Massai / Der große Apache (Apache, USA 1954) #Filmfest 382

Filmfest 382 Cinema

Der Weiterkämpfende unter den Weiterkämpfenden

Bereits Geronimo war einer jener Apachen, die sich vom allgemeinen Frieden mit den Weißen nicht überzeugen ließen, als der einflussreiche Häuptling Cochise das Angebot annahm, die Waffen niederzulegen und aufständisch blieben. Als auch Geronimo und seine Mitkämpfer sich 1886 fügen und verraten werden, bleibt Massai als ein einzelner Widerständler übrig – und selbst er wird am Ende Farmer und nimmt  Das ist aus heutiger Sicht duchaus eine fragwürdige Entwicklung, trotzdem ist „Massai“ einer der ersten Filme, die aus der Sicht der Native Americans oder eines von ihnen gefilmt ist. Mehr darüber steht zu lesen in der -> Rezension.

Handlung

Als Geronimo 1886 kapituliert, versucht der junge Krieger Massai dies zu verhindern, indem er das Feuer eröffnet, während die indianischen Anführer mit der weißen Fahne auf die Kavalleristen zugehen. Er wird überwältigt und mit seinen Stammesbrüdern in einen Zug gesperrt, der ihn nach Florida deportieren soll. Unterwegs gelingt ihm die Flucht. Bei seinem Heimweg muss er durch besiedelte Gebiete, wobei sich zeigt, wie sehr ihn die Zivilisation verstört.

Deplatziert ist er jedoch auch in der alten Heimat: Nicht deportiert wurden nur Frauen, Kinder, Greise und Angehörige der Armee. Man begegnet ihm mit Misstrauen. Um seine Freundin Nalinle wirbt der Armeescout Hondo, der von Nalinles Vater, dem trunksüchtigen Santos, bevorzugt wird. Santos verrät Massai, dieser wird gefangen genommen, kann aber ausbrechen. Mit Nalinle geht er in die Berge, heiratet sie und kämpft allein gegen die Armee, was nur aufgrund seiner guten Kenntnis des Terrains und seiner akrobatischen Fähigkeiten möglich ist.[1]

Nalinle bemüht sich, Massais Hass auf die Weißen zu dämpfen; zunächst erfolglos. Als sie ein Kind erwartet, betätigt sich Massai als Farmer: Er baut eine Hütte und bestellt ein Feld. Da Nalinle Saatgut und Kleidung gestohlen hat, wird ihr Versteck aufgespürt. Massai zieht – mit der Zustimmung Nalinles – in den aussichtslosen Kampf.

Die „Soldaten sind beeindruckt von der Wildheit seines Kampfes. Einen Augenblick tritt eine Atempause ein, bevor die Soldaten zum letzten Schlag ausholen. Da ertönt plötzlich der durchdringende Schrei eines neugeborenen Kindes aus der Hütte und Massai bleibt wie versteinert stehen. Langsam bewegt er sich dann wie unter einem Bann der Hütte zu, von niemandem gehindert, und Sieber sagt: ‚Er hat den Krieg erklärt, aber es scheint, als ob er jetzt Frieden machen wollte.‘ Massai, der Krieger, ist zu einem Familienvater und Bauern geworden, ein leuchtendes Vorbild allen Apachen. Seine rebellische Vergangenheit ist vergeben und vergessen.“[2]

2021-02-06 Filmfest Cinema 2021Rezension: Anni und Tom über „Massai“

ANNI: Wie Burt Lancasters helle Augen aus dem dunkel geschminkten Gesicht blitzen, das sieht zwar nicht sehr indianisch aus, aber sehr eindrucksvoll. Daran haben sie sich später erinnert, als die Western mit Terence Hill entstanden und ebenfalls auf diese Kontrast gesetzt wurde. Aber Lancasters eckiges Antlitz mit der schar geschittenen Nase hat schon was, das ihn geeignet macht. Leider war man in den 1950ern noch weit davon entfernt, wirkliche Native Americans für solche Rollen einzusetzen.

