Wenn wir doch im Saarland wählen dürften: Der Wahl-O-Mat für nächste Woche | Parteien, Personen, Politik | Saarland-Wahl am 27.03.2022

Frontpage | Politik | Landtagswahl im Saarland am letzten Märzwochenende 2022

Liebe Leser:innen,

mittlerweile ist es eine Tradition, dass ich den Wahl-O-Mat ausfülle, auch für Wahlen, an denen ich nicht teilnehmen kann bzw. darf. Das kleine Saarland wird am nächsten Sonntag nach fünf Jahren wieder einen neuen Landtag wählen. Ich darf zwar nicht mit abstimmen, aber die alte Verbundenheit wirkt selbstverständlich noch und ich schaue etwas mehr hin, was dort passiert, als in Gegenden, zu denen ich keinen persönlichen Bezug habe. Es passiert aber im Saarland nicht so viel, dass man kognitiv permanent gefordert sein könnte.

Etwas erstaunt war ich auch darüber, zu wie vielen Themen ich mich neutral stellen musste, weil ich sie nicht im Fokus und keine Meinung dazu habe. Sehr viele Bildungsaspekte werden im Saarland offenbar derzeit diskutiert. Das ist an sich gut und richtig, denn Bildung ist wichtig. In einigen Punkten habe ich mich auch bei diesem Thema in Form von Zustimmung oder Ablehnung eindeutig verhalten. Ja zur gleichen Besoldung von Lehrer:innen aller Schulformen, nein zum Französischunterricht ab der ersten Klasse. Ich hatte das Vergnügen, die Sprache neun Jahre lang erlernen zu dürfen und das reichte völlig aus, um während Frankreichaufenthalten zu verstehen, was die Französ:innen über uns sagen, wenn sie davon ausgehen, dass wir nicht verstehen, was sie sagen. Deswegen blieb mir auch die in Deutschland teilweise überragende Naivität bezüglich des deutsch-französischen Verhältnisses verwehrt, das immerhin die Gestalt der EU in einem nicht geringen Maße prägt. Außerdem mangelt es, wie kaum anders zu erwarten, bezüglich der nachbarschaftlichen Kulturpflege an Reziprozität. 

Dass es nicht zu Werten von über 80 Prozent für einzelne Parteien kam, wie zuletzt bei einigen Wahl-O-Maten, auch nicht zu solchen unter 30 Prozent, liegt in erster Linie an meinen relativ häufigen neutralen Antworten, aber wohl auch daran, dass in der Landespolitik Parteien, die unterschiedliche Stellungen im politischen Spektrum innehaben, in Sachfragen oft ähnlicher tendieren als in der Bundespolitik, wo es im Wahlkampf um wesentlich mehr prinzipielle Positionen geht als in der eher an kleinteiligen Lösungen und einzelnen Projekten orientierten Landespolitik. Der Wahl-O-Mat des Saarlandes, geschrieben für das zweitkleinste Bundesland nach Bevölkerung, weist diese Einzelfallorientierung naturgemäß besonders deutlich aus. Möglicherweise ist sie auch eine Folge der Kritik an früheren Wahl-O-Maten, die nach der Meinung einiger Politiker:innen und Politolog:innen zu wenig auf die regionalen Besonderheiten Rücksicht nahmen, mithin auf das, was die Wähler:innen vor Ort am meisten umtreibt. Hier zunächst mein persönlicher Wahl-O-Mat, im Anschluss ein wenig mehr zum Saarland:

An der Rangfolge der Parteien, die bei mir die größte Zustimmung zu ihrem Programm erfahren, hat sich gegenüber den letzten Jahren nicht sehr viel verändert.

