder verschleppt wurde, ebenso wird deren Mythologie, dass entsetzlich zugerichtete Feinde oder auch nur Zivilisten wie die Siedler, denen man möglichst die Eingeweide herausreißt, die eigene Manneskraft oder Kampfkraft oder beides stärken.
Dieses kulturelle Erbe wiederum hat nichts mit dem Kampf gegen die Weißen zu tun, das gab es vorher und richtete sich seinerzeit gegen andere Stämme. Einige Apachenstämme sind in der Tat für ihre blutige Art berüchtigt gewesen, auch unter den Ureinwohnern, was in Deutschland wegen Karl Mays Idealisierungen immer noch mit Überraschung quittiert wird – die DEFA hat 1974 ebenfalls einen Film über Ulzana gedreht, den ich noch nicht gesehen habe, aber auch darin dürfte die Tendenz wohl klar zugunsten der Apachen ausfallen. Die Handlung von „Ulzana’s Raid“ ist weitgehend historisch korrekt und realistisch, auch der Apache und Socut Ke-Ni-Tay, der sich an seinen Vertrag mit den Weißen gebunden fühlt und gegen seine eigenen Leute kämpft, ist eine durchaus mögliche Figur. Ich habe mich überschlägig in die Geschichte der Indianerstämme im heutigen Norden Mexikos und dem Südwesten der USA eingelesen und kann damit gleich einen Bogen schlagen: Vergleicht man die Größenordnungen, also die Zahl der Beteiligten, die natürlich in den Apachenkriegen viel geringer war, gibt es bezüglich der Grausamkeit der Kriegsführung nicht nur Parallelen zu Vietnam, sondern übertrifft diese wohl sogar.
Und damit hat Aldrich seine Botschaft abgeliefert. Es gibt keine Versöhnung, alles wiederholt sich, die Menschen sind nicht gut und der einzige, der auf eine zunächst zwischen Zugewandtheit den Indianern gegenüber, dann impulsivem Hass angesichts von deren Greueltaten, dann wieder im Gespräch mit Ke-Ni-Tay, um deren Mentalität besser zu verstehen, schwankende Art vielleicht ein differenziertes Bild gewinnen könnte, ist der junge, in einem pazifistischen Haushalt aufgewachsene Leutnant de Bruin. Er bekommt am Ende Ulzana zwar von Ke-Ni-Tay geliefert, aber muss einen hohen Preis zahlen, weil er viele seiner Soldaten und den weißen Scout McIntosh verliert.
Auch dieser Teil des Szenarios ist gemäß dem Verlauf der „Indianerkriege“ und einzelner Ausbrüche aus den als deren Ergebnis eingerichteten Reservaten glaubhaft. Wie die Weißen über die Indianer denken, das ist etwas flirrend dargestellt, das betrifft auch McIntosh, dem man nicht so recht in die Karten schauen kann, dafür hat der Film in seiner Darstellung von Gewalt gegen Gewalt und der Absenz einer typischen Rollenzuweisung etwas Rohes und Ehrliches zugleich, ganz im Stil seiner Zeit, als das Kino für ein paar kurze Jahre ernsthaft versuchte, den Zustand der Nation und der Menschheit zu spiegeln. Man war mit Filmen wie diesem dabei, den erwachsenen Zuschauer ins Visier zu nehmen und als Medium selbst erwachsen zu werden. Wie wir heute wissen, war das im Wesentlichen ein ehrbarer Versuch, den Lucas, Spielberg und andere dann beendeten, weil ihre Märchen die schlichten Gemüter der Menschen mehr auf ihre Seite ziehen konnten als solchermaßen unangenehme und nervige Filme wie „Ulzana’s Raid“ – in dem außerdem auch die Identifikationsfigur stirbt, was wohl ebenfalls in den 1970ern so häufig vorkam wie nie zuvor und danach in der Kinogeschichte.
Man geht also nicht katalysiert, enthusiasmiert oder geläutert aus dem Kino, sondern wütend über die viele sinnlose Gewalt, die nicht einmal der amerikanischen Ideologie geschuldet ist und desorientiert außerdem, weil man nicht einmal mit den Siedlern so richtig Mitleid haben kann, diesen bornierten Typen, die allein gegen eine Bande von Kriegern ihren Besitz verteidigen wollen, der hier eine Art eigenen Heiligenstatus gewinnt, der durchaus entlarvend ist.
Die Sequenz, die ich am interessantesten fand, war der Kampf in der Schlucht, der Klassiker, dass, hinter Felsen gut versteckt, von Felsen gut gedeckt, eine Partei auf die andere, die unten durch die Schlucht zieht, in aller Ruhe schießen und sie erledigen kann. Auch Soldaten, denen man eingeschärft hat, ihre Pferde nicht unnötig zu opfern, hätten sich doch wohl hinter diesen ebenfalls in Deckung gebracht, aber sie werden der Tiere, mit denen sie seit Jahren vertraut sind, im Kugelhagel nicht Herr – vielleicht ist aber auch gerade das realistischer als die Variante, dass ein Pferd sich seelenruhig als Deckung hergibt. Besonders gut gelungen ist die Szenenfolge, in denen Ke-Ni-Tay den Beobachter der Gruppe um Ulzana verfolgt und zur Strecke bringt. Das Filming diese Minuten wirkt sehr bewegt, sehr dynamisch und ist deshalb spannend, weil man nicht ohne Weiteres anhand bekannter Muster einschätzen kann, wer gewinnen wird.
Finale
„Ulzana’s Raid“ ist ein typischer harter Western der frühen 1970er, in seiner Haltung (beinahe) kompromisslos negativ und schonungslos. Dass dabei keine ideologischen Gefangenen gemacht werden, muss man hinnehmen, aber es gibt ja noch die neuen Western seit den 1990ern, in denen dann z. B. auch aus der Sicht der Angeörigen der First Nation gefilmt wird, etwa in „Geronimo“ (1993), über den ich schon geschrieben habe. Freilich ist jedes andere Kinozeitalter weiter von der Realität entfernt als die 1970er und heute verschleiert die politische Korrektheit ebenso wirkliche Probleme und eine realitätsnahe Darstellung, wie früher die weiße Sicht dominiert hat.
78/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Robert Aldrich |
Drehbuch | Alan Sharp |
Produktion | Carter DeHaven |
Musik | Frank De Vol |
Kamera | Joseph F. Biroc |
Schnitt | Michael Luciano |
Besetzung | |
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