TOM: Da konnte man froh sein, wenn die Ureinwohner überhaupt positiv dargestellt wurden – aber das war ja auch ein Anliegen von Burt Lancaster, der, wie sein Darsteller-Freund Kirk Douglas, im Realleben ein Liberaler im amerikanischen Sinn des Wortes war. Und ohne Stars wäre ein indianerfreundlicher Western damals schon gar nicht zu verkaufen gewesen. Ich denke, mit den Mitteln der Zeit war der Film sehr fortschrittlich. Das Visuelle übrigens auch, die Kamera unter der Regie von Robert Aldrich, sehr beweglich und dynamisch eingesetzt. Fiel mir besonders an einer Stelle auf, als sie am stehenden Massai von vorn nach hinten vorbeizieht, dieser sich dann bewegt und die Kamera in die Gegenrichtung schwenkt, mit dieser Bewegung. Auch einige wilde Reitszenen sind echt gefilmt, und gar nicht mal so auffällig im Zeitraffer, wie es sonst damals noch oft üblich war.

ANNI: Und dann gibt es eine der wildesten Lovestorys, die bis dahin in Hollywood gedreht wurden. Hat mich ein bisschen an „Duell in der Sonne“ erinnert, dieses kämpferisch leidenschaftliche Verhältnis. Wahrscheinlich konnte man sowas damals am besten bei Filmen mit den wilden Indianern verwirklichen, während es im 1950er-Kino ja ansonsten besonders edel und tränenreich zuging.

TOM: Nicht nur, es gab nicht nur diese großen Melodramen wie die Filme von Douglas Sirk, an die du dabei wohl denkst, aber tendenziell stimmt es. Da ist ein erotischer Einschlag drin, den man sonst in Filmen gerade dieser Periode eher selten sieht. Aber die Frau muss trotzdem einiges aushalten.

ANNI: Wir halten auch einiges aus, wenn wir was wollen, wie zum Beispiel einen wilden Mann zu einem Farmer machen … hihi. Eine schöne Wandlung, die Massai mehr oder weniger erfährt, nicht selbst gestaltet. Das Mädchen Nalinle ist der Schlüssel. Sie erdet ihn, schenkt ihm ein Kind, dessen erster Schrei ihn in dem Moment, indem er von den Kavalleristen und Sieber getötet werden müsste – innehalten lässt. Er gibt sein selbstmörderisches Verhalten auf und wird Teil des integrativen Ganzen.

TOM: Kein Film ohne Bezüge zum Hier und Jetzt, oder? Die Botschaft ist wohl eindeutig: Durch Anpassung an die Lebensart der Weißen kann man was werden, wie der ältere Cherokese, dem Massai schon auf seiner Flucht begegnet, aber nicht, indem die Weißen die bisherige eigene Lebenart respektieren, nämlich die als Jäger und damit natürlich auch auf weites Land angewiesen und vom Willen einer spendablen oder weniger freundlichen Natur abhängig. Letztlich ist der Film zwar schon indianerfreundlich, aber um den Preis, dass er ihnen empfiehlt, sich doch mal anzugucken, wie die Weißen so erfolgreich geworden sind und das bestmöglich nachzumachen. Ein Apache, der ein Maisfeld anlegt, der erste seiner Art. Wow! Das ist die wahre Evolution hin zum Höheren, also zur Zivilisation, wie die Weißen sie verstehen. Ein Jahr später, in „The Indian Fighter“ hat Lancasters Freund Kirk Douglas den Fehler nicht gemacht, eine Lebensberatung für die Native Americans zu organisieren.

ANNI: Jetzt bist du wirklich sehr kritisch. Mir hat es gefallen, dass das Mädchen ihren Liebsten dazu bewegen konnte, seinen aussichtslosen Kampf gegen die weiße Übermacht aufzugeben und dadurch die Gründung einer Familie zu ermöglichen; damit, symbolisch, auch die seiner Rasse zu sichern. In „The Indian Fighter“ ging es ja eher um eine Annäherung der Kulturen.

TOM: Ja, aber eben mehr gleichberechtigt.

ANNI: Schön finde ich auch, wie sie den Al Sieber sehr differenziert dargestellt haben, neben General Crook ja eine der historischen Gestalten im Film. Ein deutscher Auswanderer, der zu einer der prägenden Figuren in den Indianerkämpfen und als Scout wurde – so steht es in der Wikipedia.

TOM: Trotzdem muss der Film wohl sehr beschönigend sein und ich halte ihm ohnehin die Umstände seiner Entstehungszeit zugute, die gewisse Glaubwürdigkeitsprobleme nicht so dramatisch erscheinen lassen.