Warum auch? Gewisse politische Enttäuschungen führen bei mir nicht per se zu radikalen Positionswechseln. Ich bestehe aber weiterhin darauf, ständig meine Ansichten zu überdenken und an neue Erkenntnisse anzupassen. Zum Beispiel in Form von Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg, die bei einer saarländischen Landtagswahl jedoch eine geringe Rolle spielen. Keine einzige der 38 Fragen, die im Wahl-O-Mat Saar gestellt werden, ist außenpolitisch orientiert, wenn man von der Schulfranzösisch-Angelegenheit absieht. Selbstverständlich ist diese Binnenorientierung für mich nicht, denn das Saar-Lor-Lux-Verhältnis war einst doch sehr wichtig und man hoffte seitens der Landespolitik stets, dass das Saarland von seiner zentralen Lage im Dreiländereck bzw. Vierländereck, wenn man die 2/3-Umschließung durch Rheinland-Pfalz mitrechnet, würde profitieren können, wenn die harte Konversion weg von Kohle und Stahl abgeschlossen sein würde. Diese Illusionen sollte man sich nicht mehr machen, denn das Saarland zeigt nach wie vor mit die schwächsten Wirtschaftszahlen aller westlichen Bundesländer und hatte als einzige Region im Westen der BRD über einen längeren Zeitraum hinweg eine sinkende Bevölkerung zu verzeichnen. Eine Ausnahme waren die Jahre 2015/2016, in denen der Zugang an Geflüchteten für eine kurzzeitige Trendumkehr sorgte. Vielleicht sehen wir das nun wieder, wenn Ukrainer:innen auch ins Saarland kommen werden.

Aus heutiger Sicht hätten die Saarländer:innen sich anlässlich der Volksabstimmung 1955 für die Unabhängigkeit entscheiden und den Luxemburger Weg gehen sollen, nämlich, ihr im Ganzen doch recht hübsches Ländle als Kapitalsammelstelle und Steueroase aufzubauen. Damit kann man in diesem unserem Wirtschaftssystem viel erreichen, besonders auf Kosten anderer Volkswirtschaften. Die Chancen wären gut gewesen, denn die Infrastruktur war im damals ökonomisch starken Saargebiet wesentlich besser ausgebaut als im benachbarten Großherzogtum und es hatte fünfmal so viele Einwohner:innen (heute ist das Verhältnis nur noch ca. 1,65:1). Vielleicht wären dann viele Menschen aufgrund herausragender Berufschancen im Spekturm der finanzorientierten Dienstleistungen dort wohnen geblieben. Das Pendeln nach Luxemburg bringt hingegen vor allem den Raum Trier in Rheinland-Pfalz zum Aufblühen. Wäre es jedoch bei mir so gelaufen, hätte ich Berlin nicht kennengelernt, und wer Berlin nicht kennt, hat die Welt verpennt.

Politisch ist das Saarland gerade sehr spannend, weil die Wahl als erster Test für die neue Ampelkoalition im Bund gilt. Wird Anke Rehlinger (SPD) Tobias Hans (CDU) ablösen und die erste Ministerpräsidentin des Saarlands nach Annegret Kramp-Karrenbauer werden, gegen die sie vor fünf Jahren noch verlor?

AKK wechselte danach mit mäßigem Erfolg in die Bundespolitik und übergab an den Mann, der sich neuerdings mit dramatischen Tankstellen-Videos profiliert, nachdem er zunächst einen eher vernünftigen und CDU-mittigen Eindruck an uns vermittelt hatte. Vor AKK hieß der Ministerpräsident Peter Aloysius Müller (CDU) und kam aus dem ländlich-katholisch geprägten Nordostsaarland. Wenn man Oskar Lafontaines Zeit als Ministerpräsident absieht, war das Saarland überwiegend CDU-geführt, nach seinem Wiederanschluss an Deutschland, obwohl stark von der Arbeiterschaft in Großunternehmen geprägt. Vor allem während der Zeit des parteiübergreifend beliebten Franz-Josef-Röder in den 1970ern, unter dessen Ägide auch die letzten großen Industrieansiedlungen entstanden (Ford in Saarlouis, ZF in Saarbrücken), war das Land fest in der Hand der Christdemokraten. Oskar Lafontaine hatte hingegen dafür gesorgt, dass man bei Daimler den Eindruck bekam, im Saarland nicht sehr willkommen zu sein, daraufhin entstand das Smart-Werk im französischen Hambach, wo bis dahin keinerlei diesbezügliche Infrastruktur vorhanden war. Ich war immer schon der Ansicht, der Mann hat etwas Destruktives, da helfen auch keine auf den ersten Blick progressiven politischen Positionen. Sogar die Tatsache, dass die Linke im Saarland aufgrund seiner Position als deren Vorsitzender eine Zeitlang stark war, hat lediglich dazu geführt, dass die CDU regieren konnte, zeitweise mit den Grünen zusammen, denn eine Regierung aus der SPD und der Linken, die der SPD viele Wählende abspenstig gemacht hatte, lag begreiflicherweise nicht sehr nah.

Der aktuelle Ministerpräsident hat neben seinem plötzlich auftretenden Populismus und der über die Jahre gewachsenen Beliebtheit seiner Herausforderin auch damit zu kämpfen, dass das Saarland vergleichsweise schlecht durch die Pandemie kommt. In diesen Tagen zählt es wieder zu den Bundesländern mit den höchsten Inzidenzen (ca. 2.200). Natürlich, es ist für ein Flächenland immer noch dicht besiedelt, aber die Impfquote ist ebenfalls überdurchschnittlich und so pragmatisch wie in Sachen Corona-Pieks kenne ich die Saarländer:innen in den meisten wichtigen Dingen des Lebens. Man macht, was anliegt und gefordert wird und ansonsten sein Ding. Mein Ding ist das nicht unbedingt, aber wie jede Mentalität hat auch die vergleichsweise große Gelassenheit der Menschen dort Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: Man hat man einiges vom Besten des diffizilen großen Nachbarn dauerhaft adaptiert, in erster Linie Bestandteile der französischen Ess- und Gesellschaftskultur, sodass savoir vivre im Saarland für deutsche Verhältnisse nach wie vor überdurchschnittlich ausgeprägt ist. Auch der Anteil an Automobilen der Marke Peugeot, wie überhaupt die Autodichte, ist immer noch sehr hoch, obwohl längst nicht mehr die Preisvorteile für französische Produkte bestehen, die während des wirtschaftlichen Verbunds mit Frankreich in den Jahren 1945 bis 1958 gegeben waren. Allerdings ist die Deutschlandzentrale des Konzerns, der sich nach unzähligen Übernahmen nun Stellantis nennt, nach wie vor in Saarbrücken angesiedelt, auch die saarländische Polizei fährt teilweise Einsatzwagen von Peugeot, wie Tatortkenner:innen wissen. Oder von Ford, wegen des erwähnten Werks in Saarlouis.

Die schon länger anhaltende relative wirtschaftliche Schwäche des Landes hingegen wirkt sich beim Lebensstandard nicht so deutlich aus, wie man denken sollte, weil die Hauseigentumsquote sehr hoch ist, die höchste der Republik, und weil die Lebenshaltungskosten aufgrund der, sagen wir mal, ruhigen Entwicklung einigermaßen auf dem Teppich geblieben sind. Es gibt keinen Hype, auch nicht bei den Mieten. Die Gastronomie war noch nie die allerbilligste, aber das hat qualitative Gründe und keine touristischen, wie in Berlin. Wenn man in Berlin lebt, ist der Unterschied in der Wahrnehmung zu einer Gegend, die strukturiert ist wie das Saarland, ohnehin recht krass.

Warum man aber bei gegebener negativer Bevölkerungsentwicklung in dieser Ecke des Südwestens noch forciert weitere Baugebiete ausweisen, weitere Flächenversiegelung ein- und anrichten und gleichzeitig Leerstand provozieren will, erschließt sich mir nicht, deswegen habe ich dagegen gestimmt. Unzählige großflächige Einfamilienhauslandschaften aus verschiedenen Jahrzehnten, beginnend mit den Bergleute-Siedlungen der 1920er, prägen weite Teile des Landes ohnehin. Damit immer weiterzumachen, auch wenn die Demografie längst nicht mehr dafür steht, da steckt typische CDU-FDP-Ideologie dahinter: Wer sich sein eigenes steinernes Denkmal setzen kann, möglichst erweiterbar durch diverse Anbauten in höchst individueller Gestaltungsweise, wählt konservativ oder neoliberal.

Dabei wurschteln oder „knauben“ doch die Saarländer:innen so gerne, versuchen sich aufgrund ihrer Selbstsicht als versierte Handwerker:innen hingebungsvoll am Eigenbau und der Do-it-yourself-Renovierung. Also ran an das, was da ist und es weiter versch…önern. Mehr Solaranlagen auf die Dächer! Bei den möglichst in Grenzen zu haltenden Neubauten sowieso.

Thomas Hocke

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