ANNI: Die heutigen, sinnfreien Fantasy-Western und angesichts der Tatsache, dass sich Fantasy in fast jedem Genre einnistet, sind jedoch glaubwürdig? Immerhin haben sie sich dieses Mal mit dem begrenzten Verständnis, das die Weißen zu der Zeit für die Native Americans hatten, Mühe gegeben, sie nicht als eine Horde von sinnlos mordenden Wilden darzustellen. Ich glaube schon, dass ein engagierter, wenn auch vielleicht auf eine etwas egozentrische Art engagierter Schauspieler wie Lancaster das wollte. Es ist ja auch ein von ihm produzierter Film. Er wird nicht erwähnt, war aber, wie der im Vorspann gelistete Harold Hecht, Mitproduzent und der Film wurde von den United Artists vertrieben, so, wie es damals im Vertrag stand. Also, Lancaster wollte diese Figur spielen und hat sie als pro-indianisch angelegt verstanden wissen wollen.

TOM: Mit der Naivität, die selbst wohlmeinende Weiße damals gegenüber anderen Kulturen hatten. Das ist aber nicht nur ein Amerikanismus, wobei die Amerikaner natürlich wegen ihrer technischen Überlegenheit zu jener Zeit ihre Kultur besonders heraushoben, denn nie war das Land mächtiger als in den 1950ern. Und schien nicht so moralisch korrumpiert wie weite Teile Europas, aus denen sich die amerikanische Bevölkerung speiste. Eigentlich kann man, wenn man etwas tiefer gucken will, sogar einen Mangel an kulturellem Selbstbewusstsein hinter der Idee sehen, dass Indianer nur dann gute Menschen sind, wenn sie die Lebensweise der Weißen adaptieren.

ANNI: Ich weigere mich, weiter auf diesem Weg in den seelisch-moralischen Abgrund zu folgen. Heute nicht. Und bei allen Sonderbarkeiten, ich mochte den Film. Obwohl es ein Western ist und du das Genre ja bekanntermaßen mehr schätzt als ich. Aber wahrscheinlich ist dir der Film als Western zu untypisch.

TOM: Weiße funktionieren halt besser, wenn sie Weiße spielen. Ein paar Jahrzehnte vorher gab es ja noch diesen gruseligen Brauch, dass Weiße als Afroamerikaner verkleidet agiert haben, irgendwie hat das Ganze etwas Rassisisch-karnevaleskes. Blackfacing nennt man das übrigens und es war charakteristisch für die Minstrel-Shows in den USA;  Blackfacing gibt es heute noch, vor allem dort, wo die PoC so wenig zu melden haben, dass es nicht genug von ihnen in Theaterensembles gibt, um wenigstens die dezidiert für sie geschriebenen Rollen auszufüllen. Also in Deutschland, zum Beispiel.

ANNI: Hätt ich bloß nicht wieder davon angefangen. Gut, dass wir die Winnetou-Filme damals noch nicht zusammen rezensiert haben, wo kein weißer Amerikaner wie Lancaster, sondern ein weißer Franzose namens Pierre Brice einen Apachen gespielt hat. Ich hab mal meine Punkte notiert.

TOM: Ich gebe 5,5/10. „Der große Massai“ ist nicht mit „Vera Cruz“ zu vergleichen, der kurz danach entstand. Das ist ein Western! Da geht’s um Kohle!

ANNI: Das haben wir ja auch hinreichend gewürdigt, als wir ihn besprochen haben. Ich hab 7/10. Bei 6,25 im Schnitt müssen wir also 6/10 geben. Naja. Manchmal bin ich mit dieser Abwertung bei Viertel-Wertungen nicht so glücklich.

TOM: Besonders dann nicht, wenn dein Votum davon mehr betroffen scheint.

TOM: Das war jetzt unlogisch. Derjenige, der höher votet, ist davon mehr betroffen. Und eine Statistik, wer von uns im Durchschnitt mehr Punkte vergibt, haben wir noch nicht. Okay?

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im „neuen“ Wahlberliner im Jahr 2021: Da das Bewertungsschema mittlerweile auf 100 Punkte umgestellt wurde, können abweichende Votings fast exakt gemittelt werden.

63/100

© 2021 (Entwurf 2016) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Robert Aldrich
Drehbuch James R. Webb
nach dem Roman Broncho Apache von Paul I. Wellmann
Produktion Harold Hecht
Burt Lancaster (ungenannt)
Musik David Raksin
Kamera Ernest Laszlo
Schnitt Alan Crosland junior
Besetzung

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